Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 03.05.2006, Az.: 11 A 2646/05

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
03.05.2006
Aktenzeichen
11 A 2646/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2006, 44730
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2006:0503.11A2646.05.0A

Amtlicher Leitsatz

Aus Art. 8 EMRK kann ein rechtliches Ausreisehindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG folgen, wenn der Ausländer faktisch zum Inländer geworden ist. Dies beurteilt sich danach, ob er sich unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat und den Schwierigkeiten, die einer Reintegration entgegenstehen.

In aller Regel spricht es gegen eine erfolgreiche Integration, wenn der Ausländer bisher nicht über einen Aufenthaltstitel verfügt hat. Etwas anderes kann nur in den seltenen Ausnahmefällen gelten, in denen praktisch alle Gesichtspunkte für einen Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland sprechen und deshalb jede andere Entscheidung als die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht mehr verständlich wäre. Die Anforderungen sind in gewissem Umfang geringer, wenn der Ausländer zumindest zeitweise über einen Aufenthaltstitel verfügt hat (Modifizierung der bisherigen Rechtsprechung Urteil vom 11. Mai 2005 - 11 A 2574/03 - und Urteil vom 14. September 2005 - 11 A 3311/05 - unter Berücksichtigung von OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. April 2006 - 10 ME 58/06 - und der Rechtsprechung des EGMR).

Tatbestand

1

Die Kläger sind serbisch-montenegrinische Staatsangehörige und stammen aus dem Kosovo. Die 1974 bzw. 1978 geborenen Kläger zu 1) und 2) sind Eheleute, die Kläger zu 3) bis 5) ihre 1998, 1999 und 2000 geborenen Kinder. Ein weiteres Kind wurde 2005 geboren. Gemäß einer bei dem Verwaltungsvorgang befindlichen schriftlichen Antwort des ICMPD-IOM Kosovo Information Projekt vom 14. März 2002 sind die Kläger zu 1) und 2) nach ihrem ethnischen Ursprung Bosniaken.

2

Die Kläger zu 1) bis 3) reisten am 7. Mai 1999 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Asylanträge wurden nicht gestellt. Der Beklagte forderte die Kläger zu 1) bis 3) mit Bescheid vom 21. Mai 1999 unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise auf und erteilte ihnen zugleich wegen des Nichtbesitzes gültiger Pässe Duldungen, die seitdem mehrfach verlängert worden sind.

3

Am 24. Januar 2005 beantragten die Kläger beim Beklagten die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen mit der Begründung, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht möglich seien, sie als Minderheitenangehörige nicht in ihre Heimat zurück könnten und ihnen eine freiwillige Rückkehr nicht zuzumuten sei. § 25 Abs. 5 AufenthG solle die Rechtsstellung lange geduldeter Flüchtlinge verbessern; Kettenduldungen solle es nicht mehr geben. Aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes und der Kommentierung ergebe sich, dass die freiwillige Rückkehr auch unzumutbar sein müsse. Der Erlass des Rheinland-Pfälzischen Innenministeriums vom 17. Dezember 2004 sowie mehrere Gerichte sähen dies auch so. Angesichts pogromartiger Ausschreitungen gegen Minderheiten sei eine freiwillige Rückkehr in den Kosovo weder möglich noch zumutbar.

4

Mit Bescheid vom 23. Mai 2005, zugestellt am 25. Mai 2005, hat der Beklagte die Anträge abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG für die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen lägen nicht vor. Die Kläger könnten freiwillig ausreisen; auf die Zumutbarkeit stelle das Gesetz nicht ab. Die Passlosigkeit der Kläger sei von diesen selbst verschuldet, da sie sich trotz Aufforderung nicht um die Beschaffung der Dokumente bemüht hätten. Mangels Erfüllung der Pass- und Visumpflicht fehle es außerdem an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG.

5

Am Montag, den 27. Juni 2005, haben die Kläger Klage erhoben.

