Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.06.2005, Az.: 2 ME 210/05

Versagung eines Forschungssemesters unter Berücksichtigung des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit; Abwägung zwischen den grundrechtlichen Freiheiten eines Hochschullehrers und seinen dienstrechtlichen Amtspflichten; Abwägung zur Aufrechterhaltung und Fortsetzung des gegenwärtigen Lehrbetriebes im Fach Soziologie; Ordnungsgemäße Vertretung des Faches als Voraussetzungen für eine Freistellung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.06.2005
Aktenzeichen
2 ME 210/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 34155
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2005:0610.2ME210.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 01.05.2005 - AZ: 5 B 624/05

Fundstellen

  • NVwZ-RR 2006, 188-189 (Volltext mit amtl. LS)
  • NVwZ-RR 2006, V Heft 1 (amtl. Leitsatz)
  • NdsVBl 2005, 240-243
  • NordÖR 2005, 335-338 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Forschungsfreisemester - vorläufiger Rechtsschutz -

Redaktioneller Leitsatz

Ein Hochschullehrer hat einerseits die grundrechtlich gewährte Freiheit der Lehre, ihn trifft aber als Beamter auch die dienstrechtliche Pflicht, sein Fach in Forschung und Lehre zu vertreten. Dementsprechend steht der Freiheit der Lehre eines Hochschullehrers die Freiheit der Studierenden zu lernen und zu studieren gegenüber, so dass zwischen diesen beiden Rechten abzuwägen und ein Ausgleich, der beiden Seiten Rechnung trägt, herbeizuführen ist.
Ist ein solcher Ausgleich nicht möglich, ist zu prüfen, welches Interesse im Einzelfall zurücktritt.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 2. Senat -
am 10. Juni 2005
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 5. Kammer - vom 1. April 2005 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 1. April 2005 bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller für das Sommersemester 2005 ein Forschungssemester zu gewähren.

2

Der Senat ist angesichts der in diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage schon der Auffassung, dass der Antragsteller zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Beschwerdegerichts das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Eilbedürftigkeit seines Begehrens auf Bewilligung eines Forschungssemesters, nicht glaubhaft gemacht hat (§ 123 Absätze 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO); darüber hinaus wäre angesichts des bereits begonnenen Semesterbetriebes bei der Antragsgegnerin auch schon zum Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde am 18. April 2005 die Eilbedürftigkeit zu verneinen gewesen. Insoweit lässt sich der Senat im Hinblick auf den Umstand, dass das im Wege des einstweiligen Rechtschutzes und mit der Klage verfolgte Ziel identisch sind, die Hauptsache mit Erlass der einstweiligen Anordnung also vorweggenommen würde, maßgeblich von der Überlegung leiten, dass dem Antragsteller nicht unzumutbar schwere, auf andere Weise nicht abwendbare Nachteile drohen, wenn er auf die Verfolgung seiner Rechte in der Hauptsache verwiesen würde (vgl. dazu Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl., RdNr. 220 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen.) Insbesondere sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, die auf eine Gefährdung der sozialen, wirtschaftlichen oder beruflichen Existenz des Antragstellers schließen lassen; auch vermag der Senat nicht zu erkennen, dass die begehrte Regelung mit einem festen zeit- oder termingebundenen Ereignis in unmittelbarem Zusammenhang steht, dass etwa das vom Antragsteller - offensichtlich schon länger - betriebene Forschungsvorhaben zu einem bestimmten, bereits festgelegten Zeitpunkt unbedingt abgeschlossen sein müsste.

