Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.02.2002, Az.: 1 K 1236/00

Rechtmäßigkeit einer Entwicklungssatzung für eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme; Voraussetzungen an die Merkmale eines Ortsteils erfüllende Bereiche im Außenbereich; Einheitliche Entwicklungsmaßnahme auf voneinander getrennten Flächen; Begriff des erhöhten Bedarfs an Wohnstätten und Arbeitsstätten; Nachfrage von Unternehmen nach Gewerbeflächen als Indikator für einen erhöhten Bedarf; Befragung von Privateigentümern über ihrer Verkaufsbereitschaft

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.02.2002
Aktenzeichen
1 K 1236/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 30374
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2002:0220.1K1236.00.0A

Fundstellen

  • BauR 2002, 1747 (amtl. Leitsatz)
  • NordÖR 2002, 312-316
  • ZfBR 2002, 810

Verfahrensgegenstand

Feststellung der Nichtigkeit einer Satzung

In dem Normenkontrollverfahren
...
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 1. Senat -
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2002
durch
den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Schmaltz,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Claus,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Muhsmann sowie
die ehrenamtlichen Richterinnen B.-C. und D.-E.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die vom Rat der Antragsgegnerin am 8. September 1999 beschlossene Entwicklungssatzung für die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme "Horumersiel/Schillig" der Antragsgegnerin wird für nichtig erklärt.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Normenkontrollverfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der Kostenforderung abwenden, wenn nicht der Antragsteller vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Antragsteller wendet sich mit der Normenkontrolle gegen die Entwicklungssatzung der Antragsgegnerin, mit der der städtebauliche Entwicklungsbereich für die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme "Horumersiel/Schillig" förmlich festgelegt wird.

2

Der Antragsteller ist Eigentümer eines am südlichen Rand des Ortsteils Schillig der Antragsgegnerin gelegenen Grundbesitzes. Die Fläche von 20 ha wird landwirtschaftlich genutzt. Der Sohn des Antragstellers, der Antragsteller des Verfahrens 1 K 1237/00, betreibt auf der Hofstelle und den angrenzenden Ländereien Vollerwerbslandwirtschaft. Das Satzungsgebiet erfasst rund 56.000 qm der als Grünland und Weideland bewirtschafteten Nutzflächen.

3

Der Rat der Antragsgegnerin beschloss am 8. September 1999 die Entwicklungssatzung. Der Maßgabe der Bezirksregierung Weser-Ems in der Genehmigung der Satzung vom 26. Januar 2000, die nachgereichte geänderte beziehungsweise ergänzte Fassung des Berichts zur Entwicklungssatzung als Teil der Abwägung und Bestandteil des Berichts zur Entwicklungssatzung zu beschließen, trat der Rat der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 29. Februar 2000 bei. Die Bekanntmachung datiert vom 17. März 2000.

4

Der Entwicklungsbereich umfasst 93.085 qm bisher landwirtschaftlich genutzter Flächen südlich und südwestlich der Ortslage von Horumersiel (Entwicklungszone I) und 171.746 qm bisher landwirtschaftlich genutzter Flächen südlich und südwestlich des Siedlungsbereiches von Schillig, aufgeteilt in vier Entwicklungszonen II bis V.

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In dem Bericht zur Entwicklungssatzung wird unter anderem ausgeführt: Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme Horumersiel/Schillig diene dazu, den erhöhten Bedarf von Wohn- und Arbeitsstätten zu decken sowie notwendige Infrastrukturmaßnahmen einzuleiten, damit eines der Hauptentwicklungsziele, den Fremdenverkehr und Tourismus angemessen auszubauen, verwirklicht werden könne. Mit der Maßnahme werde auch das Ziel verfolgt, infrastrukturelle und städtebauliche Probleme des Ortsteils Horumersiel/ Schillig über geeignete Maßnahmen zu entschärfen beziehungsweise nachweislich zu verbessern. Die Entwicklungszone I süd-/südwestlich von Horumersiel umfasse die Entwicklung eines Wohngebietes und westlich davon eines Großparkplatzes, mit dessen Anlage die Entlastung des Ortskernes von Horumersiel durch Parkplatzverkehr und Parkplatzsuchverkehr angestrebt werde. Die Entwicklungszonen II bis V bezögen sich auf Wohngebiete (Entwicklungszonen II und IV), auf einen Großparkplatz (Entwicklungszone III) und auf ein Sondergebiet zur Errichtung von Kur- und Freizeiteinrichtungen (Entwicklungszone V) jeweils in Schillig. Die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme könne in den fünf festgelegten Entwicklungszonen nur einheitlich und parallel realisiert werden. Bei dem Ortsteil Horumersiel/Schillig handele es sich um eine räumlich funktionale Einheit, die auch im Rahmen einer städtebaulichen Entwicklung nur einheitlich betrachtet werden könne. Der gesamte Maßnahmenkatalog ergebe insgesamt nur dann städtebaulich, aber auch wirtschaftlich einen Sinn, wenn alle als Entwicklungsziel festgelegten Projekte einheitlich und zügig realisiert würden. Der erhöhte Bedarf an Wohnstätten ergebe sich aus der Tatsache, dass die Bevölkerung nach den vorliegenden Daten der Einwohnerentwicklung in dem Gemeindegebiet weiterhin mittelfristig zunehmen werde. Bei Fortsetzung des feststellbaren Entwicklungstrends und bei Berücksichtigung einer Haushaltsgröße von 2,0 ergebe sich in den nächsten zehn Jahren ein Bedarf von 105 Wohneinheiten. Dieser Bedarf werde nahezu ausschließlich für die Errichtung von Einfamilien- und Doppelhäusern gesehen. Da ein zusätzlicher Prognosespielraum von bis zu 30% zugestanden werde, errechne sich ein weiterer Bedarf von 32 Wohneinheiten, so dass insgesamt 137 Wohneinheiten anzusetzen seien. Der danach ermittelbare Nettowohnbaulandbedarf von 96.000 qm werde mit der förmlichen Festlegung eines Areals in der Größenordnung von insgesamt 92.074 qm nicht ganz erreicht. Der erhöhte Bedarf an Arbeitsstätten ergebe sich aus einer Arbeitslosenquote von 13,4% im Gemeindegebiet. Eine Erhöhung der Zahl der Arbeitsstätten sei nur durch Stärkung des Fremdenverkehrs und des Tourismus möglich. Diesem Ziel diene die Entwicklung großräumiger fremdenverkehrlicher Einrichtungen, wie in der Entwicklungszone V geplant. Anderweitige Umsetzungsinstrumente zur Durchsetzung der städtebaulichen Entwicklungsziele stünden nicht zur Verfügung. Der freihändige Erwerb der Grundstücke sei an den Preisvorstellungen der Eigentümer gescheitert. Diese hätten relativ hohe Gewinnerwartungen angesichts der angrenzenden fremdenverkehrlichen Nutzung. Es sei deshalb nicht möglich, Bauland für Bauwillige, insbesondere für junge Familien, zu akzeptablen Grundstückspreisen anzubieten. Im Rahmen der Abwägung seien die Interessen der beiden landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetriebe hinreichend berücksichtigt worden. Den betroffenen Landwirten beziehungsweise Pächtern sei zugesagt worden, sie bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu entschädigen beziehungsweise ihnen Ersatzland bereitzustellen.

