Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 11.08.2010, Az.: 1 A 275/10

Rechtmäßigkeit der Ausweisung eines in 2000 eingereisten Iraners nach einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten; Annahme eines öffentlichen Interesses an der Ausweisung eines iranischen Jugendstraftäters trotz besonderen Interesses an einem Verbleib im Bundesgebiet wegen der Einreise im Alter von nur zehn Jahren und fehlenden persischen Sprachkenntnissen; Auswirkungen einer schweren Krebserkrankung und von schweren Depressionen eines Elternteils auf die Abschiebung des zwanzigjährigen Kindes; Auswirkungen der örtlichen Unzuständigkeit einer Behörde auf eine Ausweisung; Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung eines zwanzigjährigen Iraners unter Abwägung des Schutzes der Familie einerseits und seiner hohen Straffälligkeit andererseits

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
11.08.2010
Aktenzeichen
1 A 275/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 24787
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2010:0811.1A275.10.0A

Verfahrensgegenstand

Ausweisung, Aufenthaltserlaubnis

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Stade - 1. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 11. August 2010
durch
die Präsidentin des Verwaltungsgerichts Lang,
den Richter am Verwaltungsgericht Fahs,
die Richterin am Verwaltungsgericht Dieck sowie
die ehrenamtliche Richterin D. und
den ehrenamtlichen Richter E.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis und wendet sich zugleich gegen seine Ausweisung.

2

Er ist am 15. April 1990 im Iran geboren und reiste im November 2000 zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester in das Bundesgebiet ein. Den Asylantrag des Klägers lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) mit Bescheid vom 21. Juni 2002 ab. Gleichzeitig stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz - AuslG - und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und drohte ihm die Abschiebung in den Iran an. In der Folgezeit wurde der Kläger zunächst im Bundesgebiet geduldet. Nachdem das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Hinblick auf den Iran für die Mutter des Klägers das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG festgestellt hatte, erhielt diese eine Aufenthaltserlaubnis. Am 3. März 2005 erteilte der Beklagte auch dem Kläger eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die er in der Folgezeit jeweils bis zum 9. März 2008 verlängerte. Am 28. Februar 2008 beantragte der Kläger die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis.

3

Der Kläger ist wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten. Am 15. Oktober 2004 sah die Staatsanwaltschaft F. im Hinblick auf eine Beleidigung gemäß § 45 Abs. 1 Jugendgerichtsgesetz von der Verfolgung ab. Am 14. Dezember 2005 verhängte das Amtsgericht F. wegen Körperverletzung in zwei Fällen, versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Hausfriedensbruch und Beihilfe zum Diebstahl einen Freizeitarrest. Am 13. September 2006 verurteilte das Amtsgericht F. (G.) den Kläger wegen gemeinschaftlichen Raubes in drei Fällen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten, wobei die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde (H.). Am 30. August 2007 verurteilte das Amtsgericht F. (G.) den Kläger wegen Begünstigung und Diebstahls. Unter Einbeziehung des Urteils vom 13. September 2006 wurde gegen den Kläger eine Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt (I.)). Unter dem 12. September 2007 verhängte das Amtsgericht F. gegen den Kläger eine Jugendstrafe in Höhe von 6 Monaten (J.). Der Verurteilung lag eine gefährliche Körperverletzung zu Grunde. Auf die Berufung des Klägers gegen die Urteile vom 30. August 2007 und vom 12. September 2007 hin stellte das Landgericht F. das Verfahren hinsichtlich des Tatvorwurfs des Diebstahls ein. Unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts F. vom 13. September 2006 verhängte das Landgericht F. mit Urteil vom 19. Februar 2008 eine Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Mit Urteil vom 23. September 2008 (K.) verurteilte das Landgericht F. den Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung. Unter Einbeziehung der bereits genannten Urteile des Amtsgerichts F. sowie des Landgerichtes F. verhängte es eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Seit dem 3. Januar 2008 befindet sich der Kläger in Haft, seit 16. April 2008 in der Jugendanstalt in L..

4

Im Dezember 2008 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er beabsichtige, ihn für unbefristete Zeit aus dem Bundesgebiet auszuweisen und seine Abschiebung in den Iran anzuordnen. Der Kläger wandte sich hiergegen und trug im Wesentlichen Folgendes vor: Der Beklagte sei bereits für die angekündigte Entscheidung nicht zuständig. Dies sei vielmehr die Ausländerbehörde in L.. Dies folge auch daraus, dass er, der Kläger, familiäre Beziehungen nicht nur nach M. sondern auch nach N. habe, wo sein Vater lebe. Einer Ausweisung stehe Art. 8 EMRK entgegen. Er sei mit zehn Jahren in die Bundesrepublik Deutschland gekommen und habe sein gesamtes Lebensumfeld hier. Da weder seine Mutter noch sein Vater in den Iran reisen könnten, würden diese zentralen Kontakte durch die Ausweisung abgeschnitten. Er habe hier die Schule besucht und im Sportverein Fußball gespielt. Er verfüge über sehr gute Deutschkenntnisse, diese Sprache stelle seine wichtigste Sprache dar, mit der er kommuniziere. Persisch könne er nicht lesen oder schreiben. Seine Ausweisung werde auch gravierende gesundheitliche Folgen für seine Mutter haben, die krebskrank sei und aufgrund dieser Erkrankung mit einem Behinderungsgrad von 60% als Behinderte anerkannt sei. Sie leide darüber hinaus seit Jahren unter schweren Depressionen. Im Jahre 2002 habe sie einen Selbstmordversuch unternommen. Im Falle einer Trennung von ihm, dem Kläger, durch eine erzwungene Ausreise sei mit einer schweren psychischen Dekompensation und einem erneuten Suizidversuch zu rechnen. Es sei aufgrund des entsprechenden Drucks auch mit einer gravierenden Verschlechterung der Krebserkrankung zu rechnen.