6

Sie machen im Wesentlichen geltend, auch in der Rechtsprechung setze sich die Ansicht durch, dass subjektive Gründe im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG berücksichtigt werden müssten und beziehen sich insoweit auf ihre Ausführungen im behördlichen Verfahren. Die Kläger berufen sich ergänzend auf Art. 8 EMRK und verweisen auf verschiedene Gerichtsentscheidungen (u. a. VG Karlsruhe v. 23.11.05, AuAS 2006, 50; OVG Koblenz v. 24.02.06 - 7 B 10020/06.OVG -; OVG Münster v. 07.02.06 - 18 E 1534/05 -), nach denen einem so genannten faktischen Inländer eine Rückkehr in sein Herkunftsland unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzumuten sei. Die Kläger würden diese Voraussetzungen erfüllen. Sie seien vollständig integriert. Die Kläger zu 3) und 4) besuchten hier die Schule, der Kläger zu 5) den Kindergarten. Sie sprächen perfekt deutsch und nur sehr wenig serbo-kroatisch. Untereinander werde deutsch gesprochen. Auch gäbe es keinen Bezug zur Heimat der Eltern. Der Kläger zu 3) spiele im örtlichen Sportverein Fußball.

7

Auch die wirtschaftliche Integration sei gegeben. Der Kläger zu 1) sei jahrelang versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Nach unverschuldeter Arbeitslosigkeit sei ihm wiederholt die Arbeitserlaubnis verweigert worden. Seit dem 01. Februar 06 sei er wieder erwerbstätig und sichere seitdem den Familienunterhalt.

8

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihnen Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen zu erteilen.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Er verweist auf den angefochtenen Bescheid sowie bezüglich der Frage der Zumutbarkeit der Ausreise auf die Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichts Osnabrück.

11

Mit Bescheid vom 13. Juli 2005 forderte der Beklagte auch die Kläger zu 4) und 5) unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise auf.

12

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen.

14

1. Ein solcher ergibt sich zunächst nicht aus § 25 Abs. 1 - 3 AufenthG.

15

Die Kläger sind durch das insoweit gem. § 5 Abs. 1 S. 1 AsylVfG, § 60 Abs. 1 S. 5 AufenthG allein zuständige Bundesamt weder als Asylberechtigte anerkannt worden noch hat dieses unanfechtbar das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG festgestellt.

16

In Bezug auf Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG ergibt sich die Zuständigkeit des Beklagten aus der allgemeinen Bestimmung des § 71 Abs. 1 S. 1 AufenthG. Diese ist nicht nach § 24 Abs. 2 AsylVfG auf das Bundesamt übergegangen, weil die Kläger kein Asylbegehren nach § 13 AsylVfG gestellt haben.

17

Im Allgemeinen müssen nach der ständigen Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts, welcher sich die erkennende Kammer anschließt, Volkszugehörige der Minderheiten im Kosovo nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrige Maßnahmen im Sinne des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG befürchten (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Oktober 2005 - 8 LA 123/05 -; Beschlüsse vom 12. Oktober 2005 - 8 ME 163/05 und 158/05 -; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22. November 2005, S. 11 ff.).

18

2. Es besteht auch kein Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Nach der Vorschrift kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.

19

a. Die freiwillige Ausreise der Kläger in den Kosovo ist nicht deshalb unmöglich, weil sie derzeit über keine gültigen Pässe verfügen. Nach dem Erlass des Nds. Innenministeriums vom 23. September und 25. Juni 2004 kann den Klägern unabhängig davon ein EU-Laissez-Passer für die Rückkehr erteilt werden. Dieses wird nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22. November 2005 (S. 27) bei den Einreisekontrollen anerkannt. Der Beklagte kann den Klägern im Falle ihrer freiwilligen Ausreise ein EU-Laissez-Passer ohne Weiteres ausstellen.

20

b. Die Unmöglichkeit der Ausreise besteht insbesondere nicht im Hinblick darauf, dass UNMIK Abschiebungen von Angehörigen der Volksgruppe der Bosniaken längere Zeit nicht akzeptiert hat. Denn aufgrund einer Neubewertung der Sicherheitslage stimmt UNMIK einer Rückführung dieser Minderheit inzwischen grundsätzlich zu (vgl. Erlass des Nds. MI vom 3. Mai 2005; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22. November 2005, S. 24).

21

Aber auch abgesehen davon liegen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht vor. Die Kammer hat hierzu mit Urteil vom 14. September 2005 (11 A 3311/03) betreffend Angehörige der Roma, deren Abschiebung UNMIK weiterhin grundsätzlich ablehnt, ausgeführt:

22

"Maßgeblich ist nach der Vorschrift § 25 Abs. 5 AufenthG, wie sich aus dem Wortlaut ("Ausreise") und der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420, S. 80), noch deutlicher als aus § 30 Abs. 3 und 4 AuslG, ergibt, ob (neben der Abschiebung) die freiwillige Ausreise des Ausländers aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist. Unerheblich ist dagegen, aus welchen Gründen eine Abschiebung des Ausländers scheitert.

