Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.10.2005, Az.: 9 ME 190/05
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.10.2005
- Aktenzeichen
- 9 ME 190/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 44008
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2005:1014.9ME190.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - AZ: 11 B 2006/05
Amtlicher Leitsatz
Die Abschiebung einer vietnamesischen Staatsangehörigen, deren vietnamesischer Ehemann, der über eine Aufenthaltserlaubnis verfügt, in einer anderen Stadt lebt, ist nicht unzumutbar.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO), rechtfertigen eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses nicht.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass der verheirateten Antragstellerin, die nicht mit ihrem vietnamesischen Ehemann, der im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, in einer gemeinsamen Wohnung zusammenlebt, ein Anspruch auf Erteilung einer Duldung nicht zusteht. Die Voraussetzungen für eine Duldung (§ 60 a Abs. 2 AufenthG) liegen nicht vor. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Antragstellerin, die als unanfechtbar abgelehnte Asylbewerberin vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Ausreise nach Vietnam aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, der am 20. August 2004 gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis habe weder die Duldungsfiktion nach § 69 Abs. 2 AuslG noch die Erlaubnisfiktion des § 81 Abs. 3 AufenthG ausgelöst. Dem kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, ihre im Rechtssinne unerlaubte Einreise sei unbeachtlich, weil sie sich auf das Grundrecht auf Asyl berufen habe. Denn unbeschadet der Frage, ob ihre Einreise aus der damaligen CSFR zum Zwecke der Asylbeantragung als unerlaubt im Sinne des § 69 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 AuslG zu werten war, scheitert die Duldungsfiktion bereits an § 69 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 AuslG. Die Antragstellerin war nämlich zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits aufgrund des Bescheids des Bundesamtes vom 1. November 1993 ausreisepflichtig und noch nicht ausgereist. Der Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 S. 1 AufenthG steht entgegen, dass die Antragstellerin seit der Ablehnung ihres Asylantrages lediglich im Besitz einer Duldung war und sich deshalb nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin steht ihrer Abschiebung weder der durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz von Ehe und Familie noch Art. 8 EMRK entgegen. Artikel 6 Abs. 1 GG, der Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt, kann unter bestimmten Voraussetzungen zu einem Abschiebungshindernis führen. Artikel 6 GG gewährt allerdings unmittelbar keinen Anspruch auf Aufenthalt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 C 19.96 - InfAuslR 1998, 213, 214). Die entscheidende Behörde hat aber die familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, bei der Anwendung offener Tatbestände und bei der Ermessensausübung pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz von Ehe und Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Artikel 6 Abs. 1 GG, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über den Aufenthalt seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 - BVerfGE 80, 81 = DÖV 1989, 674 = NJW 1989, 2195). Die Berücksichtigung des Schutzes von Ehe und Familie kann nur geringeres Gewicht beanspruchen, wenn der Ehegatte die Staatsangehörigkeit des ausreisepflichtigen Ausländers teilt, ohne zugleich deutscher Staatsangehöriger zu sein. Eine Rückkehr in das Land gemeinsamer Staatsangehörigkeit ist, wenn nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen, dem anderen Ehegatten im Interesse der Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft zuzumuten (OVG Berlin, Beschlüsse vom 17. Juni 2004 - OVG 8 S 70.04 - NVwZ - RR 2005, 20).
Nach der Rechtsprechung (OVG Berlin, Beschlüsse vom 17.6.2004 - OVG 8 S 70.04 - a.a.O.; vom 2.9.2002 - OVG 8 S 144.02 - zitiert nach juris) ist ein Ausländer prinzipiell darauf verwiesen, die familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen ausländischen Familienangehörigen im gemeinsamen Heimatland herzustellen und zu wahren, solange die Voraussetzungen - wie hier - für einen Ehegattennachzug nicht vorliegen (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9.5.2000 - 17 B 622/00 - zitiert nach Juris; OVG Berlin, Beschluss vom 21.2.2003 - OVG 3 S 2.03 -). Dies gilt auch, wenn sich die Ehefrau - wie die Antragstellerin - bereits in der Bundesrepublik aufhält. Ist dem ausländischen Familienangehörigen im Einzelfall die Rückkehr in das gemeinsame Heimatland nicht zumutbar, kann dies ein Abschiebungshindernis begründen (OVG Berlin, Beschluss vom 17.6.2004 - 8 S 70/04 - a. a. O.).