5

Mit Bescheid vom 26. Januar 2010 wies der Beklagte den Kläger für unbefristete Zeit aus dem Bundesgebiet aus. Weiter lehnte er den Antrag vom 28. Februar 2008 auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab. Da die Ausreise des Klägers der Überwachung bedürfe, werde die Abschiebung in den Iran angeordnet. Für den Fall, dass der Kläger vor Eintritt der Rechtskraft der Verfügung aus der Haft entlassen werden sollte, werde ihm die Abschiebung in den Iran angedroht, wenn er das Bundesgebiet nicht innerhalb eines Monats nach Rechtskraft der Verfügung verlassen werde. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen Folgendes aus:

6

Im Falle des Klägers seien die Voraussetzungen für eine Ausweisung auf der Grundlage von § 53 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - gegeben. Besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG bestehe nicht. Wegen des Umstandes, dass der Kläger als Kind in das Bundesgebiet eingereist sei und hier aufgewachsen sei, werde dennoch eine Ermessensentscheidung getroffen und das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers und der damit verbundenen Durchsetzung seiner Ausreiseverpflichtung gegen dessen persönliches Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet abgewogen. Es werde nach Maßgabe des § 55 Abs. 3 AufenthG die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts sowie die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet berücksichtigt. Weiter berücksichtige er die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen oder Lebenspartner, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten und mit ihm in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebten und die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 AufenthG. Bei einer Einzelfallbetrachtung sei festzustellen, ob aufgrund des bisher gezeigten Verhaltens des Klägers davon auszugehen sei, dass durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet auch weiterhin eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu befürchten sei.

7

Der Beklagte setzte sich weiter mit den Ausführungen der zweiten Fortschreibung des Erziehungs- und Förderplans gemäß § 117 NJVollzG der Jugendanstalt L. vom 9. März 2009 sowie der dritten Fortschreibung vom 9. Juli 2009 und der vierten Fortschreibung vom 3. November 2009 auseinander. Insgesamt sei festzustellen, dass der Kläger in der Jugendhaftanstalt zwar erfolgreich den qualifizierten Hauptschulabschluss erreicht habe. Darüber hinaus gehende Leistungen seien jedoch nicht ersichtlich, wobei festzustellen sei, dass ein positives Verhalten während der Haftzeit nicht erwartet werden dürfe. Letztlich habe der Kläger jedoch aufgrund der Vielzahl von Straftaten, die auch während bestehender Bewährungszeiten erfolgt seien, gezeigt, dass er nicht bereit sei, gesetzliche Vorgaben der Bundesrepublik Deutschland zu beachten und sich dementsprechend zu verhalten. Bei den Straftaten habe es sich überwiegend um Rohheitsdelikte gegen andere Personen gehandelt. Der Kläger habe billigend in Kauf genommen, dass andere Personen geschädigt werden und habe die Straftaten überwiegend in Jugendbanden begangen. Der massiven straffälligen Entwicklung müsse mit Entschiedenheit begegnet werden. Nur durch eine konsequente Beendigung des Aufenthalts könne dazu beigetragen werden, dem Schutz und Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung entsprechend Rechnung zu tragen. Um eine konkrete Wiederholungsgefahr auf ein nicht auszuschließendes Restrisiko zu vermindern, könne der von dem Kläger ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nur begegnet werden, indem der Verlust des Rechts auf Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt werde und der Kläger von dem Bundesgebiet nachhaltig ferngehalten werde. Das bisherige ständige strafrechtliche Verhalten des Klägers lasse den Schluss zu, dass eine konkrete Wiederholungsgefahr vorliege und dass er auch in Zukunft erhebliche Straftaten begehen werde, sofern er aus der Haft entlassen würde. Die Ausweisung sei deswegen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gerechtfertigt.

8

Während des knapp zehnjährigen Aufenthalts sei der Kläger für die Dauer von vier Jahren im Besitz eines Aufenthaltstitels gewesen. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts stehe der Ausweisung nicht entgegen, denn dem Kläger sei es nicht gelungen, sich während seines Aufenthalts sozial und wirtschaftlich zu integrieren.

9

Auch mit Rücksicht auf die familiären Bindungen des Klägers, der bis zu seiner Festnahme bei seiner Mutter, seinem Stiefvater und den Geschwistern gelebt habe, sei die Ausweisung im Hinblick auf den aus Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK folgenden Schutz von Ehe und Familie zulässig. Der Kläger sei nämlich volljährig und auf die Betreuung durch die Familienangehörigen nicht mehr angewiesen. Da ihn auch die familiäre Situation nicht davon abgehalten habe, erhebliche Straftaten über einen längeren Zeitraum zu begehen, sei davon auszugehen, dass er sich dem Einfluss seiner Mutter und seiner sonstigen Familienangehörigen entzogen habe. Soweit die psychische Erkrankung der Mutter herangezogen werde und geltend gemacht werde, dass sie sich mit Suizidgedanken trage, sei festzustellen, dass der Mutter des Klägers sein strafrechtliches Verhalten bekannt gewesen sei. Da er dieses Verhalten im Alter von 13 bzw. 14 Jahren begonnen habe, habe sie durchaus ihren Einfluss geltend machen können und müssen, um ihren Sohn von dieser kriminellen Karriere abzuhalten.

10

Sonstige Gründe, die zu einer Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG führen könnten, lägen nicht vor. Zusammenfassend überwiege im Falle des Klägers das öffentliche Interesse an der Ausweisung sein persönliches Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Aufgrund des bisher gezeigten Verhaltens müsse davon ausgegangen werden, dass ihn auch strafrechtliche Verurteilungen nicht in der Weise beeindruckten, dass sich an seinem strafrechtlichen Verhalten etwas ändere. Er nehme billigend in Kauf, dass die Opfer seiner Straftaten unter den Folgen dieser Straftaten zu leiden hätten. Selbst in der Jugendanstalt in L. versuche er Machtpositionen aufzubauen und jugendliche Mithäftlinge zu drangsalieren. Gerade sein Verhalten in der Jugendanstalt mache deutlich, dass er eine erhebliche kriminelle Energie besitze und auch zukünftig nicht davon abgehalten werde, diese kriminelle Energie zu nutzen und andere Personen zu schädigen.

11

Der Kläger hat am 23. Februar 2010 gegen die von dem Beklagten getroffenen Entscheidungen Klage erhoben. Auf seinen Antrag hin hat das Gericht die aufschiebende Wirkung seiner Klage angeordnet, soweit sie gegen die Versagung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtet ist (Beschluss vom 9.6.2010 - 1 B 606/10 -). Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beklagten war erfolglos (NdsOVG, Beschl. v. 8.7.2010 - 13 ME 123/10 -).

12

Zur Begründung seiner Klage wiederholt und vertieft der Kläger zunächst seine bisherigen Ausführungen. Ergänzend trägt er vor:

13

Der Bescheid des Beklagten sei bereits formell rechtswidrig, weil der Beklagte örtlich nicht zuständig sei. Es komme nach§ 3 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG i.V. mit § 1 NdsVwVfG auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen an. Dies sei in seinem Fall der Haftort, also L..

