Landgericht Hannover
Urt. v. 24.06.2002, Az.: 21 O 35/02 - kart
Abschluss eines All-inclusive-Vertrages zur Stromversorgung ; Notwendigkeit eines Rechtsschutzbedürfnisses im einstweiligen Verfügungsverfahren ; Zulässigkeit einer auf Befriedigung gerichteten einstweiligen Verfügung im summarischen Verfahren der einstweiligen Verfügung ; Möglichkeit des Erlasses einer auf endgültige Befriedigung des Erfüllungsanspruchs gerichteten einstweiligen Verfügung ; Schutzwürdigkeit des Schuldners im einstweiligen Verfügungsverfahren; Gesetzliche Anforderungen an einen Netzanschlussnutzungsvertrag
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 24.06.2002
- Aktenzeichen
- 21 O 35/02 - kart
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 24945
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2002:0624.21O35.02KART.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 07.02.2002 - AZ: 18 O 37/02
Rechtsgrundlagen
- § 935 ZPO
- § 940 ZPO
- § 6 Abs. 1 S. 1 EnWG
- § 25 UWG
Fundstellen
- RdE 2003, II Heft 1 (red. Leitsatz)
- RdE 2002, 290-293
- ZNER 2002, 328-331
Verfahrensgegenstand
Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und Wettbewerbsverletzungen
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Erforderlich bei einer auf Befriedigung gerichteten einstweilige Verfügung im summarischen Verfahren ist eine bestehende oder drohende Notlage des Gläubigers. Jener muss so dringend auf die sofortige Erfüllung seines Leistungsanspruchs angewiesen sein oder ihm müssen so erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen, dass ihm ein Zuwarten oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach Wegfall des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs nicht zumutbar ist.
- 2.
Bei Vorlage eines All-inclusive-Vertrages zur Stromversorgung eines Einzelkunden hat der Stromlieferant Anspruch auf den zeitnahen Abschluss eines Netznutzungsvertrages mit dem Netzbetreiber. In diesem Fall entfällt der Abschluss eines Netznutzungsvertrages zwischen Netzbetreiber und Einzelkunden.
In dem Rechtsstreit
hat die 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hannover als Kartellkammer
auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juni 2002
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ... sowie
die Handelsrichter ... und
...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beschlußverfüguung vom 7. Februar 2002 - 18 O 37/02 LG Hannover - wird aufgehoben und der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung, soweit dies nicht schon geschehen ist, zurückgewiesen.
Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Verfügungsklägerin darf die Vollstreckung hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 8.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt
Tatbestand
Die Verfügungsklägerin (künftig Klägerin genannt) verfügt über die bundesweite Genehmigung zur Versorgung mit elektrischer Energie nach § 3 EnWG.
Die Verfügungsbeklagte (künftig Beklagte genannt) betreibt das Verteilungsnetz für elektrische Energie in Seesen und vertreibt dort gleichzeitig elektrische Energie an Haushaltskunden, hinsichtlich derer die Parteien Wettbewerber bei der Belieferung sind.
Am 27.09.2001 meldete die Klägerin zwei Kunden (...) zur Durchleitung an, um diese versorgen und damit ihren eigenen Geschäftszweck verwirklichen zu können. Mit Schreiben vom 18.10.2001 reagierte die Beklagte und übersandte einen Rahmenvertrag mit Anlagen.
Die Klägerin beanstandete das Vertragswerk dahin, der Vertrag enthalte eine Vielzahl von unzulässigen Regelungselementen, und unterbreitete einen Gegenvorschlag mit Schreiben vom 08.11.2001. Im übrigen unterzeichnete sie die von der Beklagten geltend gemachten Vertragsbedingungen unter Vorbehalt. Mit Anwaltsschreiben vom 19.12.2001 ließ die Beklagte mitteilen, über den angemeldeten Durchleitungstermin per 01.12.2001 hinaus abgewartet zu haben, weil man die Ergebnisse eines Verfahrens der Interessenverbände und deren Verhandlungen habe abwarten wollen. Im wesentlichen unter Berufung auf die vorgesehene Neufassung der Verbändevereinbarung - ...- verlangte die Beklagte für die bereits per 01.12.2001 angemeldete Durchleitung durch ihr Netz die Beibringung von Verträgen mit dem Endkunden.
