Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.01.2000, Az.: 11 L 3404/99

Asyl; Asylantragsteller; Asylbewerber; Exilpolitik; exilpolitische Aktivität; exilpolitische Betätigung; Fluchtalternative; Gruppenverfolgung; Inland; inländische Fluchtalternative; Kollektivverfolgung; Kurde; Nachfluchtgrund; Nachfluchttatbestand; politische Verfolgung; Türkei; Verfolgung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.01.2000
Aktenzeichen
11 L 3404/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 42051
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 14.07.2000 - AZ: BVerwG 9 B 186.00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der Senat hält auch unter Berücksichtigung der neueren Entwicklung in der Türkei an seiner Rechtsprechung fest, dass kurdischen Volkszugehörigen im Westen des Landes grundsätzlich eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht.

2. Ebenso ist die Annahme einer generellen Rückkehrgefährdung für abgelehnte kurdische Asylbewerber nach der aktuellen Erkenntnislage weiterhin nicht gerechtfertigt. Allerdings können wie bisher exilpolitische Aktivitäten ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsrisiko dann begründen, wenn sich der Betreffende öffentlichkeitswirksam als Regimegegner exponiert hat.

Tatbestand:

1

Der ... 1974 in ... (Kreis Idil, Provinz Sirnak) geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach eigenen Angaben verließ er sein Heimatland am 15. August 1992 von Istanbul aus mit einem Reisebus und gelangte am 18. August 1992 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland.

2

Der Kläger beantragte mit anwaltlichem Schreiben vom 7. September 1992 die Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung berief er sich auf eine landesweite Gruppenverfolgung der Kurden in der Türkei.

3

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) am 27. Oktober 1993 trug er im Wesentlichen Folgendes vor: Er sei nicht zur Schule gegangen und habe bei seinen Eltern in der Landwirtschaft gearbeitet. Sie seien wohlhabend und hätten Land, Vieh und Weinberge. Er sei vor der Regierung geflohen. Es seien Leute der Regierung gekommen und hätten nach Terroristen gefragt. Wenn er sich den Terroristen angeschlossen hätte, hätte er Schwierigkeiten mit der Regierung bekommen. Hätte er sich der Regierung angeschlossen, hätte er Schwierigkeiten mit den Terroristen bekommen. Die Terroristen hießen bei ihm zu Hause auch Studenten. Sie seien immer wieder in ihrem Dorf erschienen. Anschließend seien Soldaten gekommen, hätten alle Dorfbewohner versammelt und sie geschlagen. Er selbst sei auch geschlagen worden. Wenn die Dorfbewohner zugegeben hätten, dass die Terroristen bei ihnen gewesen seien, wären sie von den Soldaten umgebracht worden. Sie hätten deswegen nichts gesagt. Viele Dorfbewohner seien geflohen. Von ehemals 60 Familien würden nur noch 20 dort leben. Auf die Frage, ob er wisse, was die PKK sei, antwortete der Kläger, dass er Analphabet sei und von der PKK so viel wisse, dass die PKK Kurden seien. Bei ihnen zu Hause gebe es keinen Unterschied zwischen Kurden, Juden und Yeziden. Wenn er nach Hause zurück kehrte, müsse er sich dem türkischen Staat anschließen und Kurden umbringen oder er müsse sich den Kurden in den Bergen anschließen, was er jedoch nicht könnte.

4

Mit Bescheid vom 5. November 1993 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte zugleich fest, dass die Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 1 und 53 AuslG nicht vorliegen. Es forderte ihn unter Androhung seiner Abschiebung in die Türkei zur Ausreise aus dem Bundesgebiet auf.

5

Der Kläger hat am 10. November 1993 Klage erhoben und zur Begründung nochmals geltend gemacht, dass aus den Notstandsprovinzen stammende Kurden in der Türkei aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit verfolgt würden.

6

Der Kläger erklärte bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 1. Februar 1996: Er sei von Soldaten geschlagen worden; etwa drei- bis viermal sei das passiert. Jedesmal, wenn die Soldaten (Gendarma) ins Dorf gekommen seien, hätten sie die Bewohner zusammen getrieben und geschlagen. Weiter sei ihm sonst nichts passiert. Da sie in der Türkei unterdrückt würden, sei er nach Deutschland geflohen.

7

Der Kläger hat beantragt,

8

den Bescheid des Bundesamtes vom 5. November 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass bei ihm die Voraussetzungen der §§ 51 und 53 AuslG vorliegen.

9

Das Bundesamt hat beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 1. Februar 1996 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 5. November 1993 verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Kammer nehme für die kurdische Bevölkerung der unter Ausnahmerecht gestellten Provinzen im Südosten der Türkei wegen der dortigen Entwicklung seit den blutigen Übergriffen der Sicherheitskräfte auf die kurdische Zivilbevölkerung im Zusammenhang mit dem Newroz-Fest vom 21. März 1992 eine politische Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit an. Unter diesen Personenkreis falle auch der aus der Notstandsprovinz Sirnak stammende Kläger. Er habe sein Heimatland aber nicht wegen individuell erlittener politischer Verfolgung verlassen. Die von ihm geschilderten Maßnahmen türkischer Soldaten hätten noch nicht die Schwelle der Asylerheblichkeit erreicht, weil es ihnen an der dafür notwendigen Eingriffsintensität gefehlt habe. Über schwerwiegendere Misshandlungen oder gar Verhaftungen habe der Kläger nichts berichtet.

12

Gegen das Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter). Er ist der Ansicht, dass Kurden, die aus dem Südosten der Türkei stammten, jedenfalls im Westen der Türkei inländische Fluchtalternativen hätten.

13

Er hat beantragt,

14

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

15

Der Kläger hat beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Auf die gemäß § 87 b VwGO ergangene Verfügung des Senats vom 19. August 1998 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 1. Oktober 1998 vorgetragen: Er habe im Juni 1996 von einem hier zu Besuch weilenden Bekannten namens ... aus Midyat erfahren, dass sein jüngerer Bruder vier Tage lang von den türkischen Sicherheitskräften festgehalten worden sei, weil er -- der Kläger -- gesucht werde. Man versuche offensichtlich, die Familie mit der Festnahme des jüngeren Bruders zu erpressen, Informationen über ihn preis zu geben; die Sicherheitskräfte hätten seinem Bruder vorgeworfen, er -- der Kläger -- sei bei der PKK. Er würde auf der anderen Seite stehen, weil er nicht den Militärdienst ableiste. Die Familie habe in den letzten Jahren erhebliche Probleme gehabt. Außerdem befürchte er, wegen seiner Aktivitäten vor der Flucht aus der Türkei gesucht zu werden. Er habe nämlich in der Zwischenzeit erfahren, dass ein politischer Freund namens ..., mit dem er in der Türkei seinerzeit Flugblätter verteilt habe, 1996 inhaftiert worden sei und sich derzeit in einem Gefängnis in Istanbul befinden solle. Dies habe ihm dessen Bruder ... erzählt, der als anerkannter Asylberechtigter in ... lebe. Es sei zu befürchten, das ... unter der Folter, die in der Türkei regelmäßig angewandt werde, den Namen des Klägers preis gegeben habe. In letzter Zeit sei er in verstärktem Maße exilpolitisch aktiv geworden. So habe er an einer Kurdendemonstration in Dortmund am 6. Juli 1998 teilgenommen und sei in einer dabei aufgenommenen Live-Sendung von MED-TV zu sehen gewesen. Da die Sicherheitskräfte seit Jahren ein erhebliches Interesse daran hätten, seiner habhaft zu werden, befürchte er, dass sie Aufzeichnungen der Fernsehsendung nach seinem Gesicht absuchten. Ferner sei er aktiv im Kurdischen Kulturverein in Kassel, an den er Spendengelder zahle.

18

Mit Beschluss vom 5. November 1998 (11 L 1599/96) gab der Senat der Berufung des Bundesbeauftragten statt. Auf die u.a. auf einem Gehörsverstoß gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. August 1999 -- 9 B 17.99 -- diesen Beschluss aufgehoben und die Sache an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurück verwiesen. Es hat beanstandet, dass der Senat entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers, nämlich seine Behauptung, die türkischen Sicherheitskräfte verdächtigten ihn, bei der PKK zu sein und deshalb gesucht zu werden, nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen habe. Das ergebe sich daraus, dass es seinen Entschluss, trotz dieses Vorbringens an einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im Beschlussverfahren nach § 130 a VwGO festzuhalten, auf eine nicht tragfähige Begründung gestützt habe.

