Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.06.2005, Az.: 1 LA 220/04

Flexibilität der Festsetzung einer Grundstücksmindestgröße; Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB; Grenze zur untergeordneten Bedeutung des Eingriffs

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.06.2005
Aktenzeichen
1 LA 220/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 34153
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2005:0606.1LA220.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 02.07.2004 - AZ: 2 A 333/03

Fundstellen

  • BauR 2005, 1515 (amtl. Leitsatz)
  • FStBW 2005, 1042-1045
  • FStHe 2006, 209-212
  • FStNds 2005, 542-544
  • KommJur 2006, 80
  • NVwZ-RR 2005, 697 (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes
- Antrag auf Zulassung der Berufung -

Redaktioneller Leitsatz

Die Festsetzung der Grundstücksmindestgröße ist ein Grundzug der Planung. Von dieser Festsetzung kann nicht schon aufgrund geringfügiger Unterschreitung abgewichen werden, da eine solche Festsetzung nicht flexibel ist.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 1. Senat -
am 6. Juni 2005
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Kläger, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Stade - 2. Kammer - vom 2. Juli 2004 zuzulassen, wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Gründe

1

Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 4 A "Nuddelhof" der Beigeladenen. Das ursprünglich 1.471 qm große Grundstück der Kläger ist mit Teilungsgenehmigung des Beklagten vom 13. Februar 2003 in 2 Teilstücke von 750 qm, - in diesem Bereich liegt das Ferienhaus der Kläger -, und 721 qm geteilt worden. Die Kläger beabsichtigen auf dem nicht bebauten Teilstück ein weiteres Ferienhaus zu errichten.

2

Der Bebauungsplan der Beigeladenen weist ein Ferienhausgebiet sowie ein dazugehöriges Versorgungszentrum mit Verwaltung, Restaurant und Schwimmbad, einem See sowie Grün- und Freiflächen aus. In dem Teil, der für die Ferienhäuser vorgesehen ist (SO 5), ist das Maß der baulichen Nutzung mit einem Vollgeschoss und einer Bebauung mit Einzelhäusern und maximaler Grundfläche von 75 qm festgesetzt sowie eine Mindestgrundstücksgröße von 750 qm. Die Kläger begehren die Erteilung einer Befreiung von der textlichen Festsetzung der Mindestgrundstücksgröße von 750 qm für die Bebauung des bislang unbebauten Grundstücksteils. Die Beigeladene hat ihr Einvernehmen zu der Befreiung versagt. Der Beklagte hat die Erteilung der Befreiung abgelehnt. Dagegen wenden sich die Kläger. Sie sind der Meinung, die Befreiung berühre nicht Grundzüge der Planung, weil bereits jetzt verschiedene Grundstücke im Plangebiet weniger als 750 qm aufwiesen.

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Mit dem angegriffenen Gerichtsbescheid hat das Verwaltungsgericht die ursprünglich als Untätigkeitsklage erhobene und nach Ergehen des Widerspruchsbescheids auf diesen erweiterte Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt: Eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB könne nicht erteilt werden, weil die Grundzüge der Planung berührt seien. Wegen der Einzelheiten wird auf den angegriffenen Gerichtsbescheid Bezug genommen.

4

Der Zulassungsantrag der Kläger, der auf § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 5 VwGO gestützt wird, hat keinen Erfolg.

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Die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind nicht gegeben. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne der genannten Vorschrift liegen nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. z.B. Beschl. v. 31.7.1998 - 1 L 2696/98 -, NVwZ 1999, 431) erst dann vor, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis - auf dieses und nicht auf die einzelnen Begründungselemente kommt es dabei an - die besseren Gründe sprechen, das heißt wenn ein Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen. Dabei dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (2. Ka. d. 1. Sen., Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458) die Anforderungen an die Darlegungslast der Beteiligten nicht überspannt werden. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils sind schon dann anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Die Kläger machen geltend, das Verwaltungsgericht meine zu Unrecht, dass die Festsetzung der Grundstücksmindestgröße zu den die Grundzüge der Planung bestimmenden Festsetzungen gehöre. Mit diesem Zulassungsangriff dringen die Kläger nicht durch.

6

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB liegen nicht vor. Entscheidend ist, ob ein Vorhaben zwar den Festsetzungen des Plans widerspricht, sich "mit den planerischen Vorstellungen aber gleichwohl in Einklang bringen" lässt oder ob es - im Gegenteil - "dem planerischen Grundkonzept zuwider" läuft (Zusammenfassend BVerwG, Beschl. v. 5.3.1999 - 4 B 5.99 - NVwZ 1999, 1110 [BVerwG 05.03.1999 - 4 B 5/99] = BRS 62 Nr. 99; s.a. Beschl. v. 19.5.2004 - 4 B 35/04 -, Juris). Hier sprechen die besseren Gründe für die Annahme, dass zum Nachteil der Kläger Letzteres der Fall ist.