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Der Antragsteller hat am 4. April 2000 die Normenkontrolle eingeleitet. Zur Begründung trägt er vor: Eine Planung, die im Wesentlichen die Ausweisung neuer Baugebiete verfolge, stelle keine integrierte Gesamtmaßnahme dar, die zu einer Entwicklungsmaßnahme zwinge. Die Zusammenfassung der hinsichtlich ihrer Entwicklung nicht voneinander abhängigen Teilgebiete Horumersiel und Schillig beruhe allein darauf, dass so die Finanzierbarkeit der Gesamtmaßnahme besser gewährleistet sei. Die eigenständige Weiterentwicklung beider Teilbereiche sei möglich. Dem Teilgebiet Schillig fehle es als anderes Gemeindegebiet im Sinne des Gesetzes an dem erforderlichen Eigengewicht. Der Entwicklungsschwerpunkt "Fremdenverkehr" werde durch die Ausweisung von Wohnbauflächen für die ortsansässige Bevölkerung nicht vorangetrieben. Die Zurverfügungstellung von zwei Großparkplätzen fördere möglicherweise den Fremdenverkehr, sei aber nicht zwingend notwendig, weil die vorhandenen Parkflächen mehr als ausreichend dimensioniert seien. Die Satzung verletze die Gemeinwohlklausel, weil ein erhöhter Bedarf an Wohnstätten nicht gegeben sei. Die von der Antragsgegnerin erstellte Bedarfsprognose stütze sich auf fehlerhafte beziehungsweise unzulänglich ermittelte Daten. Der in der Bedarfsprognose angenommene Anstieg der Gesamtbevölkerung in dem gesamten Gemeindegebiet um 4,2% lasse unberücksichtigt, dass in den Jahren 1993 bis 1997 der Zuwachs stagniert habe beziehungsweise sogar rückläufig gewesen sei. Die weitere Annahme der Antragsgegnerin, von dem Gesamtzuwachs der Bevölkerung entfalle ein Anteil von 30% auf Horumersiel und Schillig, sei nicht nachvollziehbar. Der überwiegende Teil des Bevölkerungszuwachses werde in den Grundzentren Hohenkirchen und Hooksiel zu verzeichnen sein; denn diese seien aufgrund der infrastrukturellen Möglichkeiten, des größeren Arbeitsplatzangebotes und der Nähe zu dem Oberzentrum Wilhelmshaven und zu den Mittelzentren Jever und Wittmund insbesondere für junge Familien interessanter. Hinsichtlich des erhöhten Bedarfs an Arbeitsstätten habe die Antragsgegnerin ebenfalls keine nachvollziehbare Prognose vorgelegt. Die hohe Arbeitslosenquote sei keine ausreichende Begründung. Vorhandene Arbeitskraftkapazitäten garantierten für sich genommen noch nicht die Errichtung von Arbeitsstätten. In der Vergangenheit sei erfolglos versucht worden, Investoren für die Errichtung von Einrichtungen, wie sie in der Entwicklungszone V geplant seien, zu gewinnen. Die von der Antragsgegnerin angestrebten städtebaulichen Ziele könnten auch mit den herkömmlichen Mitteln des Städtebaurechts erreicht werden. Von der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme seien lediglich sieben Privateigentümer betroffen. Ernsthafte Bemühungen, die Flächen freihändig zu erwerben, habe die Antragsgegnerin nicht unternommen. Die Abwägung sei unzureichend, weil die Weiterentwicklung der von der Maßnahme betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe durch das Heranrücken von Wohnbebauung und die Inanspruchnahme von landwirtschaftlichen Nutzflächen dieser Betriebe unterbunden werde.

7

Der Antragsteller beantragt,

die vom Rat der Antragsgegnerin am 8. September 1999 beschlossene Entwicklungssatzung für die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme "Horumersiel/Schillig" für nichtig zu erklären.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

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Sie erwidert: Aus dem räumlichen Auseinanderfallen der Entwicklungssatzung ergäben sich keine höheren Anforderungen an deren Abgrenzung. Die mit der Entwicklungssatzung verfolgten Ziele könnten nur auf eindeutige Widerlegbarkeit und offensichtliche Fehlsamkeit kontrolliert werden. Das zuständige Niedersächsische Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales habe sich im Rahmen eines Petitionsverfahrens zu der Fachfrage, ob die Entwicklungsmaßnahme von städtebaulichen Gründen getragen werde, abschließend positiv dahingehend geäußert, dass die Maßnahme in qualitativer und quantitativer Hinsicht von besonderer Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde sei. Hinsichtlich des erhöhten Bedarfs an Wohnstätten beruhe die Prognose bezüglich der zukünftigen Bevölkerungsentwicklung auf einer zutreffenden Tatsachenbasis. In welchem Umfang sich ein Zuwachs der Bevölkerung durch Geburtenüberschuss oder Zuwanderung auf die einzelnen Ortsteile verteile, hänge von der gemeindlichen Städtebaupolitik ab. Es sei ihr erklärtes Ziel, Bauland zu sozialverträglichen Preisen anzubieten. Die von dem geplanten Jade-Weser-Port ausgehenden Beschäftigungseffekte führten zu einem erhöhten Bedarf an Wohnstätten im Umfeld des Container-Tiefwasserhafens.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Antrag ist zulässig.

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Der Antragsteller ist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt, weil sein von der Entwicklungsmaßnahme betroffenes Grundeigentum nach § 169 Abs. 3 BauGB ohne Bebauungsplan enteignet werden kann (Urt. d. Sen. v. 3.2.1997 - 1 K 6799/95 -, BauR 1997, 620 = BRS 59, Nr. 251).

