Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 10.03.2010, Az.: 4 AR 17/10

Sachliche Zuständigkeit der Landgerichte für Klagen eines Energieversorgungsunternehmens gegen einen Kunden

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
10.03.2010
Aktenzeichen
4 AR 17/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 11935
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2010:0310.4AR17.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - AZ: 10 O 13/10
AG Syke - AZ: 24 C 908/09

Fundstelle

  • IR 2010, 132

Amtlicher Leitsatz

Aus § 102 EnWG ergibt sich keine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts, wenn nur Rechtsfolgen der Nichterfüllung von Zahlungsverpflichtungen des Kunden eines Energieversorgungsunternehmens in Streit stehen.

Tenor:

Das Amtsgericht Syke ist zuständig.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe

1

Das Amtsgericht Syke war gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO als sachlich zuständiges Gericht zu bestimmen. Denn der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Syke vom 14. Januar 2010 ist für das Landgericht Verden ausnahmsweise nicht bindend nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.

2

Denn die Bindungswirkung entfällt, wenn dem Verweisungsbeschluss objektive Willkür zugrunde liegt. Dazu reicht es zwar nicht aus, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Willkür liegt vielmehr nur vor, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt, was beispielsweise auch der Fall ist, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken schlicht unverständig erscheint oder offensichtlich unhaltbar ist oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangen ist (BGH NJWRR 2002, 1498. BVerfGE 29, 45, 49).

3

Diese Voraussetzungen liegen vor. Denn der Sache nach erachtet auch der Senat aus den Gründen des Beschlusses des Landgerichts Verden vom 24. Februar 2010 die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts für gegeben. Die Voraussetzungen des § 102 EnWG sind demgegenüber nicht erfüllt. Denn diese Bestimmung weist ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Sache den Landgerichten nur dann als ausschließlich zuständig zu, wenn es sich um bürgerliche Rechtsstreitigkeiten handelt, die sich ´aus diesem Gesetz´ ergeben. Hierzu wäre erforderlich, dass sich entweder der Kläger zur Begründung der Klage auf entscheidungserhebliche Bestimmungen des Energiewirtschaftsgesetzes bezogen hätte oder der Sache nach die Entscheidung des Rechtsstreits wenigstens teilweise von einer Rechtsfrage abhinge, die nach dem Energiewirtschaftsgesetz zu entscheiden ist (Britz/Hölscher, Energiewirtschaftsgesetz, München 2008, § 102 Rdnr. 13 m. w. N.). Beides ist nicht der Fall. Die ausschließliche Zuständigkeit nach § 102 EnWG ist insbesondere nicht deshalb gegeben, weil Energiepreiserhöhungen der Klageforderung zugrunde liegen. Die Frage, ob die Preiserhöhung billig ist, lässt sich ohne Hinzunahme der Spezialvorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes schon nach der Bestimmung des § 315 BGB bemessen, wenn auch nicht verkannt wird, dass § 315 BGB teilweise kartellartiger Charakter beigemessen wird. Zumindest im vorliegenden Fall ist jedoch nicht erkennbar, dass das Energiewirtschaftsgesetz, das ohnehin seinem Zweck nach nur die Grundversorgung der Bevölkerung mit Energie (das ´ob´ der Energieversorgung) sicherstellen will und nicht das ´wie´ der Versorgung regelt, eine entscheidungserhebliche Rolle spielt. Es geht vielmehr vorliegend ausschließlich um allgemeine Fragen der Folgen der Nichterfüllung der Zahlungspflichten des Energiekunden. Es entspricht deshalb auch der einhelligen Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass sachlich zuständiges Gericht in Fällen wie dem vorliegenden das Amtsgericht ist (vgl. die bereits im Beschluss des LG Verden zitierten Entscheidungen OLG München in OLGR 2009, 757. OLG Frankfurt IR 2008, 135. OLG Köln OLGR 2008, 535. KG Berlin Beschluss v. 09.10.2009, 2 AR 48/09). Dass streitig sein mag, ob Preisanpassungsrechte aus § 5 GasGVV auch für Energielieferverträge mit Haushaltskunden gelten, genügt zur Begründung der Zuständigkeit gem. § 102 EnWG hiernach ebenso wenig, weil es hierauf nicht streiterheblich ankommt.

4

Gemessen an diesen Maßstäben ist die vom Amtsgericht Syke am 14. Januar 2010 ausgesprochene Verweisung objektiv willkürlich, weil sie sich mit der vorerwähnten obergerichtlichen Rechtsprechung vor allem der Oberlandesgerichte in Köln, München, Frankfurt und auch des KG Berlin im Verweisungsbeschluss argumentativ überhaupt nicht auseinander gesetzt hat. Dass außer dem AG Syke auch andere Amtsgerichte die Auffassung des Amtsgerichts Syke teilen, mag hierbei sein, genügt aber nicht dem Erfordernis einer eigenständigen Begründung der Verweisung, die im vorliegenden Fall fehlt. Diese vollständig fehlende Begründung nimmt der Verweisungsentscheidung des Amtsgerichts die Überprüfbarkeit. Deshalb kann auch nicht - wie es das Kammergericht in der Entscheidung vom 9. Oktober 2009 (2 AR 48/09) getan hat - im vorliegenden Fall angenommen wer den, dass die vom Amtsgericht Syke angenommene fehlende eigene Sachzuständigkeit eine zumindest vertretbare Auffassung sei und deshalb der Verweisung objektive Willkür nicht zukomme.