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Das Verwaltungsgericht nimmt zu Recht an, dass die Festsetzung über die Mindestgröße der Grundstücke in dem Bebauungsplan Nr. 4 A "Nuddelhof" nicht nur nicht funktionslos geworden ist, was auch die Kläger in ihrem Zulassungsantrag nicht mehr substantiiert in Abrede nehmen, sondern auch keinen nur nebensächlichen Bestandteil der Festsetzungen darstellt. Allein die Tatsache, dass ca. 30 Grundstücke kleiner als 750 qm sind, zeigt noch nicht auf, dass die Festsetzung insgesamt und dauerhaft ungeeignet oder für Befreiungen geöffnet ist. Abgesehen von der Vielzahl der im Plangebiet gelegenen Grundstücke, die die festgesetzte Mindestgröße von 750 qm haben, weisen die kleineren Grundstücke eine Gemeinsamkeit auf. Diese grenzen jeweils an die festgesetzten Straßen und Wendeschleifen. Nach den Ausführungen der Beigeladenen wurden diese erst später in die Planung übernommen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass Zuwegungen ohne Wendeschleifen nicht praktikabel seien. Dadurch wurde die Verkleinerung verschiedener an diese angrenzenden Grundstücke notwendig, ohne dass damit das Gefüge im Übrigen aber angetastet wurde. Mit den Festsetzungen von Grundstücksmindestgrößen sowie von Einzelhäusern mit einer maximalen Grundfläche von 75 qm sollte eine nicht zu enge Bebauung und damit eine weitgehende Auflockerung des Gebietes erreicht werden, um dessen Erholungsfunktion auch innerhalb der mit den Ferienhäusern bebauten Teile des Plangebietes zu erhalten. Dieser Zweck wird auch bei den die Mindestgröße unterschreitenden Grundstücken soweit noch erreicht, als diese eben an Straßenflächen angrenzen und somit die Freifläche zwischen den Gebäuden erhalten bleibt.

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Gegen diese Auffassung spricht nicht, dass mit der 1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 4 A eine Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse vorgenommen wurde, wie es sich aus der Begründung zur 1. Änderung ergibt. Die überbaubaren Grundflächen für die Einzelhäuser sollten nur deshalb von 65 qm auf 75 qm erhöht werden, um diese veränderten Wohngewohnheiten anzupassen (S. 6 unten der Begründung). Nach der Begründung sollte weiterhin ein relativ großer Freiflächenanteil im Gebiet erhalten und dazu eine Mindestgrundstücksgröße von 750 qm festgesetzt bleiben (S. 7 der Begründung). Offensichtlich entsprach bereits zu diesem Zeitpunkt die Bebauung auch diesen Festsetzungen, weil nach der Begründung zur 1. Planänderung die Festsetzung der Anpassung an die tatsächlichen Gegebenheiten diente. Damit besteht der Zweck des Bebauungsplans unverändert darin, einen relativ großen durchgrünten Freiflächenanteil trotz der Bebauung mit einer großen Zahl von Ferienhäusern zu erhalten. Entgegen den Annahmen der Kläger sollten mit einer Anpassung an die tatsächlichen Verhältnisse nicht die Freiflächenanteile reduziert, sondern im Gegenteil die tatsächlichen Verhältnisse durch die Festsetzung einer Mindestgrundstücksgröße festgeschrieben werden.

9

Ist die Festsetzung der Grundstücksmindestgröße damit als Grundzug der Planung anzusehen, kann von ihr auch nicht bereits deshalb abgewichen werden, weil eine geringfügige Unterschreitung nur von untergeordneter Bedeutung wäre und nicht in das Interessengeflecht des Plans eingriffe. Abgesehen von der Schwierigkeit anzugeben, wo die Grenze zur untergeordneten Bedeutung des Eingriffs anzusetzen wäre, kann hier eben gerade nicht von einer Flexibilität der als Grundzug der Planung festgeschriebenen Begrenzung der Mindestgrundstücksgröße ausgegangen werden. Wird diese exakt in Zahlen ausgedrückt, will die Gemeinde damit erreichen, dass eine strikte Grenze eingehalten wird. Wenn die Kläger vorschlagen, eine Unterschreitung auf bis zu 700 qm müsse möglich sein, begründen sie damit noch nicht, warum nunmehr bei 700 qm die endgültige Grenze erreicht ist und nicht auch ein Grundstück von 699 qm noch als immer noch geringfügige Unterschreitung angesehen werden könnte. Der Unterschied zwischen der festgesetzten Grenze von 750 qm und der von den Klägern vorgeschlagenen Grenze von etwa 700 qm erklärt sich nicht aus sich selbst heraus und ist deshalb nicht geeignet, die "Geringfügigkeit" der Abweichung zu begründen. Zur Stütze ihrer Auffassung berufen sich die Kläger zu Unrecht auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. März 2000 (- 4 B 18.00 -, ZfBR 2001, 131 = NVwZ-RR 2000, 759 = BRS 63 Nr. 41). Dort ging es um die Frage, welche Festsetzungen ihres Bebauungsplanes eine Gemeinde mit der Folge als "peripher" ansehen darf, dass sie diesen auf dem durch § 13 BauGB eröffneten Wege ändern kann. Auch in diesem Zusammenhang betont das Bundesverwaltungsgericht, dass sich die Frage, wann es sich um einen Grundzug handelt, nicht allgemein gültig formulieren lässt. Auch Flächenabweichungen, welche sich im Bereich weniger Prozente bewegen, können danach die Grundzüge einer Planung berühren.