Die Klägerin nahm mit Schreiben vom 27.12.2001 den Standpunkt ein, wegen der fehlenden rechtzeitigen schriftlichen Ablehnung in Form des § 6 EnWG finde eine Netznutzung schon ab den 01.12.2001 statt. Mit Schreiben vom 21.01.2002 bat die Klägerin nochmals um Bestätigung der Durchleitung und stellte mit Schreiben vom 24.01.2002 klar, daß wegen der fehlenden formalen Durchleitungsablehnung mit schriftlicher Begründung tatsächlich eine Durchleitung seit dem 01.12.2001 stattfinde und damit umgekehrt belegt sei, daß diese unter diesen Voraussetzungen möglich und zumutbar sei. Die Klägerin forderte die Beklagte auf, bis zum 28.01.2002 zu erklären, daß die Durchleitung auch tatsächlich stattfindet.
Daraufhin übersandte die Beklagte mit Schreiben vom 23. und 24.01.2002 die Verträge, deren Unterzeichnung sie nunmehr zur Bedingung für die per 01.12.2001 angemeldete Netznutzung machte. Gleichzeitig äußerte sie, die Netznutzung per 01.12.2001 nicht praktizieren zu können, weil die Beklagte die von der Klägerin vorgelegte Ergänzung (Anlage 6 zum Rahmenvertrag) nicht habe akzeptieren können und daher die vermeintlich für die Netznutzung notwendigen Verträge nicht abgeschlossen worden seien.
Mit Schreiben vom 28.01.2002 ließ die Beklagte durch Anwaltsschreiben mitteilen, diese bestehe auf den Abschluß "eines Netzvertrages oder Netzanschlußnutzungsvertrages (auch Netznutzungsvertrag genannt, jedoch ohne Entgeltpflicht).
Die Klägerin hat um einstweiligen Rechtsschutz mit folgenden Anträgen nachgesucht:
- 1.
Der Beklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung geboten, der Antragstellerin ab sofort die Durchleitung elektrischer Energie zu den aus der Anlage AS 1 ersichtlichen Abnahmestellen auf der Basis von der Klägerin aufgegebener Arbeitswerte (kWh) und entsprechend mit branchenüblichen Lastprofilen wie beispielsweise der ... berechneter Fahrpläne zu gestatten, indem die Antragsgegnerin die aus vorstehenden Angaben ermittelbare Leistung und Arbeit von ihrem eigenen Bedarf abgrenzt und indem sie diese Menge im Namen der Klägerin bei dem vor gelagerten Netzbetreiber ... abruft unter Vornahme der Kostenwälzung nach der Verbändevereinbarung.
- 2.
Der Beklagten wird untersagt, gegenüber dem Kunden der Klägerin gern. Ziffer 1. der Anträge, direkt, z.B. durch Rund- oder Anschreiben, oder indirekt, z.B. durch die Forderung nach Abschlagszahlungen, Rechnungen etc. den Eindruck zu erwecken, der o.a. Kunde würde von der Beklagten mit elektrischer Energie versorgt.
- 3.
Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorgenannten Verpflichtungen ein Ordnungsgeld bis zu DM 500.000,00 ersatzweise Ordnungshaft, und für den Fall, daß dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken jeweils an den Geschäftsifihrern der Beklagten, angedroht.
