Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 22.06.1999, Az.: 5 U 36/99

Umfang der Aufsichtspflicht des Halters eines Rindes; Leistung von Schadenersatz eines Viehhändlers auf Grundlage der Tierhalterhaftung; Darlegungslast und Beweislast des Tierhalters hinsichtlich der Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
22.06.1999
Aktenzeichen
5 U 36/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 29329
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1999:0622.5U36.99.0A

Fundstellen

  • MDR 2000, 455-456 (Volltext mit red. LS)
  • NJW-RR 1999, 1627-1628 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 2000, 20-21
  • RdL 2000, 290-291

Amtlicher Leitsatz

Zur Aufsichtspflicht des Halters eines Rindes.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein selbstständiger Taxiunternehmer, nimmt den Beklagten, einen Viehhändler, aus Tierhalterhaftung auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Am 7.3.1998 nachmittags entwich aus den Stallungen des Beklagten ein Rind. Die Umstände dafür sind unter den Parteien streitig. Versuche auch unter Einschaltung der Polizei, das Tier wieder einzufangen, scheiterten. Am 8.3.1998 kam es gegen 2.00 Uhr auf der Landesstraße 57 zu einem Zusammenstoß zwischen einer Taxe des Klägers und dem Rind.

3

Der Kläger hat behauptet, das Rind sei beim Öffnen der Stalltür infolge ungenügender Sicherung entlaufen und hat seinen Schaden einschließlich der Kosten eines Ersatztaxis mit insgesamt 19.577,59 DM berechnet.

4

Der Beklagte hat behauptet, die Stallungen und das Grundstück seien ausreichend gesichert gewesen. Das Rind habe nur durch das unbefugte Öffnen der Stalltür durch einen Dritten entweichen können. Trotz sofortiger intensiver Suche und rechtzeitiger Unterrichtung der Polizei sei es nicht möglich gewesen, das Tier wieder einzufangen.

5

Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen die Klage abgewiesen, da der Beklagte bei der Haltung des Rindes die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet habe.

Entscheidungsgründe

6

Die zulässige Berufung hat in der Sache insoweit Erfolg, als festzustellen ist, dass der Beklagte gem. § 833 Satz 1 BGB dem Grunde nach verpflichtet ist, den durch den Zusammenstoß zwischen seinem Rind und der Taxe dem Kläger entstandenen Schaden zu ersetzen.

7

Der Beklagte hat den gem. § 833 Satz 2 BGB möglichen Entlastungsbeweis, an den hohe Anforderungen zu stellen sind, nicht zu führen vermocht. Ihn trifft für das von ihm zu Erwerbszwecken gehaltene Haustier die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat, § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB, um zu verhindern, dass das Rind auf die Straße kommen konnte, wobei die Nichtaufklärbarkeit von relevanten Umständen zu seinen Lasten geht (vgl. zum ganzen nur Palandt/Thomas, BGB, 58. Aufl., § 833 Rn. 19, 20, 22 und MünchKomm.-Stein, BGB, 3. Aufl., § 833 Rn. 35 m.w.N.).

8

Dem Beklagten kann insoweit zwar nicht vorgehalten werden, dass die Stalleinrichtungen von der Anlage her nicht den zu stellenden Sicherheitsanforderungen genügt haben. Die doppelte Absicherung durch Stalltür und vorgelagertem 2 m hohen Gitterzaun mit Gittertüren, wie sie der Sohn des Beklagten bei seiner Zeugenvernehmung bekundet hat, muss grundsätzlich als ausreichend sichere Unterbringung angesehen werden.

9

Auch trifft ihn nicht der Vorwurf einer unzureichenden Nachsuche oder verspäteten Benachrichtigung der Polizei. Es begründet keinen Sorgfaltsverstoß, wenn der Beklagte unmittelbar nach dem Entweichen zunächst mit etwa acht Personen, wie den Zeugenaussagen zu entnehmen ist, versucht hat, das Tier einzufangen, und als ihm das nicht gelang gegen 17.30 Uhr - wie in dem Polizeireport fest gehalten - die Polizei davon unterrichtet hat.