14

Auch materiell sei die Ausweisung rechtswidrig. Entgegen der Annahme des Beklagten genieße er, der Kläger, besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Zwar sei ihm die Aufenthaltserlaubnis erst am 3. März 2005 erteilt worden. Er habe aber bereits früher einen Anspruch auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gehabt. Mit Bescheid vom 11. November 2004 habe das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge auf der Grundlage des Urteils des erkennenden Gerichts vom 18. August 2004 festgestellt, dass für die Mutter des Klägers Abschiebungshindernisse vorliegen. Die lange Bearbeitungsdauer dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen.

15

Seiner Ausweisung in den Iran stehe mit Rücksicht auf Art. 8 EMRK seine Verwurzelung in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland entgegen. Er sei im Alter von 10 Jahren in die Bundesrepublik eingereist, spreche Farsi nur bruchstückhaft und könne es weder lesen noch schreiben. Familiäre Beziehungen bestünden praktisch nicht mehr im Iran. Er habe auch mit einer Ausgrenzung zurechnen, weil er als Sohn einer Ehebrecherin angesehen werden würde, die seinen Vater und die Familie entehrt habe. Auch wenn es sich insoweit um zielstaatsbezogene Umstände handele, seien sie in diesem Verfahren zu berücksichtigen, weil sie seine Entwurzelung aus der iranischen Kultur verdeutlichten. Er sei westlich sozialisiert.

16

Zu seinen Gunsten sei weiter zu berücksichtigen, dass er sämtliche Straftaten in minderjährigem Alter begangen habe. Es sei geradezu wesenstypisch, dass er die Taten teilweise trotz laufender Bewährung begangen habe, weil junge Straftäter oft erst bei der ersten "echten" Inhaftierung zu Vernunft kämen. So sei es auch bei ihm. Dies zeige sich daran, dass er in der Haft seinen Schulabschluss nachgeholt habe und sich um seine berufliche Qualifikation kümmere. Er bemühe sich auch um seine weitere Ausbildung. Während der Haft habe er an dem Gesprächskreis Alkohol, Drogen, Therapie - GADT - teilgenommen. Er habe den Hauptschulabschluss absolviert und an einer Qualifizierungsmaßnahme als Glas - und Gebäudereiniger teilgenommen. Er habe ein Arbeitsangebot von der "O. ", Inhaberin P. Q., in R. vorliegen. Dort könne er nach der Haftentlassung eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Bei der Kreisvolkshochschule F. habe er sich für den Kurs "Realschule am Tage" angemeldet, der am 6. September 2010 beginnen werde.

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Der Beklagte berufe sich zu Unrecht auf seine fehlende wirtschaftliche Integration. Diese sei nicht Folge seines Unwillens, sondern seines Alters. Bereits vor Volljährigkeit sei er dauerhaft inhaftiert worden. Seine Entwicklung im Strafvollzug sei zwar nicht beanstandungsfrei. Es sei aber nicht zu erneuten strafrechtlichen Verurteilungen gekommen. Er habe sich innerhalb der Justizvollzugsanstalt nicht so negativ entwickelt, wie es der Beklagte in seinem angefochtenen Bescheid zugrunde lege. Er beabsichtige auch, nach seiner Haftentlassung den offensichtlich schädlichen Bekanntenkreis in F. zu meiden. Den ergangenen Urteilen sei zu entnehmen, dass sich seine Taten als Ergebnisse einer erheblichen Gruppendynamik darstellten und er nicht als "Rädelsführer" der Taten angesehen werden könne. Der problematische Bekanntenkreis habe sich nach den Verurteilungen weitgehend aufgelöst. Die Rückfallgefahr sei deswegen erheblich vermindert.

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Weiter sei die psychische Erkrankung seiner Mutter nicht als gewichtiger Aspekt in die Erwägung eingestellt worden, was der Beklagte zu Unrecht damit begründe, dass die Mutter ihn, den Kläger, nicht von der Begehung der Straftaten abgehalten habe. Den ärztlichen Stellungnahmen sei zu entnehmen, dass seine Mutter auch und gerade wegen der Straffälligkeit psychische Probleme habe. Sie mache sich selbst Vorwürfe. Es sei Wesen einer depressiven Erkrankung, dass auch eigener Kraft die erforderlichen Schritte nicht eingeleitet werden könnten. Es sei seiner Mutter gesundheitlich unmöglich gewesen, hinreichend Einfluss auf ihn, den Kläger, zu nehmen. Die Vorstellung, er könne abgeschoben werden, sorge für eine erhebliche Verschlechterung ihres Zustandes. Unverhältnismäßig sei die ausgesprochene Ausweisung auch deshalb, weil sie unbefristet ausgesprochen worden sei.

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Im Übrigen habe er zumindest Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 34 Abs. 2 in Verbindung mit § 35 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Der Beklagte habe von seinem Ermessen bereits deshalb fehlerhaft Gebrauch gemacht, weil er nicht geprüft habe, ob ihm, dem Kläger, wegen seiner familiären und persönlichen Bindungen trotz der wirksamen Ausweisung eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen sei. Zumindest dann, wenn die Vollstreckung der Jugendstrafe auf Bewährung ausgesetzt werde, könne er nach § 34 Abs. 2 i.V. mit § 35 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis verlangen.

20

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 26. Januar 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen bzw. zu verlängern,

21

hilfsweise,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Januar 2010 zu verpflichten, über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erneut zu entscheiden und dabei die Rechtsauffassung des Gerichts zu beachten.

22

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

23

Er wiederholt zunächst die Gründe des angegriffenen Bescheides. Ergänzend trägt er vor:

24

Insgesamt sei festzustellen, dass sich der Kläger auch während der Haftzeit nicht um eine langfristige positive Entwicklung bemüht habe. Eine positive Persönlichkeitsentwicklung sei nicht erkennbar, eine glaubwürdige und endgültige Distanzierung von seinen Straftagen habe nicht stattgefunden. Der Kläger führe sich auch in der Strafhaft nicht beanstandungsfrei. Im Rahmen der Fortschreibung des Erziehungs- und Förderplanes vom 9. Juli 2009 sei zwar festgehalten, dass er eine positive Entwicklung gemacht habe. Bereits bei der erneuten Fortschreibung am 3. November 2009 sei festgehalten, dass er sich zunehmend so negativ entwickelt habe, dass eine Verlegung zurück in die Orientierungsabteilung habe erfolgen müssen. Er habe sich nicht mehr motiviert gezeigt, an seiner Gewaltproblematik zu arbeiten. Aus der Fortschreibung vom 18. März 2010, der Sonderfortschreibung aus Anlass seines Antrages auf vorzeitige Entlassung, sei festgehalten, dass er für die Trainingsmaßnahme "Leben ohne Gewalt organisieren" - LoGo - kaum Motivation für die Maßnahme und Lernbereitschaft habe erkennen lassen. Er habe während der Haft wiederholt zu Suchtmitteln gegriffen. Aktuell sei er wieder verlegt worden, weil ein Ermittlungsverfahren gegen ihn geführt werde. Es bestehe der Verdacht eines Drogenhandels in der JVA. Insgesamt sei nicht ersichtlich, dass der Kläger sich von seinen bisherigen Verhaltensweisen abkehren werde. Nach der Entlassung plane er, wiederum an seinen alten Wohnort zu ziehen. Es könnte deswegen davon ausgegangen werden, dass er zu seinem alten Freundeskreis zurückkehren werde.

