Landgericht Hannover
Urt. v. 27.12.2002, Az.: 6 O 144/02

Anspruch auf Übernahme eines Schadens durch eine Industrie-Haftpflichtversicherung; Erstattungsfähigkeit der Kosten für den Austausch eines Einzelteils; Ausschluss von Gewährleistungs- und Erfüllungsansprüchen vom Versicherungsschutz

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
27.12.2002
Aktenzeichen
6 O 144/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 29824
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2002:1227.6O144.02.0A

Fundstellen

  • NJW-RR 2003, 817-818 (Volltext mit red. LS)
  • VersR 2003, 1247-1248 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 27.11.2002
durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht ...
die Richterin am Landgericht ... und
den Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch eine selbstschuldnerische, unwiderrufliche, unbefristete, unbedingte, schriftliche Bürgschaft einer deutschen Großbank erbracht werden.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten einen Deckungsanspruch wegen eines von ihr zu verantwortenden Schadens geltend.

2

Die Klägerin hat im Januar 1994 bei der Beklagten eine Industrie-Haftpflichtversicherung abgeschlossen, der u.a. die damals geltenden Besonderen Vereinbarungen (BV) vom 17.01.1994 (Bl. 117 ff. d.A.) zugrunde lagen. Im Jahre 1999 wurde eine Vertragsänderung vereinbart; nunmehr fanden u.a. die BV vom 30.04.1999 (Bl. 12, 18 ff. d.A.) Anwendung.

3

Die Klägerin belieferte die Firma ... in Schweden mit von ihr hergestellten Achsen des Typs VL 52, VL 56 und VL 57, die in Schweden in Waldarbeitsfahrzeuge eingebaut wurden. Innerhalb der Achsgehäuse waren Lamellenbremsen eingebaut, in deren Bereich im Laufe der Zeit aufgrund von schadhaften Dichtungskomponenten Leckagen auftraten, die dazu führten, dass die Bremsen nicht mehr funktionsfähig waren.

4

Die Klägerin führte die Nachbesserung der Bremsen zum Teil selber aus, zum Teil ließ sie sie durch Monteure der Firma ... mit Unterstützung durch Monteure der Klägerin und auf eigene Kosten der Klägerin durchführen. Zu diesem Zweck mussten die betroffenen Achsen seitlich geöffnet und innerhalb der Achse befindliche Bauteile ausgetauscht werden, wobei nach der Darlegung der Klägerin mehrere defekte und nicht defekte Bauteile zu einem komplexen Ersatzteil, dem sog. Bremskit, zusammengefaßt und ausgetauscht wurden.

5

Die Klägerin behauptet, durch diese Methode sei der Aufwand für die Reparatur der Achsen verringert worden. Insgesamt seien 515 Reparaturen vorgenommen worden, davon in 63 Fällen durch eigene Techniker der Klägerin, die zu diesem Zweck nach Schweden gereist seien.

6

Die Klägerin begehrt Ersatz der Kosten, die dadurch entstanden sind, dass die gelieferten Achsen freigelegt wurden. Unstreitig ist, dass nach den geltenden Versicherungsbedingungen Kosten für Sachmängelgewährleistungen, wie z.B. für Reparaturarbeiten an den Achsen, nicht von der Haftpflichtversicherung gedeckt sind, wohl aber die Kosten für den Austausch des gesamten gelieferten Teils. Die Klägerin beruft sich auf Ziffer 4.2.7.3 der BV vom 30.04.1999 (Bl. 28 f. d.A.) und ist der Ansicht, dass sich aus der Klausel keine Einschränkung des Inhalts ergebe, wonach die Kosten der Freilegung nur dann versichert seien, wenn ein Ausbau des gesamten vom Versicherungsnehmer gelieferten Aggregats erforderlich sei. Auch wenn, wie hier, ein Teilaustausch erfolge, seien die Kosten für die Arbeitsschritte, die bis zur Freilegung des gesamten gelieferten Teils, hier der Achse, notwendig seien, zu ersetzen.

