Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.03.2010, Az.: 4 AR 16/10
Sachliche Zuständigkeit der Landgerichte für einen Rechtsstreit zwischen einem Energieversorger und einem privaten Abnehmer über die Billigkeit von Preiserhöhungen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.03.2010
- Aktenzeichen
- 4 AR 16/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 12049
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2010:0308.4AR16.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Lüneburg - AZ: 5 O 38/10
Rechtsgrundlagen
- § 315 BGB
- § 102 EnWG
Fundstellen
- IR 2010, 132
- RdE 2010, 185-186
Amtlicher Leitsatz
Ist einem Rechtsstreit zwischen einem Energieversorger und einem privaten Abnehmer die Billigkeit von Preiserhöhungen im Streit, richtet sich die sachliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts nicht nach § 102 EnWG.
Tenor:
Das Amtsgericht Celle ist zuständig.
Die Entscheidung ist gerichtsgebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Zahlung teilweise offenstehender Rechnungsbeträge für Erdgaslieferungen wegen einseitig erfolgter Erhöhungen des Bezugspreises. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf kaufvertragliche Regelungen gemäß § 433 BGB und im Übrigen auf den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag. sie vertritt die Auffassung, ihre Preisbestimmung inklusive der zwischenzeitlich ergangenen Erhöhungen entspreche billigem Ermessen gemäß § 315 BGB. Der Beklagte verteidigt sich damit, dass keine Möglichkeit für die Klägerin bestehe, die Preise für die Erdgaslieferungen zwischenzeitlich zu erhöhen. Dies ergebe sich weder aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag noch aus den AVBGasV oder § 315 BGB. Im Übrigen vertritt der Beklagte die Auffassung, die Klägerin habe sich nicht an Vorgaben des EnWG gehalten und das Gas nicht zu den günstigsten Bedingungen eingekauft.
Die Klägerin hat wegen des in Rede stehenden Betrages von 1.584,79 € Klage zum Amtsgericht Celle erhoben. Der Beklagte hat die Zuständigkeit des angerufenen Amtsgerichts mit der Auffassung gerügt, zuständig wäre gemäß § 102 EnWG das Landgericht.
Das Amtsgericht hat sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 22. Januar 2010 für - versehentlich - örtlich (richtig: sachlich) unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Lüneburg verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Landgericht Lüneburg sei gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG zuständig, da im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung maßgeblich auf einen der Zwecke des EnWG, nämlich das in § 1 Abs. 1 EnWG verankerte Gebot der möglichst preisgünstigen Energieversorgung abzustellen sei. die Regelungen des EnWG seien zwingend zur Konkretisierung der Billigkeitsprüfung heranzuziehen, wie der Bundesgerichtshof in der Entscheidung NJW 2007, 2540 ff. [BGH 13.06.2007 - VIII ZR 36/06] ausgeführt habe.
Das Landgericht Lüneburg hat sich mit Beschluss vom 18. Februar 2010 gleichfalls für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren dem Oberlandesgericht Celle zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Der Rechtsstreit hänge nicht von einer Entscheidung nach dem EnWG ab.
II. 1. Das Oberlandesgericht Celle ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die Entscheidung zuständig. Sowohl das Amtsgericht Celle als auch das Landgericht Lüneburg haben sich rechtskräftig für unzuständig erklärt.
2. Das Amtsgericht Celle ist zuständig. Die mit dem Beschluss des Amtsgerichts Celle vom 22. Januar 2010 erfolgte Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Lüneburg erweist sich im Ergebnis als nicht bindend.