10

Die Ausführungen der Kläger dazu, es gäbe keine Vielzahl gleich gelagerter Fälle, begründen keine ernstlichen Zweifel an dem Gerichtsbescheid. Die Berechnung der Kläger unterstellt, dass die Eigentümer von "großen Grundstücken" bei deren Teilung jeweils ein Grundstück von 750 qm behalten würden und deshalb bei 7 Grundstücken der Größe von 1.350 qm bis 1.500 qm sowie 10 Grundstücken von 1.500 qm und mehr allenfalls 7 Grundstücke von weniger als 750 qm entstehen würden. Demgegenüber geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass bei 17 Grundstücken dieser Art auch 24 Grundstücke von weniger als 750 qm entstehen können. Beide Lösungen sind rechnerisch gleichermaßen möglich, da es keine zwingende Folge ist, dass jeweils ein Grundstück von mindestens 750 qm "übrig bleibt". Damit handelt es sich aber bei dem Grundstück der Kläger nicht um einen Einzelfall, der keine Vorbildwirkung entfalten könnte.

11

Das Grundstück der Kläger ist auch nicht vergleichbar mit den im Plangebiet bereits vorhandenen "kleinen Grundstücken", die an Straßen und Wendeschleifen liegen. Auch wenn das Grundstück der Kläger ursprünglich 20 qm mehr Fläche aufwies, die zu Gunsten der Wendeschleife abgetreten werden mussten, wirkt sich dies auf das nunmehr abgeteilte Grundstück nicht mehr aus. An die Wendeschleife grenzt an der "vordere Teil" des Grundstücks der Kläger, auf dem sich das vorhandene Ferienhaus befindet. Das Grundstück, um dessen Bebaubarkeit es nunmehr geht, stellt den rückwärtigen Teil des ursprünglichen Grundstücks dar und grenzt nicht an diese Wendeschleife an. Das Grundstück muss, sofern es bebaut würde, über das Vorderliegergrundstück erschlossen werden. Dieses rückwärtige Grundstück nimmt deshalb nicht mehr an der Freiflächenwirkung teil, die den kleineren, an Wendeschleifen und Straßen angrenzenden Grundstücken, durch diese vermittelt werden kann. Wird die von der Gemeinde bei Planaufstellung durch Festsetzung einer Mindestgrundstücksgröße erstrebte Großzügigkeit der Grundstücke auch bei kleineren Grundstücken deshalb gewahrt, weil sie an nicht bebaubare Freiflächen angrenzen, so gilt dieses Ausnahmekriterium nicht für Hinterliegergrundstücke, die nicht an Freiflächen im Plangebiet angrenzen. Eine Bebauung solcher Hinterliegergrundstücke würde entgegen den Intentionen des Plans zu einer Verdichtung der Bebauung führen und die gewollte optische Wirkung einer nur aufgelockerten Bebauung deshalb erheblich beeinträchtigen.

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Die Berufung ist, wie sich aus dem Vorstehenden bereits ergibt, auch nicht wegen besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Sache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die Grundzüge der Planung ergeben sich unschwer aus dem Bebauungsplan und seiner Begründung. Ebenso wenig bereiten die Fragen, ob Grundzüge der Planung berührt sind und Gleichbehandlungsgrundsätze beachtet sind, Schwierigkeiten, die erst in einem Berufungsverfahren geklärt werden könnten.

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Die angegriffene Entscheidung leidet auch nicht deshalb an einem Verfahrensmangel gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, weil sie durch Gerichtsbescheid entschieden worden ist. Die Kläger sind zur Entscheidungsmöglichkeit durch Gerichtsbescheid angehört worden und hatten nach Ergehen des Gerichtsbescheids die Möglichkeit, eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zu beantragen. Wenn sie die Möglichkeit eines Antrags auf Zulassung der Berufung gewählt haben, können sie sich nicht darauf berufen, dass sie in mündlicher Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht weitere entscheidungserhebliche und die Entscheidung zu ihren Gunsten beeinflussende Tatsachen vorgetragen hätten (vgl. dazu Hess. VGH, Beschl. v. 4.8.2000 - 12 UZ 2595/00 -, NVwZ-RR 2001, 207, sowie OVG Saarland, Beschl. v. 1.4.1999 - 1 Q 13/99 -, LS in Juris).

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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO, § 52 GKG.

15

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG n.F.).

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 3.750,-- EUR festgesetzt.

Die Streitwertentscheidung orientiert sich am Streitwertkatalog der Bausenate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (Nr. 2 a) (NordÖR 2002, 197 = NdsVBl. 2002, 192).

Claus
Berner-Peschau
Muhsmann