13

Der Normenkontrollantrag ist begründet.

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Die städtebauliche Entwicklungssatzung der Antragsgegnerin ist nichtig, weil die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 165 Abs. 3 BauGB nicht erfüllt sind.

15

Die Voraussetzungen des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB sind nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift muss die Entwicklungssatzung den Zielen und Zwecken nach § 165 Abs. 2 BauGB entsprechen. Nach der zuletzt genannten Vorschrift sollen mit städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen Ortsteile und andere Teile des Gemeindegebietes unter anderem entsprechend ihrer besonderen Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung der Gemeinde erstmalig entwickelt oder im Rahmen einer städtebaulichen Neuordnung einer neuen Entwicklung zugeführt werden. § 165 Abs. 1 BauGB verengt den Kreis der in Betracht kommenden Maßnahmen auf solche, deren einheitliche Vorbereitung und zügige Durchführung im öffentlichen Interesse liegt. Damit wird ein qualifizierter städtebaulicher Handlungsbedarf vorausgesetzt, der ein planmäßiges und aufeinander abgestimmtes Vorgehen erfordert, nämlich im Sinne einer Gesamtmaßnahme, die wegen ihrer Art, ihres Umfangs und der zeitlichen Erfordernisse mit dem allgemeinen städtebaulichen Instrumentarium nicht durchzuführen wäre (BVerwG, Urt. v. 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, NVwZ 1999, 407 = BRS 60, Nr. 229). Bei der Gesamtmaßnahme muss es sich um ein koordiniertes Maßnahmenbündel handeln, das durch eine flächendeckende und zeitlich geschlossene Planungskonzeption für ein exakt umgrenztes Gebiet verwirklicht werden soll (BVerwG, Urt. v. 3.7.1998 - 4 CN 2.97 -, NVwZ 1998, 1297 = BRS 60, Nr. 225). Es muss wegen der enteignungsrechtlichen (Vor-)Wirkung der Entwicklungssatzung nach Art und Umfang so beschaffen sein, dass Vorbereitung und Durchführung auf das besondere Recht der §§ 165 ff. BauGB angewiesen sind. Bei der Entwicklungssatzung der Antragsgegnerin handelt es sich um eine gemeindebedeutsame Entwicklungsmaßnahme, mit der einerseits das Ziel verfolgt wird, in dem Grundzentrum Horumersiel mit seiner prägenden Funktion als Fremdenverkehrsort durch Entwicklung eines Baugebietes südlich des vorhandenen Ortskernes und eines Großparkplatzes südwestlich der Ortslage den Siedlungsbereich abzurunden (Entwicklungszone I). Andererseits soll der Siedlungsbereich Schillig in seiner Eigenschaft als unselbständiger Ferienerholungsort mit ausschließlich saisonabhängigen Versorgungseinrichtungen durch Ansiedlung von zusätzlichen Arbeitsplätzen in einem Sondergebiet für Kur- und Freizeiteinrichtungen (Entwicklungszone V) und Erhöhung der Anzahl von saisonunabhängigen Einwohnern in zwei zu entwickelnden Wohngebieten (Entwicklungszonen II und IV) gestärkt werden, um eine saisonunabhängige Infrastruktur aufbauen zu können. Nach dem Bericht zu der Entwicklungssatzung ist weiterhin die Verlagerung des außendeichs gelegenen Großparkplatzes in die Nähe des noch zu entwickelnden Ortszentrums von Schillig geplant (Entwicklungszone III), um die Tagesgäste zu veranlassen, auch das Ortszentrum aufzusuchen. Es kann offen bleiben, ob es sich bei Schillig um einen anderen Teil des Gemeindegebietes im Sinne des § 165 Abs. 2 BauGB handelt, der eine besondere Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung der Gemeinde hat. Jedenfalls genügt die Zusammenfassung von fünf Entwicklungszonen, für die unterschiedliche städtebauliche Zielvorstellungen vorliegen, nicht dem Erfordernis einer integrierten Gesamtmaßnahme.

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Der Antragsteller verneint in Bezug auf Schillig die Qualität eines entwicklungsfähigen anderen Teils des Gemeindegebiets mit der Begründung, es handele sich lediglich um eine Ansammlung von einzelnen Gebäuden. Die Tatsache, dass dem unselbständigen Ferienort Schillig saisonunabhängige Versorgungseinrichtungen fehlen, schließt seine Eigenschaft als anderer Teil des Gemeindegebietes nicht aus. Mit der Einführung des Begriffs "andere Teile des Gemeindegebiets" hat der Gesetzgeber die Möglichkeit eröffnet, auch kleinteiligere Entwicklungsmaßnahmen durchzuführen. Deshalb können auch bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht die Merkmale eines Ortsteils erfüllen, Gegenstand einer Entwicklungsmaßnahme sein (Neuhausen, in: Brügelmann, BauGB, Loseblattsammlung, Stand: September 2001, § 165, Anm. 15; Krautzberger, in:

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Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., 2002, § 165, Anm. 8 und 9). Ein solches "anderes Gebiet" muss allerdings ein beträchtliches Eigengewicht haben, das auch im Gesamtgefüge der Gemeinde deutlich wahrnehmbar ist (BVerwG, Urt. v. 3.7.1998 - 4 CN 2.97 -, a.a.O.; Bunzel/Lunebach, DÖV 1993, 649, 655). Nicht jedes neue Baugebiet kommt also in Frage, sondern nur ein solches Gebiet, das eine besondere Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde hat, wobei neben den quantitativen auch qualitative Anforderungen zu erfüllen sind (BVerwG, Urt. v. 3.7.1998 - 4 CN 2.97 -, a.a.O.; Runkel, ZfBR 1991, 91). Hieran gemessen spricht mehr für die Annahme der Antragsgegnerin, dass Schillig ein deutlich wahrnehmbares Eigengewicht besitzt. Die Antragsgegnerin hat im Normenkontrollverfahren einen Übersichtsplan vorgelegt, der veranschaulicht, dass dem Siedlungsbereich Schillig eine nicht völlig untergeordnete Bedeutung im Gesamtgefüge des Ortsteils Horumersiel/Schillig zukommt. Neben drei Einrichtungen entlang der Deichzone im Norden (Jugendherberge, DRK-Kurheim, AWO-Familienerholungszentrum) sind mehrere Gebäude auf Höhe des Deichknicks vorhanden (Appartementhotel, Appartement-Anlage, zwei Wohn- und Geschäftshäuser, ein Restaurationsbetrieb sowie eine evangelisch-lutherische Kirche), die den noch zu entwickelnden Ortskern bilden. Weitere Baulichkeiten befinden sich östlich der Jadestraße und südlich der Inselstraße (vornehmlich Ferienhäuser und -wohnungen, aber auch Dauerwohnungen). Ob dieser Bereich das Merkmal eines anderen Teils des Gemeindegebiets erfüllt, muss nicht abschließend geklärt werden. Denn die Antragsgegnerin verzahnt die einzelnen entwicklungsrechtlichen Zielvorstellungen für die Entwicklungszonen I bis V nicht dergestalt, dass ein koordiniertes Gesamtkonzept erkennbar wird.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat in der mehrfach zitierten Entscheidung vom 3. Juli 1998 - 4 CN 2.97 -, a.a.O., nicht ausgeschlossen, dass eine einheitliche Entwicklungsmaßnahme auf voneinander getrennten Flächen rechtlich möglich ist. Erforderlich ist, dass diese Flächen untereinander in einer funktionalen Beziehung zueinander stehen, die die gemeinsame Überplanung und die einheitliche Durchführung zur Erreichung des bestimmten Entwicklungszieles nahe legt. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, unterliegt der gerichtlichen Überprüfung. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner rechtlichen Vertiefung, dass diese Prüfungskompetenz nicht deswegen eingeschränkt ist, weil das Niedersächsische Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales die Entwicklungsmaßnahme der Antragsgegnerin in seiner Stellungnahme vom Mai 2000 in einem Petitionsverfahren als rechtmäßig angesehen hat. Die Entwicklungsmaßnahme der Antragsgegnerin genügt weder in funktionaler noch in räumlicher Hinsicht den Anforderungen an eine einheitliche Entwicklungsmaßnahme.

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Die räumliche Verknüpfung der Entwicklungszone I im Ortsteil Horumersiel mit den weiteren Entwicklungszonen II bis V in Schillig beruht nicht auf nachvollziehbaren städtebaulichen Erwägungen. Die Antragsgegnerin begründet die Zusammenfassung damit, dass Schillig und Horumersiel zwar räumlich voneinander getrennt seien, aber beide Teile einen gemeinsamen Ortsteil bildeten und sich auch Synergieeffekte in der Vergangenheit entwickelt hätten. Es ist bereits fraglich, ob die beiden Siedlungsbereiche einen Ortsteil bilden. Auf Seite 12 des Berichts zu der Entwicklungssatzung betont die Antragsgegnerin die Eigenständigkeit des Siedlungsbereiches Schillig als unselbständiger Ferienort. Auch der Abschluss der Bebauung am nördlichen Ende von Horumersiel zwischen der Kreisstraße K 325 und dem Deichkörper deutet eher darauf hin, dass hier die zusammenhängende Bebauung von Horumersiel endet.

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Darüber hinaus ist nicht erkennbar, welche Synergieeffekte in der Vergangenheit die Zusammenlegung der Maßnahmen in räumlicher Hinsicht begründen könnten. Mit dem Abschluss der Ortsrandentwicklung im Süden von Horumersiel sind entgegen der Annahme der Antragsgegnerin keine Auswirkungen für Schillig verbunden, die eine räumliche Verknüpfung rechtfertigen. Soweit die Antragsgegnerin weiter darauf abstellt, dass der gesamte Maßnahmenkatalog nur "dann städtebaulich, aber auch wirtschaftlich Sinn" ergebe, wenn alle als Entwicklungsziel festgelegten Projekte einheitlich und zügig realisiert würden (vgl. Seite 53 des Berichts), wird nicht deutlich, warum die Maßnahmen eines Großparkplatzes und eines Baugebietes im Süden von Horumersiel räumlich untrennbar mit den übrigen Teilgebieten in Schillig zusammenhängen. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die räumliche Verklammerung zur besseren Finanzierbarkeit der Gesamtmaßnahme keinen tragfähigen Grund für die Zusammenführung von nicht in besonderer Weise verbundenen Teilgebieten darstellt (BVerwG, Urt. v. 3.7.1998 - 4 CN 2.97 -, a.a.O.).

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Den beabsichtigten Maßnahmen fehlt auch der funktionale Zusammenhang. In den Entwicklungszonen I in Horumersiel sowie in den Entwicklungszonen II und IV in Schillig ist vorgesehen, Wohnbaugebiete zu entwickeln. In der Entwicklungszone V soll ein Sondergebiet für Kur- und Freizeiteinrichtungen entstehen. Zur Verbesserung des ruhenden Verkehrs ist geplant, in Horumersiel (Entwicklungszone I) und in Schillig (Entwicklungszone III) jeweils einen Großparkplatz anzulegen. Hinsichtlich der funktionalen Beziehung der Einzelmaßnahmen zueinander führt die Antragsgegnerin auf Seite 106 des Berichts in der Gesamtabwägung aus, "diese seien derart miteinander verzahnt, dass alle im Rahmen ihrer Realisierung darauf hinwirken, die Gesamtplanung, nämlich eine zukunftsorientierte und notwendige Neu- und Umstrukturierung des Ortsteils Horumersiel/Schillig mit allen vorab dargestellten Synergieeffekten bedarfsgerecht zu ermöglichen". Entgegen der Darstellung der Antragsgegnerin enthalten die Erläuterungen der Einzelmaßnahmen keine nachvollziehbaren Angaben dazu, warum "die Entwicklung des einen Teilgebietes (Entwicklungszone) auf derjenigen des anderen aufbaut und davon abhängig ist" (vgl. Seite 106 des Berichts zu der Entwicklungssatzung).