7

Die Klägerin ist des weiteren der Ansicht, dass auch die Kosten, die aufgrund der Freilegung durch die eigenen Monteure der Klägerin entstanden sind, zu ersetzen seien, da die BV vom 30.04.1999 Anwendung finde. Dort ist nämlich unter Ziffer 4.2.7.3 Abs. 2 ausdrücklich geregelt, dass auch Maßnahmen des Versicherungsnehmers erstattet werden. Die Geltung der BV vom 30.04.99 ergebe sich aus der sog. Serienschadenklausel (Ziff. 3.1 der BV vom 30.04.1999 - Bl. 20 d.A.). Danach gelten mehrere Schadenereignisse, die durch denselben Konstruktionsfehler verursacht sind, als ein Schadenereignis und in dem Zeitpunkt als eingetreten, in dem das erste dieser Schadenereignisse eingetreten ist. Als Schadenereignis seien nach Ansicht der Klägerin der Ausfall eines Fahrzeugs aufgrund einer Undichtigkeit des Bremssystems anzusehen. Dabei erstrecke sich die Versicherung aber auch auf Serienschäden, deren erstes Einzelschadenereignis vor Vertragsbeginn eingetreten sei (Ziff. 3.1, letzter Abs. der BV vom 30.04.99). Da während der Geltung der neuen BV vom 30.04.99 Schadenereignisse eingetreten seien, sei die Neuregelung auf alle Schadenereignisse anzuwenden.

8

Zur Höhe der geltend gemachten Kosten verweist die Klägerin auf die der Klageschrift beigefügten Tabellen bezüglich der Fremdkosten und der eigenen Kosten (Bl. 48 ff., 64 f. d.A.).

9

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, 462.745,65 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz an sie zu zahlen,

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hilfsweise,

festzustellen, dass die Beklagte Versicherungsschutz zu leisten hat für die Kosten der Freilegung der Achsen VL 52, VL 56 und VL 57, die aufgrund nicht ausreichender Dichtungen im Bereich der Bremsen entstanden sind.

11

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Sie ist der Ansicht, dass die Besonderen Vereinbarungen in der Fassung vom 17.01.1994 Anwendung finden. Schadenereignis im Sinne der Serienschadenklausel sei der Einbau der fehlerhaften Achsen in die Fahrzeuge, der die Ursache für den Schaden, nämlich den Ausfall des Fahrzeuges, gewesen sei. Da die ersten Einbauten vor dem 30.04.1999 stattgefunden hätten, seien nicht die Bedingungen, die aufgrund der am 30.04.1999 erfolgten Vertragsänderung vereinbart wurden, anwendbar, sondern die der BV vom 17.01.1994. Gemäß Ziff. 4.2.8 dieser BV (Bl. 123 f. d.A.) seien die Aufwendungen Dritter u.a. für die Freilegung mangelhafter Erzeugnisse zu erstatten, wobei mit Erzeugnissen die vom Versicherungsnehmer hergestellten oder gelieferten Erzeugnisse (Ziff. 4.2 der BV vom 17.01.94 - Bl. 121 d.A.) gemeint seien, nicht aber Teile des gelieferten Erzeugnisses.

13

Zudem bestehe gem. Ziff. 5.16 der BV vom 17.01.94 (Bl. 131 d.A.) auch deshalb kein Versicherungsschutz, weil die notwendigen und nach dem Stand der Technik gebotenen Erprobungen vor Serienbeginn nicht durchgeführt worden seien.

14

Darüber hinaus rügt die Beklagte, dass die Kosten nicht substantiiert dargelegt seien, bestreitet deren Höhe, Notwendigkeit und Angemessenheit und weist auf die vereinbarte Selbstbeteiligung hin.

15

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

16

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

17

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Freilegungskosten gem. Ziff. 4.2.8 der BV vom 17.01.1994 bzw. gem. Ziff. 4.2.7.3 der BV vom 30.04.1999, da die Freilegungskosten beim Austausch eines Teils des von der Klägerin hergestellten und gelieferten Erzeugnisses nicht vom Versicherungsschutz erfaßt sind.

