Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 23.09.2005, Az.: 3 B 70/05

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
23.09.2005
Aktenzeichen
3 B 70/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 43122
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2005:0923.3B70.05.0A

Amtlicher Leitsatz

Wenn es bei § 25 Abs. 5 AufenthG auf die "Unmöglichkeit" der Ausreise ankommt, kann es nicht auf die Frage der "Zumutbarkeit" der Ausreise ankommen. Aus einem langjährigen Aufenthalt in Deutschland und den hiesigen persönlichen Bindungen ist nicht auf die Unmöglichkeit der Ausreise zu schließen. Bei dem Begriff der Unmöglichkeit kommt es auf objektive Umstände an. § 25 Abs. 5 AufenthG kann nicht als Aufwandstatbestand für gescheiterte Asylbewerber ausgelegt werden. Mit anderen Worten: Die Aufenthaltserlaubnis kann nur demjenigen erteilt werden der nicht ausreisen kann, nicht aber demjenigen, der nicht ausreisen will.

Aufgrund der internationalen Lage ist einem Roma aus dem Kosovo die Ausreise dorthin nicht unmöglich.

Es ist rechtlich zulässig, die Entscheidung über die Befristung der Wirkung einer Ausweisung zurückzustellen, bis der Ausländer ausgereist ist. In diesem Fall kann von der Ausländerbehörde im Ermessenswege mitberücksichtigt werden, ob der Ausländer der Ausreisepflicht freiwillig nachgekommen ist oder ob sich sonstige Gründe ergeben, die unmittelbar vor oder nach der Ausreise in das Heimatland Einfluss auf die Länge der Frist haben können.

Tatbestand:

1

I.

Der Antragsteller ist Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro. Er kommt aus dem Kosovo. Nach seinem Vorbringen gehört er zur Volksgruppe der Roma. Er kam 1991 nach Deutschland. Sein Asylverfahren blieb erfolglos. Er wurde im April 2001 rechtskräftig aus Deutschland ausgewiesen. Im Januar 2003 heiratete er, seine Ehefrau hat Abschiebungsschutz nach § 53 Ausländergesetz alter Fassung erhalten. Im Februar 2003 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis und die Befristung seiner Ausweisung. Das wurde vom Antragsgegner abgelehnt. Der Antragsteller hat nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage erhoben und begehrt nunmehr in einem Verfahren auf vorläufigen Rechtschutz Abschiebungsschutz, da der Antragsgegner die Rückführung nach Pristina für den 29. September vorgesehen hat.

Gründe

2

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist unbegründet.

3

Nach § 123 VwGO kann das Gericht einen einstweilige Anordnung treffen, wenn dies notwendig ist, um wesentliche Nachteile vom Antragsteller abzuwenden. Die Voraussetzungen zur Anwendung dieser Vorschrift liegen nicht vor.

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1. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung der im Klageverfahren erstrebten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Aufenthaltsgesetz.

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a) Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 - 4 Aufenthaltsgesetz sind nicht gegeben. Der Antragssteller ist weder als Asylberechtigter anerkannt (§ 25 Abs. 1 a.a.O.), noch sind bei ihm die Vorraussetzungen des § 60 Abs. 1 a.a.O. festgestellt worden (§ 25 Abs. 2 a.a.O.). Auch liegen die Voraussetzungen für die Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 a.a.O. ersichtlich nicht vor (§ 25 Abs. 3 a.a.O.) da Abschiebungshindernisse nach diesen Vorschriften vom Bundesamt nicht festgestellt worden sind und auch im vorliegenden Fall nicht geltend gemacht werden. Auch dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen erfordern nicht einen (weiteren) vorübergehenden Aufenthalt des Antragstellers in Deutschland (§ 25 Abs. 4 a.a.O.). Eine Sondersituation, die sich deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet, liegen nicht vor.

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b) Die Voraussetzungen zur Anwendung des § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz sind nicht gegeben. Danach kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf allerdings nach § 25 Abs. 5 Satz 3 a.a.O. nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Hiervon kann nicht ausgegangen werden.

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Wenn es bei § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz auf die "Unmöglichkeit" der Ausreise ankommt, kann es nicht auf die Frage der "Zumutbarkeit" der Ausreise ankommen, sei es aus im Herkunftsland oder in Deutschland begründeten Umständen. Aus einem langjährigen Aufenthalt in Deutschland und den hiesigen persönlichen Bindungen ist nicht auf die Unmöglichkeit der Ausreise zu schließen. Bei dem Begriff der Unmöglichkeit kommt es auf objektive Umstände an. § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz kann nicht als Aufwandstatbestand für gescheiterte Asylbewerber ausgelegt werden. Mit anderen Worten: Die Aufenthaltserlaubnis kann nur demjenigen erteilt werden der nicht ausreisen kann, nicht aber demjenigen, der nicht ausreisen will.