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Die zentralen Anliegen der Schaffung neuer Arbeitsplätze im Bereich Fremdenverkehr/ Tourismus und Verbesserung der Infrastruktur durch Errichtung von zwei Großparkplätzen "hängen in der Luft", weil ihre zügige Umsetzung aus unterschiedlichen Gründen nicht gewährleistet ist. Der Landkreis Friesland hat im Verfahren der Genehmigung der Entwicklungssatzung in seiner kommunalaufsichtlichen Stellungnahme vom 13. Januar 2000 ausgeführt, dass die Errichtung der beiden Großparkplätze für die Antragsgegnerin ein finanzielles Risiko von 7,3 Millionen DM bedeute. Die Finanzierbarkeit dieser Teilmaßnahmen setze eine Abwicklung der Baulandbeschaffung in den Entwicklungszonen II und IV mit erwarteten Überschüssen von 1,95 Millionen DM und in erster Linie eine Veräußerung der Flächen der Entwicklungszone V mit erwarteten Überschüssen von 6 Millionen DM voraus. Doch gerade bei der zuletzt genannten Maßnahme liege das Hauptrisiko, denn in der Vergangenheit sei mehrfach der Versuch gescheitert, einen Investor für eine Kurklinik/Sanatorium oder eine große Freizeiteinrichtung im Bereich Horumersiel/Schillig zu gewinnen. Mit Blick auf diese Stellungnahme hat die Bezirksregierung Weser-Ems die Entwicklungsmaßnahme mit der Maßgabe genehmigt, dass der überarbeitete Teil C (Kosten- und Finanzierungsübersicht) als Teil der Abwägung und Bestandteil des Berichts vom Rat der Antragsgegnerin erneut beschlossen wird. Zur Begründung führt die Bezirksregierung aus, die Antragsgegnerin habe ihre Entwicklungsstrategie bezüglich der Zeit- und Maßnahmenplanung zur kostendeckenden Durchführung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme überarbeitet und damit den kommunalaufsichtlichen Bedenken des Landkreises Friesland hinsichtlich des Finanzierungsrisikos Rechnung getragen. Die Antragsgegnerin realisiere die beiden Großparkplätze nur dann, wenn zuvor die notwendigen Mittel im Rahmen der Vermarktung erwirtschaftet worden seien.

23

Es lässt sich danach feststellen, dass die Infrastrukturmaßnahme der Errichtung von zwei Großparkplätzen nur dann zügig (der Ankauf der Flächen ist für 2005 vorgesehen) umgesetzt werden kann, wenn zuvor die Flächen der Entwicklungszone V veräußert werden können (vorgesehen für 2001). Damit bauen die Maßnahmen nicht aufeinander auf. Vielmehr steht die Maßnahme der Errichtung von Großparkplätzen in einem einseitigen Abhängigkeitsverhältnis zu der Teilmaßnahme in der Entwicklungszone V. Findet die Antragsgegnerin keinen Investor, der die Kur- und Freizeiteinrichtungen errichtet, ist auch das Entwicklungsprojekt der Schaffung zweier Großparkplätze nicht finanzierbar. Es fehlt damit an dem Ineinandergreifen von Einzelmaßnahmen, das Voraussetzung für eine funktionale Gesamtplanung ist. Selbst wenn man das einseitige Abhängigkeitsverhältnis als funktionale Brücke ausreichen ließe, scheiterte die Entwicklungsmaßnahme daran, dass die Klammer zwischen den genannten Teilgebieten lediglich aus Gründen der besseren Finanzierbarkeit der einen Maßnahme hergestellt worden ist.

24

Auch in dem Verhältnis der Maßnahmen zur Beschaffung von Wohnbauflächen und der Entwicklungsmaßnahme in der Entwicklungszone V fehlt es an der gegenseitigen Abhängigkeit. Die Deckung des von der Antragsgegnerin angenommenen erhöhten Bedarfs an Wohnstätten steht nicht in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Ziel, den erhöhten Bedarf an Arbeitsstätten zu bewältigen. Nach der Darstellung der Antragsgegnerin (vgl. Seite 78 des Berichts) befindet sich das Gemeindegebiet in einer strukturschwachen Region mit einer Arbeitslosenquote von 13,4% für das Gemeindegebiet. Das Bedürfnis, mögliche weitere Arbeitsstätten massiv auszubauen, ist also auf die hohe Arbeitslosenzahl zurückzuführen. Es herrscht danach kein Arbeitskräftemangel, der Anlass sein könnte, Arbeitskräfte durch attraktive Baulandangebote zu veranlassen, nach Horumersiel/Schillig zu ziehen. Vielmehr dokumentiert die Antragsgegnerin (Seite 78 des Berichts), dass der Auspendleranteil bereits jetzt schon sehr hoch sei. Dieser würde sich bei der in Aussicht genommenen Steigerung der Einwohnerzahl durch das Angebot von Baulandflächen noch erhöhen, da nicht sichergestellt ist, dass mit der Ansiedlung von in der Regel saisonabhängigen Freizeit- und Kureinrichtungen dauerhaft neue Arbeitsplätze in angemessener Zahl entstehen würden. Darüber hinaus gilt auch hier, dass angesichts der vom Landkreis Friesland aufgezeigten Unsicherheit, einen Investor zu gewinnen, keineswegs ein Zusammenwirken beider Teilmaßnahmen sichergestellt wäre.

25

Schließlich lässt sich dem Bericht der Antragsgegnerin auch nicht entnehmen, dass Baulandbeschaffung und Anlegung zweier Großparkplätze dergestalt miteinander verzahnt sind, dass die eine Maßnahme ohne die andere nicht denkbar wäre. Allein der Wille der Antragsgegnerin, die zukunftsorientierte und notwendige Neu- und Umstrukturierung des Ortsteils Horumersiel/Schillig voranzutreiben, rechtfertigt nicht den Zusammenschluss von Einzelmaßnahmen, denen die funktionale Verklammerung fehlt. Dass die Antragsgegnerin die einzelnen Entwicklungszonen lediglich aus finanziellen Gründen zusammengefügt hat, belegt auch die Äußerung des Vertreters des Planungsträgers, der F. G. GmbH, in der Sitzung des Planungs- und Sanierungsausschusses des Rates der Antragsgegnerin vom 21. Juli 1999. Der Vertreter hat dort auf Nachfrage eines Ratsmitgliedes ausgeführt, dass "die Begründung für die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme die Gesamtfinanzierbarkeit" darstelle.

