Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.01.2000, Az.: 11 L 87/00

Abänderung; Berufungsverfahren; Rechtsmittelverfahren; schlicht-hoheitliches Handeln; Unterlassung; Unterlassungsanspruch; Urteil; Vollstreckbarkeitsausspruch; Vollstreckbarkeitserklärung; Vorabentscheidung; vorläufige Vollstreckbarkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.01.2000
Aktenzeichen
11 L 87/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41957
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 29.11.1993 - AZ: 10 A 1051/93

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Aussprüche zur vorläufigen Vollstreckbarkeit von Urteilen sind auch im Verwaltungsprozess im Berufungsverfahren nach Maßgabe von § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO iVm § 718 Abs. 1 ZPO grundsätzlich einer Vorabentscheidung zugänglich.

2. Auf Leistungsklagen auf Unterlassung schlicht-hoheitlichen Verwaltungshandelns ist § 167 Abs. 2 VwGO entsprechend anzuwenden.

Tatbestand:

1

Mit Urteil vom 29. November 1993 untersagte das Verwaltungsgericht auf die Klage des Klägers dem Beklagten, zur heimlichen Informationsbeschaffung gegenüber dem Kläger die in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 5 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes genannten nachrichtendienstlichen Mittel anzuwenden. Das Urteil wurde für vorläufig vollstreckbar erklärt, wobei dem Beklagten die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Mit Urteil vom 26. Juni 1997 -- 13 L 838/95 -- stellte der damals zuständige 13. Senat des Oberverwaltungsgerichts aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen der Beteiligten den Rechtsstreit für den Zeitraum bis zum 8. April 1995 ein und erklärte insoweit das Urteil des Verwaltungsgerichts für wirkungslos; im übrigen wurde auf die Berufung des Beklagten das angefochtene Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Auf die Revision des Klägers hob das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts auf, soweit es nicht die Einstellung des Verfahrens betrifft, und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurück (Urteil vom 7. Dezember 1999 -- BVerwG 1 C 30.97 --).

2

Nach Erlass des Revisionsurteils hat der Kläger die Auffassung vertreten, der Beklagte sei aufgrund des Ausspruchs zur vorläufigen Vollstreckbarkeit im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 29. November 1993 nicht berechtigt, die seit Erlass des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 21. Juli 1997 -- 13 M 2994/95 -- im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes begonnene Beobachtung des Klägers mit nachrichtendienstlichen Mitteln fortzusetzen. Der Beklagte hat nach seinen Angaben die nachrichtendienstliche Beobachtung des Klägers einstweilen eingestellt und mit Schriftsatz vom 14. Dezember 1999, beim Oberverwaltungsgericht eingegangen am nachfolgenden Tag, unter Hinweis auf § 167 VwGO i.V.m. § 718 Abs. 1 ZPO beantragt,

3

über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts vorab zu entscheiden und sie aufzuheben, soweit sie die Hauptsache betrifft.

4

Der Kläger beantragt,

5

den Antrag abzulehnen.

6

Wegen der Begründung der Anträge wird auf die Schriftsätze des Beklagten vom 14. Dezember 1999 und 6. Januar 2000 sowie des Klägers vom 20. Dezember 1999 Bezug genommen.

7

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats über den Vorabentscheidungsantrag ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

8

Der Senat kann mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 125 Abs. 2 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO über den Vorabentscheidungsantrag des Beklagten ohne mündliche Verhandlung durch (Teil)-Urteil entscheiden (vgl. etwa Pietzner, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: März 1999, Rdnrn. 147, 150 zu § 157 m.w.N.). Der Antrag führt zur Einschränkung des Vollstreckbarkeitsausspruchs des Verwaltungsgerichts auf die Kostenentscheidung des Urteils des Verwaltungsgerichts.

9

a) Der Antrag des Beklagten ist entgegen der Ansicht des Klägers gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 718 Abs. 1 ZPO zulässig.

10

In der Rechtsprechung ist geklärt, dass Aussprüche zur vorläufigen Vollstreckbarkeit von Urteilen auch im Verwaltungsprozess im Berufungsverfahren in Anwendung der genannten Vorschrift grundsätzlich einer Vorabentscheidung zugänglich sind (vgl. BVerwG, B. v. 28.8.1974 -- VII B 60.74 -- Buchholz 310 Nr. 5 zu § 167 VwGO; Hess. VGH, Urt. v. 18.5.1988 -- 5 UE 2282/86 -- NVwZ 1990, 275; Pietzner, a.a.O., Rdnr. 147 zu § 167 m.w.N.). Die gegenteilige Ansicht des Klägers, ein Antrag nach § 718 ZPO könne nicht im Berufungsverfahren "nachgeholt" werden, trifft daher nicht zu.

11

Dem Beklagten kann für sein Vorabentscheidungsersuchen auch ein Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden. Nach dem Tenor hat das Verwaltungsgericht sein Urteil im stattgebenden Teil insgesamt für vorläufig vollstreckbar erklärt. Es ist freilich im Hinblick auf den Ausspruch zur Abwendung einer vorläufigen Vollstreckung zweifelhaft, ob auch aus der Sicht des Verwaltungsgerichts die Vollstreckbarkeitserklärung nicht nur auf die Kostenentscheidung beschränkt werden sollte. Da der Kläger insoweit gegenteiliger Auffassung ist und das Verwaltungsgericht diesbezüglich sein Urteil nicht nach § 118 Abs. 1 VwGO wegen offensichtlicher Unrichtigkeit berichtigt hat, besteht wegen der gegensätzlichen Standpunkte der Beteiligten ein berechtigtes Rechtsschutzbedürfnis des Beklagten an der beantragten Vorabentscheidung.

12

b) Der Vorabentscheidungsantrag des Beklagten ist auch begründet.

13

Bei der Entscheidung über den Antrag ist insoweit entgegen der Ansicht des Klägers nicht auf die Erfolgsaussichten der nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Dezember 1999 -- 1 C 30.97 -- neu zu bescheidenden Berufung des Beklagten abzustellen; Prüfungsmaßstab für die Vorabentscheidung ist vielmehr allein, ob die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zur vorläufigen Vollstreckbarkeit nach Maßgabe der §§ 167 VwGO i.V.m. 708 ff. ZPO der rechtlichen Nachprüfung standhält (vgl. Pietzner, a.a.O., Rdnr. 147 zu § 167 VwGO m.w.N.). Das ist nicht der Fall. Bei der Unterlassungsklage des Klägers handelt es sich um eine Leistungsklage, die auf die Unterlassung schlicht -- hoheitlichen Verwaltungshandelns gerichtet und auf die nach Sinn und Zweck der Regelung § 167 Abs. 2 VwGO nach allgemeiner Auffassung entsprechend anzuwenden ist (vgl. etwa Pietzner, a.a.O., Rdnr. 135 zu § 167 m.w.N.). Die Ansicht des Klägers, die Überwachung mit nachrichtendienstlichen Mitteln stelle sich nicht als schlicht -- hoheitliches Handeln dar, geht im Hinblick auf deren eindeutigen Rechtscharakter offensichtlich fehl. Dementsprechend ist der Vollstreckbarkeitsanspruch des Urteils des Verwaltungsgerichts auf die Kostenentscheidung zu beschränken.

14

Dieses Urteil ist nicht anfechtbar (§ 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 718 Abs. 2 ZPO; BVerwG, B. v. 28.8.1974, a.a.O.).