Durch Beschluß vom 7. Februar 2002 - 18 O 37/02 LG Hannover - ist eine einstweilige Verfügung gemäß dem Antrag zu 1 erlassen, im übrigen der Antrag zurückgewiesen worden, zu Ziffer 2, weil eine entsprechende Handlungsweise der Beklagten nicht glaubhaft gemacht sei, zu Ziffer 3, weil im Falle der Nichtbefolgung des Gebots nicht Ordnungsgeld, sondern Zwangsgeld zu verhängen wäre. Von den Kosten des Verfahrens sind der Klägerin 1/4 und der Beklagten 3/4 bei einem Streitwert von 15.000,00 EUR auferlegt worden.
Gegen die Beschlußverfügung hat die Beklagte Widerspruch erhoben und die funktionelle Zuständigkeit der Zivilkammer gerügt. Nach Verweisung der Sache an die Kammer für Handelssachen als Kartellkammer ist auf Antrag der Beklagten durch Beschluß vom 23. April 2002 der Klägerin für die Erhebung der Hauptsachenklage eine Frist von zwei Wochen gesetzt worden. Die Klägerin hat inzwischen Hauptsachenklage erhoben, die unter dem Aktenzeichen 21 O 39/02 kart, geführt wird.
Die Klägerin verteidigt die Beschlußverfügung und führt dazu im wesentlichen aus: Der Verfügungsanspruch ergebe sich unmittelbar aus dem Gesetz, die Durchleitung dürfe nicht vom Abschluß der Beklagten genehmen Verträge abhängig gemacht werden, die Beibringung von Netznutzungsverträgen mit dem Endkunden könnten nicht verlangt werden. Die Beklagte sei auch deshalb zur Durchleitung verpflichtet, weil sie der Anmeldung der Kunden nicht mit schriftlicher Begründung widersprochen habe. Der von der Beklagten vorgelegte Rahmenvertrag sei, soweit er in § 2 die Durchleitung vom Abschluß sogen. Netznutzungsverträge mit dem Endkunden abhängig mache, gemäß § 134 BGB unwirksam, weil er gegen § 6 EnWG, §§ 19 Abs. IV Nr. 1, Nr. 4, 20 Abs. 1 GWB verstoße.
Für die beantragte einstweilige Regelung bestehe auch ein Verfügungsgrund, der vom Gesetzgeber gemäß 1 EnGW gewünschte Marktauftritt neuer Anbieter begründe die Notwendigkeit des sofortigen Netzzugangs, ohne den die Klägerin nicht in der Lage sei, ihre Kunden weiter zu beliefern und neue Kunden zu werben.
Die Klägerin beantragt,
die Beschlußverfügung aufrechtzuerhalten
Die Beklagte beantragt,
die Beschlußverfügung aufzuheben und den Antrag zurückzuweisen.
Die Beklagte erwidert:
Die Klägerin habe die zwischen der Beklagten und den Kunden ... sowie ... bestandenen Stromlieferverträge mit Telefax per 19.10.2001 gekündigt, sie, die Beklagte habe diese Kündigung mit Schreiben vom 23.10.2001 bestätigt und um die Rücksendung des unterzeichneten Rahmenvertrages gebeten, was nicht geschehen sei.
Sie, die Beklagte, ermögliche der Klägerin den Netzzugang entsprechend der Verbändevereinbarung II plus vom 13.12.2001, denn sie habe die Verträge und Netzanschluß- und Netznutzungsbedingungen dem geänderten Schuldnermodell angepaßt und der Klägerin die neuen Netzverträge für deren Kunden unter dem 27.1.2002 zugesandt. Der Klägerin werde der Netzzugang nicht verweigert, sie habe zeitnah auf die Anmeldung der Klägerin reagiert, die Klägerin sei es gewesen, die die Vertragsverhandlungen abgebrochen habe.
