Landgericht Hannover
Urt. v. 24.05.2002, Az.: 4 S 18/02

Anspruch auf Ausgleich von Schäden wegen des Abhandenkommens von Reisegepäck; Beweislastverteilung im Fall der objektiven Verletzung der Auskunftsobliegenheit durch objektiv falsches Ausfüllen einer Schadensanzeige durch den Versicherungsnehmer; Umfang der Auskunftsobliegenheit gegenüber der Versicherung bei Reisegepäckschäden; Rechtsfolgen von grob fahrlässigen Falschangaben in einer Schadensanzeige

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
24.05.2002
Aktenzeichen
4 S 18/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 29494
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2002:0524.4S18.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 31.03.2002 - AZ: 518 C 16370/01

Fundstellen

  • NVersZ 2002, 574-575
  • RRa 2003, 96 (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Forderung aus Versicherungsvertrag

In dem Rechtsstreit
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2002
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...,
die Richterin am Landgericht ... und
die Richterin ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 31.3.2002 (Az.: 518 C 16370/01) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Auf den Tatbestand wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO verzichtet.

Entscheidungsgründe

2

Die Berufung ist zulässig aber unbegründet.

3

Die Entscheidung des Amtsgerichts Hannover beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen zugrundezulegende Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch gem. § 1 Abs. 1 S. 1 VVG auf Ausgleich von Schäden, die durch Abhandenkommen ihres Koffers auf dem Rückflug von Fuerteventura nach Hannover am 5.4.2001 entstanden sind. Unabhängig von der Frage, ob und in welcher Höhe der Klägerin ein Schaden entstanden ist, ist die Beklagte von ihrer Leistungsverpflichtung gem. § 6 Abs. 3 VVG i.V.m. § 9 Ziff. 2 AVB AB 00 frei geworden. Danach wird der Versicherer von der Leistungspflicht befreit, wenn der Versicherte vorsätzlich oder grob fahrlässig eine Obliegenheit verletzt, die nach dem Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllen ist. Für die Klägerin bestand gegenüber der Beklagten eine Auskunftsverpflichtung. Nach § 6 Ziff. 1 Bst. c AVB AB 00, der Vertraginhalt geworden war, hatte die Klägerin die Verpflichtung, der Beklagten jede sachdienliche Auskunft wahrheitsgemäß zu erteilen. Diese Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Auskunftserteilung erstreckte sich auch auf vorherige Reisegepäckschäden von mitreisenden Personen (Prölss/Martin Versicheruhgsvertragsgesetz, 26. Auflage, § 10 AVBR 92, Rn 7). Die Angabe hinsichtlich der Vorschäden hat eine erhebliche Bedeutung für die Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers. Der Versicherer wird dadurch in die Lage versetzt, abzuschätzen, wie genau seine eigenen Ermittlungen und Erhebungen sein müssen. Dies ist bei der Reisegepäckversicherung von besonderer Bedeutung, da dieser Versicherungszweig für unredliche Inanspruchnahme besonders anfällig ist und bei Vorliegen von Vorschäden in der Regel erheblich höhere Anforderungen an den Nachweis des Schadens durch den Versicherer gestellt werden (AG Hannover, Urteil vom 14.7.1976, VersR 1978, 342).

4

Die Klägerin hat ihre Verpflichtung, wahrheitsgemäße Angaben über Vorschäden mitreisender Personen zu machen, verletzt. Sie hat im Schadensformular der Beklagten auf die Frage, ob sie schon einmal Reisegepäckschäden hatte, angegeben "vor ca. 6 Jahren". Auf die Frage, ob eine mitreisende Person, ihr Ehemann, schon früher Reisegepäckschäden gehabt habe, hat die Klägerin "ja" angekreuzt. Auf die Bitte der Beklagten "näheres zu den früheren Reisegepäckschäden" der Klägerin und ihrer Reisebegleitung, ihrem Ehemann, mitzuteilen, antwortete die Klägerin mit Schreiben vom 20.6.2001, sie könne nähere Angaben zu früheren Reiseschäden nicht mehr machen, da diese "einfach zu lang zurück" lägen. Diese Angaben der Klägerin sind missverständlich und falsch. In der Vergangenheit hat es nicht mehrere Reisegepäckschäden bei der Klägerin und ihrem Ehemann gegeben, sondern nur einen Reisegepäckschaden. Dieser Schaden trat bei ihrem Ehemann im Mai 2000, d.h. 11 Monate und nicht ca. 6 Jahre vor dem in diesem Verfahren gegenständlichen Schadensereignis, in Höhe von knapp 5.600 DM auf.

