Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.12.2011, Az.: 7 ME 38/11
Widerruf der Betriebsgenehmigung für ein Luftfahrtunternehmen bei einem Einsatz eines nicht berechtigten Luftfahrzeugführers in einem Freiballon
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 09.12.2011
- Aktenzeichen
- 7 ME 38/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 32445
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:1209.7ME38.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 18.01.2011 - AZ: 5 B 14/10
Rechtsgrundlage
- § 20 Abs. 2 S. 2 LuftVG
Fundstelle
- NdsVBl 2012, 195
Redaktioneller Leitsatz
Ist beim Geschäftsführer eines Luftfahrtunternehmens eine gefährliche Sorglosigkeit und ein Maß nicht nur vorübergehender Pflichtwidrigkeiten festzustellen, ist der Tatbestand der Wahrscheinlichkeit auch künftiger Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 20 Abs. 2 S. 2 LuftVG erfüllt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses es abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. September 2010 wiederherzustellen.
Mit diesem hat die Antragsgegnerin die Betriebsgenehmigung für das Luftfahrtunternehmen der Antragstellerin widerrufen. Deren Geschäftsführer und Fahrbetriebsleiter habe sich als unzuverlässig erwiesen, weil er es zugelassen habe, dass ein dazu nicht berechtigter Luftfahrzeugführer in einem Freiballon zum Einsatz gekommen sei, der dann am 12. September 2010 einen Flugunfall mit schwerem Personen- und großem Sachschaden verursacht habe (acht Personen schwer und fünf leicht verletzt, Überfahren eines Hausdachs, Kollision mit einem Schuppen und einer Garage). Bei Vorsprachen sei zudem deutlich geworden, dass der Geschäftsführer erhebliche luftverkehrsrechtliche Wissensdefizite aufweise und ihm nicht hinreichend klar sei, in welchem Maße von einem Unternehmer Verantwortung für den Betrieb eines Luftfahrtunternehmens übernommen werden müsse. Damit sei auch künftig nicht zu erwarten, dass er einen sicheren Fahrbetrieb gewährleisten werde. Die Genehmigung sei deshalb zu widerrufen und die Anordnung der sofortigen Vollziehung geboten, weil es auch für eine Übergangszeit nicht hingenommen werden könne, dass die Antragstellerin mit ihrem Betrieb die Gesundheit von Besatzung und Passagieren gefährde.
Das Verwaltungsgericht hat die sofortige Vollziehung mit der Begründung bestätigt, dass die Klage voraussichtlich nicht erfolgreich sein werde. Es bestünden hinreichende Anhaltspunktepunkte dafür, dass sich der Geschäftsführer der Antragstellerin als nachhaltig unzuverlässig erwiesen habe; daraus folge rechtlich zwingend der Widerruf der Betriebsgenehmigung. Diese Bewertung beruhe maßgeblich auf der Zulassung des seinerzeitigen Einsatzes des nicht lizenzierten Piloten mit den bekannten negativen Folgen. Der Pflichtverletzung, die dies ermöglicht habe, komme ein derartiges Gewicht zu, dass die Unzuverlässigkeitsprognose trotz der - erst nachträglich - vorgenommenen Verbesserungen der Einsatzkontrolle weiter gerechtfertigt sei. Unabhängig davon falle auch die im Aussetzungsverfahren anzustellende Interessenabwägung zu Ungunsten der Antragstellerin aus.
Gegen den ihr am 24. Januar 2011 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 7. Februar 2011 Beschwerde erhoben und diese im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Einsatz des zwar nicht lizenzierten, aber sehr erfahrenen Ballonpiloten, von dem ihr Geschäftsführer damals nichts gewusst habe, sowie der Unfall hätten auf einer unglücklichen Verkettung von Umständen beruht, die nach der inzwischen vorgenommenen Verbesserung der Betriebskontrolle künftig praktisch ausgeschlossen seien. Aus dieser Sondersituation könne nicht die Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers und damit der Gesellschaft abgeleitet werden. Zudem habe sie seit dem 7. April 2011 einen neuen Fahrbetriebsleiter bestellt.
Die Antragstellerin beantragt,
den verwaltungsgerichtlichen Beschluss zu ändern und die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage wiederherzustellen,
hilfsweise,
die aufschiebende Wirkung unter der Bedingung wiederherzustellen, dass ein anderer Fahrdienstleiter benannt wird.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie entgegnet: Das Verwaltungsgericht habe zutreffend die Berechtigung des Sofortvollzugs bestätigt. Der Geschäftsführer der Antragstellerin habe den Mitarbeitern des Unternehmens über längere Zeit den Eindruck vermittelt, dass der dann auch am Unfalltag eingesetzte südafrikanische Ballonfahrer über die erforderlichen Qualifikationen verfüge. Dabei sei ihm bekannt gewesen, dass dies wegen dessen Alters, der fehlenden Lizenz, des fehlenden Gesundheitszeugnisses, unzureichender Deutschkenntnisse und des Verbots der Luftfahrtbehörde nicht der Fall gewesen sei. Er habe nicht sichergestellt, dass dies auch die Mitarbeiter beherzigten. Von einer Sondersituation oder Verkettung unglücklicher Umstände könne daher keine Rede sein. Zudem lägen, wie sie in erster Instanz vorgetragen habe, weitere Gründe vor, von denen auf die Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers geschlossen werden müsse. So habe dieser unberechtigt Prüfungen abgenommen und bei der Luftfahrtbehörde falsche Unterlagen vorgelegt. Bei Überprüfungen des Unternehmens seien weitere Mängel festgestellt worden. In Anbetracht der Gewichtigkeit der zu schützenden Rechtsgüter Leben und Gesundheit habe das Verwaltungsgericht dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung zu Recht den Vorzug gegeben.
