Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.03.2010, Az.: 17 WF 28/10

Prüfung der Bedürftigkeit in der Verfahrenskostenhilfe; Verpflichtung des Antragstellers zur Vorlage von Kontoauszügen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
09.03.2010
Aktenzeichen
17 WF 28/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 13807
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2010:0309.17WF28.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Lüneburg - 21.01.2010 - AZ: 29 F 236/09

Fundstelle

  • FamRZ 2010, 1751-1752

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage der Verpflichtung zur Vorlage von Kontoauszügen im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung in der Verfahrenskostenhilfe.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lüneburg vom 21. Januar 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Antragstellerin begehrt Verfahrenskostenhilfe in einer Ehesache. Durch Verfügung vom 12. Januar 2010 forderte das Amtsgericht die Antragstellerin unter anderem zur Vorlage der ungeschwärzten Kontounterlagen sämtlicher vorhandener Konten der letzten sechs Monate auf. Die Antragstellerin vertrat daraufhin schriftsätzlich die Auffassung, zur Vorlage der angeforderten Kontounterlagen nicht verpflichtet zu sein, weil das Amtsgericht bereits auf der Grundlage der eingereichten Formularerklärung nebst den zahlreichen beigefügten Belege eine Entscheidung über die Bedürftigkeit der Antragstellerin treffen könne. Das Amtsgericht wies sodann den Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin zurück, weil sie ihre Bedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht habe. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

2

II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig und hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen vorläufigen Erfolg.

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1. Gemäß § 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann das Gericht verlangen, dass der Hilfesuchende seine tatsächlichen Angaben glaubhaft macht. Diese Befugnis bezieht sich auf alle Voraussetzungen der Verfahrenskostenhilfe, mithin auch auf die Tatsachen, aus denen der Hilfesuchende seine Verfahrenskostensarmut herleitet (Zöller/Geimer ZPO 28. Auflage § 118 Rn. 16. Musielak/Fischer ZPO 5. Auflage § 118 Rn. 8). Das Gericht kann von dem Hilfesuchenden nicht nur verlangen, dass die Tatsachen glaubhaft macht. das Gericht kann darüber hinaus auch konkret bestimmen, auf welche Weise der Hilfesuchende etwas glaubhaft machen soll. Das Gericht kann dabei insbesondere die Vorlage von Urkunden anordnen (§ 118 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Kommt der Hilfesuchende insoweit den Anforderungen des Gerichts nicht nach, ist Verfahrenskostenhilfe gemäß § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO zu versagen, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass der Hilfesuchende die Verfahrenskosten selbst bezahlen kann.

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Wie weit und auf welche Weise Glaubhaftmachung von dem Hilfesuchenden verlangt wird, steht im pflichtgemäßen Ermessen des mit der Verfahrenskostenhilfebewilligung befassten Gerichts (Zöller/Geimer aaO.). Die entsprechenden Anordnungen des Gerichts erster Instanz unterliegen selbst nicht der Beschwerde. Dem Senat ist im Beschwerdeverfahren lediglich die Frage angefallen, ob das Amtsgericht wegen der Weigerung der Antragstellerin, die von ihr angeforderten Kontoauszüge vorzulegen, mit Recht nach§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO vorgegangen ist. Der Senat kann aus diesem Grunde im Beschwerdeverfahren bezüglich der Anordnung zur Vorlage von Kontoauszügen nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle des amtsgerichtlichen Ermessens setzen, sondern die Anordnung des Amtsgerichts lediglich daraufhin überprüfen, ob das Amtsgericht von seinem Ermessen einen offensichtlich fehlerhaften Gebrauch gemacht oder die Grenzen seines Ermessens überschritten hat. Denn nur dann wäre die Antragstellerin berechtigt gewesen, die gerichtliche Anordnung erster Instanz zu missachten.

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2. Auch nach diesen eingeschränkten Maßstäben begegnet die Entscheidung des Amtsgerichts Bedenken.

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a) Dies gilt allerdings noch nicht grundsätzlich für die Anordnung, Angaben aus der Formularerklärung zu den Einkommens und Vermögensverhältnissen durch Vorlage von Kontoauszügen glaubhaft zu machen.

