Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 04.03.2010, Az.: 10 UF 282/08
Behandlung von Entgeltpunkten und Entgeltpunkten (Ost) in der gesetzlichen Rentenversicherung im Versorgungsausgleich
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 04.03.2010
- Aktenzeichen
- 10 UF 282/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 11934
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2010:0304.10UF282.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 28.11.2008 - AZ: 609 F 2795/08
Rechtsgrundlagen
- § 10 VersAusglG
- § 18 VersAusglG
- § 19 VersAusglG
Fundstellen
- FK 2010, 127-129
- FamRB 2010, 170
- FamRBint 2010, 49
- FamRZ 2010, 979-981
- FuR 2010, 519-522
- NJW 2010, 8
- NJW 2010, 1975-1976
- NJW-Spezial 2010, 422
- ZFE 2010, 308-309
Amtlicher Leitsatz
1. In der gesetzlichen Rentenversicherung erworbene Entgeltpunkte und Entgeltpunkte (Ost) sind getrennt voneinander intern zu teilen. Im Tenor der Entscheidung bedarf es dabei keiner Bezugnahme auf das Ende der Ehezeit.
2. Die auf Entgeltpunkten und die auf Entgeltpunkten (Ost) beruhenden Anrechte der gesetzlichen Rentenversicherung sind nicht gleichartig i.S. von § 18 Abs. 1 VersAusglG.
3. Die auf Entgeltpunkten und die auf Entgeltpunkten (Ost) beruhenden Anrechte eines Ehegatten sind bei Anwendung des § 18 Abs. 2 VersAusglG regelmäßig als Einheit anzusehen mit der Folge, dass nicht eines der beiden (Teil) Anrechte wegen Geringfügigkeit seines Ausgleichswerts vom Versorgungsausgleich auszunehmen ist. Hat der andere Ehegatte allerdings seinerseits ein Anrecht von geringem Ausgleichswert erworben, so kann es angemessen sein, neben diesem im Gegenzug auch das in einem Teil Deutschlands erworbene Anrecht der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 18 Abs. 2 VersAusglG vom Ausgleich auszunehmen.
4. Zur Behandlung eines ausländischen Versorgungsanrechts im Wertausgleich bei der Scheidung.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Deutschen Rentenversicherung Bund wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 28. November 2008 im Ausspruch zum Versorgungsausgleich (II des Tenors) geändert und wie folgt insgesamt neu gefasst:
Vom Versicherungskonto Nr. ... des Ehemannes bei der Deutschen Rentenversicherung Bund werden 10,0342 Entgeltpunkte der allgemeinen Rentenversicherung auf das Versicherungskonto Nr. ... der Ehefrau bei der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragen.
Vom Versicherungskonto Nr. ... der Ehefrau bei der Deutschen Rentenversicherung Bund werden 6,6408 Entgeltpunkte der allgemeinen Rentenversicherung auf das Versicherungskonto Nr. ... des Ehemannes bei der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragen.
Bezüglich der vom Ehemann bei der Deutschen Rentenversicherung Bund erworbenen Entgeltpunkte (Ost) und bezüglich der von der Ehefrau bei der O. C. Lebensversicherung AG aufgrund des Versicherungsvertrags mit der VersicherungsscheinNr. ... erworbenen privaten Rentenanwartschaft findet gemäß § 18 Abs. 2 VersAusglG kein Wertausgleich bei der Scheidung statt.
Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt jeder Beteiligte selbst.
Beschwerdewert: Gebührenstufe bis 1.200 €.
Gründe
I. Die beteiligten Eheleute schlossen ihre Ehe am 7. September 1993 und wurden auf den am 26. Juni 2008 zugestellten Antrag der Ehefrau durch das angefochtene Urteil vom 28. November 2008, insoweit rechtskräftig seit 4. Dezember 2008, geschieden. Das Amtsgericht hat den Versorgungsausgleich durchgeführt und gesetzliche Rentenanwartschaften, die teilweise in Entgeltpunkte und teilweise in Entgeltpunkte (Ost) umgerechnet werden sollten, vom Ehemann auf die Ehefrau übertragen. Bei der Berechnung des Gesamtausgleichsanspruchs hatte das Amtsgericht auf Seiten der Ehefrau eine bei der O. C. Lebensversicherung AG erworbene private Rentenanwartschaft verrechnet.
Mit ihrer Beschwerde vom 18. Dezember 2008 hat die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund gerügt, dass auf Seiten der Ehefrau während der Ehezeit in Frankreich erworbene Rentenanwartschaften nicht berücksichtigt worden seien.