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Nach seinem eigenen Vorbringen hat er aber nicht darlegen und beweisen können, dass das Entweichen aus dem Stall selbst und damit das Entlaufen von seinem Grundstück für ihn unverschuldet war. Zu Unrecht hat das Landgericht ihn durch unbefugtes Eingreifen eines Dritten als entlastet angesehen. Der Beklagte beschränkt sich für die Darstellung, wie das Rind entweichen konnte, ausdrücklich auf die Schadenanzeige des K. Danach hat Herr K mit seinem Kunden zur Wahrnehmung eines vereinbarten Besuchstermins nach dem Beklagten im Viehstall suchen wollen. Unmittelbar nach dem Öffnen der Stalltür ist dann das Rind an ihn vorbeigelaufen. Bei diesem für den insoweit darlegungspflichten Beklagten zugrundezulegenden Geschehensablauf hat er im Rahmen des Zumutbaren die Tiere nicht so gehalten und beaufsichtigt, dass sie nicht außer Kontrolle geraten können.

11

Der Beklagte muss damit rechnen, dass Dritte wie Geschäftspartner oder sonstige Personen trotz des angebrachten Verbotsschildes in dem Stall nach ihm suchen, wenn sie ihn - wie hier - anderswo nicht finden oder von Angehörigen nicht entsprechend unterwiesen werden. In diesen Fällen genügt er der ihm obliegenden Sorgfaltspflicht nicht, wenn das bloße Öffnen einer Stalltür die Gefahr eines unkontrollierbaren Entlaufens, wie sie sich hier verwirklicht hat, herbeiführt. Davon muss hier ausgegangen werden. Ohne jede weitere Erklärung bleibt offen, warum das vorbeschriebene doppelte Sicherungssystem von Stalltür und vorgelagerten Gittertüren nicht gegriffen hat. Bei einem freien Herumlaufen in den Stallungen mit der Möglichkeit des Entweichens der Tiere, sogar wenn die Tür durch einen Befugten geöffnet wird, kommt ein Tierhalter seinen Verkehrspflichten zu Hintanhaltung von Tiergefahren nicht in dem erforderlichen Maß nach.

12

Die zusätzliche Einzäunung des Grundstückes reicht zur Exkulpation i.S.v.§ 833 Satz 2 BGB allein nicht, wenn ein Rind diesen Zaun ohne weiteres überspringen kann und es anschließend zu einem Schaden kommt, auch wenn die Zaunhöhe, über die hier nichts vorgetragen wird, der in der Landwirtschaft üblichen entsprochen haben sollte (vgl. BGH-VI ZR 153/87 - nicht veröffentlicht).

13

Entgegen der Berufungserwiderung hat Herr K in der Schadenanzeige auch nicht sein Verschulden eingeräumt. Es heißt dort vielmehr, soweit es aus dem dem Gericht vorgelegten Fax zu entziffern ist, dass der Beklagte der Ansicht gewesen sei, dass ein Dritter - nicht leserlich, ggfl. der Kunde des Herrn K oder Herr K selbst - besser hätte aufpassen müssen. Danach hat der Beklagte selbst lediglich einen Vorwurf erhoben, nicht aber hat ein anderer eine Veranwortung an dem Vorfall eingestanden, die den Beklagten von dem gem. § 833 Satz 2 BGB gesetzlich vermuteten Verschulden entlasten könnte.

14

Ohne jede weitere Darstellung des Sachverhaltes, wie das Rind infolge des bloßen Öffnens einer Stalltür entkommen konnte, hat der Beklagte die Erfüllung der Verkehrspflicht, andere vor Schaden durch sein Tier zu bewahren, nicht dargetan oder gar bewiesen.

Dr. J
Dr. T W