a) Grundsätzlich sind Verweisungsbeschlüsse nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008, Az.: X ARZ 45/08 m. w. N. aus juris). Die Bindungswirkung fällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist. Ausreichend ist nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (z. B. BGH NJW 2003, 3201 [BGH 10.06.2003 - X ARZ 92/03]). Ein Ausnahmefall ist allerdings dann gegeben, wenn ein als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands unzweifelhaft örtlich zuständiges Gericht sich darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt (BGH NJW 1993, 1273 [BGH 19.01.1993 - X ARZ 845/92]. NJW 2002, 3634 [BGH 10.09.2002 - X ARZ 217/02][BGH 10.09.2002 - X ARZ 217/02]). Zwar lässt weder bloßer Rechtsirrtum noch die Abweichung von der herrschenden Meinung die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nach § 281 ZPO entfallen (BGH NJW 2003, 3201 [BGH 10.06.2003 - X ARZ 92/03]). Ebenso wenig kann von willkürlicher Missdeutung gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinander setzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG NJW 1993, 996 [BVerfG 03.11.1992 - 1 BvR 1243/88], [BVerfG 03.11.1992 - 1 BvR 1243/88] Rdnr. 16 aus juris). Weicht das verweisende Gericht jedoch von der Gesetzeslage bzw. der ganz einhelligen oder jedenfalls ganz überwiegenden Ansicht ab, muss es dieses wenigstens gesehen und die eigene Auffassung durch einen Abwägungs und Entscheidungsprozess begründet haben (KGR 2000, 68, 69. OLG Schleswig NJW 2006, 3360, 3361 [OLG Schleswig 02.06.2006 - 2 W 80/06]).
b) Gemessen an diesen Maßstäben entfaltet der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Celle keine Bindungswirkung.
aa) Der Senat vertritt die Auffassung, dass in Streitigkeiten wie der vorliegenden, in denen der Energieversorger aufgrund zwischenzeitlich erfolgter Preiserhöhungen eingetretene Beitragsrückstände geltend macht, gegen die sich der Abnehmer mit der Behauptung verteidigt, die Preissteigerungen seien unbillig und das Gas sei nicht zu den günstigsten Bedingungen eingekauft, die Zuständigkeitsregelung des § 102 EnWG nicht einschlägig ist.
Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG sind die Landgerichte für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz ergeben, ausschließlich zuständig. Diese Alternative liegt ersichtlich nicht vor. Denn die Parteien streiten über die Berechtigung und Auffassung der Klägerin, auf Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Vertrags (und nicht aufgrund einer sich aus dem EnWG ergeben Rechtsbeziehung) einseitig Preiserhöhungen durchsetzen zu können.
Eine Zuständigkeit könnte sich allenfalls nach § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG ergeben, wonach Satz 1 auch gilt, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist. Diese Voraussetzung liegt jedoch ebenfalls nicht vor. In diesem Rechtsstreit ist nicht ersichtlich, dass die Entscheidung ganz oder teilweise von einer nach dem EnWG zu treffenden Entscheidung abhängig ist. Eine solche zeigt auch das Amtsgericht mit seiner Begründung nicht auf. Es mag zwar sein, dass bei der Frage, ob die Preiserhöhungen der Klägerin der Billigkeit gemäß § 315 BGB entsprechen, Grundgedanken des EnWG zu erwägen sind, obwohl dies der vom Amtsgericht zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht zu entnehmen ist. Im Rahmen einer solchen Erwägung wird allerdings keine Entscheidung über Streitigkeiten aus dem Bereich des EnWG getroffen. Das EnWG regelt für die Beziehung zwischen dem Versorger und dem Abnehmer in den §§ 1, 36 ff. die Beziehungen. Zweck des Gesetzes ist gemäß § 1 Abs. 1 EnWG eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas. In § 36 EnWG ist die Grundversorgungspflicht der Energieversorgungsunternehmen geregelt, in § 39 EnWG die allgemeinen Preise und Versorgungsbedingungen, die durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zu gestalten sind. § 40 EnWG regelt den Inhalt der Rechnungen der Energieversorgungsunternehmen für Energielieferungen an Letztverbraucher, den Turnus der Abrechnung und die eingeschränkte Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen zum Angebot eines besonderen Elektrizitätstarifs. § 41 EnWG betrifft den Inhalt der Verträge über die Belieferung von Haushaltskunden mit Energie außerhalb der Grundversorgung. Eine Entscheidung über die in diesen Paragraphen getroffenen Regelungen ist in diesem Rechtsstreit nicht zu treffen. Soweit bei der Billigkeitsprüfung die in § 1 EnWG genannten Gesetzeszwecke zu berücksichtigen sind, macht dies den Rechtsstreit dennoch nicht zu einem solchen, der sich aus diesem Gesetz dem EnWG ergibt (LG Ravensburg, Entscheidung vom 13. März 2008, Az.: 4 O 350/07 aus juris. OLG München, Beschluss vom 15. Mai 2009, Az.: AR (K) 7/09. OLG Köln, Beschluss vom 24. Oktober 2007, Az.: 8 W 80/07. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10. November 2009, Az.: 2 AR 23/09). Das EnWG regelt nur das ´Ob´ der Versorgung, nicht aber die inhaltliche Ausgestaltung der Höhe der Bezugspreise. Die Billigkeit einer Preiserhöhung unterliegt auch keiner nach diesem Gesetz zu treffenden Entscheidung i.S.v. § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG, weil die Ausfüllung des Begriffes ´preisgünstig´ von anderen Kriterien abhängig ist, die nicht im EnWG geregelt sind.