3

Darüber hinaus können auch die Folgen nicht außer Acht gelassen werden, die eintreten würden, wenn die Antragsgegnerin zum jetzigen Zeitpunkt einstweilen verpflichtet würde, den Antragsteller mit sofortiger Wirkung für ein Forschungssemester von der Lehre freizustellen. Eine auf diese Folge gerichtete Anfrage des Senats hat die Antragsgegnerin dahin erläutert, dass die Lehrverpflichtung des Antragstellers von wöchentlich acht Lehrverpflichtungsstunden auf die Betreuung von vier Lehrveranstaltungen von jeweils zwei Semesterwochenstunden ausgerichtet sei. Von diesen Lehrveranstaltungen sei für die Studierenden allenfalls die Teilnahme an dem Seminar "Untersuchungen zur differenzierten Fruchtbarkeit" zu vernachlässigen, während sich die Lehrveranstaltungen "Lektüre zur Geschichte der politischen Soziologie" und "Soziale Ungleichheit: Sozialparasitismus" sowie die Veranstaltung "Sozialstruktur: Altersaufbau und Generationenbeziehungen" für die Studierenden der Lehramts- Magister- und Bachelorstudiengänge als unverzichtbar erwiesen. Da die Personalausstattung an dem Lehrstuhl des Antragstellers begrenzt sei, könne im Falle seiner Freistellung von der Lehre personeller Ersatz nicht herangezogen werden. Danach würde eine einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller für das Sommersemester 2005 ein Forschungssemester einzuräumen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt dazu führen, dass die Studierenden von ihnen belegte Lehrveranstaltungen nicht zu Ende besuchen könnten oder sich - sollten sich gleichwohl im Fach Soziologie in irgendeiner Weise noch Ersatzmöglichkeiten anbieten - im laufendem Semester einem Wechsel des Lehrpersonals oder der Lehrveranstaltungen ausgesetzt sähen. Sollte es dadurch zu einem Entzug oder einer gravierenden Beeinträchtigung des Lehrangebots im Fach Soziologie, für dessen Wahrnehmung die Antragsgegnerin die notwendigen sachlichen und personellen Mittel zur Verfügung zu stellen hat (vgl. § 4 Abs. 4 HRG und dazu Reich, Hochschulrahmengesetz, 8. Aufl., § 4 RdNr. 29 f; Thieme, Deutsches Hochschulrecht, 3. Aufl., RdNr. 848), kommen, liefen die Studierenden Gefahr, ihre Ausbildung nicht mehr zeitgerecht und nur noch mit Verzögerungen absolvieren zu können.

4

Das im Rahmen dieser Abwägung zu berücksichtigende Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG, auf das sich der Antragsteller für sein Begehren auf Gewährung eines Forschungssemesters maßgeblich beruft (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69, 74 [BVerfG 25.10.1988 - 2 BvR 745/88]; Finkelburg/Jank, a.a.O., RdNr. 222), führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Denn der Antragsteller ist als Hochschullehrer nicht nur Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG, sondern auch Angehöriger des öffentlichen Dienstes, dessen Status als Beamter durch das Beamtenrecht und die nach Art. 33 Abs. 5 GG garantierten Grundsätze bestimmt werden. Insoweit umschreiben die einschlägigen hochschulrechtlichen Regelungen (vgl. §§ 43 Abs. 1 HRG, 24 Abs. 1 NHG) den dienstlichen Tätigkeitsbereich eines Hochschullehrers unter anderem dahin, in dem von ihm vertretenen Fach die Aufgaben von Forschung und Lehre selbstständig wahrzunehmen. Danach hat der Hochschullehrer bzw. Professor einerseits die grundrechtliche Freiheit andererseits aber auch die dienstrechtliche Amtspflicht, sein Fach in Forschung und Lehre zu vertreten (dazu Scholz, in: Maunz-Dürig, GG Kommentar: Stand 2005, Art. 5 Abs. 3 RdNr. 172, 173), ohne dass Recht und Pflicht zur Lehre auch ein Recht auf deren Versagung enthielten (so Reich, a.a.O., § 43 RdNr. 8). Mit Blick auf das für sein Begehren geltend gemachte Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit muss sich der Antragsteller in diesem Zusammenhang ferner entgegenhalten lassen, dass das selbe Grundrecht der Hochschullehrer, die - wenn überhaupt möglich - kurzfristig für die Übernahme der von dem Antragsteller vertretenen Lehrveranstaltungen verpflichtet werden müssten, ebenso berührt wäre wie die maßgeblich in Art. 12 Abs. 1 GG oder ebenfalls in Art. 5 Abs. 3 GG wurzelnde Lern- und Studierfreiheit der Studierenden (zum Streitstand insoweit Reich, a.a.O., § 4 RdNr. 29 f.; vgl. ferner Epping, in: Leuze/Epping, HG NRW, Stand: Dezember 2003, § 82 RdNr. 3). Auch insoweit bedarf es einer Güterabwägung zwischen den widerstreitenden Grundsätzen mit dem Ziel, zunächst einen schonenden Ausgleich herbeizuführen; sollte sich ein solcher Ausgleich nicht erreichen lassen, so ist nach dem so genannten Prinzip der praktischen Konkordanz unter Berücksichtigung der falltypischen Gestaltungen und der besonderen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, welches Interesse zurückzutreten hat (BVerfG, Urt. v. 05.06.1973 - 1 BvR 536/72 -, BVerfGE 35, 202, 225 [BVerfG 05.06.1973 - 1 BvR 536/72]; ferner zum Prinzip praktischer Konkordanz Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 16. Auflage, RdNr. 72). Dass diese Abwägung zur Aufrechterhaltung und Fortsetzung des gegenwärtigen Lehrbetriebes im Fach Soziologie führt, hat der Senat vorstehend ausgeführt.