25

Auch die vorgetragene Gesundheitsgefährdung der Mutter des Klägers rechtfertige es mit Rücksicht auf das erhebliche Gewaltpotential, das von dem Kläger ausgehe, nicht, von der Ausweisung abzusehen. Aus dem Attest vom 7. Juni 2009 ergebe sich auch nicht, dass diese - wie es der Kläger angebe - suizidal sei. Die psychische Situation der Mutter des Klägers sei nicht grundlegend anders als die anderer Eltern, deren Kinder von der Abschiebung bedroht seien. Es sei zwar nicht zu verkennen, dass es für sie eine schwerwiegende psychische Belastung sei. Es seien aber die Ärzte und ihre Familie dazu aufgerufen, die Mutter des Klägers zu unterstützen und zu betreuen, damit sie genesen könne.

26

Eine Ausweisung sei mit Art. 8 EMRK vereinbar, wenn sie durch ein herausragendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt sei und in Bezug auf das verfolgte Ziel verhältnismäßig sei. Das sei hier der Fall, denn der Kläger sei immer wieder straffällig geworden, wobei er sein strafrechtliches Verhalten gesteigert habe. Er habe mit seinem Verhalten Menschenleben gefährdet und die Gesundheit anderer erheblich beeinträchtigt. Es sei dem Schutz und Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung Rechnung zu tragen und die Bevölkerung vor derartigen Intensivtätern zu beschützen.

27

Da der Kläger erst im Alter von 10 Jahren in das Bundesgebiet eingereist sei, sei ihm die Lebensweise im Iran hinreichend bekannt. Es könne ihm wegen seines Alters zugemutet werden, sich in die Verhältnisse in seinem Heimatland einzugliedern und sich dort eine Existenz aufzubauen. Es sei auch davon auszugehen, dass er dort eine Schule besucht habe und deswegen auch die dortige Sprache lesen und schreiben könne. Ansonsten sei ihm zuzumuten, dies zu lernen. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf der Grundlage des § 25 Abs. 5 AufenthG komme nicht in Betracht, weil es dem Kläger tatsächlich und rechtlich möglich sei, in den Iran auszureisen.

28

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Dem Gericht haben weiter das Vollstreckungsheft des Amtsgerichts L. (13 VRJS 363/09) sowie die seine Mutter betreffenden Akten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (2615071- 439) vorgelegen.

Erwägungen

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Die Klage bleibt ohne Erfolg. Sie ist mit dem Haupt- und dem Hilfsantrag zulässig, aber unbegründet.

30

Dies gilt zunächst, soweit sich der Kläger gegen seine Ausweisung wendet.

31

Dabei kann offen bleiben, ob der Beklagte mit Rücksicht auf § 100 Abs. 1 Satz 2 NdsSOG, der als spezielle Vorschrift Vorrang vor den Regelungen der §§ 1 NdsVwVfG, 3 VwVfG hat (hierzu z.B. NdsOVG, Beschl. v. 1.3.2006 - 11 ME 48/06 - [...]), für die Ausweisung örtlich zuständig war. Auch bei einer örtlichen Unzuständigkeit des Beklagten könnte sich der Kläger hierauf nicht mit Erfolg berufen. Dies folgt aus § 46 VwVfG (i.V. mit § 1 NdsVwVfG). Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsakt der - wie hier - nicht nach§ 44 VwVfG (i.V.m. § 1 NdsVwVfG) nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Offensichtlich nicht ausgewirkt hat sich ein Fehler u.a. dann, wenn in der Sache eine andere Entscheidung als die getroffene rechtlich nicht zulässig wäre. Dies ist hier der Fall.

32

Die Ausweisung ist zu Recht auf der Grundlage der Regelung des § 53 Nr. 1 AufenthG erfolgt, die der entscheidenden Behörde einen Ermessensspielraum nicht eröffnet. Danach wird ein Ausländer u.a. dann ausgewiesen, wenn er - wie hier der Kläger - wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Dem Kläger steht auch kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Sätze 1 bis 4 AufenthG zu, der zur Folge hätte, dass über seine Ausweisung nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach Ermessen zu entscheiden wäre (BVerwG, Urt. v. 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367). Insbesondere greift zu seinen Gunsten nicht § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG ein, wonach ein Ausländer besonderen Ausweisungsschutz genießt, der eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist, und sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat.

33

Diese Voraussetzungen lagen weder im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten vom 26. Januar 2010 vor, noch sind sie zum maßgebenden Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts gegeben. Der Kläger hat sich nicht seit fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Dabei ist die Zeit seines Aufenthalts für die Durchführung des Asylverfahrens im Rahmen dieser Entscheidung nicht anzurechnen, weil der Kläger nicht als Asylberechtigter anerkannt worden ist (vgl. § 55 Abs. 3 AsylVfG). Erst mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 3. März 2005 war sein Aufenthalt im Sinne des§ 56 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG rechtmäßig. Die Zeit seines rechtmäßigen Aufenthalts wurde durch den hier angegriffenen Bescheid des Beklagten, - d.h. nach weniger als fünf Jahren - beendet, weil der Beklagte hierin auch die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Klägers abgelehnt hat. Wenn ein Ausländer die Verlängerung seines Aufenthaltstitels beantragt, gilt der bisherige Aufenthaltstitel gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG nämlich (nur) bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Durch den Beschluss der Kammer vom 9. Juni 2010 (1 B 606/10), mit dem das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet hat, soweit sie auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtet ist, ist diese sog. Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht wieder aufgelebt (vgl. hierzu. Hailbronner, AuslG, A 1 § 81 Rn. 46 m.w.N.). Auf die Frage, ob dem Kläger - wie er meint - die Aufenthaltserlaubnis verspätet erteilt wurde, kommt es angesichts des Gesetzeswortlautes nicht an, weil dieser allein auf die Zeit des rechtmäßigen Aufenthaltes abstellt. Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger bereits im November 2004 eine Aufenthaltserlaubnis hätte verlangen können, denn erst am 24. Februar 2005 hat seine Mutter für ihn einen Identitätsnachweis vorgelegt. Zuletzt ist der Kläger auch nicht - wie es § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG voraussetzt - im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Es genügt nicht, dass er eine solche beantragt hat (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 4.12.2009 - 7 A 10881/09 -, [...]; BayVGH, Beschl. v. 13.3.2006 - 24 ZB 05.3191 -, [...]).