23

UNMIK ist bereit, Angehörige der Minderheiten auf strikt freiwilliger Basis wieder aufzunehmen. Bis Ende 2003 haben hiervon etwa 9 000 Personen Gebrauch gemacht. Bis Juni 2004 sind rund 1 000 Angehörige der Roma zurückgekehrt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes a.a.O., S. 14, 16, 20). Dies zeigt, dass UNMIK nicht die Rückkehr von Angehörigen der Minderheiten an sich als Sicherheitsrisiko einstuft, sondern lediglich die zwangsweise Rückführung gegen den Willen der Betroffenen.

24

Eine Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise kann deshalb aus den hier geltend gemachten zielstaatsbezogenen die Sicherheitslage für bestimmte Minderheiten betreffenden Erwägungen, die UNMIK zur Einschränkung des Rückführungsprozesses veranlasst, und deshalb zu einem Abschiebungshindernis führen, nicht festgestellt werden. Zielstaatsbezogene Gesichtspunkte, die einer Rückkehr in den Heimatstaat entgegenstehen, sind abschließend in § 60 AufenthG geregelt (vgl. OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 3. Juni 2004 und 19. Januar 2005 - 8 LA 84/04 und 8 PA 305/04 -). Eine weitergehende Untersuchung zielstaatsbezogener Aspekte ist deshalb nach der Rechtsprechung der Kammer (vgl. Beschluss vom 28. Juni 2005 - 11 B 2413/05 -; Urteil vom 11. Mai 2005 - 11 A 2574/03 -) auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit nicht erforderlich.

25

In der maßgeblichen Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420 a.a.O.) wird zwar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die subjektive Möglichkeit und dabei auch die Zumutbarkeit der freiwilligen Ausreise zu prüfen sei. Diese sich im Übrigen bereits aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) ergebende Voraussetzung jeglichen staatlichen Handelns vermag es aber nicht zu rechtfertigen, darüber hinausgehende zielstaatsbezogene Aspekte in diese Betrachtung mit einzubeziehen. Nach der erwähnten Gesetzesbegründung umfassen die Fälle rechtlicher Ausreisehindernisse im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG inlandsbezogene Gesichtspunkte. Auch für die Unmöglichkeit der Ausreise aus tatsächlichen Gründen werden keine zielstaatsbezogenen Aspekte, sondern die Reiseunfähigkeit, die Passlosigkeit und unterbrochene Verkehrsbedingungen beispielhaft erwähnt. Spezielle aufenthaltsrechtliche Regelungen für die Fälle, in denen zielstaatsbezogene Gesichtspunkte einer Rückkehr entgegenstehen, finden sich zudem in § 25 Abs. 1 - 3 AufenthG. § 60 AufenthG enthält auch bereits einen umfassenden verfassungskonformen Katalog humanitäre zielstaatsbezogener Gründe, insbesondere sind in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auch konkrete Gefahren für Leib und Leben erwähnt, die im Heimatland drohen. Es handelt sich insoweit zwar um Abschiebungs- und nicht um Ausreiseverbote. Wenn jedoch die Abschiebung als Zwangsmaßnahme möglich ist, stehen einer freiwilligen Rückkehr erst recht keine Gründe entgegen. Eine andere Betrachtung würde auch der grundsätzlichen Aufgabenverteilung zwischen Ausländerbehörde und Bundesamt im Asylverfahren entgegenstehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322 ff.; Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 - BVerwGE 105, 383 ff.). Danach prüft im Falle eines Asylverfahrens das Bundesamt abschließend auslandsbezogene Aspekte, während die Ausländerbehörde lediglich sonstige Vollzugshindernisse zu untersuchen hat. Müsste die Ausländerbehörde demgegenüber auch nach Abschluss eines Asylverfahrens im Hinblick auf § 25 Abs. 5 AufenthG weitere zielstaatsbezogene Aspekte untersuchen, würde dieses System aufgebrochen. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber des Zuwanderungsgesetzes an dieser Kompetenzaufteilung etwas ändern wollte, zumal nunmehr in § 72 Abs. 2 AufenthG eine Beteiligung des Bundesamtes sogar dann vorgeschrieben ist, wenn die Ausländerbehörde über zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote entscheidet.