5

Die Verpflichtung der Antragsgegnerin, einen geordneten Lehrbetrieb im Fach Soziologie zu gewährleisten und aufrechtzuerhalten, bleibt auch nicht ohne Auswirkungen auf den vom Antragsteller geltend gemachten Anordnungsanspruch, die materielle Schutzwürdigkeit seines Begehrens, die sich nach § 24 Abs. 3 NGH beurteilt. Danach kann das Präsidium der Hochschule Professorinnen und Professoren auf deren Antrag nach Anhörung der Fakultät und der zuständigen Studiendekanin und des zuständigen Studiendekans in angemessenen Abständen für die Dauer von in der Regel einem Semester oder Trimester ganz oder teilweise für Forschungsvorhaben von anderen Dienstaufgaben freistellen, wobei die Freistellung eine ordnungsgemäße Vertretung des Faches voraussetzt (§ 24 Abs. 3 Satz 3 NHG). Danach befugt § 24 Abs. 3 NHG die Hochschulleitung zu einer Ermessensentscheidung, macht die Ausübung des Ermessens aber von vornherein vom Vorliegen näher umschriebener Tatbestandsvoraussetzungen wie angemessenen Abständen zwischen den Freistellungen und der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Vertretung des Faches abhängig. An dieser letzten gesetzlichen Voraussetzung des § 24 Abs. 3 Satz 3 NGH dürfte es mit Blick auf das Begehren des Antragstellers, ihm für das Sommersemester 2005 ein Forschungssemester zu gewähren, fehlen. Nach dem Kenntnisstand dieses Eilverfahrens konnte der Antragsteller dem Senat nicht glaubhaft vermitteln, dass im Falle seiner Freistellung die ordnungsgemäße Vertretung des Faches Soziologie an der Antragsgegnerin sichergestellt ist. Dabei kann es im Hinblick auf die insoweit bestehenden unterschiedlichen Auffassungen der Beteiligten auf sich beruhen, ob diese ordnungsgemäße Vertretung des Faches durch eine, zwei oder weitere Lehrpersonen, d.h. durch zur Lehre befugtes Personal, gewährleistet wird. Die Auslegung des § 24 Abs. 3 Satz 3 NHG hat sich maßgeblich am Zweck dieser Norm zu orientieren, der dahin geht, dass durch die Freistellung eines Hochschullehrers zu Forschungszwecken die Aufgaben der Universität, und zwar auch, soweit die Lehre betroffen ist, nicht beeinträchtigt werden, diese im Interesse der Studierenden vielmehr aufrecht erhalten wird. Unter einer ordnungsgemäßen Vertretung des Faches ist daher auch die Sicherstellung der Lehre zu verstehen, die zur Einhaltung des nach der Studien- und Prüfungsordnung maßgeblichen Lehrangebots erforderlich ist (so Detmer, in: Leuze/Epping a.a.O., § 51 RdNr. 14, Roellecke, VBlBW 1993, 410, 412; Waldeyer, WissR 33 (2000), 50, 55). Dass diese Voraussetzungen im Falle der Freistellung des Antragstellers gegeben sein könnten, vermag der Senat nicht zu erkennen.