18

Nach Ansicht der Kammer finden die BV vom 17.01.1994 Anwendung. Denn nach der Serienschadenklausel sowohl der BV vom 17.01.1994 (Ziff. 3.2 - Bl. 119 d.A.) als auch vom 30.04.1999 (Ziff. 3.1 - Bl. 22 d.A.) ist auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das erste Schadenereignis der Serie eingetreten ist. Dabei ist als Schadeneintritt derjenige Vorgang anzusehen, der die Schädigung des Dritten unmittelbar herbeiführt (OLG Oldenburg Versicherungsrecht 1997, 732; Späte: Haftpflichtversicherung § 1 Rdn. 14 ff.). Das ist vorliegend der Einbau der fehlerhaften Achsen, der zum großen Teil bereits vor dem 30.04.1999, also zu einer Zeit, als die BV vom 17.01.1994 galten, erfolgte. Aber selbst wenn man mit der Klägerin auf den Zeitpunkt des ersten Ausfalls eines Fahrzeugs wegen der defekten Lammellenbremse abstellt, ergibt sich nichts anderes, denn auch die ersten Reparaturen erfolgten ab August 1998, d.h., vor dem 30.04.1999, dem Zeitpunkt der Vertragsänderung.

19

Letztlich ist es aber für die Entscheidung über die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Freilegungskosten unerheblich, welche der beiden Fassungen der Besonderen Vereinbarungen Anwendung findet, denn die insoweit ausschlaggebende entscheidungserhebliche Regelung - Ziff. 4.2.8 Abschnitt: Aus- und Einbaukosten, 1. Abs. der BV vom 17.01.1994 - Bl. 124 d.A. und Ziff. 4.2.7.3 Abs. 1 der BV vom 30.04.1999 - Bl. 28 d.A. - ist in beiden Fassungen inhaltsgleich. Danach sind u.a. die Aufwendungen für die Freilegung mangelhafter Erzeugnisse zu erstatten, wobei außerhalb des Bausektors unter den Begriff Freilegung z.B. auch der Ausbau von Aggregaten oder Motorteilen fällt, um das gelieferte eingebaute mangelhafte Teil zu erreichen (Schmidt-Salzer: Produkthaftung, Band IV, Produkthaftpflichtversicherung, erster Teil, 2. Aufl., Rdn. 7.793).

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Nach überwiegender Meinung besteht für die Austauschkosten eines Einzelteils des gelieferten Erzeugnisses keine Deckung (Späte a.a.O.: Produkthaftpflicht-Modell Rdn. 41; Schmidt-Salzer a.a.O. Rdn. 7.793; Kosche VP 1982, 163). Von diesem Ausschluss würden auch die Freilegungskosten, die dem Austausch eines Einzelteils vorangehen, erfaßt (Schmidt-Salzer a.a.O. Rdn. 7.793). Die Gewährleistungs- und Erfüllungsansprüche seien nämlich grundsätzlich vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.

21

Dem schließt sich die Kammer im Ergebnis an. Grundsätzlich wird in der Haftpflichtversicherung Versicherungsschutz in Bezug auf vom Versicherungsnehmer zu leistenden Schadensersatz gewährt. Die Erfüllung von Verträgen und die an die Stelle der Erfüllungsleistung tretende Ersatzleistung werden nicht gedeckt (siehe § 1 Ziff. 1 AHB, § 4 Ziff. 6 Satz 3 AHB, Nr. 6.0 a Produkthaftpflichtmodell). Dieser Grundsatz gilt auch nach den hier getroffenen besonderen Vereinbarungen (vgl. Ziff. 5 i.V.m. Ziff. 5.10 der BV vom 17.01.1994 bzw. Ziff. 5 i.V.m. Ziff. 5.9 der BV vom 30.04.1999).