8

Danach scheidet die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Antragsteller aus. Er kann ausreisen, will es aber nicht. Ihm ist auch als Roma eine Rückkehr in den Kosovo möglich:

9

Im April 2005 hat eine Bund- Länder- Delegation in Berlin Expertengespräche mit UNMIK über die Wiederaufnahme der Rückführung bestimmter Minderheiten in das Kosovo geführt. Wesentliches Ergebnis dieser Gespräche ist, dass Deutschland mit der Wiederaufnahme der Rückführungen von Ashkali und Ägyptern beginnen kann. Zunächst sollten bundesweit 300 Angehörige der Minderheiten aus dem Kosovo zur Rückführung angemeldet werden können, die Zahlen sollten später erhöht werden und ab 2006 soll eine zahlenmäßige Begrenzung ganz wegfallen. Auch der Einstieg in den Rückführungsprozess von Angehörigen der Roma ist gelungen. Zunächst sollten Straftäter rückgenommen werden, ab September 2005 auch andere Personenkreise. In den Gesprächen zur Rückführung von Minderheiten in das Kosovo bestand Übereinkunft darüber, dass die Volksgruppe der Ashkali und Ägypter nicht grundsätzlich als international schutzbedürftig gelten, und sich auch die Lange der Roma im Kosovo verbessert. Ziel der deutschen Seite und der UNMIK war es, eine Erweiterung des rückzuführenden Personenkreises anzustreben (vgl. hierzu Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Erlass vom 03.05.2005 mit der abgestimmten Niederschrift über die geführten Gespräche).

10

Ist eine Abschiebung aufgrund der internationalen Lage nicht unmöglich, ist der Anspruch nach § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz nicht gegeben.

11

2. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60 a Abs. 2 Aufenthaltsgesetz. Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.

12

Aufgrund der dargestellten internationalen Lage ist die Abschiebung nicht unmöglich. Auch sonst liegen die Voraussetzungen zur Anwendung dieser Vorschrift nicht vor. Weder liegt Reiseunfähigkeit vor, noch fehlende Aufnahmebereitschaft des Zielstaates. Es ist auch davon auszugehen, dass die erforderlichen Papiere zur Abschiebung vorliegen.

13

Schließlich verstößt die Abschiebung nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere gibt die vom Antragsteller im Jahre 2003 eingegangene Ehe und die daraus hervorgegangenen Kinder keinen Anspruch auf Duldung.

14

Ein Abschiebungsverbot könnte nur dann angenommen werden, wenn es dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, seine familiären Beziehungen durch die bevorstehende Ausreise zu unterbrechen. Artikel 6 GG verpflichtet den Staat, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern, und der Schutzbereich dieser Bestimmung ist nicht auf deutsche Staatsangehörige beschränkt. Weder Artikel 6 GG noch Artikel 8 EMRK gewähren jedoch unmittelbar einen Anspruch auf ein Bleiberecht in Deutschland. Der Ausländer hat lediglich Anspruch darauf, dass die Behörden und Gerichte seine familiäre Bindung in Deutschland angemessen berücksichtigen. Dies erfordert nicht, dass einer Wahrung der Familieneinheit in Deutschland in jedem Falle Vorrang einzuräumen wäre vor einer Abschiebung.

15

Im vorliegenden Fall folgt aus der in Deutschland gegründeten Familie des Antragstellers kein Abschiebungsverbot. Es sind keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass ein Familienleben nur in Deutschland stattfinden kann, weil der Ehefrau oder den Kindern das Verlassen der Bundesrepublik Deutschland nicht zuzumuten ist. Individuelle Besonderheiten wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit des Ehegatten oder der Kinder, psychische Not oder Angewiesenheit auf Lebenshilfe der Familie, die nur in Deutschland und nur vom Antragsteller geleistet werden könnte, sind nicht ersichtlich. Entscheidend ist letztlich auch, dass die Ehe eingegangen worden ist im Jahre 2003, als der Antragsteller sein Asylverfahren mit negativen Ausgang durchlaufen hatte und ihm gegenüber auch schon die Ausweisungsverfügung ergangen war. Ein irgendwie geartetes schutzwürdiges Vertrauen darauf, die Familie werde ohne Probleme in Deutschland bleiben können, hat sich von daher weder beim Antragsteller noch bei seiner Ehefrau entwickeln können. Zurecht hat im Übrigen die Bezirksregierung Lüneburg in ihrem Widerspruchsbescheid darauf hingewiesen, dass dem Schutz von Ehe und Familie dadurch Rechnung getragen werden kann, dass die Wirkungen der Ausweisung befristet werden können.

16

3. Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Duldung deswegen, weil die Wirkungen des Ausweisung befristet werden müssten (Ziffer 1 des mit der Klage angefochtenen Bescheides des Antragsgegner vom 11.09.2003). Insbesondere hat der Antragsteller keinen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner die Befristung "auf Null" verkürzt, sodass der Antragsteller sogleich in Deutschland bleiben könnte.

17

Aus § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz folgt, dass die Ausweisung oder Abschiebung zur Folge hat, dass der Ausländer nicht erneut nach Deutschland einreisen und sich hier aufhalten darf (gesetzliche Sperrwirkung). Die Maßnahmen haben weiter zur Folge, dass dem Ausländer auch bei Voraussetzungen eines Anspruches kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf. Die von der Ausweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung ausgehenden Rechtswirkungen werden auf Antrag in der Regel befristet (§ 11 Abs. 1 Satz 3 Aufenthaltsgesetz).

18

Der im Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Lüneburg zum Ausdruck kommende Rechtsstandpunkt, über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung könne erst eine Entscheidung erfolgen, wenn der Antragsteller ausgereist ist, lässt sich rechtlich nicht beanstanden: Es ist rechtlich zulässig, die Entscheidung über die Befristung zurückzustellen, bis der Ausländer ausgereist ist. In diesem Fall kann von der Ausländerbehörde im Ermessenswege mitberücksichtigt werden, ob der Ausländer der Ausreisepflicht freiwillig nachgekommen ist oder ob sich sonstige Gründe ergeben, die unmittelbar vor oder nach der Ausreise in das Heimatland Einfluss auf die Länge der Frist haben können (vgl. Vorl. Nds. VV - AufenthG Nr. 11.1.3.3).

19

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.