Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.02.2002, Az.: 4 L 2482/00

betreute Wohnform; erzieherische Hilfe; junge Volljährige; Kostenbeitrag; Umdeutung; Unterhaltsansprüche; Überleitung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.02.2002
Aktenzeichen
4 L 2482/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41649
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 09.05.2000 - AZ: 9 A 262/99

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wird einem jungen Volljährigen Hilfe in einer betreuten Wohnform gewährt, kann nur er selbst zu einem Kostenbeitrag herangezogen werden. Gegenüber den Eltern kommt nur die Überleitung von Unterhaltsansprüchen in Betracht. Der gegenüber einem Elternteil ergangene Kostenbeitragsbescheid kann nicht in eine Überleitungsanzeige umgedeutet werden.

Gründe

1

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil ist gemäß § 124 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Zwar ist die Rechtsbehelfsschrift vom 20./22. Juni 2000 als Berufung bezeichnet. Der Rechtsbehelf ist aber als Zulassungsantrag gemäß § 124 VwGO umzudeuten. Die gemäß § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche Darlegung der Zulassungsgründe ist mit Schriftsatz vom 31. Juli 2000 nachgeholt worden. Hinsichtlich der Versäumung der Frist von einem Monat nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO für die Darlegung von Zulassungsgründen ist der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

2

Das angefochtene Urteil ist der Klägerin am 26. Mai 2000 durch Niederlegung zugestellt worden. Die Rechtsmittelfrist und damit die Frist für die Darlegung der Zulassungsgründe ist damit am 26. Juni 2000 abgelaufen. Mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 31. Juli 2000 ist die Darlegung der Gründe nachgeholt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt worden. Zwar ist dieser Schriftsatz per Telefax erst am selben Tag und damit verspätet beim Oberverwaltungsgericht eingegangen. Im Hinblick auf dieses Fristversäumnis ist der Klägerin aber die beantragte Wiedereinsetzung gemäß § 60 VwGO zu gewähren, weil die Frist unverschuldet versäumt und die gebotene Darlegung fristgerecht nachgeholt worden ist.

3

Da die Klägerin den Prozess in erster Instanz ohne anwaltliche Hilfe geführt hat, ist ihr Bevollmächtigter auf Einsichtnahme in die Akten angewiesen gewesen. Er hat mit dem Schriftsatz vom 20. Juni 2000 Einsicht in die Akten beantragt, diese sind ihm am 10. Juli 2000 zugegangen. Allerdings ist die Zwei-Wochen-Frist des § 60 Abs. 2 VwGO nicht schon am 24. Juli 2000, sondern erst am 31. Juli 2000 abgelaufen. Denn es ist einem Rechtsanwalt, der in erster Instanz noch nicht tätig gewesen ist, im Hauptsacheverfahren mindestens eine Frist von einer Woche für die Sichtung und Auswertung der Akten zuzubilligen. Demzufolge ist das Hindernis frühestens am 17. Juli 2000 weggefallen und die versäumte Rechtshandlung am 31. Juli 2000 rechtzeitig nachgeholt worden.

4

Der Zulassungsantrag ist ferner insoweit zulässig, als die nachgeholte Darlegung der Zulassungsgründe dem Erfordernis des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO genügt. Es bestehen auch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts.

5

Der mit der Anfechtungsklage angegriffene Kostenbeitragsbescheid des Beklagten vom 9. Juli 1998 (in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27. Juli 1998 und des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 1999) wird sich voraussichtlich als fehlerhaft erweisen. Denn der am 3. August 1976 geborenen Tochter der Klägerin ist durch Bescheid des Beklagten vom 22. August 1996 ab 19. Juli 1996 "Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 KJHG" in einer betreuten Wohnform  (§ 34 SGB VIII) bewilligt worden. Deshalb kann gemäß § 91 Abs. 3 SGB VIII zu einem Beitrag zu den Kosten dieser Hilfe nur die junge Volljährige selbst herangezogen werden. Gegenüber der Klägerin als der Mutter der Volljährigen kommt zur Herstellung des Nachrangs der öffentlichen Jugendhilfe nur eine Überleitung des bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs gemäß § 96 SGB VIII in Betracht. Zwar mögen der fälschlich geforderte Kostenbeitrag, den der Beklage nach § 94 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII als Pauschalbetrag unter Heranziehung unterhaltsrechtlicher Regeln (der "Düsseldorfer Tabelle") ermittelt hat, und der nach § 96 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII der Höhe nach begrenzte überleitungsfähige Unterhaltsanspruch im Ergebnis die Klägerin in gleicher Weise belasten, insofern also Beitragsbescheid und Überleitungsanzeige auf das gleiche Ziel gerichtet sein. Eine Umdeutung des fehlerhaften Kostenbeitragsbescheides in eine Überleitungsanzeige ist aber nach § 43 SGB X ausgeschlossen. Zum einen widerspräche eine Überleitungsanzeige, die nur einen Gläubigerwechsel bewirkt und dem Jugendhilfeträger ermöglicht, an Stelle des jungen Volljährigen den Unterhaltsanspruch geltend zu machen und im Streitfall vor dem Zivilgericht einzuklagen, der erkennbaren Absicht des Beklagten (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB X), da er einen Leistungsbescheid nach § 93 Abs. 1 SGB VIII erlassen wollte, aus dem er ohne vorherige Anrufung eines Gerichts vollstrecken kann, sobald der Bescheid unanfechtbar oder vollziehbar geworden ist. Zum anderen kann der Kostenbeitragsbescheid, der  nur als gesetzlich gebundene Entscheidung ergehen kann (§ 93 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII: "Der Kostenbeitrag wird ... durch Leistungsbescheid festgesetzt"), nicht in eine Ermessenentscheidung ungedeutet werden (§ 43 Abs. 3 SGB X). Die Überleitungsanzeige nach den §§ 95, 96 SGB VIII steht aber grundsätzlich im Ermessen des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe ("kann").  

6

Diese Entscheidung ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.