19

Auf eine (weitere) Verfügung des Senats nach § 87 b VwGO hat der Kläger mit Schriftsatz vom 16. November 1999 mitgeteilt, dass er anlässlich einer Demonstration am 5. Juni 1999 in Den Haag, die im Zusammenhang mit dem Öcalan-Prozess in der Türkei veranstaltet worden sei, von CTV aufgenommen worden und insofern im Fernsehen zu sehen gewesen sei. Ferner sei er am 13. Januar 1999 von zwei Personen, die behaupteten, Zivilpolizisten zu sein, dazu befragt worden, ob er die PKK unterstütze. Es müsse deshalb davon ausgegangen werden, dass auch der türkische Geheimdienst ihn entsprechend verdächtige.

20

Da der Kläger das amtliche Kennzeichen des Pkw, mit dem die beiden Zivilpolizisten gekommen seien, mitgeteilt hatte, richtete der Senat eine Halteranfrage an das zuständige Straßenverkehrsamt. Dieses gab den Vorgang an das Niedersächsische Landesamt für den Verfassungsschutz weiter. Dessen Präsident teilte dem Senat unter dem 29. November 1999 mit, dass der Kläger am 13. Januar 1999 tatsächlich von zwei operativ eingesetzten Mitarbeitern seines Hauses in Wahrnehmung dienstlicher Aufgaben aufgesucht worden sei. Das am 13. Januar 1999 geführte Gespräch habe dem Ziel dienen sollen, Auskunft über Aktivitäten der einem Betätigungsverbot unterliegenden PKK in Niedersachsen wie z.B. sog. Spendenaktionen zu erhalten. Zwar habe der Kläger angegeben, zwei- bis dreimal an größeren Kurdenveranstaltungen teilgenommen zu haben, dies aber "als Kurde" und nicht als PKK-Sympathisant. Anlass für die Befragung des Klägers sei eine frühere Polizeimeldung gewesen, wonach der Kläger am 18.Januar 1997 in Kassel an einer Veranstaltung der PKK/ERNK teilgenommen habe.

21

Der Bundesbeauftragte und der Kläger stellen ihre bisherigen Sachanträge. Die Beklagte stellt keinen Antrag.

22

Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2000 angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der über den Kläger geführten Ausländerakten des Landkreises ... Bezug genommen. Außerdem hat der Senat die das Asylverfahren der Ehefrau des Klägers (...) betreffenden Akten beigezogen. Die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel ergeben sich aus den Anlagen zu dem gerichtlichen Schreiben vom 29. Dezember 1999 und der Sitzungsniederschrift vom 18. Januar 2000.

Entscheidungsgründe

24

Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten ist begründet. Der Kläger hat entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG noch auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Ebensowenig sind Abschiebungshindernisse im Sinne des § 53 AuslG ersichtlich.

25

1. Auf das Individualgrundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG kann sich nur berufen, wer selbst politische Verfolgung erlitten oder zu befürchten hat. Voraussetzung ist, dass dem Asylbewerber in seinem Heimatland gezielt Rechtsverletzungen von beachtlicher Intensität in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale zugefügt wurden oder solche ihm drohten, d.h. aus Gründen, die in seiner politischen oder religiösen Grundüberzeugung, seiner Volkszugehörigkeit oder in anderen Merkmalen liegen, welche sein Anderssein prägen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Heimatstaat zu erleiden hat wie Hunger, Naturkatastrophen, aber auch bei den allgemeinen Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen. Auch begründet nicht jede gezielte Verletzung von Rechten, die etwa nach der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland unzulässig ist, eine asylerhebliche politische Verfolgung. Erforderlich ist, dass die Maßnahme den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen soll. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines Asylmerkmals erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Schließlich muss die in diesem Sinne gezielt zugefügte Rechtsverletzung von einer Intensität sein, die sich nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als -- aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzende -- Verfolgung darstellt. Das Maß dieser Intensität ist nicht abstrakt vorgegeben. Es muss der humanitären Intention entnommen werden, die das Asylrecht prägt, demjenigen Aufnahme und Schutz zu gewähren, der sich in einer für ihn ausweglosen Lage befindet.

26

Ergibt sich die Gefahr eigener politischer Verfolgung des Asylbewerbers nicht aus den gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen des Verfolgerstaats, so kann sie sich auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines gemeinsamen asylerheblichen Merkmals wie etwa Rasse, Religion oder politische Überzeugung verfolgt werden oder wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die Gefahr einer solchen Gruppenverfolgung setzt eine Verfolgungsdichte voraus. Hierfür muss eine so große Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter festgestellt sein, dass sich daraus für jeden Gruppenangehörigen ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit ableiten lässt. Des weiteren kommen auch Verfolgungsmaßnahmen Dritter als politische Verfolgung in Betracht, wenn sich der Staat diese zurechnen lassen muss, weil er dagegen nicht einschreitet.

27

Trotz eines asylerheblichen Übergriffs kann politische Verfolgung verneint werden, wenn ein Asylbewerber noch längere Zeit im Herkunftsland verbleibt und in dieser Zeit dort unbehelligt und verfolgungsfrei leben kann. Das Gleiche gilt, wenn in einem bestimmten Teil des Staatsgebiets verfolgungsfreies Leben möglich ist (sog. Inländische Fluchtalternative).

28

Asyl steht darüber hinaus grundsätzlich auch demjenigen zu, der sein Heimatland unverfolgt verlassen hat, wenn er sich auf einen beachtlichen Nachfluchtgrund berufen kann.

29

Für die Asylberechtigung ist letztlich ausschlaggebend, ob der Asylbewerber bei einer Wiedereinreise in sein Heimatland eine asylrelevante Verfolgung zu erwarten hat, wobei eine auf absehbare Zeit ausgerichtete Zukunftsprognose anzustellen ist. Ist jemand unverfolgt ausgereist, ist die Verfolgungsfurcht begründet, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung politische Verfolgung mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in sein Heimatland zurück zu kehren. Ist dagegen eine Vorverfolgung gegeben, ist für die Gefahrenprognose der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde zu legen. Die Rückkehr in den Herkunftsstaat wäre ihm danach nur zumutbar, wenn er in allen Landesteilen für die absehbare Zukunft hinreichend sicher vor (erneuter) Verfolgung wäre oder er ebenfalls verfolgungsfrei eine inländische Fluchtalternative erreichen könnte (vgl. zum Vorstehenden BVerfG, Beschl. v. 10.7.1989, BVerfGE 80, 315, 334 ff.; BverwG, Urt. v. 5.7.1994, BVerwGE 96, 200 u. Urt. v. 30.4.1996, DVBl. 1996, 1257).

30

Nach diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter.

31

a) Der Kläger hat die Türkei im August 1992 nicht aufgrund erlittener oder unmittelbar bevorstehender landesweiter Verfolgung verlassen.

32

aa) Der Senat hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger in der Türkei einer individuellen Verfolgung ausgesetzt war oder ihm eine solche drohte.

33

Es ist Sache des Asylbewerbers, die in die eigene Sphäre fallenden Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Dazu hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (st. Rspr. d. BVerwG, vgl. etwa Beschl. v. 18.9.1989, InfAuslR 1989, 350 [BVerwG 18.09.1989 - BVerwG 9 B 308.89]). Ganz wesentlich ist dabei die Anhörung beim Bundesamt, die dem Asylbewerber Gelegenheit bietet, sich erschöpfend und substantiiert zu seinen Fluchtgründen zu äußern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.1.1991, InfAuslR 1991, 171 [BVerwG 19.02.1991 - BVerwG 1 B 17/91]). Denn es liegt auf der Hand, dass den Angaben eines Asylbewerbers, die er in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Flucht aus dem Herkunftsstaat und unbeeinflusst durch Dritte macht, das entscheidende Gewicht für die Beurteilung seines Antrags zukommt. Widersprechendes oder ein sich im Laufe des Asylverfahrens steigerndes Vorbringen kann deshalb die Glaubwürdigkeit des Asylsuchenden in Frage stellen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 84; BVerwG, Beschl. v. 21.7.1989, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 113). Freilich sind nachträgliche Ergänzungen und Klarstellungen zu berücksichtigen, soweit sich dafür eine plausible Erklärung ergibt. Auch spricht nicht jede Widersprüchlichkeit im Vortrag eines Asylbewerbers von vornherein gegen seine Glaubwürdigkeit. Vielmehr ist bei der Bewertung seiner Aussagen zu berücksichtigen, dass sich Missverständnisse aus Verständigungsproblemen ergeben haben können und dass zwischen den einzelnen Stadien des Asylverfahrens oftmals größere Zeiträume liegen. Ferner dürfen die besonderen Schwierigkeiten, denen Asylbewerber aus anderen Kulturkreisen bei der Darstellung ihrer Verfolgungsgründe besonders dann ausgesetzt sind, wenn sie über einen geringen Bildungsstand verfügen, nicht außer Acht gelassen werden.

