Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.10.2005, Az.: 8 LA 123/05

Abschiebung; Abschiebungshindernis; Asylbewerber; Aufenthalt; Aufenthaltserlaubnis; Ausreise; Ausreisepflicht; Duldung; Erfolglosigkeit; Freiwilligkeit; Heimat; Heimatstaat; Kosovo; Lage; Minderheit; Mitwirkung; Möglichkeit; Roma; Rückkehr; Serbien-Montenegro; UNMIK; Unmöglichkeit; Unzumutbarkeit; Verhältnis; Vollziehbarkeit; Wortlaut; Zielstaat; Zumutbarkeit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.10.2005
Aktenzeichen
8 LA 123/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50984
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 09.06.2005 - AZ: 5 A 130/05

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Ausreise von Roma aus dem Kosovo, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, deren Aufenthalt im Bundesgebiet aber geduldet wird, weil ihre Abschiebung mangels Zustimmung der UNMIK, von Serbien und Montenegro oder eines Drittstaats unmöglich ist, ist nicht - wegen der allgemeinen Verhältnisse im Kosovo - unmöglich i.S.d. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos, weil die Voraussetzungen für die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO schon nicht hinreichend dargelegt worden sind, aber auch nicht vorliegen.

2

Die Kläger sind vollziehbar ausreisepflichtige serbisch-montenegrinische Staatsangehörige aus dem Kosovo und gehören nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts dem Volk der Roma an. Ihr Aufenthalt im Bundesgebiet wird geduldet. Das Verwaltungsgericht hat ihre auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG gerichteten Klagen abgewiesen. Den Klägern könne die beantragte Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn ihre Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unmöglich sei. Die von den Klägern angeführte allgemeine Lage von Angehörigen der Volksgruppe der Roma im Kosovo führe jedoch nicht zu einer Unmöglichkeit ihrer Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Ihnen sei nämlich eine freiwillige Rückkehr dorthin möglich. Das Aufenthaltsgesetz stelle bewusst auf die Unmöglichkeit und nicht auf eine Unzumutbarkeit der Ausreise ab. Diese Auslegung folge aus dem eindeutigen Wortlaut des § 25 Abs. 5 AufenthG sowie der Systematik dieser Regelung und stehe im Übrigen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung zu der Vorgängervorschrift des § 30 AuslG. Dass diese Rechtslage durch Erlass des § 25 Abs. 5 AufenthG habe geändert werden sollen, ergebe sich auch nicht hinreichend aus der Entstehungsgeschichte. Die von den Klägern in Bezug genommenen Stellungnahmen und Verwaltungsvorschriften führten - aus im Urteil im Einzelnen angeführten Gründen - zu keiner anderen Beurteilung.

3

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind in der Berufungsbegründung nicht in einer dem § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechenden Weise dargelegt worden. Dazu muss hinreichend fallbezogen und substantiiert auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu den für die Entscheidung maßgeblichen Rechts- und Tatsachenfragen eingegangen werden, deren Unrichtigkeit mit vertretbaren Erwägungen dargetan und ausgeführt werden, dass und aus welchen Gründen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf diesen - aus Sicht des Rechtsmittelführers fehlerhaften - Erwägungen beruht (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 20.9.2005 - 2 LA 928/04 -, m. w. N.). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn sich die Begründung darauf beschränkt, die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung allgemein oder unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens anzuzweifeln, wie dies die Kläger hier tun. Sie legen nicht dar, welche entscheidungserhebliche Erwägung des Verwaltungsgerichts fehlerhaft sein soll. Ihre Behauptung, das Gericht habe sich mit den von ihnen im Schriftsatz vom 3. Juni 2005 vorgelegten und zitierten Stellungnahmen nicht hinreichend auseinander gesetzt, trifft nicht zu. Hierauf ist das Verwaltungsgericht auf den Seiten 5 bis 7 des Urteilsabdrucks ausführlich eingegangen.