Aus den o. g Gründen schließt sich der Senat der gegenteiligen Auffassung nicht an. Die vom Beklagten u.a. angeführten Entscheidungen vermögen i.ü. aus folgenden Gründen nicht zu überzeugen: Die Entscheidung des LG Mönchengladbach vom 10. November 2005 (Az: 7 O 116/05 - aus juris) ist nicht einschlägig. Denn der Bejahung der dortigen Zuständigkeit lag zugrunde, dass der Gaslieferungsvertrag durch den Versorger gekündigt worden war, also das ´Ob´ in Rede stand. Dies steht zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits nicht in Frage. Das LG Ingolstadt hat seine Zuständigkeit ohne weitere Begründung bejaht (Az: 1 HK O 924/06, Urteil vom 22. Januar 2008 - aus juris). Das LG Köln ist von seiner Zuständigkeit ausgegangen, weil die Antragsgegnerin als Grundversorger den §§ 36 ff. EnWG unterliege (Urteil vom 11. Januar 2007, Az: 84 O 106/06 - aus juris). dies begründet aber keine nach diesem Gesetz zu treffende Entscheidung i. S. v. § 102 EnWG. Nur das LG Heilbronn (Urteil vom 27.03.2009, Az: 21 O 102/08 - aus juris) hat zur Begründung angegeben, dass die zivilrechtliche Prüfung der Billigkeit gem. § 315 BGB inzidenter eine Auseinandersetzung mit dem Preisgünstigkeitsgebot des § 1 EnWG beinhalte. hierdurch ergibt sich aber ein Rechtsstreit aus dem EnWG noch ist es eine nach diesem Gesetz zu treffende Entscheidung (s.o.).
Die Argumentation des Amtsgerichts, der auf die mündliche Verhandlung in einem Parallelverfahren erfolgte weitere Vortrag der Klägerin zeige, dass sie sich den Überlegungen des Amtsgerichts zur Relevanz des EnWG angeschlossen habe, unterliegt einem unzulässigen Zirkelschluss. Denn hiermit ist noch nicht belegt, dass die Klägerin tatsächlich ihre Auffassung geändert habe. Vielmehr ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seinen Pflichten entsprechend und rein aus anwaltlicher Vorsicht sich mit den vom Gericht für wesentlich gehaltenen Gesichtspunkten auseinander gesetzt hat. Die Klägerin hat vielmehr an ihrer Auffassung festgehalten, dass das Amtsgericht sachlich zuständig sei.
bb) Damit ist allerdings noch keine Aussage darüber getroffen, ob dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts die Bindungswirkung zu versagen ist, weil ihm objektive Willkür anhafte. Dies ist jedoch vorliegend zu bejahen. Zwar hat das Amtsgericht seinen Verweisungsbeschluss ausführlich begründet. Hierbei hat es sich jedoch nicht mit den ihm vorgelegten Entscheidungen der Oberlandesgerichte auseinander gesetzt, sondern sich nur die für seine Begründung maßgeblichen Aspekte herausgesucht und darauf die Verweisung gestützt. Erforderlich wäre jedoch eine Auseinandersetzung mit der zuvor genannten obergerichtlichen Rechtsprechung gewesen. Zudem ist der vom Amtsgericht zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13. Juni 2007 (NJW 2007, 2540 [BGH 13.06.2007 - VIII ZR 36/06]) entgegen der Darstellung des Amtsgerichts nicht zu entnehmen, dass die Bestimmungen des EnWG bei der Überprüfung der Billigkeit einer einseitig erfolgten Erhöhung des Bezugspreises heranzuziehen sind.