34

Hiervon ausgehend hat der Kläger, der im Zeitpunkt seiner Ausreise im August 1992 18 Jahre alt war, keine individuellen politischen Verfolgungsgründe glaubhaft gemacht. Soweit er gegenüber dem Bundesamt als auch gegenüber dem Verwaltungsgericht angegeben hatte, dass Soldaten (Gendarma) mehrfach in sein Heimatdorf ... (Kreis Idil, Provinz Sirnak) gekommen seien, die Dorfbewohner versammelt und geschlagen -- ihn persönlich drei- bis viermal -- hätten, nachdem zuvor "Terroristen" (gemeint sind PKK-Guerillas) im Dorf gewesen seien, überschreiten diese Maßnahmen und Beeinträchtigungen -- so sehr sie auch zu missbilligen sind -- mangels Eingriffsintensität nicht die Schwelle der Asylerheblichkeit. Darauf hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen. Es handelt sich zudem um Nachteile, unter denen viele Angehörige der kurdischen Volksgruppe im Südosten der Türkei als Folge der dort stattfindenden Kämpfe zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK-Guerillas zu leiden haben. Im Übrigen deutet die Tatsache, dass der Kläger ebenso wie die anderen Dorfbewohner nach den kurzfristigen Zugriffen jeweils wieder frei gelassen wurde, darauf hin, dass er nicht als gefährlicher politischer Gegner angesehen wurde. Der Kläger hatte seinerzeit auch keine sonstigen Gründe vorgetragen, die geeignet gewesen wären, bei den türkischen Sicherheitskräften ein ernsthaftes Interesse an ihm zu wecken. Dies hat sich jedoch im Laufe des Berufungsverfahrens geändert. Mit Schriftsatz vom 1. Oktober 1998, also mehr als sechs Jahre nach seiner Ausreise, hat er erstmals geltend gemacht, dass er in der Türkei zusammen mit einem -- inzwischen inhaftierten -- politischen Freund namens ... Flugblätter verteilt habe. Wie sich aus den vom Senat beigezogenen Asylakten der Ehefrau des Klägers ergibt, hat der Kläger bei seiner Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung des 2. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts am 5. Mai 1999 (2 L 4253/96) ausweislich des Protokolls zusätzlich bekundet, dass er in seiner Heimat als Kurde die PKK finanziell und mit Essen unterstützt habe. Darüber hinaus hat er ergänzend erklärt, dass er als Flugblätter die Zeitungen "Serxwebun" und "Berxwedan" in der Kreisstadt Hezex verteilt habe. Damit hat der Kläger das Vorbringen zu seinen politischen Aktivitäten in der Türkei erheblich gesteigert. Der Senat hat ihm in der mündlichen Verhandlung durch konkrete Vorhalte Gelegenheit gegeben, zu diesen Steigerungen Stellung zu nehmen. Dabei ist es ihm aber nicht gelungen, eine plausible Erklärung für das weit verspätete Vorbringen zu geben.

35

Der Kläger hat als Grund im Wesentlichen angeführt, dass er weder beim Bundesamt noch beim Verwaltungsgericht nach seinen politischen Tätigkeiten in der Türkei befragt worden sei. Der Senat hält diesen Erklärungsversuch jedoch für eine Schutzbehauptung. Abgesehen davon, dass Kläger aufgrund der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht gehalten gewesen wäre, von sich aus seine Verfolgungsgründe mitzuteilen, wozu auch gehört, dass er zu seinen persönlichen Erlebnissen eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen, hatte er ausweislich der jeweiligen Niederschriften sowohl beim Bundesamt als auch beim Verwaltungsgericht hinreichend Gelegenheit, umfassend vorzutragen. Den Anhörungsprotokollen kann auch nicht entnommen werden, dass er etwa aufgrund seines geringen Bildungsstandes -- er hat seinen Angaben zufolge keine Schule besucht -- nicht imstande gewesen wäre, die Bedeutung der gestellten Fragen hinreichend zu erfassen. Er ist beim Bundesamt ausdrücklich gefragt worden, warum er aus der Türkei ausgereist sei und was er bei einer eventuellen Rückkehr in die Türkei befürchte. Die Behauptung des Klägers, er sei bei dieser Anhörung hauptsächlich gefragt worden, wie er nach Deutschland gekommen sei, trifft deshalb nicht zu. Er hat im Übrigen auch selbst eingeräumt, dass er zum Abschluss der Anhörung beim Bundesamt die Frage, ob er noch etwas sagen wolle, verneint habe. Ebenso wenig hält der Senat die Einlassung des Klägers für überzeugend, dass ihm sein Prozessbevollmächtigter geraten habe, erst die Anhörung beim Bundesamt abzuwarten, bevor er ihm Näheres berichte. Das Gleiche gilt für die weitere Behauptung des Klägers, dass er seinem Prozessbevollmächtigten vor der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts mitgeteilt hätte, PKK-Kämpfer finanziell und mit Lebensmitteln unterstützt zu haben. Auch hieran hat der Senat Zweifel, weil der Kläger diese Begebenheiten in dem nachfolgenden Verhandlungstermin mit keinem Wort erwähnt hat. Vielmehr hat er lediglich seine gegenüber dem Bundesamt gegebene Darstellung wiederholt. Erst recht ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger im Schriftsatz vom 1. Oktober 1998 zwar erstmals das Verteilen von Flugblättern angeführt hat, in diesem Zusammenhang aber -- was nahe gelegen hätte -- die Unterstützung von PKK-Guerillas mit Lebensmitteln und Geld nicht mitgeteilt, sondern sich darauf erstmals bei seiner Zeugenvernehmung am 5. Mai 1999 berufen hat. Auffällig ist auch, dass er bei dieser Gelegenheit die Namen der Zeitungen, die er zuvor unsubstantiiert als Flugblätter bezeichnet hatte, konkret benannt hat. Demgegenüber hatten seine Aussagen sowohl beim Bundesamt als auch beim Verwaltungsgericht den Eindruck entstehen lassen, dass es sich bei ihm um einen relativ unpolitischen Menschen handelte, der keine näheren Kenntnisse über die PKK hatte und mit deren Aktionen auch nichts zu tun haben wollte. So hatte er beispielsweise gegenüber dem Bundesamt erklärt, dass er sich weder der türkischen Regierung noch den "Terroristen", die er auch als Studenten bzw. Kurden in den Bergen bezeichnete, hätte anschließen können. Damit lässt es sich nur schwerlich in Einklang bringen, dass er nunmehr im Berufungsverfahren behauptet, die PKK-nahen Publikationen "Serxwebun" und "Berxwedan" verteilt zu haben und damit politisch aktiv für die kurdische Sache tätig gewesen zu sein. Angesichts dieser gravierenden Ungereimtheiten kann der Kläger die Steigerungen seines Vortrags auch nicht damit entschuldigen, dass er weder lesen noch schreiben könne.

36

Nach alledem hat es den Anschein, dass der Kläger die von ihm erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachten politischen Aktivitäten vor seiner Ausreise in der Türkei erfunden hat, um seine Aussichten im vorliegenden Asylverfahren zu verbessern. Allenfalls kann ihm abgenommen werden, dass er -- wie andere Dorfbewohner in seiner Heimat auch -- PKK-Guerillas gelegentlich mit Lebensmitteln oder finanziell unterstützt hat, wenn diese das von ihm verlangten. Dabei handelt es sich um Vorgänge, die -- wie dem Senat aus vielen anderen Asylverfahren bekannt ist -- in den Notstandsprovinzen der Türkei massenhaft vorkommen (vgl. dazu Lagebericht des AA v. 7.9.1999, S. 18). Geraten die dort lebenden Kurden in dieser Weise zwischen die Fronten der PKK-Guerilla und der türkischen Sicherheitskräfte, ist ihnen zuzumuten, sich dem dadurch entstehenden Druck und etwaigen Nachstellungen durch die örtlichen Sicherheitskräfte durch einen Weggang insbesondere in den Westen der Türkei zu entziehen. Dort wäre auch der Kläger vor politischer Verfolgung hinreichend sicher gewesen. Da er schon nicht glaubhaft gemacht hat, Flugblätter bzw. PKK-nahe Zeitschriften in der Türkei verteilt zu haben, kann ihm auch nicht abgenommen werden, dass er deswegen von den Sicherheitskräften gesucht wird. Wenn es zutreffen sollte, dass sein jüngerer Bruder seinetwegen im Jahre 1996 vier Tage lang von den Sicherheitskräften festgehalten wurde und dieser im November 1999 erneut vernommen worden ist, um die Adresse des Klägers zu erfahren, so mag dies darauf zurück zu führen sein, dass die türkischen Behörden in den Notstandsprovinzen oft den Verdacht hegen, dass insbesondere abwesende männliche Kurden sich der PKK-Guerilla angeschlossen haben. Die Befragungen werden in der Regel nicht mehr fortgesetzt, wenn fest steht, dass sich der Betreffende im Ausland aufhält. Es handelt sich somit um Routineüberprüfungen mit dem Ziel, den Verbleib des abwesenden Angehörigen zu klären. Ein weiterer Grund für die Suche nach dem Kläger könnte darin liegen, dass er in die Wehrpflicht hinein gewachsen ist und sich durch den Nichtantritt des Wehrdienstes der Wehrdienstentziehung strafbar gemacht hat. Auch in solchen Fällen wird -- wie dem Senat aus vergleichbaren ebenfalls Verfahren bekannt ist -- nach dem Aufenthaltsort des Betreffenden geforscht.