6

Mit Blick auf die vorstehend genannten Anforderungen übersieht der Senat nicht, dass sich die Sicherstellung des Lehrangebots von vornherein an kleineren Hochschulen und in den Fächern als schwierig gestalten kann, in denen infolge einer weit gehenden Spezialisierung oder auf Grund der Größe und Ausgestaltung eines Instituts oder Lehrstuhls vertretungsbefugtes Lehrpersonal nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung steht. Dies besagt jedoch nicht, dass dem gesetzlichen Postulat des § 24 Abs. 3 Satz 3 NHG nicht Rechnung zu tragen wäre, und begründet mit Blick auf die Freistellung von Professoren, die in Fächern mit einem größeren Angebot an Lehrpersonal unterrichten, für sich gesehen noch keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil insoweit auf die unterschiedliche Personalausstattung in der Vertretung einzelner Studienfächer abzustellen und in den meisten Fällen von nicht gleich gelagerten, vielmehr unterschiedlichen Sachverhalten auszugehen sein dürfte. Anders als die Beteiligten offensichtlich meinen, wäre insofern auch nicht die Ermessensebene der Hochschulleitung berührt, da es noch um die Erfüllung eines der Ermessensentscheidung vorgeschalteten Tatbestandsmerkmals geht (s. § 24 Abs. 3 Satz 3 NGH). Soweit sich der Antragsteller in diesem Zusammenhang darauf beruft, die Antragsgegnerin sei bei der Bewilligung von Freistellungsanträgen anderer Hochschullehrer großzügiger verfahren und habe in anderen Fächern an die Verpflichtung, das Lehrangebot sicherzustellen, weitaus geringere Anforderungen gestellt, würde dieser Hinweis - seine Richtigkeit unterstellt - darauf hindeuten, dass die Antragsgegnerin in nicht rechtmäßiger Weise Professoren für die Forschung freigestellt hat. Hieraus kann der Antragsteller für sein Begehren indes nichts herleiten, da die Rechtsordnung einen Anspruch auf Wiederholung oder Fortsetzung rechtswidrigen Verwaltungshandelns, also einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht, nicht kennt.

7

Dass die Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 Satz 3 NGH im Hinblick auf den vorliegend streitbefangenen Freistellungsantrag gegeben sein könnten, vermag der Senat nach dem Kenntnisstand dieses Eilverfahrens nicht zu erkennen. Zwar hat der Antragssteller mit Professor Dr. von B. formell einen Vertreter benannt, der auch seine Bereitschaft gezeigt hat, Einzelne seiner eigenen Lehrveranstaltungen mit Bezügen zum soziologischen Lehrangebot für Soziologiestudenten zu öffnen. Auch hat sich der Antragsteller auf ca. 18 Lehrveranstaltungen benachbarter Fächer wie Politik und Philosophie berufen, die nach seiner Auffassung zur Erweiterung des soziologischen Lehrangebots und zum Ausgleich seines persönlichen Lehrangebots geeignet gewesen seien. Diesen Kompensationsvorschlägen des Antragstellers ist die Antragsgegnerin jedoch mit dem Hinweis entgegengetreten, dass für das Sommersemester 2005 ein professorales Lehrangebot im Fach Soziologie angesichts der großen Nachfrage durch die Studierenden und des Stellenwerts, den dieses Fach mit den Fächern Politik und Philosophie habe, unverzichtbar sei, um das nach der maßgeblichen Prüfungsverordnung erforderliche Wahlpflichtfachangebot sicherzustellen. In diesem Zusammenhang sei das von Prof. Dr. von B. unterbreitete Angebot als unzureichend anzusehen, und der weitere zur Vertretung des Faches Soziologie befugte Hochschullehrer Prof. Dr. C. sei angesichts der für ihn in der Lehre ohnehin schon angespannten Situation darüber hinaus nicht in der Lage, zur Entlastung des Antragstellers eine noch größere Arbeitslast auf sich zu nehmen. Sollte dieser Einwand zutreffen, wären die Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 Satz 3 NHG nicht erfüllt. Der Senat braucht in diesem Eilverfahren den insoweit streitigen Sachverhalt indes nicht näher aufzuklären, da der Antragsteller für das laufende Sommersemester - wie im Zusammenhang mit dem Zulassungsgrund dargestellt - inzwischen vier Lehrveranstalten übernommen hat, die im Interesse der Studierenden weder einen Abbruch noch eine Verweisung auf andere Lehrveranstaltungen rechtfertigen, so dass im Falle der Freistellung des Antragstellers gegenwärtig die ordnungsgemäße Vertretung seines Faches nicht gewährleistet wäre. Da somit so die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 NGH nicht vorliegen, kommt es auf die Ermessensausübung der Antragsgegnerin und etwaige Ermessensfehler nicht mehr entscheidend an.