Für die einstweilige Verfügung fehle das Rechtsschutzbedürfnis, die Klägerin wolle auf diesem Wege eine streitige Rechtsfrage klären lassen. Die beantragte Leistungsverfügung sei mangels Vorliegens einer Notlage unzulässig, es fehle an einem Verfügungsgrund, die Klägerin sei aufgrund ihr erteilter Vollmacht der Kunden zum Abschluß der von der Beklagten geforderten Netzverträge, die sich im Einklang mit der Verbändevereinbarung II plus befänden, in der Lage.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A
Auf den Widerspruch der Beklagten war die Beschlußverfügung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu prüfen. Die mündliche Verhandlung hat ergeben, daß für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung es am Verfügungsgrund mangelt, deshalb war die Beschlußverfügung aufzuheben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Die Klägerin hat letztlich durch die Weigerung, die von der Beklagten im Januar 2002 angebotenen Verträge (Rahmenvertrag, Netzvertrag, Netzanschlußnutzungsvertrag) abzuschließen, sich selbst die Möglichkeit genommen, die in der Anlage zum Antrag AS 1 aufgeführten 2 Kunden beliefern zu können. Die Klägerin benutzt das einstweilige Verfügungsverfahren, um ihre Anspruchsposition zu optimieren, nicht aber dazu, sie erst einmal sicherzustellen, es geht ihr um die Klärung der Rechtsfrage, ob die Beklagte die Durchleitung in ihrem Netzgebiet vom Abschluß eines Netznutzungsvertrages mit dem Endkunden abhängig machen darf oder nicht. Dafür besteht im einstweilen Verfügungsverfahren kein Rechtsschutzbedürfnis.
Es liegen die engen Voraussetzungen für eine Leistungsverfügung nicht vor, bei Nichtrealisierung der Stromdurchleitung zu den in der Anlage AS aufgeführten Kunden besteht für die Klägerin keine existenzgefährende oder existenzvernichtende Notlage. Die Klägerin ist aufgrund der ihr von den Kunden erteilten Vollmacht in der Lage, die von der Beklagten geforderten Netzverträge, die sich im Einklang mit der Verbändevereinbarung II plus vom 13.12.2001 befinden, abzuschließen und damit die Voraussetzungen für die Netznutzung gemäß § 5 EnWG zu erfüllen.
B
Im einzelnen ist folgendes auszuführen:
1.
Eine auf Befriedigung gerichtete einstweilige Verfügung ist im summarischen Verfahren der einstweiligen Verfügung nur in Ausnahmefällen und unter engen Voraussetzungen zulässig. Dass ohne die Verfügung die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 935 ZPO), genügt ebenso wenig wie das Anliegen, wesentliche Nachteile abzuwenden (§ 940 ZPO). Erforderlich ist vielmehr eine bestehende oder drohende Notlage des Gläubigers. Jener muss so dringend auf die sofortige Erfüllung seines Leistungsanspruchs angewiesen sein oder ihm müssen so erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen, dass ihm ein Zuwarten oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach Wegfall des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs nicht zumutbar ist (Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses, 3. Aufl., Rdnr. 147, 149 m.w.Nw.).
In die rechtliche Beurteilung einzubeziehen ist dabei auch, inwieweit die Ablehnung einer Befriedigungsverfügung zu einer Rechtsverweigerung führt. Der Erlass einer Befriedigungsverfügung rechtfertigt sich nicht schon allein aus dem Umstand, dass die geschuldete Leistung nur innerhalb eines bestimmten Zeitraums vorzunehmen ist und die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist (Vollkommer/Zöller, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 21. Aufl.; § 940 Rdnr. 69).
Dem Interesse des Gläubigers an der Gewährung effektiven Rechtsschutzes steht das schutzwürdige Interesse des Schuldners gegenüber, nicht in einem mit nur eingeschränkten Erkenntnis- und Beweismöglichkeiten ausgestalteten summarischen Verfahren zu einer Erfüllung des reklamierten Anspruchs verpflichtet zu werden. Dieses Interesse des Schuldners gewinnt umso mehr dann an Gewicht, wenn sich die Erfüllung (und ihre Folgen) nicht oder nur schwer wieder rückgängig machen lassen. In diesen Fällen sind die Belange des Schuldners vielfach nicht weniger schutzwürdig als das Streben des Gläubigers nach Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs.