37

bb) Der Kläger war vor der Ausreise auch nicht wegen seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe politisch verfolgt. Diese ethnische Minderheit unterlag seinerzeit nach Auffassung des erkennenden Senats (vgl. etwa Urt. v. 21.1.1992 -- 11 L 5961/91 -- u. v. 25.11.1993 -- 11 L 6075/91 --), die mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte übereinstimmt, keiner vom türkischen Staat ausgehenden oder ihm zuzurechnenden landesweiten Gruppenverfolgung.

38

Ob der vor seiner Ausreise in der Notstandsprovinz Sirnak lebende Kläger -- wie das Verwaltungsgericht angenommen hat -- einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit ausgesetzt war, lässt der Senat offen. Denn ihm stand jedenfalls im westlichen Teil der Türkei eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung (vgl. dazu die oben zitierte Senatsrechtsprechung).

39

b) Ebensowenig kann sich der Kläger auf einen beachtlicher Nachfluchtgrund berufen.

40

aa) Als objektiver Nachfluchtgrund kommt die Entwicklung der Verhältnisse in den ursprünglichen Hauptsiedlungsgebieten der Kurden im Südosten der Türkei in der Zeit nach der Ausreise des Klägers in Betracht. Ob dort lebende kurdische Volkszugehörige einer regionalen Gruppenverfolgung oder einer Einzelverfolgung wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit unterliegen, lässt der Senat letztlich ebenso dahinstehen wie die Frage, ob es sich möglicherweise um eine "örtlich begrenzte" Gruppenverfolgung im Sinne der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urt. v. 9.9.1997, DVBl. 1998, 274) handelt. Die obergerichtliche Rechtsprechung ist insofern unterschiedlicher Auffassung. Während der Hessische Verwaltungsgerichtshof (vgl. Urt. v. 7.12.1998 -- 12 UE 232/97.A --) und das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (vgl. Urt. v. 1.9.1999 -- 5 Bf 2/92.A --) eine örtlich begrenzte Gruppenverfolgung in den Notstandsprovinzen annehmen, verneinen der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (vgl. Urt. v. 22.7.1999 -- A 12 S 1891/97 --), das Oberverwaltungsgericht Bremen (Urt. v. 17.3.1999 -- OVG 2 BA 118/94 --), das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (vgl. Urt. v. 28.10.1998 -- 25 A 1284/96.A --), das Sächsische Oberverwaltungsgericht (vgl. Urt. v. 27.2.1997 -- A 4 S 434/96 --) und das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein (vgl. Urt. v. 24.11.1998 -- 4 L 18/95 --) generell eine Gruppenverfolgung im Südosten der Türkei. Dagegen lassen außer dem erkennenden Gericht (vgl. etwa 11. Senat, Urt. v. 28.1.1999 -- 11 L 2251/96 --, und 2. Senat, Urt. v. 5.5.1999 -- 2 L 4253/96 --) auch das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (vgl. Urt. v. 22.4.1999 -- 3 L 3/95 --), das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (vgl. Urt. v. 30.10.1998 -- 10 A 12577/97.OVG --), das Oberverwaltungsgericht Saarlouis (vgl. Beschl. v. 18.8.1999 -- 9 Q 66/98 --) und das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (vgl. Urt. v. 29.4.1999 -- A 1 S 155/97 --) diese Frage offen. Alle genannten Obergerichte (teilweise hilfsweise) gehen aber übereinstimmend davon aus, dass für aus dem Südosten der Türkei stammende kurdische Volkszugehörige in den westlichen Landesteilen, insbesondere in den dortigen Großstädten, grundsätzlich eine inländische Fluchtalternative besteht. An dieser Einschätzung ist auch unter Berücksichtigung der Ereignisse im Anschluss an die Verhaftung und spätere Verurteilung des PKK-Vorsitzenden Öcalan festzuhalten (ebenso aus jüngster Zeit Hess.VGH, Beschl. v. 27.7.1999 -- 12 UZ 2075/99.A --; OVG NW, Beschl. v. 15.9.1999 -- 8 A 2285/99.A --; OVG Rhl.-Pf., Urt. v. 17.9.1999 -- 10 A 12219/98.OVG --; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 7.10.1999 -- A 12 S 1021/97 --).

41

Allerdings kam es nach der Verbringung von Öcalan aus Kenia in die Türkei am 16. Februar 1999 -- wie auch zuvor schon nach dessen Festnahme in Italien am 12. November 1998 (vgl. dazu Senatsurt. v. 28.1.1999 -- 11 L 2551/96 --, S. 15 d. UA) --, während des Newrozfestes und im Vorfeld der Kommunal- und Parlamentswahlen vom 18. April 1999 zu einem verschärften Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen Personen und Organisationen, denen Unterstützung der PKK vorgeworfen wurde (vgl. etwa SZ v. 22.2., 3.4. u. 15.4.1999, FR v. 3.3., 20.3.u. 22.3.1999, Die Zeit v. 8.3.1999). Hauptsächlich davon betroffen waren Mitglieder und Anhänger der (pro)kurdischen Partei HADEP. Der Menschenrechtsverein IHD geht davon aus, dass ca. 3.000 Personen in diesem Zusammenhang in vorübergehenden Polizeigewahrsam genommen wurden, davon allein in der Provinz Diyarbakir ca. 1.000 Personen (vgl. Lagebericht des AA v. 7.9.1999; amnesty international, Auskunft v. 1.7.1999 an VG Bremen). Voraus gegangen waren nicht nur friedliche Proteste gegen die Inhaftierung Öcalans, sondern auch gewalttätige Aktionen militanter Kurden bis hin zu Bombenanschlägen. Während des Öcalan-Prozesses, der am 29. Juni 1999 mit der Verhängung der Todesstrafe gegen den Angeklagten endete, hielt die stark emotionalisierte Atmosphäre in der Türkei an. Gleichwohl lässt sich für den gesamten Zeitraum nicht feststellen, dass die Übergriffe der Sicherheitskräfte oder von Zivilisten auf Demonstranten, die sich für die Freilassung von Öcalan eingesetzt hatten, oder auf HADEP-Angehörige landesweit die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte aufweisen oder allein bzw. überwiegend an der kurdischen Volkszugehörigkeit anknüpfen. Denn es handelte sich vorwiegend um ad hoc-Reaktionen bzw. situationsbedingte Präventivmaßnahmen gegen wirkliche oder vermeintliche Anhänger der PKK. Mittlerweile scheint sich die Lage wieder beruhigt zu haben und eine Entspannung des Verhältnisses zwischen türkischen Sicherheitskräften und politisch aktiven Kurden eingetreten zu sein (so auch OVG NW, Beschl. v. 15.9.1999 -- 8 A 2285/99.A --). Diese Entwicklung ist auf mehrere Gründe zurück zu führen:

42

Öcalan hatte bereits während des gegen ihn geführten Prozesses und auch in der Folgezeit die PKK zur Einstellung des bewaffneten Kampfes in der Türkei aufgefordert und sich für eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts ausgesprochen (vgl. SZ v. 11.11., v. 23. u. 24.6.1999, FAZ v. 26.11.1999, Die Welt v. 14.8.1999). Entsprechend diesem Aufruf zieht sich die schon vorher militärisch geschwächte PKK seit dem 1. September 1999 aus der Türkei zurück (vgl. NZZ v. 4.10.1999). Allerdings soll eine Minderheit in der PKK mit dieser Politik nicht einverstanden sein und will den Kampf fortsetzen (vgl. FR v. 2.12.1999 und FAZ v. 22.11.1999). Dies zeigen auch die sporadisch auftauchenden Meldungen über bewaffnete Zusammenstöße mit türkischen Sicherheitskräften im Südosten des Landes (vgl. etwa dpa v. 10.9.1999 und v. 15.8.1999; NZZ v. 4.10.1999). Noch Anfang Januar 2000 schoss eine PKK-Splittergruppe einen Hubschrauber der türkischen Armee ab; dabei kamen zwei Offiziere und drei Soldaten ums Leben (SZ v. 13.1.2000). Freilich scheint auch die türkische Regierung bisher nicht ernsthaft kompromissbereit zu sein. Sie hat bisher das Friedensangebot -- wohl auf Druck der mächtigen Militärführung, die darin eine taktische Finte sieht -- nicht angenommen und weigert sich nach wie vor, mit der PKK zu verhandeln (vgl. SZ v. 14.12.1999, FAZ v. 26.11.1999 und NZZ v. 4.10.1999). Insgesamt gesehen haben Umfang und Intensität der kämpferischen Auseinandersetzungen im Südosten der Türkei aber erheblich nachgelassen.