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Die Ausweisung des Klägers auf der Grundlage des § 53 AufenthG verstößt nicht aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie ist zunächst mit dem durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz der Familie vereinbar. Ausländerbehörde und Gerichte sind verpflichtet, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiäre Bindung des Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d.h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (BVerfG, Beschl. v. 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03 - DVBl. 2004, 1097 ff.).Bei einer familiären Gemeinschaft zwischen Erwachsenen entfaltet Art. 6 Abs. 1 GG gegenüber aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durchgreifende Schutzwirkungen allerdings nur bei Vorliegen einer Beistandsgemeinschaft, d.h. dann, wenn ein Familienmitglied auf die tatsächlich geleistete Lebenshilfe des anderen Familienmitglieds angewiesen ist und diese Hilfe nur in Deutschland erbracht werden kann (BVerfG, Beschl. v. 18.4.1989 - 2 BvR 1169/84 - DVBl 1989, 712-714; Beschl. v. 1.3.2004 - 2 BvR 1570/03 - DVBl. 2004, 1097 ff.).

35

Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Zu seinem Vater hat der Kläger nach seinen eigenen Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung allenfalls losen Kontakt. Eine Beistandsgemeinschaft in dem oben genannten Sinne ist auch im Verhältnis des Klägers zu seiner Mutter nicht festzustellen. Dies gilt auch mit Rücksicht auf deren psychische und körperliche Erkrankung. Nach den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen (vom 6. Juni 2009 und 7. Juni 2009) leidet diese an einer depressiven Erkrankung, die nach den Ausführungen des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. v. S. hauptsächlich auf den ungewissen Aufenthaltsstatus des Klägers und die massiven Probleme mit ihm zurückgehe. Weiter leidet sie unter den Folgen einer Behandlung wegen eines Mammakarzinoms sowie unter Migräne. Es ist allerdings nicht zu erkennen, dass die Mutter des Klägers, die mit ihrem Ehemann und zwei weiteren Kindern zusammenlebt, auf die Unterstützung durch den Kläger angewiesen ist oder eine solche durch ihn erhalten könnte. Seit seiner Inhaftierung im Januar 2008 scheidet dies ohnehin aus, wobei sich der Kläger auch in der Zeit zuvor bereits in Untersuchungshaft befunden hatte. Soweit in der Bescheinigung vom 7. Juni 2009 ausgeführt wird, die Mutter des Klägers habe angegeben: "Eine Abschiebung dorthin wäre für sie absolut unerträglich und sie sei zu allem entschlossen, dies zu verhindern. Hierfür würde sie ohne weiteres auch ihr eigenes Leben in die Waagschale werfen", ist es Aufgabe des behandelnden Arztes, selbstschädigende Handlungen der Mutter des Klägers durch eine entsprechende Behandlung zu verhindern, soweit er von einer ernstzunehmenden Suizidabsicht ausgeht.

36

Im Übrigen stellt eine Ausweisung des Klägers einen Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit dar. Auch insoweit steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seiner Ausweisung aber nicht entgegen. Dabei sind für die Entscheidung dieser Frage die Maßstäbe heranzuziehen, die für die Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffs in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familien - und Privatlebens gelten (BVerfG, Urt. v. 10.8.2007 - 2 BvR 536/06 - NVwZ 2007, 1300 [BVerfG 10.08.2007 - 2 BvR 535/06], [BVerfG 10.08.2007 - 2 BvR 535/06] [...]). Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht u.a. auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (Art. 8 Abs. 2 EMRK).

37

Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung eines Erwachsenen, der noch keine eigene Familie gegründet hat, sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschrechte im Hinblick auf den Schutz des Familien- sowie des Privatlebens folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Die Art und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftaten; die Dauer seines Aufenthalts in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll; die seit der Begehung der Delikte verstrichene Zeit und das Verhalten des Ausländers während dieser Zeit sowie die sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen zum Gastland und zum Zielstaat der Ausweisung. Bei der Anwendung einiger dieser Kriterien kann das Alter des Ausländers von Bedeutung sein. So ist bei der Beurteilung von Art und Schwere der begangenen Straftaten zu berücksichtigen, ob der Ausländer sich diese als Jugendlicher oder als Erwachsener zu Schulden hat kommen lassen. Bei der Bewertung der Dauer des Aufenthalts und der Bindungen im Gastland macht es einen Unterschied, ob der Betroffene bereits als Kind hergekommen ist oder sogar hier geboren wurde, oder ob er erst als Erwachsener zugezogen ist. Zur Rechtfertigung der Ausweisung eines niedergelassenen Immigranten, der seine gesamte Kindheit und Jugend oder den größten Teil davon im Gastland verbracht hat, müssen sehr gewichtige Gründe vorgebracht werden, insbesondere dann, wenn der Betroffene die zur Ausweisung führenden Straftaten als Jugendlicher begangen hat (vgl. zum Vorstehenden: EGMR, z.B. Urt. v. 23.6.2008 - 1683/03 -, InfAuslR 2008, 333[EGMR 23.06.2008 - EGMR (Große Kammer) Nr. 1638/03]; Urt. v. 28.06.2007 - 31753/02- InfAuslR 2007, 325[EGMR 28.06.2007 - 31753/02]).

38

Nach Maßgabe dieser Grundsätze stellt sich die Ausweisung des Klägers auch unter Berücksichtigung der durchArt. 8 EMRK geschützten Belange nicht als unverhältnismäßig dar. Es liegen sehr gewichtige Gründe hierfür vor.