26

Die Entwicklungssatzung der Antragsgegnerin verstößt weiterhin gegen § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB. Danach entspricht die Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme dem Wohl der Allgemeinheit insbesondere dann, wenn sie der Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohnstätten dient. Ein erhöhter Bedarf im Sinne der genannten Vorschrift liegt dann vor, wenn die Nachfrage das Angebot aus strukturellen Gründen längerfristig deutlich übersteigt. Der Überhang muss so groß sein, dass es zu seiner Beseitigung mit einer Ausweisung von Flächen, die von ihren Dimensionen und ihren Funktionen her hinter denen in § 165 Abs. 2 Satz 1 BauGB bezeichneten Merkmalen zurückbleiben, nicht sein Bewenden haben kann (BVerwG, Urt. v. 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a.a.O.). Nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss hinzutreten, dass nur eine städtebauliche Gesamtmaßnahme, die durch eine einheitliche Vorbereitung und eine zügige Durchführung im Sinne des § 165 Abs. 1 BauGB gekennzeichnet ist, die Erwartung rechtfertigt, den zutage getretenen Bedarf wenigstens mittelfristig decken zu können. Der für die Bedarfseinschätzung vorausgesetzte und maßgebliche Zeithorizont wird dadurch bestimmt, dass das Entwicklungsrecht ein Instrumentarium an die Hand gibt, das darauf angelegt ist, für die Bewältigung gerade drängender städtebaulicher Probleme wirksame Lösungsmöglichkeiten über die nähere Zukunft hinaus innerhalb eines absehbaren Zeitraumes zu eröffnen. Da sich die Bedarfsentwicklung in diesem Zeitrahmen nur im Wege einer Prognose erfassen lässt, muss die Gemeinde anhand der Fakten und Erfahrungswerte, über die sie verfügt, ein Wahrscheinlichkeitsurteil über die zukünftige Entwicklung fällen. Die Prognose ist in einer der jeweiligen Materie angemessenen, methodisch einwandfreien Weise zu erarbeiten (BVerwG, Urt. v. 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a.a.O.). Entscheidend ist, ob die Fakten und Daten, auf die sich die Gemeinde stützt, ausreichen, um die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu rechtfertigen. Auch Daten, die zu einem länger zurückliegenden Zeitpunkt erhoben worden sind, können sich als Prognosebasis eignen, wenn sie nicht durch neueres Material überholt sind (BVerwG, Beschl. v. 16.2.2001 - 4 BN 55.00 -, NVwZ 2001, 1050). Hieran gemessen beruht die Annahme der Antragsgegnerin, der zu erwartende Bevölkerungszuwachs im Gemeindegebiet rechtfertige die Zurverfügungstellung von Wohnbauland mit einer Bruttofläche von 153.883 qm (= 92.074 qm Nettowohnbaulandfläche nach Abzug des öffentlichen Erschließungsanteils) in Horumersiel/Schillig, aus mehreren Gründen auf zweifelhaften Grundlagen.

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Die Prognose der Antragsgegnerin stützt sich fehlerhaft allein auf den erwarteten Bevölkerungszuwachs im gesamten Gemeindegebiet. Die Antragsgegnerin geht bei ihrer Bevölkerungsprognose davon aus, dass die Einwohnerzahl in Horumersiel/Schillig in den nächsten zehn Jahren um 4,2% wachsen werde. Sie beruft sich dabei auf die Einwohnerentwicklung im gesamten Gemeindegebiet in den vergangenen Jahren. In dem Zeitraum vom 31. Dezember 1988 bis zum 30. Dezember 1997 stieg die Einwohnerzahl im gesamten Gemeindegebiet um 4,2%. Bei ihrer Ermittlung blendet die Antragsgegnerin aus, dass die Einwohnerentwicklung im Bereich Horumersiel/Schillig anders als im gesamten Gemeindegebiet unterdurchschnittlich verlaufen ist. Während im gesamten Gemeindegebiet in dem genannten Zeitraum ein Zuwachs von 9.592 auf 9.928 Einwohner verzeichnet wurde, nahm die Zahl der Einwohner mit Haupt- und Nebenwohnsitz in Horumersiel/Schillig von 1988 bis 1997 ab (von 1.411 auf 1.383 Einwohner). Nach den im Normenkontrollverfahren vorgelegten Zahlen hält der rückläufige Trend an. 1993 waren noch 898 Einwohner mit Hauptwohnsitz in Horumersiel/Schillig gemeldet. Im Jahr 2000 betrug diese Zahl 790.

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Angesichts dieser Tendenz durfte sich die Antragsgegnerin nicht darauf beschränken, den für das gesamte Gemeindegebiet prognostizierten Bevölkerungszuwachs auf den hier fraglichen Ortsteil Horumersiel/Schillig "hochzurechnen". Eine solche Verfahrensweise mag zulässig sein, wenn die Gemeinde aus mehreren, mehr oder weniger zusammenhängenden Ortsteilen besteht und deshalb die Entfernung der Ortsteile untereinander keine Bedeutung für die Bevölkerungsentwicklung hat. Dann kann bei der Ermittlung des erhöhten Bedarfs an Wohnstätten auf die konkreten Verhältnisse im (gesamten) Gebiet der Gemeinde abgestellt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a.a.O., zu dem Begriff des erhöhten Bedarfs an Arbeitsstätten). Etwas anderes gilt aber, wenn es sich - wie im vorliegenden Normenkontrollverfahren - um eine Flächengemeinde mit weit auseinander liegenden Ortsteilen handelt, deren Bevölkerungsentwicklung ausweislich der statistischen Zahlen in Abhängigkeit von der Dichte des Infrarstrukturangebotes und der Entfernung zu benachbarten Mittel- beziehungsweise Oberzentren unterschiedlich verläuft (der Ortsteil Hohenkirchen in seiner Funktion als Grundzentrum verzeichnet zum Beispiel eine Bevölkerungszunahme von 1.569 auf 1.822 Einwohner in dem Zeitraum von 1988 bis 2000). In einem solchen Fall muss die Gemeinde darlegen, dass ihre Bevölkerungsprognose gerade für den zu entwickelnden Ortsteil auf realistischen Grundannahmen beruht. Hieran fehlt es.

29

Die Antragsgegnerin geht davon aus, dass sich die zukünftige Siedlungsentwicklung "zu 30% im Grundzentrum Hohenkirchen, zu 30% im Siedlungsschwerpunkt Hooksiel und zu 30% im vorgesehenen Siedlungsschwerpunkt Horumersiel/Schillig vollziehen" werde. Tatsachengrundlagen, die diese der aufgezeigten Trendentwicklung beim Bevölkerungszuwachs zuwiderlaufende Annahme stützen könnten, hat die Antragsgegnerin nicht dargelegt. Die Antragsgegnerin spricht in dem Bericht (vgl. Seite 72) davon, dass der Wert von 30% auf einer groben Abschätzung und städtebaulichen Zielvorstellungen der Gemeinde beruhe. Fakten, die diese Einschätzung der Antragsgegnerin stützen könnten, werden nicht mitgeteilt.

