Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 27.02.2017, Az.: S 34 KR 55/15

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
27.02.2017
Aktenzeichen
S 34 KR 55/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 20918
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.048,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Dezember 2014 zu zahlen. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Verrechnung von Vergütungsansprüchen mit geltend gemachten Ersatzansprüchen wegen der ambulanten Versorgung mit Hilfsmitteln. Die Klägerin ist Trägerin der A-Klinik in Schleswig Holstein. Dort wurden in den Jahren 2010 bis 2013 zahlreiche bei der Z (eine Rechtsvorgängerin der Beklagten, im Folgenden nur: die Beklagte) versicherte Patienten behandelt. Während des stationären Aufenthalts verordneten die Krankenhausärzte Hilfsmittel (Orthesen, Lagerungshilfen). Die Hilfsmittel wurden an die Versicherten von Leistungserbringern (Sanitätshäusern) abgegeben und die Leistungserbringer erhielten von der Beklagten eine entsprechende Vergütung. Wegen der Details (Entlass- und Aufnahmedatum, Hilfsmittel-Nr., Datum der Verordnung und Abgabe des Hilfsmittels und Höhe der Kosten) wird auf die entsprechende Auflistung der Beklagten Bezug genommen. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass für die Kosten der Hilfsmittel die Klägerin aufkommen müsste. Die Beklagte hat im Dezember 2014 ihre Ersatzansprüche in Höhe von insgesamt 18.787,12 EUR durch Verrechnung geltend gemacht. Auf die Mitteilung der Beklagten vom 10. Dezember 2014 (= K 11 = Bl. 11 f. der Gerichtsakte) wird Bezug genommen. Die Klägerin hat am 12. Februar 2015 Klage erhoben. Sie trägt vor: Hilfsmittel müssten bestellt und angepasst werden, was Zeit koste. Bei der erstmaligen Verordnung nach dem Ende des stationären Aufenthalts würde der Patient Hilfsmittel erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erhalten. Deswegen seien die Verordnungen schon während des stationären Aufenthalts erfolgt. Hilfsmittel seien nur insoweit in der DRG enthalten als diese leihweise für die Dauer des stationären Aufenthalts an Patienten abgeben würden. Die Versorgung mit Hilfsmitteln für den häuslichen Bereich sei Sache der ambulanten Versorgung. Dies folge aus § 2 Abs. 1 S. 1 KHEntgG. Für die Erstattungsansprüche gebe es keine Anspruchsgrundlage. Es handele sich nicht um eine Rechnungsprüfung. Schadensersatzansprüche seien nicht gegeben. Bereicherungsansprüche seien ebenfalls ausgeschlossen. Im Übrigen habe die Beklagte die Verordnungen genehmigt. Soweit die Beklagte auf Gutachten Bezug nimmt, komme es auf den jeweiligen Einzelfall an, so dass die Gutachten hier nicht ohne weiteres herangezogen werden könnten. Da hier eine Regelungslücke vorliege, könne der Klägerin auch keine Pflichtverletzung angelastet werden.

Die Klägerin hat ursprünglich beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 18.787,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verurteilen.

Nachdem die Klägerin einzelne Positionen in der Auflistung der Beklagten gerügt hatte, hat diese ein Anerkenntnis in Höhe von 3738,80 EUR abgegeben. Die Klägerin hat das Anerkenntnis angenommen.

Nunmehr beantragt die Klägerin,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 15.048,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Dezember 2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor: Streitig seien allein die Fälle, in den das Hilfsmittel bereits für den stationären Bereich erforderlich war. In diesen Fällen sei das Hilfsmittel doppelt finanziert, nämlich über die Fallpauschale und durch die Zahlungen an das Sanitätshaus. Ein Mitverschulden auf Seiten der Beklagten bestehe nicht. Aufgrund der unterschiedlichen Prüfregime für den ambulanten und stationären Bereich, nämlich einerseits die quartalsweise Prüfung und andererseits die sofortige Zahlung von Krankenhausrechnungen mit nachgehender Prüfung, habe die Beklagte keine Kenntnis gehabt. Bei den hier streitigen Mischfällen sei allein die erstmalige medizinische Erforderlichkeit für die Zuordnung der Kostenträgerschaft maßgeblich. Die Krankenhäuser hätten die Pflicht die Patienten mit allen Hilfsmitteln zu versorgen, die sie für die Genesung (auch die fortgesetzte Genesung zu Hause) benötigten. Die hier streitigen Fälle seien mit Herzschrittmachern oder Cochlea Implantaten vergleichbar. Die Kammer hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen.

