Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.06.2005, Az.: 7 PA 88/05
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.06.2005
- Aktenzeichen
- 7 PA 88/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 44002
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2005:0608.7PA88.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Göttingen - AZ: 1 A 255/04
Fundstellen
- FStBW 2006, 186-187
- FStHe 2006, 423-424
- GV/RP 2006, 581-582
- GewArch 2005, 388-389
- NVwZ-RR 2005, 712 (Volltext mit red. LS)
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den in dem Bescheid des Beklagten vom 19. August 2004 und in dem Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 23. November 2004 genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 S. 1 ZPO). Mit dem angefochtenen Bescheid hatte der Beklagte die beantragte Erlaubnis zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft wegen des von dem Kläger am 28. August 2003 begangenen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung versagt. Die 6. Große Strafkammer (Schwurgerichtskammer) des Landgerichts Göttingen hatte den Kläger wegen dieser Tat am 7. Juni 2004 zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt; zu deren Verbüßung befindet er sich seit dem 15. April 2005 in der JVA C..
Der Senat beurteilt die Erfolgsaussichten der Klage nicht anders als das Verwaltungsgericht. Die Gaststättenerlaubnis ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Bei der danach im Einzelfall anzustellenden Würdigung muss eine bestimmte Wahrscheinlichkeit für die ordnungswidrige Gewerbeausübung sprechen. Eine einmalige Bestrafung kann die Annahme der Unzuverlässigkeit begründen, wenn die ihr zugrundeliegende Tat schwerwiegend ist, denn in Fällen der Gefährdung besonders schutzwürdiger Rechtsgüter, z.B. Leben und Gesundheit, können an die hinreichende Wahrscheinlichkeit geringere Anforderungen gestellt werden als bei Rechtsgütern, die nach der grundgesetzlichen Wertordnung weniger gewichtig sind. Bei besonders schutzwürdigen Rechtsgütern kann eine Verletzung auch dann befürchtet werden, wenn die Möglichkeit des (erneuten) Eintritts wesentlich geringer erscheint als die Möglichkeit des Ausbleibens. Es reicht aus, dass die Gefahr der Verletzung nicht ganz unwahrscheinlich ist (vgl. Michel/Kienzle/Pauly, Das Gaststättengesetz, 14. Aufl., § 4 Rn. 5).
Gemessen an diesen Voraussetzungen haben die zuständigen Behörden und ihnen folgend das Verwaltungsgericht die erforderliche Zuverlässigkeit mit Recht nicht feststellen können. Nach den der Verurteilung durch die Schwurgerichtskammer zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen hatte die Lebensgefährtin des Klägers, mit der er einen gemeinsamen Sohn hat, eine freundschaftliche Beziehung zu einem Ausbildungskollegen aufgenommen, die sich zu einer Liebesbeziehung entwickelte. Da verschiedene Versuche des Klägers, auf eine Beendigung dieser Beziehung hinzuwirken, ohne Erfolg geblieben waren, griff er den Freund seiner Lebensgefährtin bei einem erneuten Treffen der beiden im Zustand höchster Erregung mit einem Messer und der Absicht an, ihn jedenfalls schwerwiegend zu verletzen, wobei er die Tötung des Angegriffenen billigend in Kauf nahm. Dass die dem Angegriffenen beigebrachten Verletzungen nicht schwerwiegender ausfielen und insbesondere keine inneren Organe betrafen, lag ausschließlich an den Abwehrmaßnahmen des dem Kläger körperlich überlegenen Opfers. Zwar mag eine ähnliche Tat relativ unwahrscheinlich sein. Dafür spricht, dass sich der Kläger nach den Feststellungen des Strafgerichts bis zu diesem Ereignis als eine eher gewaltscheuende, ängstliche Person gezeigt hatte und strafrechtlich bis dahin nicht in Erscheinung getreten war. Andererseits zeigt das Tatgeschehen, dass der Kläger im Rahmen einer persönlichen Beziehung außerstande war, sein Verhalten zu kontrollieren und um des angestrebten Zieles willen, seine Lebensgefährtin wieder für sich zu gewinnen, die Tötung des Angegriffenen in Kauf genommen hat. Es ist nach den Gesamtumständen nicht ganz unwahrscheinlich, dass der Kläger in einer ähnlich gelagerten affektiven Ausnahmesituation zu einer vergleichbaren Spontantat fähig wäre. Eine solche Situation ist im Gaststättengewerbe, welches typischerweise durch intensiven persönlichen Kontakt zu vielen Menschen geprägt ist, und angesichts der offenbar angestrebten Stellvertretung Mitwirkung der Lebensgefährtin in der Gaststätte nicht ganz fernliegend, so dass eine ähnliche Beziehungs- und Eifersuchtstat gegenüber einem etwaigen Verehrer der Lebensgefährtin nicht ausgeschlossen werden kann. Damit ist nicht gesagt, dass die gewerberechtliche Beurteilung für den Kläger zu einem späteren Zeitpunkt nicht günstiger ausfallen kann.
Der Kläger verweist auch mit seiner Berufung auf die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, Beschl. v. 15.7.2004 - 22 CS 03.2151 -, NVwZ-RR 2005, 32) nicht auf Umstände, die die Vorinstanz verkannt hat und die zu einer anderen Beurteilung hätten führen müssen. In jenem Verfahren hatte die zuständige Behörde mit Bescheid vom 8. Juli 2003 die im Jahr 1990 erteilte Reisegewerbekarte im Hinblick auf das gegen den Antragsteller am 16. Juli 1993 ergangene Urteil wegen Totschlags, begangen an seiner damaligen Lebenspartnerin, mit dem eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren verhängt worden war, unter Sofortvollzugsanordnung widerrufen. Der BayVGH hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen diesen Widerruf wiederhergestellt, weil keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Antragsteller in Zukunft bei Ausübung des Reisegewerbes in ähnlicher Weise erneut strafffällig werde. Dieser Fall ist mit dem hier zu beurteilenden nicht vergleichbar. Der BayVGH konnte sich bei seiner Prognose auf den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 16. Mai 2000 stützen, mit dem die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe des Antragstellers zur Bewährung ausgesetzt worden war. Eine vergleichbare Prognose liegt hier zu Gunsten des Klägers nicht vor. Daran fehlt es auch deshalb, weil in jenem Fall der Antragsteller sich nach seiner Haftentlassung bis zum Widerruf der Reisegewerbekarte über 3 Jahre im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit, bei der er vielfach mit Menschen zu tun hatte, bewährt hatte.