Der Senat hat mit Zustimmung der Beteiligten durch Beschluss vom 19. März 2009 das Ruhen des Beschwerdeverfahrens angeordnet und das Verfahren mit Beschluss vom 3. September 2009 wieder aufgenommen.
II. Gemäß Art. 111 Abs. 3 FGGRG und § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG ist im Beschwerdeverfahren das seit dem 1. September 2009 geltende neue materielle und Verfahrensrecht anzuwenden.
Die Beschwerde der DRV Bund ist im Ergebnis unbegründet. Sie führt jedoch aufgrund der eingetretenen Reform des Versorgungsausgleichsrechts zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
1. Nach dem nunmehr maßgebenden neuen Recht sind die von den Ehegatten in der Ehezeit, d.h. hier in der Zeit vom 1. September 1993 bis zum 31. Mai 2008 (§ 3 Abs. 1 VersAusglG), erworbenen Versorgungsanwartschaften jeweils zur Hälfte zwischen den geschiedenen Ehegatten zu teilen (§ 1 Abs. 1 VersAusglG).
Ausländische Anrechte eines Ehegatten sind jedoch in keinem Fall mehr in den öffentlichrechtlichen Wertausgleich einzubeziehen. Deshalb ist es für das vorliegende Verfahren unerheblich, ob die Auffassung der DRV Bund zutrifft, dass die der Ehefrau nach französischem Rentenversicherungsrecht aufgrund von Kindererziehungszeiten anzurechnenden 16 Trimester und die darauf beruhenden ausländischen Anwartschaften (ganz oder teilweise) der Ehezeit zuzuordnen sind. Gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG sind etwaige in der Ehezeit erworbene französische Rentenanwartschaften der Ehefrau nicht ausgleichsreif. Hinsichtlich dieser Anrechte findet nach § 19 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG kein Wertausgleich statt. Schuldrechtliche Ausgleichsansprüche des Ehemannes bleiben zwar insoweit unberührt (§ 19 Abs. 4 VersAusglG). Sie werden jedoch erst fällig, wenn bei beiden Ehegatten ein Versorgungsfall eingetreten ist (§ 20 Abs. 2 VersAusglG). Darauf wird gemäß § 224 Abs. 4 FamFG ausdrücklich hingewiesen. Angesichts der offensichtlichen Geringfügigkeit des ausländischen Anrechts (das vermutlich nicht einmal die Bagatellgrenze des § 18 VersAusglGüberschreiten wird) besteht kein Anlass, von der Möglichkeit des § 19 Abs. 3 VersAusglG Gebrauch zu machen und weitere Anrechte der Beteiligten vom Wertausgleich auszunehmen.
2. In den Wertausgleich fallen Anrechte beider Ehegatten in der gesetzlichen Rentenversicherung und Anrechte der Ehefrau bei der O. C. Lebensversicherung AG auf Leistungen aus einer privaten Rentenversicherung.
a) Der Ehemann hat in der Ehezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung 20,0683 Entgeltpunkte und 0,1533 Entgeltpunkte (Ost) erworben, die Ehefrau 13,2815 Entgeltpunkte. Der Ausgleich ist in Form der internen Teilung nach § 10 Abs. 1 VersAusglG vorzunehmen, indem für den jeweils ausgleichsberechtigten Ehegatten zulasten des Anrechts des jeweils ausgleichspflichtigen Ehegatten ein Anrecht in Höhe des Ausgleichswerts bei dem Versorgungsträger übertragen wird, bei dem das Anrecht des Ausgleichspflichtigen besteht. Der Ausgleichswert der Anrechte entspricht jeweils der Hälfte ihres Ehezeitanteils (§ 1 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG). Dem gemäß sind zugunsten der Ehefrau (20,0683 : 2 =) 10,0342 Entgeltpunkte und (0,1533 : 2 =) 0,0767 Entgeltpunkte (Ost) und zugunsten des Ehemannes (13,2815 : 2 =) 6,6408 Entgeltpunkte zuübertragen. Entgeltpunkte und Entgeltpunkte (Ost) sind dabei aufgrund ihrer unterschiedlichen Wertigkeit als verschiedenartige Bezugsgrößen i. S. des § 5 Abs. 1 VersAusglG zu behandeln und getrennt voneinander auszugleichen (vgl. Ruland Versorgungsausgleich 2. Aufl. Rn. 507, 511. Borth Versorgungsausgleich 5. Aufl. Rn. 525). Eine Verrechnung von Entgeltpunkten beider Ehegatten findet erst im Vollzug der Entscheidung durch die Versicherungsträger statt (§ 10 Abs. 2 Satz 1 VersAusglG). Eine Bezugnahme auf das Ende der Ehezeit ist - im Gegensatz zum früheren Recht - im Tenor der Entscheidung nicht mehr erforderlich, weil die maßgeblichen Bezugsgrößen der gesetzlichen Rentenversicherung - die Entgeltpunkte bzw. Entgeltpunkte (Ost) - zeitunabhängig sind (vgl. auch Ruland aaO. Rn. 528 ff.. anders allerdings Eulering/Viefhues FamRZ 2009, 1368, 1370). Ihr jeweiliger Zeitwert wird durch den aktuellen Rentenwert bzw. aktuellen Rentenwert (Ost) bestimmt, der jährlich zum 1. Juli angepasst wird.