39

Allerdings ist eine durchaus erhebliche Verwurzelung des Klägers im Bundesgebiet festzustellen. Seit seiner Einreise im Kindesalter befindet er sich mittlerweile seit 10 Jahren hier und beherrscht Deutsch in Wort und Schrift. Mit seiner Mutter, seinem Vater sowie seinen Geschwistern befinden sich die engsten Verwandten ebenso wie seine übrigen prägenden sozialen Kontakte im Bundesgebiet. Obwohl eine schulische Integration zunächst nicht gelungen ist, weil der Kläger wegen seines Verhaltens zweimal der Schule verwiesen wurde, hat er mittlerweile in der Haft den Hauptschulabschluss erreicht und auch an einer Qualifizierungsmaßnahme als Glas -und Gebäudereiniger teilgenommen. In der Fortschreibung des Erziehungs - und Förderplans der Jugendanstalt L. vom 3. November 2009 heißt es hierzu, er habe seine schulische Laufbahn konsequent und mit guten Leistungen verfolgt. Sein Ziel sei gewesen, soviel Schule wie möglich zu absolvieren, um eine gute Grundlage für seine Zukunft zu schaffen. Seine Bindungen und Kontaktmöglichkeiten im Heimatland sind hingegen weitaus geringer, wenn auch durchaus vorhanden. Der Kläger hat dort seit seinem siebten Lebensjahr bis zu seiner Ausreise die Grundschule besucht, er kann seine Heimatsprache nach seinem Vortrag sprechen, nicht aber nicht lesen oder schreiben. Im Iran leben nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung neben den Verwandten seines Vaters auch noch die Geschwister seiner Mutter.

40

Insgesamt ist davon auszugehen, dass eine Ausreise des Klägers in sein Heimatland mit der längerfristigen Trennung von seinen familiären Bezugspersonen, nämlich von seiner Mutter und Geschwistern sowie von seinen übrigen sozialen Kontakten im Bundesgebiet führen wird. Mit Rücksicht darauf, dass das Bundsamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu Gunsten der Mutter des Klägers festgestellt hat, dass im Hinblick auf den Iran Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegen, spricht alles dafür, dass sie den Kläger im Iran nicht wird besuchen können. Da der Kläger die Landessprache nicht lesen und schreiben kann und den dortigen Lebensverhältnissen durch die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet - wie er nachvollziehbar vorträgt - entfremdet ist, sind im Falle seiner Rückkehr in den Iran für ihn auch erhebliche Integrationsprobleme zu erwarten.

41

Angesichts seiner Sprachkenntnisse, seines Alters von erst 20 Jahren und der Möglichkeit seiner Unterstützung zumindest durch die Geschwister seiner Mutter, ist eine erneute Eingliederung in die Verhältnisse in seinem Heimatland aber auch nicht als ausgeschlossen anzusehen. Dabei ist nicht ersichtlich, weshalb auch von Seiten der Geschwister der Mutter eine Ausgrenzung des Klägers wegen des "Ehebruchs" zu befürchten sein sollte. Der Kläger trägt Gründe hierfür nachvollziehbar und überzeugend selbst nicht vor. Dem Kläger ist zuzumuten, auf eine erneute Integration in die Lebensverhältnisse im Iran hinzuarbeiten, denn mit Rücksicht auf seine lang anhaltende und erhebliche Straffälligkeit ist es ein legitimes Anliegen des deutschen Staates, den Kläger auszuweisen, auch wenn der Kläger die Straftaten als Minderjähriger begangen hat. Dies folgt aus der Anzahl und der Schwere der von ihm begangenen Straftaten, bei denen der Kläger auch in erheblichem Umfang Gewalt gegen Personen ausgeübt hat. Es ist weiter nicht zur Überzeugung des Gerichts festzustellen, dass sich der Kläger mittlerweile hinreichend von seinen bisherigen Taten distanziert hat und vor allen Dingen an der Verringerung seines Gewaltpotentials arbeitet, um einen Rückfall in erneutes straffälliges Verhalten zu vermeiden.

42

Nach der Mitteilung der Polizeiinspektion T. vom 7. Januar 2008 an das Ausländeramt des Beklagten ist der Kläger bereits seit dem Jahr 2003 auffällig geworden. Er sei er in 35 Fällen als Tatverdächtiger bzw. Beschuldigter geführt worden, darunter 21-mal mit Raub- bzw. Körperverletzungsdelikten. Er werde durch die Polizei- und Staatsanwaltschaft F. als Intensivtäter eingestuft. Der Kläger ist erstmals im Oktober 2004 gerichtlich belangt worden und ist in der Folgezeit bis zu seiner Inhaftierung regelmäßig mit Delikten aufgefallen, die überwiegend mit Gewaltausübung einhergingen. Die Taten, wegen derer der Kläger verurteilt wurde, lassen ein erhebliches Maß an Gewaltanwendung gegenüber Personen erkennen und haben zu gravierenden Folgen für die Opfer geführt.

43

Der Verurteilung durch das Amtsgericht F. vom 13. September 2006 lag zugrunde, dass der Kläger zusammen mit anderen Mittätern das Opfer an einem Bahndamm überfiel, wohin es von der weiblichen Mittäterin gelockt worden war. Das Opfer wurde nach den Feststellungen des Amtsgerichts niedergeschlagen. Auch nachdem die betroffene Person lag, traten und schlugen der Kläger und seine Mittäter weiter auf sie ein und entwendeten ihr schließlich das Portemonnaie. Die Tritte gingen dabei an den Körper und an den Kopf. Zu den Folgen für das Tatopfer heißt es in dem Urteil des Amtsgerichts:

"Der Zeuge U. lag im Krankenhaus. Insgesamt war er sieben Wochen krank geschrieben und völlig arbeitsunfähig. Daneben hat er über längere Zeit zunächst eingeschränkte Arbeitsversuche gemacht und ist heute wieder berufstätig. Allerdings leidet er unter Dauerschmerzen. Er hat eine Sehnenverletzung an der Halswirbelsäule erlitten, die ihn zwingt, ausschließlich mit steifer Wirbelsäule gerade zu sitzen. Es ist nur dem Zufall zu verdanken, dass dieser Zeuge durch die Schläge und Tritte nicht völlig bewegungsunfähig und für sein Leben lang arbeitsunfähig geworden ist. Er leidet noch heute dauerhaft unter Bewegungseinschränkungen und starken Schmerzen. Wann sich dies bessern wird, ist noch nicht ansatzweise absehbar."

44

Am nächsten Tag und in der Nacht darauf überfiel der Kläger mit Mittätern noch weitere drei Jugendliche, um an Wertsachen zu gelangen, wobei sie wiederum auf eines der Opfer einschlugen. Nach den Ausführungen des Amtsgerichts F. im Rahmen der Strafzumessung hat der Kläger bei den jeweiligen Tatplanungen und bei der ersten genannten Tat bei der Tatausführung selbst eine ganz entscheidende Rolle gespielt.