II.
Die Beschwerde hat weder mit dem Haupt- noch dem Hilfsantrag Erfolg. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, § 146 Abs. 4 S. 3, S. 6 VwGO, rechtfertigen keine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
1.) Ohne Erfolg greift sie die Bewertung des Verwaltungsgerichts an, ihr Geschäftsführer habe sich durch die organisatorische Ermöglichung des Einsatzes eines dazu nicht berechtigten Piloten und der von diesem herbeigeführten Havarie als unzuverlässig im Sinne von§ 20 Abs. 2 S. 2 des Luftverkehrsgesetzes - LuftVG - erwiesen, womit sich die Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheids bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutz abzeichne.
Dass in ihrem Luftfahrbetrieb schwere Fehler mit erheblichen Folgen aufgetreten sind, deren Ausmaß potentiell noch größer hätte ausfallen können, stellt auch die Antragstellerin nicht in Frage. Sie hält lediglich dagegen, dass es sich um ein einmaliges Unglück dieser Art gehandelt habe, das sich voraussichtlich nicht wiederholen werde und sie am 7. April 2011 überdies einen anderen Fahrdienstleiter bestellt habe.
Auch wenn diese Bestellung hier außer Betracht bleiben muss, weil es für die Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheides auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses ankommt (vergleichbar Nds.OVG, Beschl. v. 08. Februar 2011 - 7 LA 99/10 -, DVBl. 2011, 581 = GewArch 2011, 263), könnte der Senat dieser Argumentation nähertreten, wenn es sich bei dem seinerzeitigen Vorfall tatsächlich nur um ein einmaliges Versehen und eine daran anknüpfende Verkettung unglücklicher Umstände gehandelt hätte, die eine dauerhafte Unzuverlässigkeit der Akteure nicht indizierten. Denn Rechtmäßigkeitsvoraussetzung des in der Hauptsache angefochtenen Widerrufsbescheides ist nach § 20 Abs. 3 S. 1 LuftVG, dass die Voraussetzungen der Erteilung (der Genehmigung) nachträglich nicht nur vorübergehend entfallen sind, es also um verhaltensbedingte Tatsachen geht, die den Schluss rechtfertigen, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung (auch künftig) gefährdet werden kann, § 20 Abs. 2 S. 2 LuftVG.
Es ist dem Verwaltungsgericht jedoch darin beizupflichten, dass Überwiegendes für das Weiterbestehen einer derartigen Gefahr spricht. Der Geschäftführer der Antragstellerin vermag sich nicht dadurch zu entlasten, dass er seinerzeit beim Einsatz des nicht zugelassenen Luftfahrzeugführers mit den daraus erwachsenen verheerenden Folgen abwesend war. Der Einsatz fand mit Billigung und Flugauftrag des Büropersonals statt, das offensichtlich vom Geschäftsführer falsch informiert war. Der Start erfolgte zudem in C. und damit an einem Ort, für den die Antragstellerin eine Ausnahmegenehmigung hätte einholen müssen, dies aber nicht getan hat. Dies trifft die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers unmittelbar. Bereits drei Stunden vor Antritt der seinerzeitigen Unglücksfahrt war nach den Wettervorhersagen ersichtlich, dass eine Fahrt an jenem Tag nicht oder nur unter hohem Risiko durchführbar war. Der Geschäftsführer und damalige Flugbetriebsleiter hat es unterlassen, dafür zu sorgen, dass jeglicher Flugbetrieb unterblieb. Stattdessen ist er ersichtlich untätig geblieben. Weiter geht aus den Bordbüchern des eingesetzten Ballons und aus dem Flugbuch des Freiballonführers hervor, dass der Geschäftsführer den Piloten mehrfach und auch auf anderen Ballonen eingesetzt hat, was ein strafrechtlich erhebliches Verhalten darstellt. Dies alles lässt eine gefährliche Sorglosigkeit und ein Maß nicht nur vorübergehender Pflichtwidrigkeiten erkennen, das den Tatbestand der Wahrscheinlichkeit auch künftiger Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfüllt.
Der der Antragstellerin zuzurechnende erkennbare Mangel ihres Geschäftsführers an Verantwortung schließt es auch aus, dem Hilfsantrag auf (vorläufigen) Weiterbetrieb mit einem anderen Fahrdienstleiter zu entsprechen, § 80 Abs. 5 S. 4 VwGO. Denn der Unzuverlässigkeitstatbestand beschränkt sich, wie ausgeführt, nicht auf die unmittelbare Fahrdienstleitung.
2.) Keine substantiierte Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses im Sinne von § 146 Abs. 4 S. 3 VwGO enthält die Beschwerde, soweit die Bestätigung des Sofortvollzugs durch das Verwaltungsgericht neben der (voraussichtlichen) Rechtmäßigkeit des Widerrufsbescheids "unabhängig davon auch durch die Interessenabwägung" getragen wird. Dafür hat das Verwaltungsgericht ins Feld geführt, dass die Sicherung von Leben und Gesundheit der Fahrgäste das - durchaus für erheblich gehaltene - wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an einer vorläufigen Fortführung des Betriebs überwiegt. Dem stimmt der Senat zu. Hinzuzufügen ist noch, dass das die Flüge nachfragende Publikum darauf vertrauen können muss, dass besonders in einem staatlich genehmigten und überwachten Betrieb alles Mögliche getan wird, um seine Sicherheit zu gewährleisten. Der Fortbestand dieses Vertrauens wäre gefährdet, wenn der Eindruck aufkäme, dass die Missachtung wichtiger Sicherheitsbestimmungen ohne Folgen bleibt oder einer solchen nur mit marginalen Änderungen begegnet wird.