b) Den Ehezeitanteil des von der Ehefrau bei der O. C. Lebensversicherung AG erworbenen Anrechts hat der Versorgungsträger mit dem Kapitalwert von 4.855,23 € angegeben. Hiervon hat er gemäß § 13 VersAusglG Teilungskosten von 200 € in Abzug gebracht. Durch die hälftige Teilung des Restbetrages von 2.655,23€ hat er einen Ausgleichswert des Anrechts von 2.327,62 € ermittelt.
3. Gemäß § 18 Abs. 1 und 2 VersAusglG sollen beiderseitige Anrechte gleicher Art von geringer Ausgleichswertdifferenz und einzelne Anrechte von geringem Ausgleichswert nicht ausgeglichen werden. Die Geringfügigkeitsgrenze bemisst sich bei Anrechten, deren maßgebliche Bezugsgröße - wie bei den hier vorliegenden - kein Rentenbetrag ist, nach dem Kapitalwert, den der Ausgleichswert des Anrechts am Ende der Ehezeit hatte (§ 18 Abs. 3 VersAusglG).
Bei den gesetzlichen Rentenanwartschaften der Ehegatten kommt es auf den nach § 47 VersAusglG zu berechnenden korrespondierenden Kapitalwert an. Er soll zwar i. d. R. vom Versicherungsträger berechnet werden (§ 5 Abs. 3 VersAusglG). Es bedarf dazu hier aber keiner ergänzenden Auskunft, denn der Senat kann die anhand der Berechnungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung anzustellende Berechnung des Betrages, der zum Ende der Ehezeit aufzubringen wäre, um beim Versorgungsträger des Ausgleichspflichtigen für diesen ein Anrecht in Höhe des Ausgleichswerts zu begründen (§ 47 Abs. 2 und 3 VersAusglG), auch selbst vornehmen. Dazu sind die zu übertragenden Entgeltpunkte bzw. Entgeltpunkte (Ost) mit Hilfe des für das Jahr 2008 maßgebenden Umrechnungsfaktors aus Tabelle 3 bzw. Tabelle 3a der Rechengrößen zur Durchführung des Versorgungsausgleichs in der gesetzlichen Rentenversicherung (FamRZ 2010, 90) in Beiträge umzurechnen:
10,0342 Entgeltpunkte x 5986,7160 = 60.071,91 €.
6,6408 Entgeltpunkte x 5986,7160 = 39.756,58 €.
0,0767 Entgeltpunkte (Ost) x 5061,9058 = 388,25 €.
Gemäß § 18 Abs. 3 VersAusglG beträgt die Bagatellgrenze als Kapitalwert 120 % der am Ende der Ehezeit maßgebenden monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV. Für das Jahr 2008 galt eine Bezugsgröße von 2.485 € (vgl. FamRZ 2010, 95 f.). 120 % davon sind 2.982 €.
a) Zunächst ist der Wertunterschied der Ausgleichswerte gleichartiger Anrechte an der Bagatellgrenze zu messen. Gleichartig sind die auf Entgeltpunkten beruhenden (d. h. in den alten Bundesländern erworbenen) Anrechte der Ehegatten. Die auf Entgeltpunkten (Ost) basierenden Anrechte des Ehemannes sind dagegen von anderer Art (vgl. Ruland aaO. Rn. 488). Die Differenz der (Kapital) Ausgleichswerte der gleichartigen Anrechte beider Ehegatten beträgt (60.071,91 € - 39.756,58 € =) 20.315,33 €. Damit wird die hier maßgebliche Geringfügigkeitsgrenze von 2.982 € (deutlich) überschritten.