45

Auch in der durch das Amtsgericht am 12. September 2007 abgeurteilten Tat schlug der Kläger gemeinsam mit anderen auf das Opfer ein und trat es mit Füßen. Das Opfer wurde nach den Ausführungen des Landgerichts F. im Urteil vom 19. Februar 2008 (3 - 35/07) erheblich verletzt. Bei der von dem Landgericht F. mit Urteil vom 23. September 2008 abgeurteilten Tat kam es zu einem Überfall des Klägers und weiterer Mittäter auf mehrere Personen, die dabei zum Teil schwer und akut lebensbedrohlich verletzt wurden. Einer der Mittäter setzte dabei in lebensgefährdender Weise ein Messer ein. Der Messereinsatz wurde dabei u.a. dem Kläger im Rahmen der gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung zugerechnet. Zur Strafzumessung hat das Landgericht F. im Hinblick auf den Kläger Folgendes ausgeführt:

"Der Angeklagte V. war zur Tatzeit 17 Jahre und acht Monate alt und somit Jugendlicher im Sinne des § 1 Abs. 2 JGG. Seine strafrechtliche Verantwortlichkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 JGG ist gegeben, weil er zum Tatzeitpunkt die altersgemäße Reife besaß, einzusehen, dass er Unrecht tat und aufgrund dessen fähig gewesen wäre, sich normgerecht zu verhalten. Zur sicheren Überzeugung der Kammer liegen bei dem Angeklagten weiterhin schädliche Neigungen vor, welche die Verhängung einer Jugendstrafe als unerlässlich erscheinen lassen. Das Amtsgericht F. hat bereits im Jahr 2006 schädliche Neigungen festgestellt. Doch auch diese Verurteilung hielt den Angeklagten V. nicht von der Begehung der hier zu beurteilenden weiteren erheblichen Tat ab. Diese schädlichen Neigungen liegen auch zum Zeitpunkt der Entscheidung vor. Eine Schwere der Schuld hat die Kammer bei dem Angeklagten V. nicht bejaht, da das versuchte Tötungsdelikt ihm nicht zugerechnet werden konnte.

Ausgehend von dem in § 18 Abs. 1 JGG eröffneten Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren war bei der konkreten Zumessung die nicht ausschließbare alkoholbedingte Enthemmung zu berücksichtigen. Eine konkrete Trinkangabe durch andere ist hier zwar nicht erfolgt, aufgrund der späten Festnahme konnte auch keine Blutprobe entnommen werden, doch geht die Kammer zu seinen Gunsten davon aus, dass sämtliche Gruppenmitglieder an diesem Abend Alkohol in nicht ganz unerheblicher Menge zu sich genommen haben. Auch bei dem Angeklagten V. war sein Migrationshintergrund sowie die in dem Tatgeschehen zum Ausdruck kommende Gruppendynamik zu berücksichtigen. Insbesondere bei ihm als Jüngsten der Angeklagten ist nicht auszuschließen, dass er das gemeinsame Einstehen füreinander zu weit und falsch ausgelegt hat. Die Kammer hat ebenfalls beachtet, dass sich der Angeklagte V. auf Rat seiner Verteidigerin letztlich selbst gestellt hat. Anderseits müsste auch beachtet werden, dass der Angeklagte V. bereits einschlägig vorbelastet war und die hier zu beurteilende Tat während laufender Bewährung begangen hat. Daneben müsste auch Berücksichtigung finden, dass sich der Angeklagte nur kurze Zeit zuvor bereits in anderer Sache in Untersuchungshaft befunden hat und selbst dieser Freiheitsentzug ihn nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten konnte."

46

Es sind aus den vorliegenden Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich an der aus den Urteilen des Amtsgerichts und des Landgerichts F. ersichtlichen fehlenden Bereitschaft des Klägers, sich rechtstreu zu verhalten, sowie an seiner Gewaltbereitschaft durch seine Inhaftierung seit nunmehr mehr als zwei Jahren etwas Grundlegendes geändert hätte. Die vorliegenden Erziehungs- und Förderpläne gemäß § 117 NJVollG sprechen davon, dass der Kläger nach wie vor eine behandlungsbedürftige Gewaltproblematik aufweist, wobei auch keine hinreichenden Anstrengungen zu erkennen seien, diese Gewaltproblematik aufzuarbeiten. In der Fortschreibung des Erziehungs- und Förderplans vom 3. November 2009 heißt es hierzu, dass er an dem Projekt "Leben ohne Gewalt organisieren" (LoGo) wegen fehlender Motivation nicht erfolgreich teilgenommen habe. Er zeige sich nicht mehr motiviert, an seiner Gewaltproblematik zu arbeiten. Er ist weiter während der Haft mehrfach wegen Besitzes bzw. Konsums von Drogen aufgefallen. Erstmals ist dieses unter dem 14. Juni 2008 dokumentiert worden, im Oktober 2009 und November 2009 wiesen erhobene Urinkontrollen den Konsum von Cannabis nach. In der Fortschreibung des Erziehungs- und Förderplans vom 3. November 2009 wird ausgeführt, dass nach wie vor eine Missbrauchsgefahr wegen der fehlenden Auseinandersetzung mit der vorhandenen Gewaltproblematik und der unbearbeiteten Suchtmittelmissbrauchsgefährdung sowie eines nicht beanstandungsfreien Vollzugsverlaufs zu befürchten sei. Im Vergleich zur dritten Fortschreibung vom 9. Juli 2009 liege eine veränderte Einschätzung zur Mitarbeitungsmotivation vor. Der Kläger sei neben den auf Cannabiskonsum positiven getesteten Urinkontrollen vermehrt durch ungebührliches Verhalten aufgefallen. Innerhalb der Vollzugsabteilung gelinge es ihm nicht, bei negativen Entscheidungen den richtigen Ton zu treffen. Er werde ausfallend, beleidigend und nehme Drohhaltungen ein. Er werde aktuell als nicht mehr mitarbeitsbereit eingeschätzt.

47

Auch aus der Fortschreibung vom 18. März 2010 ergeben sich keine Hinweise auf eine andere Entwicklung, insbesondere auf die Bereitschaft des Klägers, an seiner Gewaltproblematik zu arbeiten. Von einer durchgreifenden Änderung des Verhaltens bzw. der Einstellung des Klägers kann deswegen nicht ausgegangen werden, auch wenn er sich - wie er im Termin zur mündlichen Verhandlung angegeben hat - am 8. Februar 2010 für den Fall einer vorzeitigen Entlassung bei dem Jugendamt des Beklagten zu einem Anti - Aggressionstraining angemeldet hat. Die von dem Kläger beantragte Aussetzung des Restes der Jugendstrafe zur Bewährung hat die Jugendanstalt L. mit Schreiben an die Vollstreckungsleiterin bei dem Amtsgericht L. vom 5. Mai 2010 nicht befürwortet. Im Hinblick auf die Entwicklung des Klägers im Vollzug könne dies auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden. Soweit der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung angegeben hat, diese Einschätzung habe sich mittlerweile geändert, ist das bislang nicht aktenkundig geworden und vermag nicht die Prognose zu rechtfertigen, der Kläger werde künftig nicht mehr straffällig werden. Angesichts der langen Zeitspanne, während derer der Kläger Straftaten begangen hat, kann dies auch nicht als vorübergehende Verfehlungen eines Minderjährigen angesehen werden, zumal der Kläger bei der Begehung der letzten Tat im September 2007 nahezu volljährig war.