43

Zu der Beruhigung der Lage haben auch Maßnahmen der seit Ende Mai 1999 amtierenden Regierung unter Ministerpräsident Ecevit und die Entscheidung der Europäischen Union vom 10. Dezember 1999, die Türkei in den Kreis der Beitrittskandidaten aufzunehmen, maßgeblich beigetragen. Die aufgrund des Ergebnisses der vorzeitigen Parlamentswahl vom 18. April 1999 gebildete Regierung, bestehend aus der (sozial)demokratischen Linkspartei (DSP), der liberalkonservativen Mutterlandspartei (Anap) und der rechtsradikalen Partei der Nationalen Bewegung (MHP), verfügt mit 351 von 550 Sitzen erstmals seit Jahren über eine stabile Mehrheit in der Nationalversammlung, auch wenn die Zusammenarbeit wegen der ideologischen Spannweite der Koalition nicht einfach ist (vgl. Lagebericht des AA v. 7.9.1999; SZ v. 10.6.1999 und FAZ v. 31.5.1999).

44

Die neue Regierung hat erste Schritte in Richtung Reformen unternommen (vgl. zum Folgenden Lagebericht des AA v. 7.9.1999; SZ v. 14.1.2000 u. v. 14.12.1999; NZZ v. 22.12.1999; FR v. 20.12.1999; Die Zeit v. 9.12.1999 und FAZ v. 22.11.1999). So gehören den Staatssicherheitsgerichten aufgrund einer bereits während des Öcalan-Prozesses in Kraft getretenen Verfassungsänderung keine Militärrichter mehr an. Ferner wurden das Strafmaß bei der Folter verschärft, die Strafverfolgung von Beamten bei Vergehen im Bereich der Menschenrechte generell erleichtert, die Polizeiausbildung reformiert und eine "Bewährungsamnestie" für Journalisten und Schriftsteller erlassen, die wegen des Inhalts ihrer Presse- oder Rundfunkveröffentlichungen strafrechtlich verurteilt worden sind. Am 12. Januar 2000 beschloss die türkische Regierung, das rechtskräftige Todesurteil gegen den PKK-Vorsitzenden Öcalan bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die im nächsten Jahr erwartet wird, nicht zu vollstrecken. Auch sind die Chancen gestiegen, dass die Todesstrafe, die ohnehin seit 1984 nicht mehr vollstreckt worden ist, in naher Zukunft endgültig abgeschafft wird. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch die Ernennung der Türkei zum EU-Beitrittskandidaten und dem damit verbundenen Druck von außen. Will die Türkei die EU-Mitgliedschaftskriterien erfüllen, muss sie sich rechtlich und politisch den westeuropäischen Standards anpassen. Dies gilt besonders im Bereich der Demokratisierung, der Beachtung der Menschenrechte und des Schutzes von Minderheiten. Es mehren sich die Anzeichen, dass dazu nicht nur die türkische Regierung, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung grundsätzlich bereit ist. So hat der Vorsitzende des Obersten Berufungsgerichts der Türkei eine umfassende Revision der Verfassung hin zu einer liberalen Demokratie gefordert; darauf hat die türkische Presse überwiegend positiv reagiert. Die Regierungspartei ANAP sprach sich auf einer Regionalkonferenz in Diyarbakir Mitte Dezember 1999 für die Verbesserung der Menschenrechte im Südosten der Türkei aus. Außenminister Cem (DSP) plädierte am 14. Dezember 1999 für die Aufhebung des kurdischen Sprachenverbots in den Medien, der sich jedoch der Koalitionspartner MHP bisher widersetzt. Ferner hat Ministerpräsident Ecevit in Aussicht gestellt, dass das in den Provinzen Diyarbakir, Hakkari, Siirt, Sirnak, Tunceli und Van geltende Notstandsrecht bald aufgehoben wird.

45

Trotz dieser positiven Ansätze leidet die Menschenrechtspraxis aber weiterhin an der unbefriedigenden Beachtung geltenden Rechts durch Sicherheitskräfte. Obwohl die türkische Strafprozessordnung Folter und sonstige physische und psychische Misshandlungen untersagt, kommen derartige Übergriffe vor allem in den ersten Tagen nach einer Festnahme besonders in Staatssicherheitssachen immer wieder vor. Allerdings soll nach Angaben von amnesty international die Zahl der Foltervorwürfe seit 1997 rückläufig sein (Jahresbericht Türkei 1999, S. 540). Kritische Meinungsäußerungen von Journalisten, Künstlern oder Menschenrechtsaktivisten zur Kurdenfrage werden nach wie vor als "separatistische Propaganda" strafrechtlich verfolgt. Dagegen hatte der Versuch des türkischen Generalstaatsanwalts, die HADEP wegen ihrer "organischen Verbindung" zur PKK verbieten zu lassen (vgl. Sen/Akkaya, Gutachten v. 16.4.1999 an VG Hannover), keinen Erfolg. Die HADEP, die im Wahlkampf erhebliche Beschränkungen ihrer Arbeit hatte hinnehmen müssen, stellt zwar die Bürgermeister in zahlreichen kurdischen Städten, schaffte aber den Einzug in die Nationalversammlung mit einem Stimmanteil von ca. 4% nicht. Die nach der Rückführung von Öcalan in die Türkei und im Zusammenhang mit den Wahlen vorgekommenen massiven Repressalien gegen Mitglieder und Sympathisanten der HADEP haben sich in diesem Ausmaß nicht wiederholt. Der türkische Staatspräsident Demirel empfing im August 1999 sogar zum ersten Mal führende Vertreter der HADEP (Die Welt v. 13.8.1999). Nach alledem lässt sich deshalb eine asylrelevante Verschlechterung der Sicherheitslage für Kurden in der Türkei nicht feststellen. Diese Einschätzung wird auch durch aktuelle Erkenntnismittel wie den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. September 1999, die Stellungnahme von amnesty international vom 27. September 1999 (asyl-info 11/99, S. 7-9) und das Gutachten von Kaya vom 13. September 1999 an das VG Darmstadt nicht in Frage gestellt.

46

Der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes schildert eingehender und differenzierter als früher die politische Situation, insbesondere die Menschenrechtslage, in der Türkei und nimmt auch genauer und kritischer zu den sog. Rückkehrfällen Stellung. Er enthält jedoch keine grundlegend neue Bewertung des Problems einer Gruppenverfolgung der Kurden in der Türkei. Vielmehr bekräftigt das Auswärtige Amt seine bisherige Einschätzung, dass auch im Südosten der Türkei Kurden allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit keinen staatlichen Sanktionen unterworfen seien. Im Übrigen gebe es für Kurden aus dem Südosten der Türkei Ausweichmöglichkeiten in anderen Teilen des Landes. Allerdings könnten sie in den Kurdenvierteln einiger Großstädte im Einzelfall in Konflikt mit den Sicherheitskräften geraten. Die dabei vorkommenden Übergriffe seien jedoch nicht ethnisch motiviert, sondern knüpften an politische Verdachtsmomente an (etwa Suche nach PKK-Mitgliedern und Sympathisanten oder Kontakt der Zuwanderer mit politisch arbeitenden Organisationen). Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, wonach Personen, die im konkreten Verdacht der Unterstützung oder gar Mitgliedschaft in der PKK oder sonstiger herausgehobener separatistischer Aktivitäten stehen, auch im Westen der Türkei nicht hinreichend sicher vor politischer Verfolgung sind.

47

Auch amnesty international verneint eine Gruppenverfolgung von Kurden in der Türkei allein aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit. Gefährdet seien jedoch diejenigen Personen, die in irgend einer Weise mit Aktivitäten zugunsten der kurdischen Sache in Verbindung gebracht werden könnten (vgl. asyl-info 11/99, S. 8).