Entscheidungsgründe

Streitgegenständlich sind die in der Verrechnungsankündigung aufgeführten Forderungen aus November und Dezember 2014 soweit sie nicht schon durch die Verrechnung für die Rechnung vom 12. August 2014 und 29. April 2014 untergegangen sind (§ 366 BGB). Die Klage ist begründet. Die Klägerin kann für die oben bezeichneten Fälle eine weitere Vergütung verlangen. Diese Ansprüche sind nicht durch Verrechnung, einer Aufrechnung nach § 69 SGB V i. V. m. §§ 387 ff. BGB, untergegangen. Die Beklagte hatte keine Gegenforderung, die sie zur Aufrechnung hätte stellen können. Sie hatte nach keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Erstattung bzw. Ersatz der Kosten für die aufgewendeten Hilfsmittel:

1. Der Anspruch folgt nicht unmittelbar aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis, das durch die Vorschriften der §§ 39, 108 f. SGB V, §§ 1 ff. KHEntgG, § 17b KHG begründet wird. Die jeweils abgerechnete DRG ergibt sich durch Eingabe der Diagnosen, Prozeduren und biographischen Angaben in die zertifizierte Software. Minderungstatbestände für den Fall von "Doppelfinanzierungen" sind nicht vorgesehen.

2. Es ergibt sich kein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. dem Schuldverhältnis nach §§ 39, 108 f. SGB V, §§ 1 ff. KHEntgG, § 17b KHG, weil die DRG ohne Abzüge in Rechnung gestellt wurde. Denn die DRG war in jedem Falle in der geltend gemachten Höhe abzurechnen, so dass es schon an einer Pflichtverletzung fehlt.

