Landgericht Hannover
Beschl. v. 12.02.2002, Az.: 20 T 2225/01 - 80-
Teilhabe von Strafgefangenen an der Restschuldbefreiung
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 12.02.2002
- Aktenzeichen
- 20 T 2225/01 - 80-
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 28985
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2002:0212.20T2225.01.80.0A
Rechtsgrundlagen
- § 287 Abs. 2 S. 1 InsO
- § 290 Abs. 1 InsO
- § 43 StVollzG
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Anwendbarkeit der Versagungsgründe der §§ 295, 296 InsO, die die Versagung in der Wohlverhaltensperiode regeln, kann vorverlagert werden. Die Versagung der Restschuldbefreiung kann im eröffneten Insolvenzverfahren auch auf die §§ 295, 296 InsO gestützt werden.
- 2.
Ein langjährig inhaftierter Straftäter ist kein redlicher Schuldner i.S.d. Gesetzes. Ihm ist die Restschuldbefreiung zu versagen, weil er nicht die reale Möglichkeit hat, nach seinen Fähigkeiten Einkünfte zu erzielen.
Tenor:
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
Gründe
I.
Der Schuldner wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss des AG Hannover, durch den sein Antrag auf Restschuldbefreiung zurückgewiesen wurde.
Der Schuldner war bis zum 12.7.1998 Kleingewerbetreibender und verbüßt seitdem eine 12- jährige Haftstrafe. Er beantragte am 14.2.2000, nachdem eine außergerichtliche Einigung mit seinen Gläubigern über die Schuldenbereinigung gescheitert war, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie die Erteilung der Restschuldbefreiung.
Nach Widerspruch aller Gläubiger gegen den Schuldenbereinigungsplan wurde am 15.8.2000 das Insolvenzverfahren über das Vermögen eröffnet.
Im besonderen Prüfungs- und Schlusstermin v. 26.9.2001 stellte die Stadtsparkasse H., wie bereits mit Schriftsatz v. 25.1.2001 angekündigt, als Gläubigerin den Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung. Sie führte dazu aus, der Schuldner könne die Anforderungen des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht erfüllen. Er verfüge über kein Einkommen und werde in absehbarer Zeit auch keines erzielen, so dass er keine pfändbaren Forderungen abtreten könne. Weiter sei ersichtlich, dass der Schuldner auf Grund seiner Inhaftierung der Pflicht des § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO auf Ausübung einer angemessenen Erwerbstätigkeit nicht nachkommen könne. Selbst bei einer Arbeit in der JVA könne auf Grund der niedrigen Vergütung nicht von einer Angemessenheit gesprochen werden.
Das AG hat mit Beschl. v. 30.10.2001 den Antrag des Beschwerdeführers auf Restschuldbefreiung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Schuldner komme auf Grund seiner Inhaftierung der Verpflichtung zur Ausübung einer angemessenen Erwerbstätigkeit nicht nach und könne sich um eine solche auch nicht bemühen. Eine etwaige Tätigkeit in der JVA werde nur nach den geringen Sätzen des § 43 StVollzG vergütet und bleibe innerhalb der Pfändungsfreigrenzen, so dass diese nicht ausreichend sei, die Angemessenheit des § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu begründen.
Gegen diesen am 2.11.2001 zugestellten Beschluss hat der Schuldner mit Schriftsatz v. 6.11.2001 - Eingang 7.11.2001 - sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt er aus, die Regelungen der §§ 295, 296 InsO betreffen nur Obliegenheitsverletzungen während der Laufzeit der Wohlverhaltensperiode. Darauf dürfte die Versagung nicht gestützt werden.
II.
Dem Schuldner ist darin zuzustimmen, dass die Versagung der Restschuldbefreiung vor Beginn der Wohlverhaltensperiode grds. nur auf die in § 290 Abs. 1 InsO genannten Gründe gestützt werden kann. Die Versagungsgründe sind nach allgemeiner Auffassung abschließend aufgezählt (vgl. Kohte u.a., Restschuldbefreiung und Verbraucherinsolvenzverfahren, § 290 Rn. 5; Kübler/Prütting, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 290 Rn. 2 jeweils m.w.N.). Der vom AG angeführte Versagungsgrund des Verstoßes gegen die Verpflichtung, in zumutbarer Weise Einkommen zu erwerben, ist darin nicht aufgeführt. Daraus in strikter Anwendung der §§ 290, 291 InsO die Konsequenz zu ziehen, die Restschuldbefreiung anzukündigen und sodann während des Laufes der Abtretungserklärung die Voraussetzungen der §§ 295, 296 InsO zu prüfen, stellt nach Auffassung der Kammer jedoch eine unnötige Förmelei dar und wird zudem Sinn und Zweck der Vorschriften für die Restschuldbefreiung nicht gerecht.