26

Die Ansicht, dass sich gerade aus einem Vergleich zwischen § 25 Abs. 3 und 5 AufenthG ergebe, dass auch Abs. 5 zusätzliche zielstaatsbezogene Gesichtspunkte umfassen müsse, überzeugt die Kammer nicht. Insbesondere ist es nach dem Vorhergesagten unzutreffend, dass für § 25 Abs. 5 AufenthG dann kein Anwendungsbereich bliebe. Die Kammer ist zudem in einem erheblichen Umfang gerade mit Begehren betreffend Aufenthaltstitel dieser Art, insbesondere wegen der tatsächlichen Unmöglichkeit ins Heimatland zurückkehren, befasst.

27

Die in einem obiter dictum geäußerte gegenteilige Einschätzung des Verwaltungsgerichts Braunschweig (Urteil vom 29. Juni 2005 - 6 A 171/05 -) überzeugt die Kammer nicht. Allein der Umstand, dass der Gesetzgeber die Praxis der sog. Kettenduldungen beenden wollten, rechtfertigt sie nicht. Nach der erwähnten Gesetzesbegründung soll die Aufenthaltsgewährung nach § 25 Abs. 5 AufenthG in den bisher von § 55 Abs. 4 AuslG erfassten Fällen erfolgen. Dies betrifft mithin solche, in denen die Abschiebung rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist. Diese Absicht setzt der Gesetzgeber jedoch nicht zweifelsfrei um, denn er stellt im Gegensatz dazu - wie ausgeführt - für § 25 Abs. 5 AufenthG auch auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise ab und setzt zusätzlich voraus, dass ein Unvermögen nicht auf eigenem Verschulden beruht (Sätze 3 und 4). Die Gesetzesbegründung verweist insoweit auch auf § 30 Abs. 3 und 4 AuslG, wonach ebenfalls nur unter diesen Voraussetzungen eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden durfte. Vor diesem Hintergrund lässt sich eine zweifelsfreie gesetzgeberische Intention, dass in den zahlreichen Fällen, in denen Ausländer langjährig geduldet wurden, nunmehr ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre, nicht erkennen. Soweit einzelne auch führende Parlamentarier eine andere Zielrichtung vor Augen hatten, hätte diese in Anbetracht des kompromisshaften Charakters des Zuwanderungsgesetzes und der praktischen Folgen einer solchen Regelung einer insbesondere auch vom Wortlaut eindeutigen gesetzlichen Bestimmung bedurft. Hinzu kommt, dass im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens das Instrument der Duldung ausdrücklich wieder in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden ist (§ 60 a).

28

Im Übrigen beruht das erwähnte Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweigs auf einer nicht überzeugenden Gleichsetzung der Möglichkeit einer Abschiebung und der freiwilligen Ausreise. Auch der Ansicht, dass sich das Land Niedersachsen der Auffassung der UNMIK zur Rückkehrmöglichkeit der Roma angeschlossen habe, vermag die Kammer nicht zu folgen. Nach dem Erlass des Nds. Innenministeriums vom 25. Juni 2004 (S. 4) wird aufgrund der Haltung der UNMIK lediglich von einem tatsächlichen Abschiebungshindernis ausgegangen (vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - 13 LA 572/04 -). Aus einer abgestimmten Niederschrift über die Gespräche zwischen einer deutschen Delegation und Vertretern von UNMIK am 25. und 26. April 2005 sowie den Erlassen des Niedersächsischen Innenministeriums vom 3. Mai 2005, 23. September und 25. Juni 2004 wird deutlich, dass die deutsche Seite - entsprechend der hiesigen Rechtslage - seit langem auf eine schnellere und umfassende Rückführung der aus dem Kosovo stammenden Personen drängt.

29

Dass die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG erteilt werden soll, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist, kann ebenfalls eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen. Denn es handelt sich insoweit nicht um eine Bestimmung der hier in Rede stehenden Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels, sondern um eine Regelung der Rechtsfolgen. Grundsätzlich steht nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG im Falle der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ermessen der Behörde ("kann"), welches jedoch nach Ablauf der genannten Frist regelmäßig dahin auszuüben ist ("soll"), die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. [...]

30

Soweit der 4. Senat des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Beschluss vom 6. Februar 2004 - 4 ME 494/03 -) davon ausgeht, dass bei Angehörigen der Minderheiten aus dem Kosovo eine Rückkehr aus humanitären Gründen im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylBLG nicht zumutbar sei, kann dies auf die strengeren Regelungen des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht übertragen werden (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 3. Juni 2004 a.a.O.,S. 4).