Der Erlass einer auf endgültige Befriedigung des Erfüllungsanspruchs gerichteten einstweiligen Verfügung kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn der dem Antragsteller aus der Nichterfüllung drohende Schaden außer Verhältnis zu demjenigen Schaden steht, der dem Antragsgegner aus der sofortigen Erfüllung droht (OLG Köln, NJW-RR 1995, 1088 [OLG Köln 11.01.1995 - 16 W 73/94]).
In die Abwägung der beiderseitigen Belange der Parteien sind darüber hinaus die Erfolgsaussichten des Verfügungsantrags einzubeziehen. Ist die Rechtslage eindeutig und lässt sich die Berechtigung des verfolgten Anspruchs zweifelsfrei feststellen, so ist der Schuldner weniger schutzwürdig und es überwiegt im Zweifel das Interesse des Klägerin daran, daß sein Anspruch bereits im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erfüllt wird. Diese Beurteilungskriterien stehen dabei insgesamt in einer Wechselbeziehung zueinander. Ist die Berechtigung des reklamierten Anspruchs eindeutig und/oder liefe die Versagung einer Befriedigungsverfügung mehr oder weniger auf eine endgültige Rechtsverweigerung hinaus, sind geringere Anforderungen an die wirtschaftliche Notlage zu stellen. Umgekehrt ist die Schwelle für die zu fordernde Notlage höher anzusetzen, wenn die Rechtslage nicht zugunsten des Klägerin völlig zweifelsfrei ist und/oder eine Verweisung auf die Geltendmachung von Schadensersatz zumutbar ist.
2.
Im vorliegenden Fall liegen diese soeben dargestellten engen Voraussetzungen für den Erlass einer Leistungsverfügung nicht vor.
a)
Die Klägerin will letztlich im Wege einer einstweiligen Verfügung eine zwischen den Parteien streitige Rechtsfrage klären lassen, ob sie einen Anspruch hat, im Netz der Beklagten Strom zum Endverbraucher zu liefern, ohne daß dies - anders als im Rahmenvertrag geregelt - vom Abschluss eines unentgeltlichen Netznutzungsvertrages zwischen der Beklagten und dem Endverbraucher abhängig gemacht werden darf.
Die Kammer hat bei den mit Urteilen vom 14.5.2001 - 21 O 2176/01 und vom 21.12.2001 - 21 O 5997/01 - beide rechtskräftig - entschiedenen einstweiligen Verfügungsverfahren, denen ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, das Vorliegen der besonderen Voraussetzungen für den Erlaß einer Leistungsverfügung verneint. Die Kammer hält an ihrer Rechtsauffassung fest.
Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass die Klägerin durch die Weigerung, die ihr angebotenen Verträge abzuschließen, sich selbst die Möglichkeit genommen hat, ihre Kunden im Netzgebiet der Beklagten beliefern zu können. Es ist aufgrund der von der Beklagten vorgelegten Anlagen B6, B7 davon auszugehen, dass für die in der Anlage AS 1 aufgeführten zwei Kunden die Klägerin Vollmacht hat, die von der Beklagten geforderten Netznutzungsverträge abzuschließen. Es ist nicht erkennbar, welche wesentlichen Nachteile der Klägerin hinsichtlich dieser Kunden bei einer Praktizierung der von der Beklagten angebotenen Verträge bis zu einer Entscheidung im inzwischen angestrengten Hauptsacheverfahren drohen.
b)
Bei Abschluß der von der Beklagten angebotenen Verträgen droht kein Notstand der Klägerin, eine außergewöhnliche Notlage läge bei einstweiliger Praktizierung des Vertragsmodells auf der Grundlage der Verbändevereinbarung II plus vom 13.12.2001 nicht vor.
aa)
Die Klägerin hätte die Möglichkeit, nach Maßgabe des von der Beklagten angebotenen Rahmenvertrages Strom an Kunden im Netz der Beklagten zu liefern. Ihr ist unter Abwägung der Interessen der Parteien zuzumuten, bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren den von der Beklagten angebotenen Rahmenvertrag mit Netzvertrag gemäß der Verbändevereinbarung zu akzeptieren.
