Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 10.06.1999, Az.: 8 U 127/98
Recht auf Unterlassung der Taubenhaltung auf dem Nachbargrundstück wegen der ausgehenden Immissionen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 10.06.1999
- Aktenzeichen
- 8 U 127/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 18464
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1999:0610.8U127.98.0A
Verfahrensgang
Fundstelle
- RdL 2000, 147-149
In dem Rechtsstreit
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 1999
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers und die Anschlußberufung der Beklagten gegen das am 28. Mai 1998 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg werden zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Wert der Beschwer übersteigt nicht 60.000,00 DM.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete, mithin zulässige Berufung des Klägers sowie die Anschlußberufung der Beklagten haben in der Sache keinen Erfolg.
Aufgrund des Ergebnisses der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme steht dem Kläger ein Anspruch aus den §§ 1004, 906 BGB auf Unterlassung der Taubenhaltung seitens der Beklagten in dem Umfang, wie sie derzeit betrieben wird, nicht zu. Eine über den derzeitigen Zustand - 35 freifliegende Brieftauben und ca. 60 sogenannte "festsitzende" Zuchttauben - hinausgehende Taubenhaltung ist jedoch anhand der Umstände des hier zu entscheidenden Einzelfalls mit dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis nicht zu vereinbaren.
Der Kläger hat als Nachbar der Beklagten gemäß § 906 BGB Anspruch darauf, daß die von der Taubenhaltung auf deren Nachbargrundstück ausgehenden Immissionen dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis Rechnung tragen. Das entspricht allgemeiner Auffassung (vgl. OLG Celle NJW-RR 1989, 783 f. [OLG Celle 09.12.1988 - 4 U 130/87] m.w. N.; Stollenwerk ZMR 1993, 445 f.). Bei diesen Immissionen geht es darum, daß Tauben auf das Nachbargrundstück fliegen oder es überfliegen und dabei Geräusche verursachen oder es durch Staub und Kot verunreinigen.
Diese Störungen sind entsprechend § 906 BGB unter Berücksichtigung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zu beurteilen. Der Taubenzüchter muß auf die Belange seiner Nachbarn Rücksicht nehmen ebenso wie diese eine Tierhaltung in gewissem Umfang hinzunehmen haben. Maßstab für die Beurteilung der Wesentlichkeit oder der Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung ist dabei das Empfinden eines verständigen Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks in seiner durch Natur, Gestaltung und Zweckbestimmung geprägten konkreten Beschaffenheit und nicht das subjektive Empfinden des Gestörten (vgl. BGHZ 120, 239, 259) [BGH 20.11.1992 - V ZR 82/91].
Der ... Stadtteil, in dem die Grundstücke der Parteien liegen, ist ein allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 4 Baunutzungsverordnung. Es ist, wie die Augenscheinseinnahme durch den Senat ergeben hat und wie der von dem Kläger vorgelegte Auszug aus dem Bebauungsplan belegt, dicht mit Ein- und Zweifamilienhäusern bebaut; die Grundstücke sind nicht sonderlich groß zugeschnitten. Das gilt auch für die Grundstücke der Parteien. Trotzdem ist hier eine Brieftaubenhaltung grundsätzlich unbedenklich und mit der Zweckbestimmung eines allgemeinen Wohngebietes generell vereinbar, was schon aus § 4 Abs. 3 Nr. 6 Baunutzungsverordnung folgt, der die Kleintierhaltung und die Errichtung der dafür erforderlichen baulichen Einrichtungen unter bestimmten Voraussetzungen zuläßt. Sogar in ausschließlich dem Wohnen dienenden reinen Wohngebieten (§ 3 Baunutzungsverordnung) können eine kleinere Brieftaubenzucht und die Errichtung eines Taubenschlages bauordnungsrechtlich zulässig sein (vgl. OVG Lüneburg ZfBR 1981, 98 ff.). Die Taubenhaltung ist in dem betreffenden ... Stadtteil ortsüblich, wie die Beklagten im einzelnen dargelegt haben. Der Kläger hat dies zwar bestritten, jedoch nicht in gemäß § 138 Abs. 4 ZPO beachtlicher Art und Weise; ein kurzer Spaziergang hätte es ihm ermöglicht, festzustellen, ob auf den von den Beklagten bezeichneten Grundstücken Taubenschläge vorhanden sind (vgl. dazu OLG Celle a.a.O., 784). Das grundsätzliche Recht der Beklagten zu einer Hobbytierhaltung von Brieftauben stellt im übrigen auch der Kläger nicht in Frage.
Der Kläger beanstandet die von der danach generell zulässigen Taubenhaltung auf dem Nachbargrundstück der Beklagten ausgehenden Geräusche, das Überfliegen seines Grundstücks sowie die Verunreinigung durch Kot, wobei dieser Umstand nach seinen Erklärungen im Termin allerdings nicht im Vordergrund steht. Grundsätzlich hat ein Grundstückseigentümer von den Tauben ausgehende Geräusche und Verunreinigungen durch Kot zumindest in dem Ausmaß hinzunehmen, wie er es auch bei wildlebenden Vögeln müßte. Derartige Beeinträchtigungen werden jedenfalls bei einem normal toleranten Nachbarschaftsverhältnis nicht als nennenswert störend empfunden (vgl. OLG Celle a.a.O.). Der Senat hat bei der von ihm durchgeführten Augenscheinseinnahme die Überzeugung gewonnen, daß die von der Brieftaubenzucht der Beklagten auf die Nachbargrundstücke ausgehenden Beeinträchtigungen sich - jedenfalls noch - im Rahmen des Zumutbaren halten.