48

Es kann - entgegen den Angaben des Klägers - auch nicht davon ausgegangen werden, eine Rückfallgefahr des Klägers bestehe bereits deswegen nicht, weil er nicht plane, nach Verden zurück zu gehen bzw., weil weitere, zu Straftaten führende gruppendynamische Prozesse nicht mehr zu befürchten seien. Die ursprünglich genannte Ausbildungsstelle bei einem Autohaus in W. steht dem Kläger nach seinen Angaben im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht mehr zur Verfügung. Im Übrigen hat der Kläger im Termin vorgetragen, dass bereits zwei seiner bisherigen Mittäter aus der Haft entlassen seien, von denen zumindest einer wieder in Verden lebe.

49

Die Ausweisung ist zuletzt nicht deswegen mit Blick auf den durch Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Schutz von Familien - und Privatleben unverhältnismäßig, weil sie unbefristet erfolgt ist, denn die Wirkung des damit verbundenen Einreise und Aufenthaltsverbotes werden gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG auf Antrag in der Regel befristet (hierzu: EGMR, Urt. v. 28.6.2007 - 31753/02 - , InfAuslR, 2007, 325[EGMR 28.06.2007 - 31753/02]).

50

Der Kläger hat weiter keinen Anspruch auf eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.

51

Für eine derartige Entscheidung ist der Beklagte allerdings zuständig. Dies folgt aus § 1 NdsVwVfG i.V. mit§ 3 Abs. 1 Nr. 3a VwVfG, wonach in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, die Behörde zuständig ist, in deren Bezirk die natürliche Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat eine Person dort, wo sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die Feststellung bestimmt sich nicht nach dem inneren Willen des Betroffenen, sondern setzt eine aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse zu treffende Prognose voraus. Ob bei der Verbüßung einer Freiheitsstrafe der gewöhnliche Aufenthalt am Ort des Familienwohnsitzes beibehalten wird, ist demnach eine Frage des Einzelfalls (z.Vorst.: BVerwG, Urt. v. 4.6.1997 - 1 C 25.96-, zit. nach [...]). Zu den für die prognostische Einschätzung maßgeblichen Umständen gehören dabei auch ausländerrechtliche Entscheidungen, die rechtliche Beschränkungen des Aufenthaltsrechts zur Folge haben (NdsOVG, Urt. v. 16.11.2004 - 9 LB 156/04 -, zit. nach [...]). Derartige rechtliche Beschränkungen liegen hier vor. Die dem Kläger zuletzt am 10. März 2006 erteilte Aufenthaltserlaubnis war mit der Nebenbestimmung: " Wohnsitznahme im Landkreis F. erforderlich" versehen. Da sie - bis zu einer Entscheidung des Beklagten über den Verlängerungsantrag - als fortbestehend galt (§ 81 Abs. 4 AufenthG), konnte der Kläger in L. keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen.

52

Der Erteilung der begehrten Erlaubnis auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG steht § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG entgegen, wonach einem Ausländer, der ausgewiesen wurde, auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruches kein Aufenthaltstitel erteilt wird. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann der Kläger ebenfalls nicht die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verlangen. Danach kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Tatsächliche Gründe, die der freiwilligen Ausreise des Klägers entgegenstehen, sind nicht ersichtlich. Seine Ausreise ist weiter nicht rechtlich unmöglich. Rechtlich unmöglich ist eine freiwillige Ausreise und Abschiebung, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche sie ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen (BVerwG, Urt. v. 27.6.2006 - 1 C 14.05 - BVerwGE 126, 192). Rechtliche Gründe im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG sind insbesondere solche, die sich aus vorrangigem Recht, namentlich aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 2, 6 GG, dem aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Art. 8 Abs. 1 EMRK ergeben. Maßgeblich ist, ob es dem Ausländer aus Rechtsgründen zumutbar ist, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen (zum Vorst.: BVerwG, Urt. 27.6.2006 - 1 C 14.05 - BVerwGE 126, 192; NdsOVG, Beschl. v. 24.10.2005, - 8 LA 123/05 -; Urt. v. 29.11.2005 - 10 LB 84/05 -; OVG NRW, Beschl. v. 7.2.2006 - 18 E 1534/05 - zit. nach [...]). Das ist hier der Fall. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zur Ausweisung ergibt, stehen dem insbesondere keine Rechte des Klägers und seiner Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG sowie aus Art. 8 EMRK entgegen.

53

Der Kläger kann sich zuletzt auch nicht mit Erfolg darauf berufen, er müsse im Iran mit einer weiteren Bestrafung wegen seiner Straftaten rechnen. Ob aus diesem Grund für ihn ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 2, 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht, muss hier nicht entschieden werden. Zwar können sich rechtliche Hindernisse, die einer Ausreise im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG entgegenstehen, auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben (BVerwG, Urt. v. 27.6.2006 - 1 C 14.05 - BVerwGE 126, 192 ). Soweit das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bestandskräftig festgestellt hat, dass solche Verbote nicht vorliegen, was das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Falle des Klägers mit Bescheid vom 21. Juni 2002 getan hat, ist es jedoch wegen der aus § 42 Abs. 1 AsylVfG für die Ausländerbehörde folgenden Bindungswirkung ausgeschlossen, ein rechtliches Abschiebungshindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG wegen eines Sachverhaltes anzunehmen, der in den Anwendungsbereich des § 53 AuslG, bzw. jetzt des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG fällt (BVerwG, Urt. 27.6.2006 - 1 C 14.05 - BVerwGE 126, 192; VGH Baden - Württemberg, Urt. v. 6.4.2005 - 11 S 2779/04 - zit. nach [...]; OVG NRW, Beschl. v. 15.2.2005 - 18 A 4080/03 -, zit. nach [...]).

54

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

55

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.

56

Rechtsmittelbelehrung

57

Gegen dieses Urteil ist die Berufung nur zulässig, wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

58

...

59

Gegen die Streitwertfestsetzung ist die Beschwerde an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 Euro übersteigt.

60

...

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf

10.000,00 Euro

festgesetzt.

Lang
Fahs
Dieck