30

Dass die Erwartung der Antragsgegnerin, der bisherige Trend werde sich umkehren, kaum wirklichkeitsnah ist, zeigt auch die bisherige Nachfrage nach Bauland in Horumersiel. Obwohl dort seit Mitte der 90er Jahre im Baugebiet "Andel- und Quellerweg" 20 Bauplätze für Wohnbebauung zur Verfügung stehen, sind bis zum Tag der mündlichen Verhandlung lediglich 14 Grundstücke veräußert worden. Nach Abzug von drei Reservierungen sind zurzeit noch drei Grundstücke erhältlich.

31

Auch die Prognose des zukünftigen Bedarfs an Wohneinheiten unterliegt Mängeln. Die Antragsgegnerin ermittelt bei einem geschätzten Bevölkerungszuwachs von 0,47% (auf der Basis der letzten neun Jahre) pro Jahr für das gesamte Gemeindegebiet, in dem rund 10.000 Einwohner leben, inklusive einer Aufzinsung eine Zunahme von 480 Einwohnern in zehn Jahren. Danach ergebe sich bei einer vorhandenen Haushaltsgröße von 2,2 (Wert 1997) ein Bedarf von 22 Wohneinheiten pro Jahr für das gesamte Gemeindegebiet und 6,6 Wohneinheiten (= 30%) pro Jahr beziehungsweise 66 Wohneinheiten auf zehn Jahre gerechnet für Horumersiel/Schillig. Hinzu kämen weitere 39 Wohneinheiten wegen der Reduktion der Haushaltsgröße auf 2,0 in den nächsten zehn Jahren. Mit Rücksicht auf einen Prognosespielraum von 20% bis 30%, der angesichts etwaiger künftig zu erwartender Entwicklungen (z.B. Folgearbeitsplätze etc.) der Gemeinde zuzugestehen sei, erhöhe sich der Bedarf an Wohneinheiten um weitere 32 (= rund 30%). Bei einem Bruttobaulandbedarf von 875 qm (700 qm + 25% Erschließungsanteil) pro Grundstück für ein ortstypisches Einfamilienhaus (vgl. Seite 72 des Berichts) ergebe sich eine Fläche von 120.000 qm. Bei Abzug von 20% für die öffentlichen Flächen ergebe sich ein Nettowohnbaulandbedarf von 96.000 qm, der im vorliegenden Fall mit der zur Verfügung gestellten Fläche von 92.074 qm leicht unterschritten werde. Diese Berechnung ist nicht schlüssig. Sie beruht zum Teil auf ungesicherten Annahmen.

32

Unschlüssig ist zunächst, dass die Antragsgegnerin bei der Ermittlung der Bruttowohnfläche für ein Grundstück von einem 25%igen Erschließungsanteil ausgeht, während sie von der ermittelten Bruttogesamtfläche von 120.000 qm nur einen 20%igen Anteil für öffentliche Flächen abziehen will. Dadurch erhöht sich der Nettobedarf. Bei Abzug eines 25%igen Anteils von 120.000 qm ergäbe sich lediglich ein Bedarf von 90.000 qm Nettowohnbaulandfläche, der bei einer Zurverfügungstellung von 92.074 qm Nettowohnbaulandfläche überschritten wird.

33

Des Weiteren geht die Antragsgegnerin davon aus, dass der Bedarf an Wohneinheiten zu 100% durch die Errichtung von Einfamilien- und Doppelhäusern zu decken sei (vgl. Seite 73 des Berichts). Dieser Wert beruht nicht auf einer gesicherten Tatsachengrundlage. Selbst bei einem weiteren Rückgang der Haushaltsgröße von 2,2 auf 2,0 ist nicht damit zu rechnen, dass jede Person, die einen eigenen Haushalt gründen möchte, dies sofort durch Einzug in ein Einfamilienhaus beziehungsweise ein Doppelhaus tun wird. Es liegen auch keine Fakten für die Annahme vor, jede zuzugswillige junge Familie habe die finanzielle Möglichkeit, ein eigenes Einfamilien- oder Doppelhaus zu errichten beziehungsweise anzumieten. Die Antragsgegnerin spricht an anderer Stelle selbst davon, dass der Anteil an Einfamilienhäusern im Gemeindegebiet bei 70% liege. Der Abbildung 20 in dem Bericht ist zu entnehmen, dass die im Gemeindegebiet vorhandenen Wohnungen (Stand: 31.12.1996) zu 62,72% auf Einfamilienhäuser, zu 15,36% auf Gebäude mit zwei Wohneinheiten und zu 21,92% auf Gebäude mit drei und mehr Wohneinheiten entfallen.

34

Schließlich ist es auch nicht gerechtfertigt, im vorliegenden Fall einen 30%igen Aufschlag auf den von der Antragsgegnerin ermittelten Bedarf von 105 Wohneinheiten in den nächsten zehn Jahren vorzunehmen. Gründe, die es rechtfertigen könnten, der Gemeinde einen solchen weiteren Spielraum zuzubilligen, sind nicht ersichtlich. Die genannten Folgearbeitsplätze entsprechen eher dem Wunschdenken der Antragsgegnerin. Ob der Ortsteil Horumersiel/Schillig von den in dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Konzept der wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven für den Jade-Weser-Raum beschriebenen Beschäftigungseffekten bei Umsetzung des Projekts eines Jade-Weser-Ports profitieren wird, ist völlig offen. Die Angaben in dem Konzept beziehen sich auf das gesamte Landkreisgebiet, so dass verlässliche Angaben zu den Auswirkungen auf den Ortsteil Horumersiel/Schillig sowohl in Bezug auf die Arbeitsmarktsituation als auch die Wohnungsmarktsituation nicht möglich sind. Das Konzept stammt im Übrigen aus dem März 2000. Es konnte deshalb bereits wegen der zeitlichen Abläufe (der Satzungsbeschluss wurde am 8. September 1999 und der Beitrittsbeschluss am 29. Februar 2000 gefasst) keine Berücksichtigung bei der Festlegung der städtebaulichen Ziele im Rahmen der hier angegriffenen Entwicklungssatzung finden.

