Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.06.2005, Az.: 8 LA 86/05

Asylfolgeverfahren; Ermessen; Folgeschutzgesuch; Folgeverfahren; Krankheit; Streitgegenstand; Wiederaufgreifen des Verfahrens

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.06.2005
Aktenzeichen
8 LA 86/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50715
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 18.03.2005 - AZ: 3 A 807/02

Gründe

1

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

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Die Voraussetzungen für die von den Klägern beantragte Zulassung der Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) liegen nicht vor.

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Eine Rechtssache ist nur dann grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Erklärung in einem Berufungsverfahren bedarf (vgl. GK - AsylVfG, § 78 Rn. 88 f.; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 80 AsylVfG Rn. 140, jeweils m. w. N.).

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Daran gemessen kommt der in der Antragsschrift aufgeworfenen Frage, ob “Krankheitsgründe auch dann zu berücksichtigen sind, wenn sie erst im streitigen Verfahren geltend gemacht werden“, keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Frage ist sinngemäß auf die Klärung der Frage gerichtet, unter welchen Voraussetzungen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach Ablehnung eines Folgeschutzgesuches in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu verpflichten ist, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, wenn ein i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG von dem Betroffenen nunmehr für beachtlich gehaltener Grund - vorliegend die mangelnde Gesundheitsversorgung im Heimatstaat - erst im Laufe des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgebracht wird. Diese Frage ist in der Rechtsprechung geklärt und vermittelt dem Rechtsstreit daher keine grundsätzliche Bedeutung.

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Ist - wie vorliegend - bestandskräftig von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellt worden, dass die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bzgl. nunmehr des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Herkunftsstaates des betroffenen Ausländers nicht gegeben sind, so ist das Bundesamt auch für die Entscheidung über ein nachfolgendes Folgeschutzgesuch, d.h. den erneuten Antrag auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bzw. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich dieses Staates, zuständig (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.3.2000 - 9 C 41/99 - , BVerwGE 111, 77 ff.).

6

Vor der erneuten Befassung mit den materiellen Voraussetzungen des § 53 AuslG (bzw. nunmehr den Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG) hat das Bundesamt zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Ist dies der Fall, so hat das Bundesamt das Verfahren wieder aufzugreifen und eine neue Entscheidung in der Sache zu treffen.

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Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG hingegen nicht vor, so hat das Bundesamt nach § 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die bestandskräftige frühere Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen wird. Insoweit besteht ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. BVerwG, Urteil vom 21.3.2000, a.a.O.). Wäre der Ausländer im Zielstaat der drohenden Abschiebung einer extremen individuellen Gefahrensituation ausgesetzt, so ist das Ermessen bei der Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG i.V.m. § 51 Abs. 5, §§ 48, 49 VwVfG regelmäßig zu Gunsten des Ausländers auf Null reduziert (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2004 - 1 C 15/03 -).

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Klagt ein Ausländer gegen die Ablehnung seines Folgeschutzgesuches, so ist der Streitgegenstand dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht auf die bereits gegenüber dem Bundesamt angegebenen Gründe für das Vorliegen des einheitlichen Anspruchs auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begrenzt (vgl. Rennert, DVBl. 2001, 161, 168 f., m. w. N.). Hat ein Ausländer sich - wie vorliegend die Kläger - zur Begründung seines Folgeschutzgesuchs gegenüber dem Bundesamt auf die allgemeine Lage einer Volksgruppe, der anzugehören er geltend macht, berufen und begründet er seine nachfolgende Klage ergänzend oder ausschließlich damit, dass seine Abschiebung in den Zielstaat mangels hinreichender Gesundheitsversorgung unzulässig sei, so ist also grundsätzlich auch über dieses Vorbringen als Teil des einheitlichen Streitgegenstandes, nämlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, zu entscheiden. “Entscheiden“ bedeutet jedoch nicht, dass das Verwaltungsgericht unmittelbar über das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu befinden hätte. Vielmehr steht dem Ausländer ein Anspruch auf eine erneute sachliche Entscheidung insoweit nur zu, wenn die dargelegten Voraussetzungen des § 51 VwVfG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens hinsichtlich der fehlenden Gesundheitsversorgung als geltend gemachtes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis gegeben sind. Wird nämlich ein Antrag auf Wiederaufgreifen eines unanfechtbar abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens auf mehrere unterschiedliche Wiederaufgreifensgründe gestützt, so ist das Vorliegen der Wiederaufgreifensvoraussetzungen für jeden von ihnen gesondert zu prüfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.5.1993 - 9 C 49/92 -, BVerwGE 92, 278 ff.). Dies gilt nicht nur im Verfahren vor dem Bundesamt, sondern auch für erst bei Gericht neu vorgebrachte Wiederaufgreifensgründe (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.2.1998 - 9 C 28/97 -, BVerwGE 106, 171 ff.).

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Schließlich kann ein erstmaliges Vorbringen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch nach § 74 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG und nach § 87 b Abs. 3 VwGO als verspätet zurückgewiesen werden und deshalb unberücksichtigt bleiben.

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Dass über diese Grundsätze hinaus weiterer Klärungsbedarf für die aufgezeigte Fragestellung besteht, ist nicht ersichtlich und wird von den Klägern in ihrem Zulassungsantrag auch nicht dargelegt. Ob diese Vorgaben von dem Verwaltungsgericht in seinem Urteil hinreichend beachtet worden sind, ist für die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG unerheblich. Die Berufung kann daher nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden.

11

Sollten die Ausführungen der Kläger in der Antragsschrift zu “ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung“ so zu verstehen sei, dass sie sich ergänzend auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO berufen wollen, so führt auch dies nicht zum Erfolg ihres Antrags. Die Berufung kann in einem Verfahren nach dem Asylverfahrensgesetz - wie hier - nur aus den in § 78 Abs. 3 AsylVfG abschließend aufgezählten Gründen zugelassen werden. “Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils“ stellen einen solchen Zulassungsgrund nicht dar.