Restschuldbefreiung soll nach der Zielsetzung des Gesetzgebers nur der Schuldner erlangen können, der redlich ist und sich bei Beachtung der berechtigten Interessen der Gläubiger nichts hat zu Schulden kommen lassen. Dies ist bei der jetzigen Lebenssituation des Schuldners nicht gegeben. Er ist auf Grund seiner langjährigen Strafhaft erkennbar nicht in der Lage, seiner Obliegenheit, eine angemessen Erwerbstätigkeit auszuüben oder sich zumindest um eine solche zu bemühen, nachzukommen. Der Schuldner kann voraussichtlich im Strafvollzug nur Tätigkeiten ausüben, die immer unterhalb der Pfändungsfreigrenze liegen werden. Dadurch werden die berechtigten Interessen seiner Gläubiger verletzt. Sie können von einem Schuldner erwarten, dass er jede zumutbare Beschäftigung ausübt, um seine Schulden zu tilgen. § 295 InsO verlangt, dass eine reale Möglichkeit besteht, dass Gläubiger einen Teil ihrer Forderungen befriedigt erhalten. Die bestmögliche Gläubigerbefriedigung durch den Einsatz der Arbeitskraft zur Erzielung möglichst hohen Einkommens ist dem Schuldner jedoch gerade durch die Strafhaft genommen. Diese nachhaltige Beschränkung seiner Erwerbsmöglichkeiten ist dem strafgefangenen Schuldner als Verstoß gegen seine Obliegenheitsverpflichtung aus § 295 InsO vorzuhalten, auch wenn der Grund für die Beschränkung seiner Erwerbsmöglichkeiten vor dem Antrag auf Restschuldbefreiung liegt. Ein langjährig inhaftierter Straftäter ist nicht als redlicher Schuldner i.S.d. Gesetzes anzusehen, gleich, wann die Ursache für seine Strafhaft gesetzt wurde. Wollte man dieses anders entscheiden, hieße dieses im Ergebnis, dass jeder langjährige Strafgefangene zwangsläufig mit dem Ende seiner Strafhaft zum Nachteil seiner Gläubiger von seinen Verbindlichkeiten ohne Schuldentilgung befreit werden würde, ohne dass er tatsächlich Wohlverhalten gegenüber seinen Gläubigern zu leisten hatte. Dies verstößt gegen Sinn und Zweck der Restschuldbefreiung und ist auch nicht durch den Gedanken der Resozialisierung zu rechtfertigen, die durch eine Schuldenfreiheit am Ende der Strafhaft zweifelsohne gefördert werden würde. Vielmehr ist es jedem Strafgefangenen unter Berücksichtigung der Interessen seiner Gläubiger zumutbar, seine Resozialisierung durch Entschuldung über die Restschuldbefreiung unter eigener Verantwortung erst dann zu betreiben, wenn er in der Strafhaft als Freigänger die reale Möglichkeit zur Erzielung von Erwerbseinkommen hat oder dazu nach Ende der Strafhaft in der Lage ist. Eine Resozialisierung gleichsam ohne Verantwortung für selbst bestimmte eigene Handlungen zum Zwecke der Entschuldung einseitig zum Nachteil der Gläubiger erreichen zu können, ist nach Auffassung der Kammer nicht durch die Vorschriften der InsO bezweckt und zu rechtfertigen.
Gegen die Entscheidung, die Restschuldbefreiung zu versagen, spricht nach Auffassung der Kammer auch nicht, dass Voraussetzung der Restschuldbefreiung nicht ist, dass Gläubiger eine Mindestbefriedigung erhalten müssen oder der Schuldner im Zeitpunkt der Abtretung überhaupt über Einkommen verfügt. Entscheidend ist vielmehr, dass für den Schuldner die reale Möglichkeit besteht, nach seinen Fähigkeiten Einkünfte zu erzielen. Dies ist bei einem langjährigen Strafgefangenen nicht der Fall.
Der Schuldner kann ebenfalls nicht damit durchdringen, dass die Gläubigerin ihren Antrag auf Versagung nicht binnen der Jahresfrist gem. § 296 Abs. 1 Satz 2 InsO gestellt habe. Sie habe bereits im September 1999 von der Strafhaft gewusst, den Antrag aber erst am 25.1.2001 gestellt. Die Jahresfrist ist auf den vorliegenden Fall der Versagung nicht anwendbar. Der Schuldner hat seinen Insolvenzantrag und Antrag auf Restschuldbefreiung erst am 15.2.2000 gestellt. Erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Kenntnis von dem Restschuldbefreiungsantrag des Schuldners im November 2000 konnte die Gläubigerin den Versagungsantrag stellen. Dies hat sie rechtzeitig getan. Aus ihrem vorherigen Verhalten war, anders als es § 296 Abs. 1 Satz 2 InsO voraussetzt, nicht abzuleiten, dass sie aus der Kenntnis des Versagungsgrundes keinen für den Schuldner nachteiligen Prüfungsantrag ableiten werde.