22

Den unter Ziff. 6 des Produkthaftpflicht-Modells geregelten Ausschlüssen des Versicherungsschutzes gehen zwar die in Ziffer 4 des Produkthaftpflicht-Modells geregelten Einschlüsse bzw. Erweiterungen vor (Prölss/Martin: VVG, 26. Aufl.: Produkthaftpflicht Nr. 6 Rdn. 2 am Ende); entsprechendes gilt auch bezüglich der Deckungserweiterungen unter Ziff. 4 der Besonderen Vereinbarungen vom 17.01.94 bzw. 30.04.99 gegenüber den Deckungsausschlüssen unter der jeweiligen Ziffer 5.

23

Mit der Deckungserweiterung unter Ziff. 4.2.8 der BV vom 17.01.94/4.3.7.3 der BV vom 30.04.1999 wird aber eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass Erfüllungs- bzw. Gewährleistungsansprüche vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, im Hinblick auf Beseitigung, Ausbau, Abnahme oder Freilegung "mangelhafter Erzeugnisse" gemacht. Als Ausnahmeregelung ist der Begriff "mangelhafter Erzeugnisse" eng auszulegen. Nach dem Wortlaut der Klausel werden demnach die Aufwendungen für die Beseitigung, den Ausbau und die Abnahme aber nur erstattet, wenn das "gelieferte Erzeugnis" (und nicht ein Teil) beseitigt, ausgebaut etc. wird. Aus dem Sinn der Regelung ergibt sich zwangsläufig, dass auch die Freilegungskosten nur dann erstattet werden sollen, wenn das gesamte Erzeugnis beseitigt, ausgebaut etc. wird. Es wäre systemwidrig, wenn man bei dem Ausbau eines Teils der gelieferten Sache die Ausbaukosten nicht erstatten würde, wohl aber die Freilegungskosten, die entstehen, um bis zu dem Gesamterzeugnis vorzudringen, die restlichen Freilegungskosten aber wieder nicht. Vielmehr entfällt der erweiterte Versicherungsschutz gem. § Ziff. 4.2.8 der BV vom 17.01.1994 insgesamt, also auch im Hinblick auf die Freilegungskosten, sobald nur ein Teil des gelieferten Erzeugnisses von der Maßnahme betroffen ist.

24

Im vorliegenden Fall greift der Deckungsschutz demnach nicht, denn von der Klägerin sind nicht die gelieferten Achsen ausgetauscht worden, sondern nur ein Teil derselben, nämlich in der Hohlachse befindliche Teile der Lamellenbremse.

25

Teilweise wird danach differenziert, ob ein Teil einer einzelnen Sache ausgetauscht wird oder ob eine Sachgesamtheit wie eine industrielle Anlage oder eine komplette Einrichtung eines Betriebsteils geliefert wird und sodann ein komplexes Teil ausgetauscht wird (Prölss/Martin: a.a.O. Produkthaftpflicht Ziff. 4 Rdn. 52, 53). Im letzteren Fall soll dann Versicherungsschutz gegeben sein. Aber auch unter Zugrundelegung dieser Differenzierung greift der Versicherungsschutz im vorliegenden Fall nicht. Die Lamellenbremsen sind nicht Teil einer Sachgesamtheit im obigen Sinne, sondern es wurde eine einzelne Sache, die Antriebsachse, von der Klägerin hergestellt und geliefert und die Lamellenbremsen sind ein in die gelieferte Sache integriertes Teil. Die Klage war somit sowohl hinsichtlich des Hauptantrags als auch hinsichtlich des Nebenantrags abzuweisen.

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Im übrigen wird darauf hingewiesen, dass bei Anwendung der BV vom 17.01.94 die Freilegungskosten, die der Klägerin durch den Einsatz der eigenen Monteure entstanden sind, nicht erstattungsfähig sein dürften. Hinsichtlich der Kosten der Fremdmonteure geht der Versicherungsanspruch nicht auf Zahlung, sondern auf Feststellung, dass der Versicherungsnehmer von der auf ihm lastenden Haftpflichtversicherungsschuld zu befreien ist. Ein Zahlungsanspruch besteht erst, wenn der Haftpflichtgläubiger, d.h. die Firma ... von der Klägerin befriedigt worden ist (vgl. BGHZ 15, 154 ff.; BGBZ 88, 228 ff).

27

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.