35

Es lässt sich auch nicht feststellen, dass ein erhöhter Bedarf an Arbeitsstätten im Sinne des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB gegeben ist, der die Entwicklungsmaßnahme der Antragsgegnerin in Bezug auf die Entwicklungszone V rechtfertigen könnte. Die genannte Vorschrift setzt neben der Feststellung, dass das Angebot an Arbeitsstätten deutlich hinter der Nachfrage zurückbleibt, das Vorliegen von Umständen voraus, die den Schluss zulassen, dass sich an dieser Situation in überschaubarer Zeit nichts ändern wird. Ein wichtiger Indikator ist hierbei die Nachfrage von Unternehmen nach Gewerbeflächen (BVerwG, Urt. v. 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a.a.O.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass vorhandene Arbeitskraftkapazitäten, auch wenn sie noch so beträchtlich sind, für sich genommen nicht die Errichtung von Arbeitsstätten garantieren. Entscheidend ist vielmehr auch, welche Investitionsbereitschaft besteht. Diese ist gemäß § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts prognostisch zu beurteilen. Die Antragsgegnerin zeigt nicht auf, für welche konkreten Maßnahmen in der Entwicklungszone V sich Investoren finden könnten. Es wird auch nicht dargelegt, dass die Bereitschaft einzelner Investoren besteht, in der genannten Zone Freizeit- und Kureinrichtungen zu erstellen. Die Antragsgegnerin stellt vielmehr allein darauf ab, dass die hohe Zahl der Arbeitslosen die genannte Maßnahme erfordere. Dies ist jedoch unzureichend. Gehen Arbeitsplätze, aus welchen Gründen auch immer, in größerer Zahl verloren, darf die Gemeinde nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar durch ein abgestimmtes Bündel von Maßnahmen die Voraussetzungen für die Ansiedlung von Betrieben schaffen, um den Arbeitssuchenden neue Beschäftigungsmöglichkeiten zu bieten. Eine solche Situation ist hier aber nicht gegeben. Das Gemeindegebiet der Antragsgegnerin befindet sich in einer strukturschwachen Region, in der bereits seit längerer Zeit nicht genügend Arbeitsstätten zur Verfügung stehen. Deshalb kommt in diesem Zusammenhang dem Gesichtspunkt der bestehenden Nachfrage erhebliches Gewicht zu. Da die Gemeinde im Rahmen des Entwicklungsrechts keine Angebotsplanung betreiben darf, muss sie nachweisen, dass realistische Aussicht besteht, für die von ihr festgelegte Entwicklungsmaßnahme investitionsbereite Unternehmen zu gewinnen. An solchen Feststellungen fehlt es hier. Die Ausführungen des Landkreises Friesland in der kommunalaufsichtlichen Stellungnahme vom 13. Januar 2000 belegen vielmehr, dass in der Vergangenheit die Investorensuche erfolglos geblieben ist. Warum sich an dieser Ausgangslage etwas geändert haben könnte, führt die Antragsgegnerin nicht aus. Allein die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Hoffnung, das Deutsche Rote Kreuz, das auf der Deichseite der Inselstraße in Schillig ein Kurheim betreibt, werde möglicherweise nach einer Investitionstätigkeit in der alten Einrichtung zukünftig mit Erweiterungsmaßnahmen auf die andere Straßenseite in das Gebiet der Entwicklungszone V wechseln, reicht für die Durchführung einer Entwicklungsmaßnahme nicht aus.

36

Die angegriffene Entwicklungssatzung scheitert schließlich an § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB. Bei einer Gesamtschau der vorstehenden Erwägungen ist die Antragsgegnerin den Nachweis schuldig geblieben, dass anderweitige Umsetzungsinstrumente zur Erreichung der städtebaulichen Ziele ausscheiden. Gerade mit Blick auf die in die Maßnahme aufgenommenen Wohnbaugebiete sind durchaus Alternativen denkbar, beispielsweise der Abschluss von städtebaulichen Verträgen mit den Grundstückseigentümern, durch die der preisgünstige Erwerb von Baugrundstücken durch Ortsansässige mit der einhergehenden Unterdrückung auswärtiger Nachfrage geregelt werden könnte (Einheimischenmodell).

37

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen des § 165 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB nicht vor, weil die von der Entwicklungsmaßnahme der Antragsgegnerin betroffenen sieben Privateigentümer nur unzureichend auf ihre Verkaufsbereitschaft hin befragt worden sind. Die genannte Vorschrift setzt voraus, dass die Eigentümer der von der Entwicklungsmaßnahme betroffenen Grundstücke nicht bereit sind, ihre Grundstücke an die Gemeinde oder den von ihr beauftragten Planungsträger zu dem entwicklungsunbeeinflussten Anfangswert ihrer Grundstücke zu veräußern. Die Gemeinde muss deshalb prüfen, ob Verkaufsbereitschaft der Grundstückseigentümer besteht. Der Antragsteller trägt vor, dass er zwar im Hinblick auf die Veräußerung beziehungsweise Entwicklung von der Antragsgegnerin angesprochen worden sei, Verhandlungen aber zu keinem Zeitpunkt stattgefunden hätten. Die Antragsgegnerin habe ihm gegenüber auch nicht hinreichend erläutert, welchem Zweck das Gespräch diene. Ein solches Vorgehen genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen.

38

Die Gemeinde muss zwar nicht mit jedem einzelnen Eigentümer konkrete Erwerbsverhandlungen führen. Dies gilt insbesondere, wenn die Zahl der betroffenen Eigentümer sehr hoch ist (BVerwG, Urt. v. 3.7.1998 - 4 CN 5.97 -, a.a.O.; in dem von dem Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Verfahren waren 221 Eigentümer betroffen). Ist der Kreis der betroffenen Eigentümer so beschränkt wie im vorliegenden Fall, muss die Gemeinde wenigstens durch ein Gespräch oder eine sonstige Kontaktaufnahme die Verkaufsbereitschaft der einzelnen Eigentümer ausloten. Die Antragsgegnerin ist dem Vorbringen des Antragstellers nicht entgegengetreten. Sie hat es danach insbesondere versäumt, die Verkaufsbereitschaft der betroffenen Grundstückseigentümer vor dem Hintergrund der beabsichtigten Entwicklungsmaßnahme zu ergründen. Bei dem Gespräch muss für die betroffenen Grundstückseigentümer erkennbar sein, dass im Falle ihrer Weigerung, ihre Flächen freiwillig zu veräußern, die Entwicklungsmaßnahme "droht". Diese Verknüpfung ist nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Antragstellers in seinem Gespräch mit der Antragsgegnerin nicht aufgezeigt worden.

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

40

Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO (i.d.F. v. Art. 2 Nrn. 90 a und b des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses v. 27.7.2001, BGBl. I S. 1887).

41

Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

42

Beschluss

43

Der Streitwert wird auf 51.129,19 EUR (= 100.000,-- DM) festgesetzt.

Schmaltz
Claus
Muhsmann