4

Im Übrigen bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Dem Verwaltungsgericht ist darin beizupflichten, dass für die Kläger die Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht unmöglich ist und ihnen schon deshalb keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Vorausgesetzt wird in § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nach dem Wortlaut die Unmöglichkeit, nicht die Unzumutbarkeit der Ausreise. Wenn bei der Gesetzesanwendung zusätzlich die Zumutbarkeit der Ausreise zu prüfen ist, hat der Gesetzgeber dies ausdrücklich angeordnet, wie in § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Danach wird eine Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist. Einen entsprechenden Zusatz enthält § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG gerade nicht. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kommt es also auf die Zumutbarkeit einer Ausreise nicht an (vgl. VG Lüneburg, Beschl. v. 23.9.2005 - 3 B 70/05). Selbst wenn man jedoch unter Bezugnahme auf die Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung zum Erlass eines Zuwanderungsgesetzes (BT-Drucks. 15/420, S. 79 f.) davon ausgeht, dass sich im Einzelfall auch aus der Unzumutbarkeit einer Rückreise - in der Regel in den Heimatstaat - eine Unmöglichkeit im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ergeben kann (vgl. VGH Kassel, Beschl. v. 1.6.2005 - 3 TG 1273/05 -; Göbel-Zimmermann, ZAR 2005, 275, 278; Heinhold, Asylmagazin 11/04, Die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG, VII; Keßler, Von der Duldung zur Aufenthaltserlaubnis, S. 6), so können jedenfalls die hier geltend gemachten zielstaatsbezogenen Gründe keine solche Unzumutbarkeit bzw. Unmöglichkeit der Ausreise i. S. d. § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG begründen (vgl. Göbel-Zimmermann, a.a.O.; VG Oldenburg, Urt. v. 14.9.2005 - 11 A 3311/03 -; VG Hannover, Urt v. 15.8.2005 - 10 A 3673/04 -).

5

Wie der Senat in seinem bereits vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Beschluss vom 3. Juni 2004 (- 8 LB 84/04 -) ausgeführt hat, bestimmt sich nach Maßgabe der §§ 51 Abs. 1, 53 und 54 AuslG, an deren Stelle nunmehr die §§ 60 und 60 a Abs. 1 AufenthG getreten sind, unter welchen Voraussetzungen zielstaatsbezogene Gefahren einer Abschiebung entgegenstehen, also ein Abschiebungshindernis besteht. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Maßstab nicht auch für die Frage gelten soll, wann dem Betroffenen seine Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG - in seinen Heimatstaat oder einen Drittstaat - auf Grund der dortigen, also zielstaatsbezogenen Lage unmöglich ist. Anderenfalls ergäbe sich ein Wertungswiderspruch, da nicht nachvollziehbar wäre, warum die - hier von den Klägern angeführten - allgemeinen Verhältnisse im Kosovo zwar nicht ihrer Abschiebung, dafür aber ggf. ihrer Ausreise dorthin entgegenstehen sollten (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 6.4.2005 - 11 S 2779/04 -; OVG Münster, Beschl. v. 14.3.2005 - 18 E 195/05 -).

6

Der von den Klägern in den Vordergrund ihrer Argumentation gerückte Einwand, dass auf diese Weise sogenannte Kettenduldungen nicht vermieden würden, dies aber erkennbar Ziel des Gesetzgebers gewesen sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Ein Rechtssatz mit dem genannten Inhalt ist nicht Bestandteil des geltenden Rechts (geworden). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von den Klägern in Bezug genommenen Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung zum Erlass eines Zuwanderungsgesetzes (BT-Drucks. 15/420, S. 79 f). Die mit diesem Gesetzentwurf verfolgte Absicht, die Duldung abzuschaffen und damit auch der Praxis von sogenannten Kettenduldungen entgegen zu treten, ist nämlich gerade nicht Gesetz geworden. Vielmehr ist auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 30. Juni 2004 (vgl. BT-Drucks. 15/347) die nunmehr in § 60 a AufenthG geregelte Duldung weiterhin Bestandteil des geltenden Aufenthaltsgesetzes, das aus den genannten Gründen bei gegebener Möglichkeit der freiwilligen Ausreise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG gerade nicht zulässt.

7

Aus § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG ergibt sich nichts anderes. Die Bestimmung knüpft an die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG an und modifiziert lediglich dann, wenn die Abschiebung bereits mindestens 18 Monate ausgesetzt worden ist, die Rechtsfolge (vgl. VGH Mannheim, a. a. O.). In diesem Fall kann die Ausländerbehörde nämlich nicht nur eine Aufenthaltserlaubnis erteilen - wie nach Satz 1 -, sondern soll dies gemäß Satz 2 tun. § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG bietet hingegen keine Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in den Fällen, in denen die Abschiebung zwar seit mindestens 18 Monaten ausgesetzt worden ist, die Ausreise des Betroffenen aber nicht im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unmöglich ist.