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aa) Prozess bzw. Verfahrenskostenhilfe ist eine spezialgesetzlich geregelte Form der Sozialhilfe auf dem Gebiet der Rechtspflege (BGH Beschluss vom 30. September 2009 - XII ZB 135/07 - FamRZ 2009, 1994 [Tz. 9]). Nach§ 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Diese Obliegenheiten aus § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I gelten grundsätzlich für alle Sozialleistungsbereiche des SGB, mithin auch für die Sozialhilfe nach demSGB XII (vgl. OVG NordrheinWestfalen NVwZRR 1999, 125, 126 zum BSHG). § 118 Abs. 2 ZPO stellt - soweit es die Glaubhaftmachung der Bedürftigkeit angeht - lediglich die Ausprägung der allgemeinen und im gesamten Sozialleistungsrecht anzutreffenden Mitwirkungspflicht des Anspruchstellers dar. Es liegt deshalb nahe, für die Beurteilung der Grenzen der Befugnisse des mit der Verfahrenskostenhilfeprüfung befassten Gerichts auf diejenigen Grundsätze zurückzugreifen, die im Sozialleistungsrecht entwickelt worden sind.

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bb) In der Rechtsprechung zu § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I besteht grundsätzlich kein Zweifel daran, dass der Leistungsträger berechtigt ist, zum Nachweis der Hilfebedürftigkeit von dem Anspruchsteller auch die Vorlage von Kontoauszügen zu verlangen (BSG Urteile vom 19. September 2008 - B 14 AS 45/07 R - NVwZRR 2009, 1005, 1006 f. und vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 10/08 R - veröffentlicht bei Juris, dort jeweils auch zur Frage der Zulässigkeit von Schwärzungen). Dass ein solches Verlangen auch im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen der Verfahrenskostenhilfebedürftigkeit sachgerecht ist, steht außer Frage. Das Gericht kann von dem Hilfesuchenden nicht nur die Glaubhaftmachung verlangen, dass die von ihm angegebenen Verbindlichkeiten auch tatsächlich in dieser Höhe von ihm bedient werden. auch die Erklärung des Hilfesuchenden, nur über Einkünfte in einer bestimmten Höhe und nur über die in der Formularerklärung angegebenen Vermögenswerte zu verfügen, stellen (Negativ) Tatsachen dar, die der Anordnung einer Glaubhaftmachung zugänglich sind. Das Gericht kann beispielsweise anhand der Kontoauszüge überprüfen, ob auf der Einnahmenseite verbuchten Beträge tatsächlich nur die von dem Hilfesuchenden angegebenen Einkommensquellen stammen oder ob sich aus den Kontoauszügen regelmäßige zur Kapitalansammlung bestimmte vermögensbildende Aufwendungen - etwa für Kapitallebensversicherungen, Bausparverträge oder Bank und Fondssparpläne - ergeben, obwohl die Frage nach sonstigen Vermögenswerten verneint worden ist.

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cc) Die Anordnung der Vorlage von Kontoauszügen setzt auch keinen konkreten Verdacht dahingehend voraus, dass der Hilfesuchende falsche Angaben gemacht oder Einnahmen oder Vermögen verschwiegen hat (vgl. BSG Urteile vom 19. September 2008 aaO. und vom 19. Februar 2009 aaO.). Im Sozialleistungsrecht bestehen die Mitwirkungspflichten des § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB grundsätzlich unabhängig vom Vorliegen konkreter Verdachtsmomente gegen den Hilfesuchenden. es gibt keine Veranlassung, an die Mitwirkungspflichten des Antragstellers im Rahmen der Verfahrenskostenhilfebewilligung insoweit andere Anforderungen zu stellen.