48

Auch den Aussagen von Kaya im Gutachten vom 13.9.1999 an das VG Darmstadt lassen sich keine Anhaltspunkte für eine landesweite Gruppenverfolgung der Kurden entnehmen. Der Umstand, dass die MHP als Partner an der Regierungskoalition beteiligt sei sowie die Festnahme des PKK-Vorsitzenden Öcalan und der gegen ihn durchgeführte Prozess hätten keine Veränderung der Sicherheitslage in der Türkei nach sich gezogen. Die Alarmbereitschaft der Sicherheitskräfte habe so lange angehalten, bis Öcalan nach seiner Verurteilung die kurdische Bevölkerung und die PKK dazu aufgerufen habe, keine Aktionen mehr durchzuführen, und bis der Führungsrat der PKK sich diesem Aufruf angeschlossen habe. Allerdings ist Kaya insoweit skeptisch, als er befürchtet, dass die Sicherheitskräfte selbst nach Einstellung des bewaffneten Kampfes durch die PKK unter verschiedenen Vorwänden die kurdischen Bewohner der Dörfer aufsuchen könnten, um sie einzuschüchtern und die Macht des türkischen Staates zu demonstrieren. In den Dörfern, in denen sie Razzien durchführten, würden sie zweifellos Terror ausüben und jedermann unter Druck setzen. Ob diese Prognose, die sich zudem auf die nicht entscheidungserhebliche Situation im Südosten der Türkei bezieht, eintreffen wird, lässt sich gegenwärtig nicht absehen.

49

Dass Kurden auch unter wirtschaftlichen Aspekten eine inländische Fluchtalternative im westlichen Teil der Türkei haben, ist ständige Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa Urt. v. 28.1.1999 -- 11 L 2551/96 --, S. 16 f. d. UA). Insofern haben sich auch in der Zwischenzeit keine neuen Gesichtspunkte ergeben, die zu einer anderen Beurteilung führen müssten. Das Auswärtige Amt hat im Lagebericht vom 7. September 1999 (S. 31) festgestellt, dass es trotz anhaltender Binnenmigration und der Folgen der schweren Erdbeben in der Region um Izmit am Marmarameer an den Orten der inländischen Fluchtalternative weder Hungersnot noch eine sonstige generelle Existenzbedrohung gebe. Derartige Meldungen finden sich auch nicht in der Medienberichterstattung, die der Senat laufend und aufmerksam verfolgt.

50

Dass der jetzt 25-jährige Kläger aufgrund persönlicher Gegebenheiten bei einer Ansiedlung im Westen der Türkei nicht in der Lage sein sollte, dort ein bescheidenes Auskommen zu finden, ist nicht ersichtlich. Es liegen bei ihm keine Merkmale vor, die eine Abweichung von der hier anzulegenden generalisierenden Betrachtungsweise gebieten könnten.

51

Kurdische Volkszugehörige, die -- wie der Kläger -- aus den Notstandsgebieten stammen, haben regelmäßig auch die Möglichkeit, die Orte der inländischen Fluchtalternative, insbesondere die türkischen Großstädte des Westens, zu erreichen, ohne beim Zuzug mit asylerheblichen staatlichen Maßnahmen überzogen zu werden. Für Kurden, die nach erfolglosem Asylverfahren in die Türkei zurück kehren, stellt die Gefahr, an der Grenze oder auf dem Flughafen asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt zu sein, eine bloße theoretische Möglichkeit dar, sofern in ihrer Person keine Besonderheiten vorliegen (st. Rspr. d. Sen., vgl. etwa Urt. v. 28.1.1999 -- 11 L 2551/96 --, S. 17 f. u. S. 21-38 d. UA u. Urt. v. 29.4.1997 -- 11 L 4246/94 --, S. 58-68 d. UA). An dieser Einschätzung hält der Senat auch im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung fest (vgl. dazu die Ausführungen unter 2 a)).

52

Wie oben dargelegt wurde, hat sich der Kläger vor seiner Ausreise aus der Türkei nicht in einer Weise der Nähe zum Separatismus bzw. Terrorismus verdächtig gemacht, dass er deswegen bei einer Rückkehr ernsthaft gefährdet sein könnte.

53

bb) Besonderheiten sind auch nicht darin zu sehen, dass sich der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung des Senats vom 18. Januar 2000 darauf berufen hat, ein Bruder von ihm sei -- wohl im September 1992 -- in der Bundesrepublik Deutschland als Asylberechtigter anerkannt worden. Selbst wenn diese Angabe zutreffen sollte, woran der Senat nicht nur wegen des verspäteten Vorbringens, sondern auch deshalb Zweifel hat, weil dies auch seinen Prozessbevollmächtigten nicht bekannt ist, genügt es nach der Senatsrechtsprechung für die Annahme einer sippenhaftähnlichen Gefahr in der Türkei nicht, dass Verwandte, von welchen kurdische Asylbewerber ihre eigene Verfolgung herleiten, im Bundesgebiet Asyl und/oder Abschiebungsschutz erhalten haben (vgl. dazu die in das Verfahren eingeführten Urteile v. 19.7.1999 -- 11 L 5513/97 --, S. 9-11 d. UA u. v. 17.11.1998 -- 11 L 3389/96 --, S. 20-22 d. UA). Der Kläger hat auch weder die Gründe dargelegt, die zur Asylanerkennung seines Bruders geführt haben sollen, noch geltend gemacht, dass dieser -- was nach der Rechtsprechung des Senats erforderlich ist -- entweder zum führenden Kreis der PKK gehört oder aufgrund eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen separatistischer oder sonstiger "staatsfeindlicher" Aktivitäten gesucht wird.

54

cc) Dem Kläger steht auch aufgrund von subjektiven Nachfluchttatbeständen kein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter zu. In Betracht kommen in diesem Zusammenhang nur die von dem Kläger geltend gemachten exilpolitischen Aktivitäten. Voraussetzung ist jedoch, dass diese sich als Ausdruck und Fortführung einer schon im Heimatland vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellen, mithin als notwendige Konsequenz einer dauernden, die eigene Identität prägenden und nach außen kundgegebenen Lebenshaltung erscheinen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.11.1986, BVerfGE 74, 51). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Der Senat hat oben im Einzelnen dargelegt, dass der Kläger die Türkei unverfolgt verlassen hat. Ebenso wenig hat er sich in einer latenten Gefährdungslage befunden, da sich bei ihm eine gefestigte politische Überzeugung und ein daran anknüpfendes nach außen in Erscheinung getretenes politisches Engagement nicht feststellen lässt.

55

2. Der erkennende Senat ist in dem Urteil vom 28. Januar 1999 -- 11 L 2251/96 -- (S. 20-38 d. UA) nach einer eingehenden Prüfung der seit Ende 1996 berichteten Rückkehrfälle, in denen "Schwierigkeiten" mit türkischen Behörden aufgetreten sein sollen, zu dem Ergebnis gelangt, dass kurdische Volkszugehörige, die lediglich einfache politische Aktivitäten im Ausland entfaltet haben, regelmäßig keinem beachtlich wahrscheinlichen Verfolgungsrisiko ausgesetzt sind, dass aber eine besondere Rückkehrgefährdung vorliegt, wenn sich die Betreffenden öffentlichkeitswirksam und an führender Stelle exilpolitisch betätigt haben. Hieran ist auch unter Berücksichtigung der seitdem bekannt gewordenen Abschiebungsfälle in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urt. v. 7.10.1999 -- A 12 S 1021/97 --; OVG NW, Beschl. v. 15.9.1999 -- 8 A 2285/99.A --; Hamb.OVG, Urt. v. 1.9.1999 -- 5 Bf/92.A --; Hess.VGH, Beschl. v. 27.7.1999 -- 12 ZU 2075/99.A --; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 22.4.1999 -- 3 L 3/95 --) festzuhalten.

56

Zwar betont der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. September 1999, dass angesichts der hoch emotionalisierten Atmosphäre im Zusammenhang mit dem Öcalan-Prozess ein erhöhtes Rückkehrrisiko für solche Personen bestehe, die sich bisher in der Kurdenfrage engagiert hätten, stellt aber gleichzeitig fest, dass gesicherte Erkenntnisse über Repressionen gegen türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, die nach der Festnahme Öcalans in die Türkei abgeschoben wurden, nicht vorliegen. Eine besondere Gefährdung bestehe aber grundsätzlich dann, wenn sich jemand in herausgehobener Position für eine in der Türkei verbotene Organisation betätigt habe. Türkische Behörden interessierten sich in erster Linie für "Drahtzieher" von als separatistisch erachteten Auslandsaktivitäten; bloße Mitläufer etwa bei prokurdischen Demonstrationen hätten dagegen kaum mit Strafverfolgung zu rechnen. Andererseits räumt das Auswärtige Amt aufgrund der Überprüfung des Schicksals von Abgeschobenen ein, dass es in einigen Fällen schwerwiegende Misshandlungen oder Folter gegeben habe. Soweit es sich um die Fälle Akbas und Iman G. (beide aus dem Jahre 1998) handelt, hat der erkennende Senat diese bereits früher berücksichtigt, aber auf Besonderheiten hingewiesen, die ihre Eignung als Referenzfälle ausschließen (vgl. Urt. v. 28.1.1999, a.a.O., S. 35 f.).

