Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.02.2002, Az.: 8 L 4299/00

Alterssicherungsordnung; Anerkennung; Apotheker; Apothekerkammer; berufsständisches Versorgungswerk; Erziehungsurlaub; Erziehungszeit; Gleichheitssatz; Kindererziehung; Kindererziehungszeit; Versorgung; Zurechnungsbetrag

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.02.2002
Aktenzeichen
8 L 4299/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43887
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 23.10.2000 - AZ: 5 A 6420/98

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Art. 3 Abs. 1 GG verpflichtet die Apothekerkammer Niedersachsen nicht, die Regelungen eines anderen Normwerks - wie das der gesetzlichen Rentenversicherung - in ihre Alterssicherungsordnung zu übernehmen. Das gilt auch dann, wenn Regelungen eines anderen Normwerks - z. B. bezüglich der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten - sachgerechter erscheinen, da der dem Normgeber zustehende Regelungsspielraum andernfalls auf das Modell eingeengt wäre, das dem Gleichheitssatz am besten entspricht.

2. Der allgemeine Gleichheitssatz enthält kein verfassungsrechtliches Gebot, ähnliche Sachverhalte in unterschiedlichen Ordnungsbereichen gleich zu regeln.

3. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung und dem berufsständischen Versorgungsrecht handelt es sich um selbständig nebeneinander stehende Rechtsmaterien.

Gründe

1

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil die Berufungszulassungsgründe, die die Klägerin geltend gemacht hat, nicht hinreichend dargelegt worden sind bzw. nicht vorliegen.

2

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin nach § 16 Abs. 5 Satz 4 der Alterssicherungsordnung der Beklagten in der Fassung vom 8. November 1995 - ASO - keinen Anspruch auf Anerkennung von Kindererziehungszeiten für den Zeitraum besitze, der aufgrund einer pharmazeutischen Berufstätigkeit beitragsbelegt sei. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung sei nicht zu bezweifeln. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Regelung in der gesetzlichen Rentenversicherung für verfassungswidrig erklärt. Diese Rechtsprechung könne auf das Satzungsrecht der Beklagten aber nicht übertragen werden. Die gesetzliche Rentenversicherung und das Versorgungswerk der Rechtsanwälte (gemeint ist das der Beklagten) unterschieden sich so sehr, dass von einer willkürlichen Ungleichbehandlung der Mitglieder der Beklagten einerseits und der Versicherten in der gesetzlichen Rentenversicherung andererseits nicht ausgegangen werden könne. Außerdem werde die Klägerin nicht ohne sachlichen Grund anders als ihre Kolleginnen, die während des Erziehungsurlaubs keiner beitragspflichtigen Beschäftigung nachgingen, behandelt, weil die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Alterssicherungsordnung der Beklagten anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung eine Lückenschließungsfunktion habe.

3

Die Einwände, die die Klägerin dagegen erhoben hat, begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

4

Die Annahme der Klägerin, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich das Verwaltungsgericht von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen, weil in dem Urteil zweimal vom Versorgungswerk der Rechtsanwälte und nicht dem der Apotheker die Rede sei, ist unbegründet. Es ist offensichtlich, dass das Verwaltungsgericht nicht das Versorgungswerk der Rechtsanwälte, sondern das der Beklagten gemeint und nur versehentlich deren Versorgungswerk als Versorgungswerk der Rechtsanwälte bezeichnet hat.

5

Die Klägerin kann ebenfalls nicht mit Erfolg geltend machen, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass es sich bei der gesetzlichen Rentenversicherung und dem berufsständischen Versorgungsrecht um selbständig nebeneinander stehende Rechtsmaterien handele. Diese vom Verwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung stimmt nämlich mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts überein (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.7.1998 - 1 B 54/98 - m.w.N.).

6

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils ergeben sich auch nicht aus den verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen § 16 Abs. 5 Satz 4 ASO, der vorsieht, dass die Beiträge, die aufgrund einer pharmazeutischen Berufstätigkeit während der Zeiten des Erziehungsurlaubs geleistet werden, auf die Zurechnungsbeträge anzurechnen sind, die die Mitglieder, die nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz Erziehungsurlaub nehmen, nach § 16 Abs. 5 Satz 1 ASO erhalten.

7

Es ist bereits zweifelhaft, ob § 16 Abs. 5 Satz 4 ASO im vorliegenden Fall überhaupt einschlägig ist. Voraussetzung dafür wäre, dass die Klägerin in dem hier umstrittenen Zeitraum Erziehungsurlaub nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz genommen hat und nach § 16 Abs. 5 Satz 1 ASO Zurechnungsbeträge (Steigerungszahlen) beanspruchen kann. Dafür lässt sich den Verwaltungsvorgängen der Beklagten und dem Vorbringen der Beteiligten jedoch nichts entnehmen.

8

Im Übrigen greifen die verfassungsrechtlichen Einwände, die die Klägerin gegen § 16 Abs. 5 Satz 4 ASO erhoben hat, nicht durch. Die Klägerin vertritt die Ansicht, dass § 16 Abs. 5 Satz 4 ASO gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, weil diese Bestimmung sie ohne sachlichen Grund schlechter als die Pflichtversicherten stelle, die während der Erziehungszeiten keine pharmazeutische Beschäftigung ausübten. Sie hat sich aber nicht mit der plausiblen Feststellung des Verwaltungsgerichts auseinandergesetzt, dass diese Ungleichbehandlung sachlich begründet sei, weil die Anrechnung von Kindererziehungszeiten im Versorgungswerk der Beklagten anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung der Schließung von Versorgungslücken diene. Damit hat die Klägerin diesen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Folglich begründet ihr o. g. Einwand keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.

9

Entsprechendes gilt für die Behauptung der Klägerin, dass § 16 Abs. 5 Satz 4 ASO gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, weil sie - die Klägerin - ohne sachlichen Grund schlechter als die in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten gestellt werde. Die Klägerin übersieht bei diesem Einwand, dass sich aus Art. 3 Abs. 1 GG für die Beklagte keine Verpflichtung ergibt, die Regelungen eines anderen Normwerks - wie das der gesetzlichen Rentenversicherung - in ihre Alterssicherungsordnung zu übernehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.10.1991 - 1 BvR 1281/91 - NVwZ-RR 1992 S. 384, m.w.N.). Das gilt auch dann, wenn Regelungen eines anderen Normwerks - z. B. bezüglich der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten - sachgerechter erscheinen, da der dem Normgeber zustehende Regelungsspielraum andernfalls auf das Modell eingeengt wäre, das dem Gleichheitssatz am besten entspricht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.10.1991, a.a.O.; Beschl. v. 7.10.1980 - 1 BvL 50, 89/79 - BVerfGE 55, 72 (90)). Der allgemeine Gleichheitssatz enthält ferner kein verfassungsrechtliches Gebot, ähnliche Sachverhalte in unterschiedlichen Ordnungsbereichen gleich zu regeln (BVerwG, Beschl. v. 18.2.1992 - 2 B 147/91- NVwZ 1992 S. 986; BVerfG, Beschl. v. 18.6.1975 - 1 BvL 4/94 - BVerfGE 40, 121 (139 f.); BVerfG, Beschl. v. 8.4.1987 - 1 BvR 564/84 u.a.- BVerfGE 75, 78 (107)). Darüber hinaus ist höchstrichterlich geklärt, dass es sich bei der gesetzlichen Rentenversicherung und dem berufsständischen Versorgungsrecht um selbständig nebeneinander stehende Rechtsmaterien handelt und dass berufsständische Versorgungswerke nicht verpflichtet sind, Leistungen zu erbringen, die denen der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechen (BVerwG, Beschl. v. 3.7.1998, a.a.O., m.w.N.). Daher geht die Klägerin zu Unrecht davon aus, dass sich berufsständische Versorgungseinrichtungen hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Leistungen an der gesetzlichen Rentenversicherung orientieren müssten und dass ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vorliege, wenn berufsständische Versorgungswerke ihre Pflichtmitglieder - z. B. bezüglich der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten - schlechter als die in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten stellten.

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Die Berufung kann auch nicht wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen werden. Die Klägerin hat den Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zwar geltend gemacht, es aber versäumt, eine konkrete Rechtsfrage, deren Beantwortung nur unter besonderen Schwierigkeiten möglich sein soll, zu bezeichnen und darüber hinaus zu erläutern, worin solche Schwierigkeiten konkret bestehen könnten. Ihre diesbezüglichen Ausführungen erschöpfen sich in der Behauptung, dass die rechtliche Vergleichbarkeit der Versorgungssysteme sicherlich schwierig sei. Damit genügt die Darlegung dieses Berufungszulassungsgrundes den Anforderungen des § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO a. F. (= § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO n. F.) nicht.

11

Die von der Klägerin geltend gemachte Divergenz der erstinstanzlichen Entscheidung zu den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1992 (- 1 BvL 51/86 u.a. - BVerfGE 87, 1) und vom 12. März 1996 (- 1 BvR 609/90 u.a. - BVerfGE 94, 241) rechtfertigt die Zulassung der Berufung gleichfalls nicht. Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht nur dann von einer höchstrichterlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ab, wenn das Verwaltungsgericht seinem Urteil einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit einem höchstrichterlich aufgestellten Rechtssatz, der dieselbe Rechtsfrage betrifft und die höchstrichterliche Entscheidung trägt, nicht übereinstimmt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.12.1995 - 4 B 187.95 -; Beschl. v. 19.8.1997 - 7 B 261/97 - NJW 1997 S. 3328, m.w.N.; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Komm., § 124 Rn. 36 ff.). Die Darlegung der Divergenz erfordert daher die konkrete Benennung der höchstrichterlichen Entscheidung und die Bezeichnung des dort aufgestellten Rechtssatzes sowie die Angabe des Rechtssatzes, der das erstinstanzliche Urteil tragen soll, und Erläuterungen dazu, weshalb dieser Rechtssatz dem höchstrichterlich gebildeten Rechtssatz widerspricht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.8.1997, a.a.O.; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 124 a Rn. 56 ff.). Die Antragsschrift genügt schon diesen Anforderungen an die Darlegung der Divergenz nicht, weil die Klägerin die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Rechtssätze nicht korrekt bezeichnet hat. Das Bundesverfassungsgericht hat entgegen der Darstellung der Klägerin nicht allgemein entschieden, dass Kindererziehungszeiten zusätzlich zu zeitgleich liegenden anderen Beitragszeiten zu berücksichtigen seien. Die eingangs genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts betreffen ausschließlich die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Außerdem hat die Klägerin den Rechtssatz, mit dem das Verwaltungsgericht von den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts abgewichen sein soll, nicht konkret benannt. Ihr Zulassungsantrag lässt auch nicht erkennen, weshalb die vom Verwaltungsgericht aufgestellten Rechtssätze dem vom Bundesverfassungsgericht gebildeten Rechtssatz widersprechen sollen. Die Klägerin übersieht im Übrigen, dass die vom Bundesverfassungsgericht und vom Verwaltungsgericht formulierten Rechtssätze unterschiedliche Rechtsmaterien und damit nicht dieselbe Rechtsfrage betreffen. Daher ist eine Divergenz von vornherein ausgeschlossen.

12

Die Berufung kann schließlich auch nicht wegen der von der Klägerin behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Eine Rechtssache weist nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Bestimmung auf, wenn sie eine bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellung obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 124 Rn. 30, m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 24.4.1996 - 4 B 92.96 -). Dementsprechend kommt Rechtsfragen, die sich nur nach ausgelaufenem oder auslaufendem Recht stellen, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung zu, da das Ziel, die Rechtseinheit zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, nicht mehr erreicht werden kann, wenn die Beantwortung der Rechtsfragen für die Zukunft nicht mehr richtungsweisend ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.12.1977 - VII B 109/77 - Buchholz 310, § 132 VwGO, Nr. 160; Beschl. v. 9.12.1994 - 11 PKH 28.94 - Buchholz 310, § 132 Abs. 2 Ziff. 1, VwGO Nr. 4, m.w.N.). Dass noch Fälle abzuwickeln sind, in denen das alte Recht anzuwenden ist, rechtfertigt keine Ausnahme von dieser Regel (BVerwG, Beschl. v. 9.12.1994, a.a.O.). Dementsprechend verleiht die Frage, ob § 16 Abs. 5 Satz 4 ASO wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist, der Rechtssache der Klägerin keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Beklagte diese Bestimmung durch Beschluss vom 22. November 2000 dahin geändert hat, dass Beiträge, die aufgrund einer pharmazeutischen Berufstätigkeit während der Zeiten des Erziehungsurlaubs geleistet werden, auf die Zurechnungsbeträge bis zur Höhe der allgemeinen Versorgungsabgabe  n i c h t  anzurechnen sind.