Die Verbändevereinbarung II Plus ist im Bundesanzeiger Nr. 85 b vom 08.05.2002 veröffentlicht worden. Der Rechtscharakter und die Rechtswirkung dieser Verbändevereinbarung haben sich inzwischen entscheidend geändert. Der Bundestag hat in seiner Sitzung am 17.05.2002 in 2. und 3. Lesung nämlich eine Änderung des § 6 Abs. 1 Satz 1 EnWG in der Weise beschlossen, dass in Satz 1 nach den Wörtern "für Durchleitungen zu Bedingungen zur Verfügung zu stellen, die" die Wörter "guter fachlicher Praxis entsprechen und" eingefügt werden. Ferner werden nach Satz 3 folgende Sätze 4 und 5 eingefügt:
"Die Bedingungen guter fachlicher Praxis im Sinn des Satzes 1 dienen der Erreichung der Ziele des §1 und der Gewährleistung wirksamen Wettbewerbs. Bei Einhaltung der Verbändevereinbarung über Kriterien zur Bestimmung von Netznutzungsentgelten für elektrische Energie und über Prinzipien der Netznutzung vom 13. Dezember 2001 (Bundesanzeiger ...) wird bis zum 31.12.2003 die Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis vermutet"
Damit wird künftig gesetzlich vermutet, dass der Abschluß eines Netzvertrages (Netzanschlußnutzungsvertrages) zwischen dem über das Netz belieferten Kunden und dem örtlichen Netzbetreiber "guter fachlicher Praxis" und infolgedessen den gesetzlichen Anforderungen entspricht.
Die Klägerin hat nicht dargetan, daß bei ihren Kunden die Unterzeichnung der Netznutzungsverträge mit der Beklagten konkrete Wettbewerbsnachteile mit sich bringt und/oder neue Kunden wegen der Netzverträge abgesprungen sind oder dies in Aussicht gestellt haben. Im Gegenteil, hinsichtlich der in der Anlage AS1 aufgeführten Kunden ist davon auszugehen, daß diese mit dem Abschluß dieser Netzverträge einverstanden sind.
bb)
Die Entscheidung der grundsätzlichen Rechtsfrage, ob der Stromlieferant gegenüber dem Netzbetreiber einen sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden, nicht einen erst zu verhandelnden Anspruch auf Netznutzung hat, kann nicht im Eilverfahren mit seinen begrenzten Erkenntnismöglichkeiten erfolgen, es ist vielmehr eine nähere Untersuchung der aktuellen Marktsituation erforderlich, um zuverlässig beurteilen zu können, ob die im Rahmenvertrag vorgesehene Abwicklung der Durchleitung missbräuchlich bzw. diskriminierend ist.
Durch die Presseerklärung des Bundeskartellamtes vom 18.10.2001 (http.//www.bundeskartellamt.de/18_10_2001.html) wird letztlich nur verlautbart, daß Bundeskartellamt und Landeskartellbehörden bei entsprechenden Beschwerden alle "Doppelvertragsmodelle" auf wettbewerbsbehindernde Wirkungen oder sonstige kartellrechtwidrigen Klauseln prüfen werden. Im übrigen sind Äußerungen und Pressererklärungen der Kartellbehörden nicht schon für sich eine Rechtsgrundlage für die Beurteilung eines Sachverhalts als rechtsmißbräuchlich (LG Hamburg, Urteil vom 2.2.2001, ZNER 2001.S. 59).