31

Diese Auffassung der Kammer entspricht auch derjenigen zahlreicher anderer Verwaltungsgerichte (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 15. Juli 2005 - 13 S 1103/05 -Leitsatz in juris; Urteil vom 6. April 2005 - 11 S 2779/04 -S. 16; OVG Münster, Beschluss vom 14. März 2005 - 18 ME 195/05 - InfAuslR 2005, 263; VG Osnabrück, Urteil vom 5. April 2005 - 5 A 595/04 -; VG Saarlouis, Beschluss vom 2. März 2005 - 10 K 173/04 -; tendenziell auch VG Hannover, Beschluss vom 30. August 2005 - 13 B 4894/05 -)."

32

Auch das Nds. OVG hat entschieden, dass den Roma und anderen Minderheiten aus dem Kosovo die freiwillige Ausreise in ihr Heimatland nicht im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG unmöglich ist (vgl. Beschluss vom 24. Oktober 2005 - 8 LA 123/05 -).

33

Da es sich bei den Klägern um Zugehörige der ethnischen Minderheit der Bosniaken handelt, ist zudem zu berücksichtigen, dass auch deren zwangsweise Rückführung in den Kosovo wieder möglich ist (Erlass des Nds. MI vom 3. Mai 2005; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22. November 2005, S. 24).

34

c. Auch folgt mit Rücksicht auf den langen Aufenthalt der Kläger aus Art. 8 EMRK kein rechtliches Ausreisehindernis.

35

Nach Abs. 1 der genannten Vorschrift wird u.a. das Privatleben geschützt. Abs. 2 ermöglicht aber Eingriffe u.a. dann, wenn dies gesetzlich vorgesehen und für die öffentliche Ordnung notwendig ist, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist.

36

Grundsätzlich ist es hierbei das Recht der Vertragsstaaten über den Aufenthalt fremder Staatsangehöriger zu entscheiden. Die Regelungen des AufenthG begründen hiernach zulässige Schranken des Aufenthaltsbestimmungsrechts eines Ausländers. Sie dienen u.a. der Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Nach § 4 AufenthG ist es deshalb grundsätzlich erforderlich, einen Aufenthaltstitel zu besitzen. Dabei ist in den Bestimmungen des AufenthG im Einzelnen geregelt, unter welchen Voraussetzungen diese erteilt werden können. Dem steht es grundsätzlich entgegen, allein durch den faktischen Aufenthalt mit der hiermit häufig verbundenen Integration in die deutschen Lebensverhältnisse ein Bleiberecht zu begründen.

37

Ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens lässt sich angesichts dieser Regelungskompetenz der Vertragsstaaten mithin nicht schon allein mit dem Argument bejahen, ein Ausländer halte sich bereits seit geraumer Zeit im Vertragsstaat auf und wolle dort sein Leben führen (EGMR, Urteil vom 7. Oktober 2004 - 33743/03 - [Dragan u.a. ./. Deutschland], NVwZ 2005, 10431045; Urteil vom 16. September 2004 - 11103/03 - [Ghiban./.Deutschland], NVwZ 2005, 1046). Eingriffsqualität in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 EMRK kommt einer aufenthaltsrechtlichen Entscheidung grundsätzlich vielmehr nur dann zu, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, bei realistischer Betrachtung nur noch im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK führen kann, also faktisch zum Inländer geworden ist. Ob eine solche Fallkonstellation für einen Ausländer in Deutschland vorliegt, hängt zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland, zum anderen von seiner Möglichkeit zur Reintegration in seinem Heimatland ab (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. April 2006 - 10 ME 58/06 -; Beschluss vom 18. April 2006 - 1 PA 64/06; OVG Koblenz, Beschluss vom 24. Februar 2006 - 7 B 10020/06.OVG -).