Eine Verunreinigung des Grundstücks des Klägers durch Taubenkot konnte der Senat während des Ortstermins nicht feststellen, obwohl der Taubenschwarm der Beklagten bei seinem Freiflug mehrfach das Grundstück des Klägers überflog. Der Kläger war nicht in der Lage, durch Taubenkot verschmutzte Stellen seines Grundstücks vorzuweisen. Das mag daran liegen, daß sich, wie die Beklagten geltend machen, Tauben im Regelfall in Ruhestellung ihres Kots entledigen. Allerdings entspricht es allgemeiner Erkenntnis (vgl. OLG Celle und OVG Lüneburg, jeweils a. a. O.), daß bei einer größeren Anzahl von Brieftauben eine Verschmutzung der Umgebung des Taubenschlages zu beobachten ist, weil, wie der Senat bei seinem Ortstermin selbst festgestellt hat, Brieftauben, wenn sie aus dem Schlag gelassen werden, sofort dessen Umgebung verlassen und bei ihrer Rückkehr im allgemeinen sofort wieder den Schlag aufsuchen. Eine gewisse Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks des Klägers durch Taubenkot ist deshalb anzunehmen; auch die Beklagten stellen gelegentliche Verschmutzungen nicht völlig in Abrede. Bei einer Zahl von 35 freifliegenden Brieftauben und unter Berücksichtigung des Umstandes, daß diese nur stundenweise, nicht aber ständig frei fliegen dürfen, ist aber das Maß des Zumutbaren nach Überzeugung des Senats nicht überschritten.
Von dem Flug der Tauben gehen, wovon sich der Senat bei der Augenscheinseinnahme überzeugt hat, keine wesentlichen Beeinträchtigungen für das Nachbargrundstück aus. Das Flügelschlagen war nur leise merkbar, Gurren oder andere artgerechte Geräusche waren nicht zu vernehmen. Bei ihrem Abflug aus dem Schlag streifen die Tauben infolge eines auf dem Grundstück der Beklagten aufgestellten Lattengestells das Grundstück des Klägers lediglich; das gelegentliche Überfliegen des Grundstücks geschieht in größerer Höhe und kann nicht als nennenswert störend empfunden werden. Nach Beendigung des Freifluges lassen sich die Tauben auf dem Dach des Schlages nieder und suchen diesen alsbald auf. Daß sie sich auch auf dem Haus des Klägers niederlassen, hat der Senat nicht festgestellt.
Der Senat hat sich weiterhin nicht davon überzeugen können, daß von den sogenannten "festsitzenden" Zuchttauben mit zur Zeit 60 Tieren eine wesentliche Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks ausgeht. Derartige Tauben verlassen den Schlag nicht, sie können dies aufgrund der baulichen Situation auf dem Grundstück der Beklagten auch nicht. Von diesen Tieren ausgehende Geräuschbelästigungen durch Flügelschlagen und Gurren oder gar eine ständige Geräuschkulisse, wie sie der Kläger beanstandet, waren nicht zu vernehmen. Die Bauweise der Taubenställe verhindert ein Ausbreiten von Geräuschen.
Andererseits kann es, was - wie bereits ausgeführt - allgemeiner Erkenntnis entspricht, nicht zweifelhaft sein, daß von der Haltung einer größeren Anzahl von Tauben in einem Wohngebiet Störungen für die Nachbargrundstücke ausgehen, die das Maß des Zumutbaren überschreiten. Die widerstreitenden Interessen zwischen einem Taubenhalter und seinen Nachbarn erfordern deshalb im Rahmen des zwischen ihnen bestehenden nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses und der daraus abzuleitenden Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme eine Beschränkung der Zahl der von einem Züchter gehaltenen Tauben. Die Größenordnung von 35 freifliegenden Brieftauben stellt sicherlich die Obergrenze dessen dar, was ein Nachbar in einem Wohngebiet hinzunehmen hat. Das Entspricht auch öffentlich-rechtlicher Sicht (vgl. OVG Lüneburg a. a. O.; bei dieser Entscheidung ging es um einen Taubenschlag für 30 Vögel in einem Wohngebiet). Bei mehr als 35 freifliegenden Brieftauben kann auch nicht mehr von einer Hobbytierhaltung gesprochen werden. Dasselbe gilt für eine Ausweitung der Taubenzucht über den derzeitigen Zustand hinaus. Mit dieser Begrenzung wird auch den Interessen der Beklagten Rechnung getragen; denn nach ihrem Vorbringen können Brieftaubenzucht und Brieftaubensport mit der gegenwärtig vorhandenen Anzahl von Tauben durchaus sinnvoll betrieben werden.
Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts erweist sich danach im Ergebnis als richtig.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2, 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert der Beschwer übersteigt nicht 60.000,00 DM.