Der Antragstellerin ist eine Rückkehr in ihr Heimatland nicht unzumutbar. Sofern die Antragstellerin befürchtet, nach einer Rückkehr in ihr Heimatland nicht wieder zu ihrem Ehemann in die Bundesrepublik zurückkehren zu können, weil das Einkommen ihres Ehemannes für einen gemeinsamen Lebensunterhalt nicht ausreichend sei, führt dieser Ansatz nicht zu einer Unzumutbarkeit einer Rückkehr. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG muss die Sicherung des Lebensunterhalts als allgemeine Erteilungsvoraussetzung für eine Aufenthaltserlaubnis im Rahmen des Ehegattennachzugs gewährleistet sein. Wenn die Antragstellerin diese Voraussetzung nicht erfüllt, unterscheidet sie sich insofern nicht von anderen im Ausland lebenden Ehegatten, die bereits vor einer Einreise nicht die Voraussetzungen des Ehegattennachzugs erfüllen. Insofern kann es für die Frage der Zumutbarkeit keine Rolle spielen, dass die Antragstellerin diese gesetzliche Voraussetzung derzeit nicht erfüllt, zumal Änderungen in der Frage der Sicherung des Lebensunterhalts nicht ausgeschlossen sind.
Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Ehemann der Antragstellerin, der in Hannover arbeitet, mit einer Wohnung im Landkreis Gifhorn gemeldet ist, während die Antragstellerin in Hannover lebt. Eine gemeinsame eheliche Wohnung besteht derzeit in der Bundesrepublik nicht. Dass eine solche besteht, wird auch von der Antragstellerin nicht behauptet. Von daher scheint die hier möglicherweise gelebte eheliche Lebensgemeinschaft nicht besonders ausgeprägt zu sein, was ihre Schutzwürdigkeit mindert.
Ebensowenig greift Art. 8 EMRK zu Gunsten der Antragstellerin ein. Nach der Rechtsprechung des EGMR (Urteil vom 19.2.1996 - 53/1995/559/645 - InfAuslR 1996, 245) kann Artikel 8 EMRK nicht dahin ausgelegt werden, dass er den Staat generell dazu verpflichtet, die Wahl des ehelichen Wohnsitzes eines Ehepaares im Inland zu respektieren und eine Familienzusammenführung in seinem Staatsgebiet zu bewilligen; um den Umfang der staatlichen Verpflichtungen zu bestimmen, müssen die Tatsachen des einzelnen Falles berücksichtigt werden. Art. 8 EMRK beschränkt nicht das Recht der Vertragsstaaten, die Beachtung besonderer Einreisevorschriften wie etwa der Vorschrift zu verlangen, die Aufenthaltsgenehmigung im Wege der Visumserteilung zu beantragen (BVerwG, Urteil vom 18.6.1996 - BVerwG 1 C 17.95 - BVerwGE 101, 265 = DVBl 1997, 174 = NVwZ 1997, 192).
Ob die Einschätzung der Antragstellerin, § 5 Abs. 2 AufenthG stehe einer Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht entgegen, zutrifft, kann der Senat offen lassen. Auch wenn nach § 5 Abs. 2 S. 2 AufenthG von dem Erfordernis der Einreise mit dem erforderlichen Visum für den von der Antragstellerin beabsichtigten Daueraufenthalt abgesehen werden kann, wenn es auf Grund besonderer Umstände nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen, kann dahinstehen, ob solche unzumutbaren Umstände bei der Antragstellerin vorliegen, denn einer im Ermessen der Antragsgegnerin stehenden Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 30 Abs. 2 AufenthG steht bereits § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegen, wonach der Lebensunterhalt der Antragstellerin gesichert sein muss, was vorliegend derzeit nicht der Fall ist.