Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 03.03.2004, Az.: 2 A 393/03

angemessener Umfang; Heizkosten; Hilfe zum Lebensunterhalt; Pauschbeträge; Sozialhilfe; Wohngeldverordnung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
03.03.2004
Aktenzeichen
2 A 393/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50633
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Übernahme weiterer Heizkosten im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt.

2

Der 1946 geborene Kläger erhält von der Stadt G., die namens und im Auftrag des Beklagten handelt, seit etlichen Jahren ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt. Er bewohnt seit dem 01.01.1999 eine 49 qm große 2-Zimmer-Wohnung im Hause H. in G., die im Jahr 1997 vollständig renoviert wurde und mit einer Gaszentralheizung beheizt wird. Im Verbrauchsjahr 2001 (welches 364 Tage umfasste) verbrauchte der Kläger Heizkosten in Höhe von 602,38 Euro. In dem Bescheid vom 09.04.2002 forderte die Stadt G. ihn daraufhin auf, mit Heizkosten sorgfältig umzugehen; ansonsten würden die über der Angemessenheitsgrenze von 558,60 Euro liegenden Kosten in Zukunft nicht mehr übernommen werden.

3

Im Frühjahr 2003 übersandte der Kläger der Stadt G. die Nebenkosten-Jahresabrechnung seines Vermieters für das Jahr 2002. Aus dieser ergibt sich, dass in dem Verbrauchsjahr 2002 (welches 370 Tage umfasste) 577,22 Euro an Heizkosten angefallen waren.

4

Mit Bescheid vom 20.06.2003 übernahm die Stadt G. alle Nebenkosten bis auf über der Angemessenheitsgrenze liegende Heizkosten in Höhe von 18,62 Euro. Sie ermittelte die angemessenen Heiz- und Warmwasserkosten unter Heranziehung von § 6 der Wohngeldverordnung, wo ein Betrag von 0,95 Euro pro qm Wohnfläche und Monat vorgesehen ist. Den von dem Kläger dagegen am 11.07.2003 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2003 als unbegründet zurück.

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Der Kläger hat am 21.10.2003 Klage erhoben. Er trägt vor: Die Handhabung des Beklagten würde den Besonderheiten des Einzelfalles nicht gerecht werden; die Bemessungsgrenze in § 6 der Wohngeldverordnung stamme aus dem Jahre 1992 (damals seien 1,90 DM pro qm festgesetzt worden) und sei nicht mehr zeitgemäß; schließlich habe der Kläger seinen Gesamtverbrauch von 11.774 kw/h auf 11.546 kw/h gesenkt.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides der Stadt G. vom 20. Juni 2003 und seines Widerspruchsbescheides vom 8. Oktober 2003 zu verpflichten, dem Kläger für das Verbrauchsjahr 2002 weitere Heizkosten in Höhe von 18,62 Euro zu gewähren sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er wiederholt und vertieft die Begründungen der angefochtenen Bescheide.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und auf die Verwaltungsvorgänge der Stadt G. und des Beklagten Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch zu.

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Da der Kläger seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann, ist ihm gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 BSHG Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Der notwendige Lebensunterhalt umfasst gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes auch die Heizung. Werden (wie hier) laufende Leistungen für die Heizung gewährt, so werden diese gemäß § 3 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 der Regelsatzverordnung vom 20.07.1962 (BGBl. I S. 515), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.12.2000 (BGBl. I S. 1983) im Grundsatz in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gewährt. Soweit diese Aufwendungen den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf .... solange anzuerkennen, als es .... nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. Das Gericht ist der Auffassung, dass die Aufwendungen des Klägers für Heizung im Abrechnungsjahr 2002 den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen. Es kommt deshalb auf die (nachrangige) Frage, ob dem Kläger eine Senkung der Aufwendungen möglich bzw. zuzumuten war, nicht mehr an.

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In welcher Höhe Heizkosten im Einzelfall angemessen sind, hängt von einer Vielzahl von Wirkungszusammenhängen und wärmetechnischen Faktoren ab, wie: Baudaten, meteorologische Daten, Art der Heizanlage, Heizmaterial, Bewirtschaftung, Nutzung; zudem sind persönliche Umstände zu berücksichtigen, wie der Heizbedarf oder die Zeit, in der ein Hilfeempfänger regelmäßig in der Wohnung anwesend ist (vgl. dazu etwa LPK-BSHG, 6. Aufl., § 12, Rnr. 53). Die Vielzahl der zu berücksichtigenden Faktoren verbietet es, eine pauschale angemessene Heizgrenze festzulegen. Das Gericht verkennt andererseits nicht, dass der Aufwand, für jeden Hilfeempfänger auf den Pfennig genau anzugeben, welche Heizkosten in seinem Fall angemessen sind (was ohne heiztechnische Gutachten kaum möglich sein dürfte) in keinem Verhältnis zu der Bedeutung der Sache steht. Deshalb dürfte es für die Sozialhilfeträger unumgänglich sein, sich an einer Richtschnur zu orientieren. Wird die Bemessungsgrenze in § 6 der Wohngeldverordnung insoweit als Richtschnur genommen, so muss außer den bereits weiter oben erwähnten Faktoren zusätzlich berücksichtigt werden, dass der Betrag von 1,90 DM pro qm Wohnfläche und Monat bereits im Jahr 1992, und zwar als pauschaler Wert für den Abzug von Heizungskosten von einer vereinbarten Gesamtmiete, festgesetzt und zum 01.01.2002 infolge der Einführung des Euro um 2,1 % vermindert worden ist, während sich die Heizkosten in den vergangenen 12 Jahren deutlich erhöht haben und dass das Abrechnungsjahr - wie der zu entscheidende Fall zeigt - nicht immer 365 Tage umfasst. Alles dies führt dazu, dass erst bei einer Überschreitung der Pauschbeträge um mindestens 10 bis 15 % überhaupt Veranlassung besteht, die Angemessenheit der Kosten im Einzelfall (etwa durch Ermittlung des Verbrauchs der anderen an die Heizungsanlage angeschlossenen Abnehmer oder durch ein ausführliches Informationsgespräch mit dem Hilfeempfänger) überhaupt zu überprüfen. Diese Grenze ist hier bei weitem nicht erreicht, so dass die Klage bereits aus diesem Grund Erfolg hat.

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Das Gericht bemerkt ergänzend, dass es dann, wenn der Sozialhilfeträger einen unangemessen hohen Heizungsverbrauch meint festgestellt zu haben, keineswegs ausreicht, dem Hilfeempfänger schlicht aufzugeben, diesen Verbrauch zu senken. Vielmehr müssen ihm (das erfordert schon § 14 SGB I) Mittel und Wege aufgezeigt werden, wie er den Verbrauch senken kann, etwa indem abgeklärt wird, ob eine automatische Nachtabsenkung der Raumtemperatur erreicht werden kann. Das gilt allerdings - auch das soll klargestellt werden - nicht, wenn ein völlig unwirtschaftliches Verbrauchsverhalten offensichtlich ist, z.B. wenn bei offenen Türen und Fenstern geheizt wird und ständig eine Raumtemperatur von deutlich über 21° herrscht.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 2 S. 2, 188 S. 2 VwGO. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt, weil es dem juristisch nicht vorgebildeten Kläger nicht zugemutet werden konnte, das Vorverfahren ohne juristischen Beistand zu führen.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.