Ob für die Klägerin durch die im neuen Rahmenvertrag festgelegte Abwicklung der Stromdurchleitung eine existenzbedrohende Notlage besteht, kann im Rahmen der hier zu treffenden Entscheidung auch nicht abstrakt im Hinblick auf potentielle Kunden beurteilt werden, es kommt auf den Inhalt der beantragten Leistung an, denn zur Rechtfertigung der Leistungsverfügung gehört es, dass die angebliche besondere Notlage nur durch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes aufgehalten werden kann, jede andere Entscheidung zu spät käme. Würde aber die beantragte Leistungsverfügung erlassen, dann würde damit lediglich die Belieferung von zwei Kunden durch die Klägerin ermöglicht werden, deren Belieferung möglich wäre, hätte die Klägerin das Vertragsangebot der Beklagten akzeptiert.
cc)
Selbst wenn der Klägerin ein unmittelbar aus dem Gesetz ein Anspruch auf Abschluss eines Nutzungsvertrages mit der Beklagten bzw ein Anspruch auf Durchleitung ohne gleichzeitigen Abschluß eines Netzvertrages zustünde, folgt daraus nicht schon ohne weiteres, dass bei Nichterfüllung dieses Anspruchs eine Existenzgefährdung der Klägerin droht und diese Notlage nur durch Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung vermieden werden kann.
Die im angebotenen Rahmenvertrag vorgesehene Netznutzung durch Verträge zwischen Netzbetreiber und Stromlieferant einerseits und Netzbetreiber und Endabnehmer andererseits entspricht der von den Verbänden der Energiewirtschaft zur Umsetzung der Strommarktliberalisierung abgeschlossene Vereinbarung über Kriterien zur Bestimmung von Netznutzungsentgelten für Elektrische Energie vom 13.12.2001 (sogen. Verbändevereinbarung II plus). Ziffer 1.1 der W II plus besagt, daß das Gebot der Transparenz - getrennt vom Stromlieferungsvertrag - den Abschluß von Netzanschlußverträgen mit jedem Einzelkunden erfordert. Bei Vorlage eines All-inclusive-Vertrages zur Stromversorgung eines Einzelkunden hat der Stromlieferant Anspruch auf den zeitnahen Abschluß eines Netznutzungsvertrages mit dem Netzbetreiber. In diesem Fall entfällt der Abschluß eines Netznutzungsvertrages zwischen Netzbetreiber und Einzelkunden. Der Netzbetreiber kann in begründeten Fällen für die Netznutzung vom Schuldner des Nutzungsentgelts eine angemessene Sicherheitsleistung verlangen. Wenn der Einzelkunde es wünscht, wird - zeitnah - der Nutzungsvertrag zwischen ihm und dem Netzbetreiber abgeschlossen. In diesem Fall schließt der Einzelkunde mit dem Stromlieferanten einen reinen Stromlieferungsvertrag ab.
Davon unabhängig ist die Netzanschlußnutzung durch Vertrag mit dem Endkunden zu regeln, was künftig nach Maßgabe der nach Änderung des § 11 EnGW noch zu erlassenden, im Entwurf schon vorliegenden AVBElt-Netz zu erfolgen hat.
Dem hat die Beklagte mit den der Klägerin im Januar 2002 vorgelegten Verträgen im wesentlichen entsprochen.
dd)
Der Klägerin wird dadurch, dass sie sich bis zur Klärung der Streitfrage mit der von der Beklagten angebotenen Regelung begnügen muss, ihre vermeintliche Rechtsposition nicht endgültig vereitelt.