38

Nach der Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts (a.a.O.; wohl auch VGH Mannheim, Beschluss vom 2. November 2005 - 1 S 3023/04 - InfAuslR 2006, 7071), der die Kammer folgt, kann unter Berücksichtigung der oben zitierten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und den obigen grundsätzlichen Ausführungen allerdings von einer erfolgreichen Integration des Ausländers in aller Regel nicht ausgegangen werden, wenn er sich in der Zeit vor der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis nicht rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat. Sein Status ist dann so ungesichert, dass er nicht schutzwürdig darauf Vertrauen kann, in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben zu dürfen. Eine andere Betrachtung würde im gewaltengeteilten Staat (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) auch die den Ausländerbehörden bzw. den Verwaltungsgerichten zugewiesenen Kompetenzen, die im Vollzug und der Auslegung von Rechtsvorschriften bestehen, überschreiten. Es würde ohne - die von Art. 8 EMRK grds. respektierte - gesetzgeberische Erklärung oder politische Entscheidung der obersten Landesbehörden im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern (§ 23 AufenthG) der Verbleib größerer Personengruppen, die die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht erfüllen, ermöglicht. Dass es solcher politischer Entscheidungen bedarf, zeigt zudem der Umstand, dass diese Stellen durch hinreichend eindeutige Kriterien bestimmen müssten, welche der betroffenen Ausländer ein Aufenthaltsrecht erhalten.

39

Etwas anderes kann deshalb nur in besonderen atypischen Konstellationen gelten, wenn sich auf Grund der Umstände des Einzelfalles ganz ausnahmsweise ergibt, dass der Ausländer trotzdem faktisch zum Inländer geworden ist und deshalb jede andere Entscheidung als die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht mehr verständlich wäre. Anderenfalls würde auch ein nicht hinzunehmender Wertungswiderspruch zu der Regelung des § 25 Abs. 4 Satz 2 AufenthG eintreten, wonach selbst die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis außerhalb der gesetzlichen Vorgaben nur in Sonderkonstellationen zulässig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 14/00 - InfAuslR 2001, 7274).

40

Bei der Prüfung, ob ein atypischer Sonderfall vorliegt sind im Anschluss an die Rechtsprechung des Nds. Oberverwaltungsgerichts (a.a.O.; vgl. auch OVG Koblenz a.a.O.) vor allem folgende Kriterien zu berücksichtigen, die grundsätzlich sämtlich für einen Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland sprechen müssen: Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts in Deutschland, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes, in einem festen Wohnsitz, einer Sicherstellung des ausreichenden Lebensunterhalts einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel und dem Fehlen von Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Die Frage einer möglichen Reintegration im Heimatland bemisst sich nach Kriterien wie der Kenntnis der dortigen Sprache, der Existenz dort lebender Angehöriger sowie sonstiger Bindungen an das Heimatland. Ein atypischer Sonderfall kommt dabei eher in Fällen in Betracht, in denen der Aufenthalt des Ausländers in der Vergangenheit zumindest zeitweise rechtmäßig gewesen ist (vgl. EGMR, Urteil vom 16. Juni 2005 - 60654/00 [Sisojeva./.Lettland], InfAuslR 2005, 349). Dann können - je nach Dauer und Zweck des erlaubten Aufenthalts - an die zu Gunsten des Ausländers sprechenden o.g. Gesichtspunkte in gewissem Umfang geringere Anforderungen gestellt werden, müssen aber auch dann noch ganz erheblich überwiegen.

41

Unter Beachtung dieser Maßstäbe liegt nach Ansicht der Kammer eine besonders atypische Konstellation nicht vor.

42

Die Kläger haben zu keiner Zeit einen Aufenthaltstitel besessen. Die Kläger zu 1) und 2) sind im Alter von 25 bzw. 21 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland gekommen und leben erst seit ca. 7 Jahren hier. Damit hat ihr Aufenthalt noch keinen Zeitraum erreicht, der als "langjährig" bezeichnet werden könnte und/oder die Annahme besonderer Integration nahe legte (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom 18. April 2006 - 1 PA 64/06 -). Auch beherrschen sie ihre Muttersprache besser als die deutsche, sodass insoweit einer Rückkehr in das Heimatland keine Hindernisse entgegenstehen.

43

Der Kläger zu 1) war allerdings insgesamt ca. 4 Jahre erwerbstätig, wenngleich er von November 2004 bis einschließlich Januar 2006 arbeitslos gewesen ist. Die Familie ist daher nicht auf Sozialhilfeleistungen angewiesen.

44

Auch die Tatsache, dass die Kläger zu 3) bis 5) die Grundschule bzw. den Kindergarten besuchen und wohl auch gute Deutschkenntnisse besitzen, spricht für ihre Integration. Allerdings können die Kläger zu 1) und 2) ihre Kinder angesichts ihres Alters noch in geeigneter Weise auch auf ein Leben außerhalb der Bundesrepublik Deutschland vorbereiten. Die für die Kläger sprechenden Gesichtspunkte überwiegen damit noch nicht in der erforderlichen eindeutigen Weise.