3. Es ergibt sich weiterhin kein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. § 249 Abs. 1 BGB durch die Verordnung der Hilfsmittel während des stationären Aufenthalts und die dann erfolgte Abgabe während des jeweiligen Aufenthalts. Es fehlt jedenfalls an der haftungsausfüllenden Kausalität, weil die Kosten auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten des Krankenhauses der Klägerin angefallen wären (SG Berlin, Urteil vom 11. April 2016, Az.: S 81 KR 1181/14, , Rn. 54; zum rechtmäßigen Alternativverhalten Palandt/Grüneberg, Vorb. v. § 249, Rn. 64 f.): Vorab sind die hier vorliegenden Fallgestaltungen von dem Sachverhalt aus B 1 KR 22/12 R (Urteil des BSG vom 12. November 2013, ) abzugrenzen. Dort konnte sich das Problem des rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht stellen. Dort ging es um die Verordnung von Medikamenten, die noch während des stationären Aufenthalts verbraucht wurden. Wird das Medikament während des stationären Aufenthaltes konsumiert, ist ohne weiteres ersichtlich, dass bei einem rechtmäßigen Verhalten (Beschaffung auf Krankenhauskosten) diese Kosten für die Krankenkasse eben nicht entstehen konnten. Die hier streitigen Hilfsmittel können nicht konsumiert werden. Sie werden einmalig angeschafft und können dann über eine relativ lange Nutzungsdauer verwendet werden. Die Kosten ändern sich nicht durch die Nutzungsdauer. Wären die Hilfsmittel daher erst zum Ende des stationären Aufenthalts im Rahmen des Entlassmangements oder nach der Entlassung abgegeben worden, hätten sich die Kosten für die Beklagte nicht verändert. Deswegen bedarf es auch keiner Entscheidung, ob die Abgabe der Hilfsmittel nach der damals jeweils gültigen Fassung des § 39 SGB V aufgrund ärztlicher Verordnung ohne nähere vertragliche Regelungen gem. § 11 Abs. 4 SGB V bzw. nach deren Einführung gem. § 39 Abs. 1 S. 4-6 SGB V möglich war. Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Annahme der Beklagten, dass die Klägerin bzw. ihr Krankenhaus auch für die Hilfsmittelausstattung der Patienten für die Zeit nach der stationären Behandlung verantwortlich sei. Diese Auffassung steht im klaren Widerspruch zum Wortlaut des § 39 Abs. 1 S. 3 SGB V. Danach sind alle Leistungen umfasst, die zur medizinischen Versorgung der Patientin im Krankenhaus erforderlich sind. In gleicher Weise definiert § 2 Abs. 1 KHEntgG die Krankenhausleistungen. Die Verantwortlichkeit der Krankenhäuser für die Ausstattung mit Hilfsmitteln endet mithin an ihrer Tür. Ist für die poststationäre Versorgung ein Hilfsmittel erforderlich (und dies ist in den hier einschlägigen Fällen offenbar unstreitig), dann ist dafür die Beklagte als Kostenträger zuständig. Da sich die Kosten durch die Nutzungsdauer des Hilfsmittels nicht verändern, kann der Beklagten mithin kein kausaler Schaden entstehen. Die Herausforderungen an eine nahtlose und effektive medizinische poststationäre Versorgung, die sich neben der gesetzlichen Verpflichtung der Krankenkassen gegenüber den Versicherten auch aus den vertraglichen Pflichten der Krankenhäuser gegenüber ihren Patienten ergeben, hat der Gesetzgeber erkannt. Er hat schrittweise § 11 Abs. 4 SGB V, dann § 39 Abs. 1 S. 5-6 und schließlich § 39 Abs. 1a SGB V eingeführt (Erwägungen dazu jeweils in BT-Drs. Drs. 16/3100, S. 96 f.; 17/6906, S. 55; 18/4095, S. 76). Im Rahmen dieser Bestrebungen ist gerade nicht der Weg gewählt worden, im Zweifel den Krankenhäusern die Kosten für poststationäre Versorgung aufzubürden. Vielmehr blieb es bei der Grundregel, dass die Krankenhäuser die Kosten nur für die Versorgung im Krankenhaus zu tragen haben. Nur hilfsweise sei ergänzt, dass damit zugleich die haftungsausfüllende Norm durch den Schutzzweck der § 39 Abs. 1 SGB V, § 2 Abs. 1 KHEntgG sowie § 33 SGB V, § 11 Abs. 4 SGB V, begrenzt ist (zur Herleitung des Instituts des rechtmäßigen Alternativverhaltens aus dem Schutzzweck der Norm, Palandt/Grüneberg, Vorb v § 249 BGB, Rn. 64). Die Krankenhäuser sollen Kosten für die Dauer des stationären Aufenthalts nicht auf die Krankenkassen abwälzen dürfen. Andererseits bezwecken die Vorschriften nicht, Kosten für Hilfsmittel für die poststationäre Versorgung nur deshalb den Krankenhäusern zuzuordnen, weil sie dort erstmalig angefallen sind. Die Fallgestaltungen sind auch nicht mit Herzschrittmachern oder Knochenleitungsimplantaten zu vergleichen. Erstens erfolgt in derartigen Fällen die stationäre Aufnahme vorrangig mit dem Ziel den Patienten mit diesen Hilfsmitteln zu versorgen. Die entsprechenden OPS-Kodes (5-209.2 - Implantation eines Kochleaimplantats bzw. 5-377 Implantation eines Herzschrittmachers, Defibrillators und Ereignis-Rekorders) beinhalten auch die Kosten für das Material. Dagegen sind die Kosten für Orthesen in diesen Fallgestaltungen nicht über OPS-Kodes abgebildet und sind auch nicht mittelbar über die DRG abgebildet (SG Berlin, Urteil vom 11. April 2016, Az.: S 81 KR 1181/14, , Rn. 36).

4. Die Beklagte hat auch keinen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach den Vorschriften der §§ 670, 677, 683 BGB (Geschäftsführung ohne Auftrag). Denn der Beklagten fehlte der Fremdgeschäftsführungswille. Die hier an sich bestehende Vermutung für den Fremdgeschäftsführungswillen ist schon nach dem Vortrag der Beklagten widerlegt. Der Beklagten fehlte die für eine Willensbildung notwendige Kenntnis von den Zusammenhängen zwischen stationärer Aufnahme, ärztlicher Verordnung, Abgabe des Hilfsmittels und Erforderlichkeit der Hilfsmittel für die stationäre Versorgung. Die fehlende Kenntnis der Zusammenhänge ergab sich nach ihrem Vortrag aus den unterschiedlichen Prüfregimen.

5. Ein Bereicherungsausgleich scheidet nach der Rechtsprechung des BSG (B 1 KR 22/12 R, Rn. 21 ff.) aus.

6. Ansprüche nach §§ 823 ff. BGB scheiden aus. Es fehlt jedenfalls an der haftungsausfüllenden Kausalität (§ 249 Abs. 1 BGB, s. o.).

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.