5

Gegen objektiv falsche Angaben der Klägerin in der Schadensanzeige spricht auch nicht, dass sie einen Vorschaden bei ihrem mitreisenden Ehemann den Tatsachen entsprechend bejaht hat. Die übrigen Angaben zu diesem Schaden waren unrichtig.

6

Zum einen konnte die Beklagte durch die missverständlichen Angaben nicht erkennen, dass es sich bei dem vor ca. 6 Jahren eingetretenen Schadensfall um den Schaden des mitreisenden Ehemannes der Beklagten handelte, zum anderen lag dieser Schaden nicht 6 Jahre, sondern knapp 1 Jahr zurück. Für die Frage der von der Versicherung anzustrengenden Ermittlungen ist die Frage der Schadensintervalle von Bedeutung, da bei lange zurückliegenden Schadensereignissen andere Ermittlungen getätigt und andere Anforderungen an den Schadensnachweis gestellt werden, als bei kürzlichen Schadensereignissen.

7

Die Klägerin hat diese fehlerhaften Angaben auch zumindest grob fahrlässig gemacht. Sie kann nicht belegen, dass der Grad ihrer Schuld den der groben Fahrlässigkeit nicht erreicht. Diesbezüglich obliegt ihr die Beweislast (Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 26. Auflage, § 6 VVG, Rn 124, § 10 AVBR 92 Rn 13), nachdem die objektive Verletzung der Auskunftsobliegenheit durch objektiv falsches Ausfüllen der Schadensanzeige feststeht. Die Klägerin behauptet, sie habe sich an den konkreten Schaden nicht mehr erinnern können, da ihr Ehemann viel reise. Diese Behauptung ist nicht geeignet, die Vermutung der groben Fahrlässigkeit zu entkräften. Bei der fraglichen Reise im Mai 2000 hat die Klägerin ihren Ehemann begleitet und den Schadenseintritt selbst erlebt. Ferner war der Schaden mit knapp 5.600 DM nicht unerheblich. Das Schadensereignis und seine Folgen lagen noch verhältnismäßig kurze Zeit zurück, zumal sich an den Schaden selbst noch dessen Regulierung angeschlossen haben dürfte.

8

Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg einwenden, ihr sei die Bedeutung der Frage der Beklagten nach den Vorschäden nicht bewusst gewesen, insbesondere da diese weder konkret noch besonders hervorgehoben gewesen sei. Der Klägerin sind bei Abschluß des Reisevertrages die Bedingungen für Reiseversicherungen der Beklagten ausgehändigt worden. Daraus konnte die Klägerin entnehmen, dass Angaben im Schadensfall wahrheitsgemäß zu erfolgen haben und für den Fall nicht wahrheitsgemäßer Angaben der Versicherer von der Leistung frei werden kann. Dies folgt aus § 6 AVB RG 00, § 6 Ziff. 1 Bst. c, 9 Ziff. 1 AVB AB 00. Ferner enthält die Schadensanzeige zu Beginn den Hinweis auf sorgfältiges und vollständiges Ausfüllen. Mit der Unterschrift versichert der Versicherungsnehmer alle Fragen wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet zu haben und erklärt, dass es ihm bekannt ist, dass unwahre oder unvollständige Angaben zum Verlust des Versicherungsschutzes führen. Diese Hinweise sind fettgedruckt und wurden von der Klägerin unterzeichnet. Von der Beklagten waren auch keine genaueren Fragen zu erwarten. Zum einen sind die Fragen nach den vorangegangenen Reisegepäckschäden im der Schadensanzeige hinreichend konkret, zum anderen war angesichts der ungenauen Angaben der Klägerin eine konkretere Nachfrage der Beklagten hinsichtlich des Vorschadens nicht erforderlich. Aus der Frage folgte, dass die Beklagte weitere Angaben zu vorangegangenen Gepäckschäden wünschte, diese Bitte konnte sich nur auf Angaben wie Schadensdatum, Schadensort und Schadenssumme erstrecken.

9

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht analog § 708 Nr. 10 ZPO.

10

Die Revision wird nicht zugelassen, da keine Zulassungsgründe vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).