8

Hierzu sei angesichts des Streits der Beteiligten um eine sachgerechte Ermessensausübung lediglich zusätzlich angemerkt: Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 24 Abs. 3 NGH vor, hat sich das Präsidium der Hochschule bei seiner Entscheidung dann in erster Linie an dem Zweck der Ermessensermächtigung zu orientieren (§ 40 VwVfG), der dahin geht, einem Professor für eine längere zusammenhängende Zeitspanne einen Freiraum zu schaffen, in dem er sich Forschungsaufgaben widmen kann, zu deren Wahrnehmung er einerseits - wie bereits ausgeführt - dienstlich verpflichtet ist (§§ 43 Abs. 1 HRG, 24 Abs. 1 NHG), die er aber andererseits angesichts seiner weiteren Dienstpflichten, insbesondere seiner in der Regel starken Lehrbelastung, der Mitwirkung bei Prüfungen oder der Teilnahme an der Gremienarbeit nicht in dem gebotenen Umfang erfüllen kann (vgl. Thieme, a.a.O., RdNr. 755; derselbe in: Hailbronner/Geis, HRG, Stand: September 2004, § 43 RdNrn. 63 ff.; Detmer, in: Leuze/Epping a.a.O., § 51, RdNr. 2). Die Gewährung eines Forschungssemesters würde daher mit Blick auf den Forschungsauftrag eines Hochschullehrers eine befristete Änderung seiner Dienstpflichten bewirken (so Roellecke, a.a.O., 411).

9

Im Rahmen seiner sich an diesem Zweck orientierenden Ermessensausübung hat das Präsidium der Hochschule den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den Gleichheitsgrundsatz ebenso zu beachten wie mögliche Ermessensrichtlinien, sei es, dass die Hochschule eine solche zur näheren Konkretisierung ihrer Ermessensentscheidung selbst verfasst hat, sei es, dass sie sich aus Verwaltungsvorschriften wie einem Erlass der Aufsichtsbehörde, hier des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur, ergeben.

10

Soweit die Antragsgegnerin für ihre ablehnende Entscheidung in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts unter anderem den Erlass des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur vom 5. August 1994 und dessen Umsetzung durch das Rundschreiben ihres Hochschulrektors vom 8. März 1995 anführt, verkennt sie allerdings, dass der angeführte, zu einer früheren Fassung des NHG ergangene Erlass vom 15. August 1994 mit Blick auf den nunmehr geltenden § 24 Abs. 3 NHG nicht nur ermessenslenkende Überlegungen, sondern weitgehend norminterpretierende Gedanken enthält. Denn soweit der Erlass vom 5. August 1994 Ausführungen zu den an einen angemessenen Zeitabstand zu stellenden Anforderungen enthält und auch wiederum die ordnungsgemäße Vertretung des Faches in der Lehre anführt, knüpft er an die wesentlichen Tatbestandsmerkmale des § 24 Abs. 3 NGH an und gibt hierfür berücksichtigungsfähige Auslegungshilfen.