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b) Allerdings kann eine Mitwirkung des Hilfesuchenden gemäß § 65 Abs. 1 SGB I insbesondere dann nicht verlangt werden, wenn die Erfüllung der Mitwirkungspflicht nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung steht (§ 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB I) oder ihre Erfüllung dem Hilfesuchenden aus wichtigem Grund nicht zugemutet werden kann (§ 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I). Nach diesen Maßstäben gilt folgendes:

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aa) Dafür, dass die Vorlage von Kontoauszügen für die Antragstellerin unzumutbar sein könnte, ergibt sich nichts. Sie lässt sich insbesondere nicht aus den Kopierkosten herleiten. Selbst wenn für die Ablichtung der von dem Amtsgericht angeforderten Kontoauszüge etwa 40 Kopien hergestellt werden müssten, ergeben sich für die Antragstellerin bei üblichen Kopierkosten von 0,05 € pro Ablichtung tatsächliche Aufwendungen in Höhe von 2,00 €. Zieht man demgegenüber in Erwägung, dass die Antragstellerin von der Landeskasse erwartet, dass sie - bei einem angenommenen Streitwert von 10.000 € - ihre Verfahrensbevollmächtigte mit rund 750 € aus öffentlichen Mitteln vergütet und zudem auf Gerichtskosten in Höhe von rund 400 € verzichtet, wird in der Anforderung von Kontoauszügen keine unzumutbare Belastung zu sehen sein. Der Hinweis auf die Verfahrenskostenarmut der Antragstellerin führt zu einem gedanklichen Zirkelschluss, da die Vorlage der angeforderten Unterlagen gerade dem Nachweis der behaupteten Hilfebedürftigkeit dient. zudem wird es der Antragstellerin nach dem Inhalt des amtsgerichtlichen Verfügung freistehen, die angeforderten Kontoauszüge im Original mit der Bitte um Rückgabe nach Prüfung zur Gerichtsakte zu reichen.

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bb) Indessen lässt die vom Amtsgericht praktizierte formularmäßige Anforderung von Kontoauszügen der letzten sechs Monate nicht erkennen, dass zumindest im Ansatz eine auf den Einzelfall bezogene Angemessenheitsprüfung stattgefunden haben könnte.

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Auch für die Verfahrenskostenhilfe muss der Grundsatz gelten, dass die Erfüllung der Mitwirkungspflichten in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung stehen muss. Das Bundessozialgericht hat es in den bereits oben genannten Entscheidungen akzeptiert, dass der Leistungsträger vor der Entscheidung über die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach demSGB II die Vorlage lückenlose Kontoauszüge aus den letzten drei Monate verlangt. ob die Anordnung der Vorlage von Kontoauszügen für längere Zeiträume hinnehmbar ist, wurde vom Bundessozialgericht offen gelassen. Bezieht man im vorliegenden Fall die Überlegung ein, dass Verfahrenskostenhilfe eine einmalige Sozialleistung in einer zwar nicht zu vernachlässigenden, aber doch überschaubaren Höhe ist und es daher nicht um die Gewährung laufender Leistungen größeren Umfangs geht, stellt der Dreimonatszeitraum nach Einschätzung des Senats im Rahmen der Prüfung der Verfahrenskostenarmut eine Grenze, die für den Regelfall nicht überschritten werden sollte. Es mag zwar durchaus sein, dass unter besonderen Voraussetzungen - etwa bei undurchsichtigen Einkommens oder Vermögensverhältnissen, widersprüchlichen Angaben in der Verfahrenskostenhilfeerklärung oder beim Vorliegen bestimmter Verdachtsmomente - auch die Vorlage von Kontoauszügen für längere Zeiträume gerechtfertigt sein kann (vgl. OLGR Celle 2009, 242, 244). Dies erfordert allerdings eine Abwägung für den Einzelfall und wird eher nicht in Betracht kommen, wenn - wie hier - der Hilfesuchende und sein Ehegatte in geordneten und überschaubaren wirtschaftlichen Verhältnissen leben und die in der Erklärung getätigten Angaben zu den Einkünften und Verbindlichkeiten umfassend belegt worden sind.

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c) Da aus diesen Gründen nicht auszuschließen ist, dass das Amtsgericht von seinem Ermessen einen fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, brauchte die Antragstellerin unter den obwaltenden Umständen die gerichtliche Anordnung nicht zu befolgen, so dass das Gericht die Versagung der Verfahrenskostenhilfe nicht auf § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO stützen konnte. Die Sache war daher zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.