b) Sodann sind die Ausgleichswerte der einzelnen Anrechte mit dem maßgebenden Grenzwert zu vergleichen. Die Ausgleichswerte der auf Entgeltpunkten beruhenden gesetzlichen Rentenanwartschaften beider Ehegatten liegen wesentlich darüber. Der Ausgleichswert der privaten Rentenanwartschaft der Ehefrau von (nach dem Vorschlag des Versorgungsträgers) 2.327,62 €übersteigt die Geringfügigkeitsgrenze dagegen nicht. Dabei kommt es nicht einmal darauf an, ob die in Ansatz gebrachten Teilungskosten von 200 € (i. S. des § 13 VersAusglG) angemessen sind. Es sind auch keine Gründe dafür ersichtlich, dass es für den insoweit ausgleichsberechtigten Ehemann unbillig wäre, wenn das Anrecht der Ehefrau nicht ausgeglichen würde. Daher ist die private Rentenanwartschaft der Ehefrau vom Wertausgleich auszunehmen.
Die vom Ehemann in den neuen Bundesländern erworbene, auf Entgeltpunkten (Ost) beruhende gesetzliche Rentenanwartschaft liegt mit ihrem Ausgleichskapitalwert von 388,25 € ebenfalls unter der Bagatellgrenze. Insoweit ist allerdings zu bedenken, dass das Anrecht einer höheren Wertsteigerung unterliegt als eine entsprechende in den alten Bundesländern erworbene gesetzliche Rentenanwartschaft. Diese besondere Dynamik (in der Terminologie des früheren VAÜG: Angleichungsdynamik) führt dazu, dass das Anrecht nach Abschluss der Einkommensangleichung in beiden Teilen Deutschlands den gleichen Wert haben wird wie ein in den alten Bundesländern erworbenes Anrecht. Der wirkliche Wert der Entgeltpunkte (Ost) ist daher - jedenfalls bei Ehegatten, die (wie die hier Beteiligten) erst in etwa 20 Jahren in den Ruhestand treten werden - nicht geringer anzusetzen als der Wert von Entgeltpunkten. Aber auch der Beitragswert von 0,0767 Entgeltpunkten läge mit (0,0767 x 5986,7160 =) 459,18 € noch deutlich unter der Bagatellgrenze.
Für die Einbeziehung der Entgeltpunkte (Ost) in den Versorgungsausgleich spricht indessen, dass die in den alten und in den neuen Bundesländern erworbenen Entgeltpunkte als Einheit anzusehen sind, aus denen bei Eintritt eines Versorgungsfalles eine einheitliche Rente berechnet wird. Es ist deshalb im Regelfall nicht angebracht, die einerseits im alten Bundesgebiet, andererseits in den neuen Bundesländern erworbenen Teile der gesamten Anwartschaft im Rahmen des § 18 VersAusglG gesondert zu betrachten. Auch der Zweck des § 18 VersAusglG, die Versorgungsträger von dem durch die Teilung des Anrechts und die Aufnahme eines neuen Anwärters entstehenden "unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand" zu entlasten (BundestagsDrucksache 16/10144 S. 60), rechtfertigt es grundsätzlich nicht, von einem Ausgleich nur der in einem Teil der Bundesrepublik erworbenen Anrechte eines Ehegatten abzusehen. Im Regelfall ist eine gesetzliche Rentenanwartschaft daher nach Ansicht des Senats in ihrer Gesamtheit auszugleichen, auch wenn ein Teilbetrag des gesamten in der Ehezeit erworbenen Anrechts unter der Bagatellgrenze liegt. Dennoch ist es im vorliegenden Fall angemessen, die auf Entgeltpunkten (Ost) beruhenden Anrechte des Ehemannes vom Wertausgleich auszunehmen. Denn damit wird ein angemessener Ausgleich dafür hergestellt, dass auch das private Versorgungsanrecht der Ehefrau nicht in den Wertausgleich einbezogen wird.
Im Tenor der Entscheidung war ausdrücklich festzustellen, dass hinsichtlich der genannten Anrechte der Ehegatten gemäß § 18 Abs. 1 VersAusglG kein Wertausgleich stattfindet (§ 224 Abs. 3 FamFG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 Abs. 1 Satz 1 FamGKG, § 150 Abs. 1 und 3 FamFG, die Festsetzung des Beschwerdewerts auf § 50 Abs. 1 FamGKG.