11

Zweifeln begegnet indes die Ermessensausübung der Antragsgegnerin im Hinblick auf die zum Sommersemester 2006 bevorstehende Emeritierung des Antragstellers. In diesem Zusammenhang vermag der Senat ihren Überlegungen allenfalls dahin zu folgen, dass die unmittelbare zeitliche Nähe eines Freistellungsantrags zu einer bevorstehenden Emeritierung oder zu einem Eintritt in den Ruhestand einen sachlichen Grund für eine ablehnende Ermessensbetätigung bilden kann. Dieser mag insbesondere dann begründet sein, wenn sich die Forschungsaufgaben des Hochschullehrers nicht als dringlich erweisen und er darauf verwiesen werden kann, sein Forschungsprojekt nach Erreichen der jeweiligen Altersgrenze zu einer Zeit durchzuführen, in der er zur Lehre nicht länger verpflichtet ist. Abweichende Überlegungen sind hier jedoch ebenso gerechtfertigt, wenn etwa die Abstände zwischen einzelnen Freistellungen eine nicht unerhebliche, das Maß des Angemessenen im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 NGH weit übersteigende Zeitspanne angenommen haben und/oder ein Hochschullehrer wegen der angespannten Personalsituation bei der Vertretung seines Faches in seinem Institut oder an seinem Lehrstuhl in der Vergangenheit nur selten in den Genuss eines Forschungssemesters gekommen ist oder wenn die Durchführung eines von ihm beabsichtigten und begonnenen Forschungsprojekts keinen Aufschub duldet. Auf jeden Fall hat das Präsidium der Hochschule in einem solchen Fall dessen jeweilige Umstände und Besonderheiten zu würdigen und sich insbesondere - da es hier um eine Ermessensentscheidung geht - auch von der Beachtung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG leiten zu lassen. Hat es in vergleichbaren Fällen anderen Professoren noch in deren Emeritierungsphase Forschungssemester gewährt, so wird es ohne sachlichen Grund von einer solchen Praktizierung seines Ermessens nicht einfach abrücken können.

12

Bedenken begegnet nach diesen Maßstäben die Feststellung der Antragsgegnerin in ihrem ablehnenden Bescheid vom 18. Januar 2005, mit der Ablehnung des Freistellungsantrags für das Sommersemester 2005 habe sich bei weiterem Anstieg der Wartezeit der Abstand zum letztmöglichen Emeritierungszeitpunkt um ein Semester verringert, und die zwei noch verbleibenden Semester im aktiven Dienstverhältnis könne der Antragsteller durch einen Antrag auf Emeritierung noch verkürzen. Damit sagt die Antragsgegnerin nichts anderes, als dass es der Antragsteller durch eine frühere Emeritierung selbst in der Hand habe, sich bald vollständig seinem Forschungsvorhaben widmen zu können, verkennt aber dabei, dass es das verbriefte Recht des Antragstellers ist, bis zum Erreichen der Altersgrenze alle mit dem Professorenamt verbundenen Pflichten auf sich zu nehmen und im Gegenzug auch die aus diesem Amt abzuleitenden Rechte wahrzunehmen.

13

Als unscharf erweisen sich schließlich auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu einer möglichen Verwertung der Forschungsergebnisse angesichts der bevorstehenden Emeritierung des Antragstellers. Als statthaft erachtet der Senat die Forderung an den um ein Forschungssemester nachsuchenden Professor, sein Forschungsprojekt vorzustellen und im Anschluss an die Bearbeitung einen Tätigkeitsbericht abzugeben (vgl. Thieme, Deutsches Hochschulrecht a.a.O., RdNr. 755). Das Recht zur Verbreitung der Forschungsergebnisse, namentlich die Entscheidung über Ort und Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung obliegt hingegen dem forschenden Hochschullehrer selbst (so Thieme a.a.O., RdNr. 127; Reich, a.a.O., § 4 RdNr. 14; Jarass/Pieroth, GG, 7. Aufl., Art. 5 RdNr. 137).

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

15

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Munk
Dr. Thiedemann
Prof. Dr. Petersen