8

Gemessen an diesen Grundsätzen kann Angehörigen des Volkes der Roma aus dem Kosovo, deren Aufenthalt im Bundesgebiet nach negativ abgeschlossenem Asylverfahren deshalb geduldet wird, weil weder die UNMIK noch die serbisch-montenegrinischen Behörden oder ein Drittstaat ihrer Rückführung zustimmen, sie also nicht abgeschoben werden können, keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt werden. Ihnen ist eine freiwillige Ausreise aus dem Bundesgebiet und die Einreise in ihre Heimatprovinz tatsächlich möglich. Diese “Ausreise“ im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist auch nicht wegen der allgemeinen Verhältnisse in ihrer Heimatprovinz rechtlich unmöglich. Dies ergibt sich bereits aus der bestandskräftigen Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bzw. zuvor des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über die Nichtanerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling sowie das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 1, 2, 4 und 6 AuslG (bzw. nunmehr § 60 a Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG). An diese Entscheidung ist die Ausländerbehörde gebunden. Im Übrigen entspricht es auch der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass die Voraussetzungen der genannten Bestimmungen für Angehörige des Volkes der Roma bei einer Rückkehr in ihre Heimatprovinz nicht gegeben sind (vgl. Senatsbeschl. v. 23.6.2005 - 8 LA 75/05 -). Eine Unmöglichkeit ihrer Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 3. Mai 2005 unter Bezugnahme auf die vorhergehenden Erlasse vom 23. September, 25. Juni und 7. April 2004 zur Rückführung in den Kosovo. Soweit danach denjenigen Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo, deren Rückführung die UNMIK nicht zustimmt, eine Duldung zu erteilen ist, wird nämlich lediglich der Tatsache Rechnung getragen, dass die Abschiebung in diesen Fällen tatsächlich unmöglich ist, weil die Betroffenen mangels Zustimmung der UNMIK nicht in den Kosovo und mangels Zustimmung der serbisch-montenegrinischen Behörden auch nicht in das übrige Staatsgebiet von Serbien und Montenegro oder in einen sonstigen Drittstaat abgeschoben werden können. Die Annahme, die Abschiebung von Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo sei vom Niedersächsischen Innenministerium wegen der schwierigen Verhältnisse in der Heimatprovinz ausgesetzt worden (vgl. VG Braunschweig, Urt. v. 29.6.2005 - 6 A 171/05 -), trifft daher nicht zu (vgl. Erlass des Nds. Innenministeriums vom 8. August 2005), und kann somit auch keine (rechtliche) Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG begründen.

9

Die Voraussetzungen für die Zulassung wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen gleichfalls nicht vor. Die Kläger haben sich lediglich pauschal auf diesen Zulassungsgrund berufen, nicht aber im Sinne des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, bei der Beantwortung welcher tatsächlichen oder rechtlichen Frage, die entscheidungserheblich ist, sich vorliegend Schwierigkeiten ergeben sollen, die über das normale Maß der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitfälle hinausgehen. Im Übrigen sind solche Schwierigkeiten hier auch nicht ersichtlich. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus der Frage, ob sich die Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AuslG auch, aus der Unzumutbarkeit ergeben kann. Diese Frage ist aus den vorstehenden Ausführungen zu verneinen, ohne dass sich dabei besondere rechtliche Schwierigkeiten ergeben.

10

Schließlich kann die Berufung auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Die Kläger hätten zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes jedenfalls eine entscheidungserhebliche Frage konkret benennen müssen, der eine solche Bedeutung zukommen soll. Schon hieran mangelt es. Die aufgeworfene Frage, “ob Roma aus dem Kosovo die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG erfüllen“, stellt sich hier weder in dieser Allgemeinheit noch lässt sich allgemeingültig beantworten. Sollte die Antragsbegründung so zu verstehen sein, dass die Kläger die Frage für grundsätzlich bedeutsam halten, ob die “Ausreise“ von Roma aus dem Kosovo, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, deren Aufenthalt im Bundesgebiet aber geduldet wird, weil ihre Abschiebung mangels Zustimmung der zuständigen Behörden nicht durchgeführt werden kann, im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG unmöglich ist, so kommt dieser Frage auch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Diese Frage ist aus den genannten Gründen zu verneinen, ohne dass es dazu der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf.