Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 16.06.1999, Az.: 2 U 56/99
Anspruch auf Schadensersatz auf Grund eines mangelhaften Werks; Vorliegen einer Anspruchskonkurrenz; Geltendmachung von Mängelbeseitigungskosten als Schadensersatz anstatt der Geltendmachung eines Vorschusses zur Mängelbeseitigung; Erhebliche Beeinträchtigung einer Gebrauchstauglichkeit; "Unverhältnismäßigkeit" einer Mängelbeseitigung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 16.06.1999
- Aktenzeichen
- 2 U 56/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 29124
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1999:0616.2U56.99.0A
Rechtsgrundlagen
- § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B
- § 13 Nr. 5 VOB/B
- § 251 Abs. 2 BGB
- § 633 Abs. 2 S. 3 BGB
- § 13 Nr. 6 VOB/B
Fundstellen
- IBR 2000, 320
- OLGReport Gerichtsort 2000, 114-116
Amtlicher Leitsatz
VOB-Werkvertrag: Mängelbeseitigungskosten als Schadensersatz. Keine Unverhältnismäßigkeit bei spürbarem Funktionsmangel trotz Nutzung des mangelhaften Werks seit 16 Jahren. Keine Vorteilsausgleichung.
Entscheidungsgründe
Der Anspruch der Klägerin hat seine Grundlage in § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B
a)
Die Klägerin macht einen Schadensersatz- und keinen Vorschussanspruch geltend. Dies folgt nicht erst aus ihrem Vortrag in der Berufungsinstanz. Sie hat dies vielmehr bereits im ersten Rechtszug spätestens mit ihrem Schriftsatz vom 14.04.1998 (Seite 8 unten) klargestellt.
Da eine Abnahme der Werkleistung durch Restzahlung des ausstehenden Werklohns am 07.12.1987 erfolgt ist, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat und worauf im Rahmen der Erörterungen zur Verjährungsfrage noch einzugehen sein wird, kommt als Anspruchsgrundlage auch nur § 13 Nr. 7 VOB/B und nicht § 4 Nr. 7 in Verbindung mit § 8 Nr. 3 VOB/B in Betracht, da letztere Vorschriften nur Schadensersatzansprüche vor Abnahme betreffen.
b)
Entgegen der Ansicht des Landgerichts schließt § 13 Nr. 5 VOB/B die Geltendmachung der voraussichtlichen Nachbesserungskosten als Schadensersatz gemäß § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B nicht aus. Nach der höchstrichterlicher Rechtsprechung und ganz überwiegender Ansicht der Literatur besteht zwischen den Nummern 5, 6 und 7 des § 13 VOB/B eine Anspruchskonkurrenz. Dem Auftraggeber steht es frei, anstatt eines Vorschusses zur Mängelbeseitigung gemäß § 13 Nr. 5 VOB/B gemäß § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B die Mängelbeseitigungskosten als Schadensersatz zu verlangen, wenn nur die Voraussetzungen des § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B erfüllt sind (BGH BauR 1980, 460, 461; BGH BauR 1982, 277, 279; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 8. Aufl., B § 13.7 Rn. 179; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 9. Aufl., Rn. 1721; Beckscher VOB-Kommentar-Kohler, § 13 Nr. 7 Rn. 32 und 35). Die Anspruchsvoraussetzung der Aufforderung zur Mängelbeseitigung binnen einer angemessenen Frist gemäß § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B liegt vor. Die Klägerin hat die Beklagte mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 13.01.1992 zur Mängelbeseitigung aufgefordert, worauf diese mit Schreiben vom 13.02.1992 jede Mängelbeseitigung unter Erhebung der Einrede der Verjährung abgelehnt hat.
c)
Die Voraussetzungen des § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B liegen vor.
Die von der Beklagten geschuldeten Pflasterarbeiten weisen wesentliche Mängel auf.
Dies steht auf Grund des zur Beweissicherung gefertigten Gutachten des Sachverständigen H vom 25.11.1991 in Verbindung mit dem vorangegangenen Bodengutachten des Sachverständigen K vom 29.08.1991 fest. Aus dem Gutachten des Sachverständigen H ergeben sich im Wesentlichen folgende Mängel:
Im Verlauf der Hauptfahrspuren kommt es zu muldenförmigen Setzungen des Pflasters. Pflastersteine werden durch die Belastung der Kanten in Folge ungleichmäßiger Absackungen zerstört. Ferner wandern die Pflastersteine und die Fugenverfüllung durch Bewegungen aus der nichttragfähigen Befestigung. Die Ursache der Mängel liegt in einem fehlerhaften Unterbau. Dieser besteht u.a. aus unsortiertem Bauschutt, nicht etwa, wie in der Auftragsbestätigung der Beklagten vom 21.03.1983 vorgesehen, aus Straßenaufbruch. Dabei handelt es sich um einen gravierenden, vom Sachverständigen als "Kardinalfehler" bezeichneten Mangel, weil dadurch unkontrollierte Setzungen des Pflasters vorprogrammiert sind.
.......
Durch den Mangel ist die Gebrauchstauglichkeit des Pflasters erheblich beeinträchtigt. Eine Erheblichkeit der Beeinträchtigung liegt vor, wenn nach der allgemeinen Verkehrsauffassung im Hinblick auf das vertragliche Ziel des Auftraggebers der Mangel derart beachtlich ist, dass ein Ausgleich in Geld gerechtfertigt erscheint (BGH NJW 1962,1569; BGH BauR 1970, 237, Heiermann/Riedl/Rusam B § 13.7 Rn. 187). Am Vorliegen dieser Voraussetzung kann auf Grund der grundlegenden Mängel des Unterbaus und der dadurch eingetretenen Versackungen sowie der Gefahr weiterer Schäden kein Zweifel bestehen. Die Behauptung der Beklagten, die Versackungen seien nur an einigen wenigen Stellen eingetreten, ist nicht richtig. Das Gegenteil steht auf Grund des Sachverständigengutachtens fest. Der Sachverständige hat das gesamte Pflaster an 288 Messpunkten begutachtet. Dabei hat er festgestellt, dass bei 77 Messpunkten eine unzulässige Abweichung von mehr als 8 Millimetern auf einer Messlatte von 4 Metern vorhanden ist. Daraus ergibt sich, dass Mängel an 26 % aller Messstellen festgestellt worden sind.
Die Beklagte trifft auch ein Verschulden hinsichtlich des Mangels. Wie der Sachverständige festgestellt hat, hat die Firma S bei Erstellung des Pflasters grundlegend gegen die Regeln der Technik verstoßen, indem sie unsortierten Bauschutt verwandt hat. Das Verschulden der Firma S muss die Beklagte sich gemäß § 278 BGB zurechnen lassen.
d)
Der zu ersetzende Schaden beträgt 392.000,00 DM. Dies ist der Betrag, der nach den Feststellungen des Sachverständigen H zu einer sachgerechten Mängelbeseitigung netto aufgewandt werden müsste.
(1)
Die Ersatzfähigkeit des Schadens ist nicht aus dem Gesichtspunkt der Unverhältnismäßigkeit zu verneinen. Allerdings braucht ein Auftragnehmer entsprechend § 251 Abs. 2 BGB solche Aufwendungen nicht zu erstatten, die sich als unverhältnismäßig darstellen (BGH NJW 1973, 138, 139 [BGH 26.10.1972 - VII ZR 181/71]; Werner/Pastor Rn. 1684; Heiermann/Riedl/Rusam B §13.7 Rn. 179; Beckscher VOB-Kommentar-Kohler, § 13 Nr. 7 Rn. 29 und 86; Kleine-Möller-Merl, Handbuch des privaten Baurechts, § 12 Rn. 630).
Entsprechend dem auf dem Gedanken der Unverhältnismäßigkeit beruhenden Anspruchsausschluss gemäß § 633 Abs. 2 Satz. 3 BGB und § 13 Nr. 6 VOB/B liegt eine Unverhältnismäßigkeit nur vor, wenn der Kostenaufwand und der Sanierungserfolg unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls in einem unvernünftigen Missverhältnis stehen. Unverhältnismäßigkeit ist danach in aller Regel nur dann anzunehmen, wenn einem objektiv geringen Interesse des Auftraggebers an einer völlig ordnungsgemäßen vertraglichen Leistung ein ganz erheblicher und deshalb vergleichsweise unangemessener Aufwand gegenübersteht. Hat der Auftraggeber dagegen ein objektiv berechtigtes Interesse an einer ordnungsgemäßen Erfüllung, liegt regelmäßig keine Unverhältnismäßigkeit vor (BGH NJW 1973, 138, 139 [BGH 26.10.1972 - VII ZR 181/71]; BGH BauR 1996, 858, 859 [BGH 04.07.1996 - VII ZR 24/95]; BGH BauR 1997, 638, 639) [BGH 24.04.1997 - VII ZR 110/96].
Vorliegend handelt es sich um einen spürbaren Funktionsmangel. Ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen H sind erhebliche Setzungen vorhanden gewesen, und es ist mit weiteren Setzungen zu rechnen. Ferner ist es auch zu Zerstörungen von Pflastersteinen durch Belastungen gekommen. All dies beruht darauf, dass der Unterbau des Pflasters von Grund auf schwer wiegend mangelhaft ist.
Die Ansicht des Landgerichts, die Klägerin sei dem Vortrag der Beklagten, wonach nur einige wenige bzw. geringfügige Setzungen vorgelegen hätten, nicht konkret entgegengetreten, ist nicht richtig. Die Klägerin hat sich zulässigerweise zur Beschreibung der Mängel auf das Gutachten des Sachverständigen H bezogen. Dieser hat - wie schon dargelegt - die gesamte Fläche untersucht und unzulässige Setzungen an 26 % aller Messpunkte des Pflasters festgestellt. Von einem geringfügigen Mangel kann danach insbesondere auch auf Grund der festgestellten Gefahr weiterer Setzungen nicht die Rede sein.
Zwar hat die Klägerin die Hoffläche seit 1983 genutzt. Auch dies begründet jedoch keine Unverhältnismäßigkeit der Mängelbeseitigung. Die von der Beklagten vertraglich geschuldete Leistung bestand darin, ein Pflaster mit der üblichen Ebenheit und Festigkeit zu erstellen. Diese Leistung hat sie nicht erbracht. Nach Treu und Glauben kann der von der Beklagten geschuldete Leistungsumfang nicht im Nachhinein mit dem Argument reduziert werden, dass Lastkraftwagen auch auf unebenem Pflaster (oder sogar auf einer vollkommen ungepflasterten Fläche ?!) fahren könnten und die Klägerin zur Aufrechterhaltung ihres Betriebs einer ordnungsgemäß oder überhaupt gepflasterten Fläche überhaupt nicht bedürfe. Zu berücksichtigen ist auch der erhebliche Grad des Verschuldens der Firma S, welches sich die Beklagte gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss. Die Firma S hat bei Erstellung des Unterbaus einen "Kardinalfehler" begangen. Die Einbringung unsortierten Bauschutts ist zumindest als ein grob fahrlässiges Handeln zu bewerten; sogar der Verdacht einer vorsätzlich mangelhaften Leistung liegt nahe.
(2)
Der Schadensersatzanspruch ist auch nicht im Wege der Vorteilsausgleichung auf Grund der lang andauernden Nutzung der Hoffläche zu reduzieren. Zwar würde voraussichtlich die Lebensdauer des Pflasters erhöht, wenn die Klägerin jetzt eine ordnungsgemäße Mängelbeseitigung vornehmen lassen würde. Dies rechtfertigt jedoch keine Kürzung des anhand der voraussichtlichen Nachbesserungskosten bemessenen Schadensersatzanspruchs.
Zum einen trägt die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nichts Konkretes vor; insbesondere wird nicht beziffert dargelegt, welche Vorteile der Klägerin anzurechnen seien. Zum anderen kommt aber bereits aus materiell-rechtlichen Erwägungen eine Vorteilsausgleichung nicht in Betracht. Der bis zur letzen mündlichen Verhandlung eingetretene Zeitablauf beruht im Wesentlichen auf der unberechtigten Verweigerung der Mängelbeseitigung seitens der Beklagten und einer zögerlichen Sachbearbeitung durch das Landgericht, denn dieses hat immerhin rund 5 1/2 Jahre zur Entscheidungsfindung gebraucht, obwohl lediglich - keineswegs umfangreich!- Zeugenbeweis erhoben worden ist. Unter diesen Umständen widerspräche es dem Grundsatz von Treu und Glauben, eine Vorteilsausgleichung unter dem Gesichtspunkt "neu für alt" vorzunehmen. Anders als in Schadensersatzfällen aus unerlaubter Handlung hat der Gewährleistungsanspruch des Auftraggebers eine Werkleistung zum Gegenstand, die der Auftragnehmer neu und mangelfrei erbringen muss. Dieser Anspruch darf nicht dadurch geschmälert werden, dass der Auftragnehmer trotz ständiger Mängelrügen sich seiner Vertragspflicht entzieht. Daraus folgt, dass der Auftraggeber sich grundsätzlich nicht darauf verweisen lassen muss, er habe das - wenn auch fehlerhafte - Werk immerhin längere Zeit benutzt. Es handelt sich dabei um eine unvermeidliche Nutzung, die gerade nicht den vertraglich geschuldeten, unbeeinträchtigten Gebrauch ermöglicht und deshalb keinen Abzug rechtfertigt (BGH BauR 1984, 510; OLG Hamm NJW-RR 1996, 272 [OLG Hamm 29.06.1994 - 12 U 169/93]; Palandt-Heinrichs, BGB, 58. Aufl., vor § 249 Rn. 146; Heiermann/Riedl/Rusam B § 13.5 Rn. 135).