57

Das Auswärtige Amt hat des weiteren in vier Abschiebungsfällen, die zeitlich nach der Überführung Öcalans in die Türkei liegen, Nachforschungen angestellt. Aber auch aus deren Schicksal lässt sich eine generelle Verfolgungsgefahr für rückkehrende kurdische Asylbewerber nicht herleiten. So soll der am 5. Juli 1999 abgeschobene Murat P. am Flughafen Istanbul aufgrund eines landesweiten Fahndungsaufrufs wegen Mitgliedschaft in der PKK festgenommen, aber am 19. August 1999 vom Staatssicherheitsgericht Ankara freigesprochen worden sein. An der Darstellung des am 8. April 1999 abgeschobenen Kemal D., dass er nach seiner Einreise schwer misshandelt und gefoltert worden sei, hat das Auswärtige Amt aufgrund der von ihm durchgeführten Recherchen erhebliche Zweifel. Soweit es um den Fall des am 25. März 1999 abgeschobenen Hüseyin Ö. geht, besteht die Besonderheit, dass seiner Inhaftierung eine bereits anhängige Anklage nach § 125 tStGB zugrunde lag (vgl. dazu auch Oberdiek, Gutachten v. 29.4.1999 an VG Berlin). Das Auswärtige Amt konnte bisher nicht bestätigen, ob die Behauptung von Flüchtlingsorganisationen zutrifft, Ö. sei nach der Ankunft in Istanbul zwei Tage lang gefoltert worden (vgl. taz v. 13.7.1999; amnesty international in asyl-info 11/99, S. 8). Im Fall des Emin A., der am 12. März 1999 abgeschoben worden war, schließt das Auswärtige Amt dagegen körperliche Misshandlungen beim Verhör durch die Anti-Terror-Polizei ebenso wie amnesty international (asyl-info 11/99, S. 9) nicht aus (vgl. dazu auch Oberdiek, Gutachten v. 29.4.1999 an VG Berlin). A. wurde von der Anklage der Unterstützung der PKK (Art. 169 tStGB) aber am 27. Mai 1999 freigesprochen.

58

In einer gemeinsam von Pro Asyl, dem Niedersächsischen Flüchtlingsrat und dem Istanbuler Menschenrechtsverein IHD erstellten Dokumentation (vgl. taz v. 13.7.1999) ist für den Zeitraum nach der Inhaftierung Öcalans ein weiterer Abschiebungsfall aufgeführt, der im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. September 1999 nicht behandelt wird. Danach soll der am 23. März 1999 abgeschobene Mehmet C. nach seiner Ankunft im Flughafen Istanbul zur Anti-Terror-Abteilung gebracht und gefoltert worden sein. C. habe gegenüber dem IHD angegeben, ein BGS-Beamter habe bei seiner Abschiebung dem Piloten einen Briefumschlag mit belastendem Material übergeben. Nachdem er sich bereit erklärt habe, künftig als Spitzel für den türkischen Staat zu arbeiten, sei er freigelassen worden. Abgesehen davon, dass diese Angaben bisher nicht verifiziert werden konnten, handelt es sich offenkundig nicht um einen verallgemeinerungsfähigen Fall.

59

Ebenso wenig geben weitere Abschiebungsfälle, die nach dem Urteil des Senats vom 28. Januar 1999 (a.a.O.) bekannt geworden sind, Anlass für eine abweichende Bewertung der Rückkehrgefährdung kurdischer Asylbewerber. Der am 16. Februar 1999 abgeschobene Memduh B. wurde nach eigenen Angaben am 19. Februar 1999 bei einer Ausweiskontrolle in einem Cafe in der Stadt Edirne festgenommen und auf der Polizeiwache gefoltert (vgl. Oberdiek, Gutachten v. 29.4.1999 an VG Berlin). Sie hätten ihm u.a. vorgeworfen, dass er in Deutschland als PKK-ler aktiv gewesen sei. Er sei gezwungen worden, ein Geständnis zu unterschreiben. Am 19. April 1999 soll die Staatsanwaltschaft gegen ihn Anklage wegen Mitgliedschaft in der PKK erhoben haben (vgl. taz v. 13.7.1999). Dieser Fall ist insofern nicht einschlägig, als B. nicht bei der Einreise, sondern erst einige Tage später bei einer zufälligen Routinekontrolle Opfer der Sicherheitsbehörden geworden sein soll. Mustafa E. wurde nicht im Zusammenhang mit seiner Abschiebung im September 1997, sondern erst am 15. Februar 1999 in Konya verhaftet, als er einen Reisepass beantragte. Grund der Festnahme soll eine Denunziation sein, dass er während seines Aufenthalts in Deutschland die PKK unterstützt habe. Nach Angaben von Oberdiek (Gutachten v. 29.4.1999 an VG Berlin) ist das Strafverfahren vor dem Staatssicherheitsgericht in Adana anhängig. Auch der am 7. Februar 1999 abgeschobene Ferit K. wurde nicht am Flughafen, sondern am 17. Februar 1999 bei einer Vorsprache auf dem Standesamt von Karliova (Provinz Bingöl) vermutlich aufgrund einer Denunziation verhaftet. Gegen ihn wurde ein Strafverfahren vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir wegen Verstoßes nach § 169 tStGB angestrengt (vgl. Oberdiek, Gutachten v. 29.4.1999 an VG Berlin). Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, das K. menschenrechtswidrig behandelt wurde. In seinem Gutachten vom 29. April 1999 führt Oberdiek weiter den Fall des Abdullahim N. auf, der am 5. Februar 1999 nach Izmir abgeschoben wurde. In seinem Gepäck seien eine Spendenquittung des Kurdischen Halbmondes, Kalender und Notizblock dieser Organisation sowie Fotos von ihm und seinen Kindern bei Veranstaltungen der PKK in Deutschland gefunden worden. Seinen Angaben zufolge sei N. während seiner 48-stündigen Inhaftierung durch die Polizei gefoltert worden. Gegen ihn sei ein Verfahren gemäß § 169 tStGB eingeleitet worden. Nachdem man von ihm ein Geständnis erpresst habe, sei er freigelassen worden. Auch hier besteht die Besonderheit, dass N. belastendes Material im Koffer bei sich führte. Oberdiek (Gutachten v. 29.4.1999) schildert außerdem den Fall des am 7. Januar 1999 abgeschobenen Kurden L. T., mit dem er selbst gesprochen habe. Dieser habe angegeben, dass die ihn begleitenden Bundesgrenzschutzbeamten der Flughafenpolizei in Istanbul Akten über seine Teilnahme an einer kurdischen Demonstration in Hamburg zur Unterstützung von Öcalan im Dezember 1998 übergeben hätten. L. T. berichtete Oberdiek weiter, dass er während der Befragung mehrfach beschimpft, aber nicht physisch misshandelt worden sei. Gegen ein Bestechungsgeld von 7.000,-- DM sei er aber freigelassen worden. Schenkt man dieser Schilderung, die Oberdiek nicht überprüfen konnte, überhaupt Glauben, so handelt es sich auch hier um eine besondere Sachlage, weil gegen L. T. aufgrund der besagten Unterlagen der Verdacht der Unterstützung der PKK entstanden war.

60

Das Auswärtige Amt hat im Lagebericht vom 7. September 1999 darüber hinaus zwei etwas länger zurück liegende Abschiebungsfälle erwähnt, die noch nicht im Urteil des Senats vom 28. Januar 1999 (a.a.O.) erörtert worden sind. Es handelt sich einmal um den am 10. September 1998 abgeschobenen Mehmet Ö., der nach Angaben des Niedersächsischen Flüchtlingsrates und von Pro Asyl (vgl. asyl-info 4/99, S. 16 f.) nach seiner Ankunft mehrere Tage lang verhört und gefoltert worden sein soll. Das Auswärtige Amt hat dazu erklärt, dass die Schilderung Ö. s zahlreiche Schwächen aufweise und zumindest teilhaft nicht glaubhaft erscheine. Im Übrigen weist dieser Fall die Besonderheit auf, dass Ö. bereits vor seiner Flucht aus der Türkei zu einer Freiheitsstrafe wegen Unterstützung der PKK verurteilt worden war und dass das gegen ihn verhängte Urteil am 16. Juli 1998, also kurz vor seiner Abschiebung, rechtskräftig geworden ist. Zum anderen führt das Auswärtige Amt den Fall des Ende Juni 1998 abgeschobenen Ferit M. an, der ärztlichen Bescheinigungen zufolge misshandelt worden ist. Zu den Gründen der Verhaftung teilt das Auswärtige Amt allerdings keine Einzelheiten mit.