Die Klägerin mag den einen oder anderen Kunden verlieren, weil sie im Gegensatz zu dem örtlichen Versorger/Netzbetreiber ihrem Kunden die Notwendigkeit des Abschlusses eines weiteren Netznutzungsvertrages mit dem Netzbetreiber vermitteln muß. Selbst wenn dies auf potentiell wechselwillige Stromkunden jedenfalls dann abschreckend wirken sollen, wenn ihnen von ihrem bisherigen Versorger eine einheitliche vertragliche Lösung angeboten wird, muss dies einstweilen hingenommen werden. Würde die Beklagte der Klägerin nachgeben, müsste sie dies auch anderen Nachfragern gegenüber aus Gleichbehandlungsgründen tun, ohne aber - aus ihrer Sicht dazu rechtlich verpflichtet zu sein. Ihr Interesse, den der Klägerin angebotenen Rahmenvertrag mit Netzvertrag weiter zu praktizieren, wiegt mindestens genau so schwer wie das Interesse der Klägerin, auf der Basis des von ihr vorgelegten modifizierten Rahmenvertrages die vertraglichen Beziehungen zur Beklagten zu gestalten.
Es ist nach Auffassung der Kammer keineswegs evident, dass die Stromversorger/Netzbetreiber mit der beanstandeten Praxis von der gesetzlichen Regelung des § 6 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes abweichen; jene Regelung will zunächst nur sicherstellen, dass auch derjenige Lieferant, der kein Netz besitzt, Strom an Netzkunden liefern kann; die von der Beklagten im Rahmenvertrag vorgesehenen Vertragsabwicklung ermöglicht der Klägerin die Belieferung von Stromkunden im fremden Netz, auch im Rahmen eines "allinclusiv"-Angebotes. Die Beklagte verweigert der Klägerin nicht schlechthin die Stromdurchleitung, die Parteien streiten letztlich über das "Wie", wie die Stromdurchleitung im konkreten Fall vertraglich zu regeln ist.
Es besteht im Regelfall kein unmittelbarer Anspruch aus dem Gesetz (§ 6 Abs. 1 S. 1 EnWG) auf Belieferung der Kunden mittels Netznutzung, sondern der Zugang zum Elektrizitätsversorgungsnetz erfolgt gemäß § 5 EnWG nach dem System des verhandelten Netzzugangs, wie sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt (LG Leipzig Urteil vom 4.10.2001 - 06 HKO 7953/00, LG Nürnberg/Fürth Urteil vom 15.10.2001 - 3 O 8002/01).
Im Rahmen der geltenden Vertragsfreiheit kann die Beklagte grundsätzlich die Bedingungen der Nutzung ihres Netzes bestimmen, soweit das Gesetz dem nicht Schranken gesetzt hat. Will der Vertragspartner die angebotenen Regelungen über die Netznutzung nicht akzeptieren, weil er sie als gesetzeswidrig, insbesondere Wettbewerbs- bzw. kartellrechtswidrig beanstandet, hat er die Voraussetzungen dafür im einzelnen darzulegen und zu beweisen. Erst wenn das geschehen ist, kann die Rede davon sein, der Netzbetreiber verweigere die Durchleitung durch das Aufstellen unzulässiger Vertragsbedingungen.
Es kann nach Auffassung der Kammer keine Rede davon sein, dass die Rechtslage völlig zweifelsfrei zu Gunsten der Klägerin sei. Die von der Klägerin angeführten Entscheidungen (insbes. OLG Dresden Urteil vom 8.2.2001 - U 2978/00 kart, RdE 2001, 144 f.) betreffen noch nicht die Ausgestaltung der Rahmenverträge, wie sie heute von der Beklagten angeboten werden.
3.
Schließlich kann die Klägerin auch nicht den Verfügungsgrund des § 25 UWG für sich reklamieren. Die Parteien sind zwar Wettbewerber, aber nur soweit es um die Lieferung von Strom an Endverbraucher geht, nicht aber, soweit es um das Verhältnis Netzbetreiber/Stromlieferant geht. Und in dieser Beziehung streiten die Parteien miteinander, ob und inwieweit der Zugang zum Netz von Bedingungen abhängig gemacht werden darf.
C
Die Zurückweisung des Antrages der Verfügungsklägerin hat gemäß § 91 ZPO zur Folge, dass die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
Die weiteren Nebenentscheidungen sind gemäß §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO getroffen worden.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt
Die Streitwertfestsetzung ist gemäß § 3 ZPO erfolgt.