61

Insgesamt gesehen liegen damit nur in wenigen Einzelfällen gesicherte Erkenntnisse für eine menschenrechtswidrige Behandlung von abgeschobenen kurdischen Asylbewerbern vor. Zum überwiegenden Teil lassen sich diese Fälle aber nicht verallgemeinern, weil sie -- wie näher dargelegt -- besondere Sachlagen betrafen. Hiervon abgesehen steht die Zahl der problematischen Rückkehrfälle in einem deutlichen Missverhältnis zur Gesamtzahl der in den letzten Jahren durchgeführten Abschiebungen. Im Jahre 1997 wurden durch deutsche Behörden insgesamt 6.877 Personen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 31.3.1998) und im Jahre 1998 6.640 Personen in die Türkei zurückgeführt. Im Zeitraum von Januar bis Juli 1999 erfolgten insgesamt 2.992 Abschiebungen türkischer Staatsangehöriger in die Türkei (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 7.9.1999). Dass sich darunter ein beachtlicher Anteil kurdischer Volkszugehöriger befindet, wird beispielsweise daran deutlich, dass von den in den Monaten Februar und März 1999 aus Nordrhein-Westfalen zurückgeführten 112 türkischen Staatsangehörigen ca. 30% kurdischer Volkszugehörigkeit waren (OVG NW, Beschl. v. 15.9.1999 -- 8 A 2285/99.A --). Das Auswärtige Amt hat auch andere westliche Länder nach Abschiebestopps für türkische Staatsangehörige befragt; diese haben jedoch keine Bedenken gegen die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber geäußert (Lagebericht v. 7.9.1999). Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Oberdiek in seinem Gutachten vom 29. April 1999 an das Verwaltungsgericht Berlin abschließend feststellt, nach der (damaligen) Informationslage lasse sich kein sicherer Rückschluss auf eine erhöhte Gefährdung von abgeschobenen Asylbewerbern nach der Überführung von Öcalan in die Türkei ziehen. Anhaltspunkte hierfür bestehen erst recht nicht nach dem oben beschriebenen Abklingen der Spannungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und politisch aktiven Kurden, zumal dem erkennenden Senat aus neuester Zeit Meldungen über Abschiebungen, in denen es zu asylerheblichen Übergriffen gekommen sein soll, nicht bekannt geworden sind. Allerdings soll nicht ausgeschlossen werden, dass es derartige Fälle gegeben hat. Der Senat hält es aber wegen der kritischen Beobachtung der Zustände in der Türkei nicht nur durch ausländische Medien und internationale Flüchtlingsorganisationen, sondern auch -- ungeachtet aller Behinderungen -- durch die kurdenfreundliche bzw. regierungskritische türkische Presse und die inländischen Menschenrechtsvereinigungen für unwahrscheinlich, dass es eine erhebliche Dunkelziffer von asylerheblichen Übergriffen auf rückkehrende Kurden in der Türkei gibt (in diesem Sinne auch Rumpf, Auskunft v. 4.3.1999 an VG Sigmaringen). Nach alledem vermag der Senat der gelegentlich (etwa von amnesty international in den Stellungnahmen vom 27.9.1999, asyl-info 11/99, S. 8 f. und vom 1.7.1999 an VG Bremen) vertretenen Ansicht nicht zu folgen, dass auch solche Personen, die sich nicht in herausgehobener Weise für die kurdische Sache einsetzen, bei Rückkehr in die Türkei politische Verfolgung zu befürchten hätten.

62

Schließlich ist es Kurden, deren Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, grundsätzlich zumutbar, sich vom zuständigen türkischen Generalkonsulat die erforderlichen Personaldokumente ausstellen zu lassen und damit freiwillig in die Türkei auszureisen (so auch OVG NW, Urt. v. 28.10.1998 -- 25 A 1284/96.A --). Auf diese Weise können Schwierigkeiten, die mit einer Abschiebung möglicherweise verbunden sind, zumindest verringert werden.

63

Vor diesem Hintergrund ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Kläger wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten bei einer Rückkehr in die Türkei der Gefahr von strafrechtlichen Verfolgungsmaßnahmen oder anderen abschiebungsrechtlich relevanten Repressalien ausgesetzt ist. Insbesondere hat er nicht glaubhaft gemacht, sich im Bundesgebiet derart für die kurdische Sache exilpolitisch exponiert zu haben, dass die türkischen Sicherheitskräfte an ihm ein ernsthaftes Verfolgungsinteresse haben könnten. Seine bloße Teilnahme an kurdischen Demonstrationen und Veranstaltungen reicht dazu nicht aus. Dass er bei diesen Gelegenheiten möglicherweise vom PKK-nahen Sender MED-TV oder von anderen Fernsehstationen gefilmt worden ist und diese Aufnahmen entweder live oder als Aufzeichnung gesendet worden sind, vermag zu keiner anderen Beurteilung zu führen. Abgesehen davon, dass es sich um Großveranstaltungen gehandelt hat, in welchen der Einzelne als bloßer Mitläufer oder Zuhörer nicht weiter auffällt, zumal eine Identifizierung angesichts der Vielzahl von entsprechenden Fernsehberichten auch mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden und personell kaum zu bewältigen wäre, wird sich das Augenmerk der türkischen Sicherheitsbehörden auf die führenden Aktivisten konzentrieren. Der Kläger ist jedoch weder in herausgehobener Position bei der PKK/ERNK oder diesen nahe stehenden Vereinigungen tätig noch ist er sonst als profilierter Gegner des türkischen Staates aufgefallen. Dass er Spendengelder an den Kurdischen Kulturverein in Kassel zahlt, stellt keine herausgehobene exilpolitische Aktivität dar.

64

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Kläger am 13. Januar 1999 von zwei Mitarbeitern des Niedersächsischen Landesamtes für den Verfassungsschutz nach seiner Teilnahme an einer Veranstaltung der PKK/ERNK in Kassel vom 18. Januar 1997 befragt worden ist. Dessen Präsident hat dem Senat dazu unter dem 29. November 1999 mitgeteilt, dass der Kläger bei dem Gespräch angegeben habe, zwei- bis dreimal an größeren Kurdenveranstaltungen teilgenommen zu haben, dies aber "als Kurde" und nicht als PKK-Sympathisant. Der Kläger hat diese Aussage in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Wesentlichen bestätigt. Da gegen den Kläger nicht einmal ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist, kommt der auf der Grundlage des Art. 22 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 erfolgende regelmäßige Strafnachrichtenaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei nicht zur Anwendung (vgl. dazu im Einzelnen Senatsurt. v. 17.2.1998 -- 11 L 4012/94 --, S. 28f. d. UA; siehe auch Auskünfte des Auswärtigen Amtes v. 4.6.1999 und des Bundesministeriums der Justiz v. 28.4.1999 an VG Bremen; Auskunft des Generalbundesanwalts beim BGH v. 16.4.1998 an VG Freiburg). Ebenso wenig teilen die zuständigen Verfassungsschutzbehörden in solchen Fällen personenbezogene Daten an die betreffenden ausländischen Stellen mit (vgl. Auskunft des Bundesamtes für Verfassungsschutz v. 7.5.1998 an VG Wiesbaden).

65

b) Zwar hat der Kläger, der während seines Aufenthalts in Deutschland wehrpflichtig geworden ist, den Straftatbestand der Wehrdienstentziehung verwirklicht, doch führt dies nicht zur Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Denn Kurden aus der Türkei haben nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. dazu das in das Verfahren eingeführte Urteil v. 26.3.1998 -- 11 L 3105/96 --, S. 23-29 u. 44 f. d. UA) und anderer Oberverwaltungsgerichte (vgl. aus neuerer Zeit Hamb.OVG, Urt. v. 1.9.1999 -- 5 A Bf 2/92.A --; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.7.1999 -- A 12 S 1891/97 --; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 22.4.1999 -- 3 L 3/95 --) weder mit einer höheren Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung zu rechnen als andere türkische Staatsangehörige noch drohen ihnen politische Verfolgungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Wehrdienstentziehung und Ableistung des Wehrdienstes. Die seither bekannt gewordenen Erkenntnismittel (wie Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 7.9.1999, Auskünfte des Auswärtigen Amtes v. 1.9.1999 an VG Koblenz, v. 14.7.1999 an VG Wiesbaden u. v. 2.7.1999 an VG Kassel sowie Gutachten von Rumpf v. 12.2.1999 an VG Ansbach) rechtfertigen keine abweichende Beurteilung.

66

3. Nach den obigen Darlegungen besteht für den Kläger bei Rückkehr in die Türkei weder die konkrete Gefahr der Folter oder einer sonstigen unmenschlichen Behandlung, so dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG ebenfalls nicht ersichtlich sind.

67

Die Zulässigkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen folgt aus §§ 34 Abs. 1 und 38 Abs. 1 AsylVfG.

68

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG.

69

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.

70

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.