Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.06.2005, Az.: 14 PS 1/05
Möglichkeit der Verweigerung der Aktenvorlage durch die Behörden; Geheimbehaltungsbedürftigkeit von Verfassungsschutzakten
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 09.06.2005
- Aktenzeichen
- 14 PS 1/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 32201
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2005:0609.14PS1.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AZ: 10 A 5681/04
Rechtsgrundlagen
- § 99 Abs. 1 S. 1 VwGO
- § 3 Abs. 1 NVerfSchG
- § 13 Abs. 1 S. 1 NVerfSchG
Fundstelle
- NVwZ-RR 2005, 819-820 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Antragsverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO
In der Verwaltungsrechtssache
hat der 14. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts
als Fachsenat nach § 189 VwGO
durch
den Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts Dr. van Nieuwland sowie
die Richter am Oberverwaltungsgericht Meyer-Lang und Kurbjuhn
am 9 . Juni 2005
beschlossen:
Tenor:
Die Verweigerung der Vorlage der Beiakten C bis E durch den Beigeladenen ist rechtmäßig.
Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Gründe
Der von dem Kläger sinngemäß gestellte Antrag festzustellen, dass die Verweigerung der Vorlage der Beiakten C bis E rechtswidrig ist, ist unbegründet.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten oder Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunde oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Macht die zuständige Behörde - wie vorliegend der Beigeladene mit seiner Sperrerklärung vom 11. Februar 2005 - von dieser Befugnis Gebrauch, so stellt der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts auf Antrag eines Beteiligten - hier des Klägers - ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss fest, ob die Verweigerung der Vorlage der Urkunden oder Akten rechtmäßig ist (§ 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Dieser Antrag nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO unterfällt nicht dem Vertretungszwang nach § 67 Abs. 1 VwGO (vgl. Brandenburg. OVG, Beschl. v. 29.6.2004 - 7 D 34/02. IC - , m.w.N.) und konnte deshalb von dem Kläger persönlich gestellt werden.
Der Feststellung nach § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO steht hier nicht entgegen, dass das Verwaltungsgericht das Zwischenverfahren durch Vorlage an den Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts nicht - wie in der Regel geboten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24. 11.2003 - 20 F 13/03 -, NVwZ 2004, 485) - durch Beschluss, sondern durch Verfügung des Vorsitzenden eingeleitet hat. Ein entsprechender Beschluss ist entbehrlich, wenn der Inhalt der zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei entscheidungserheblich ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.8.2004 - 20 F 19/03 -). Das ist hier der Fall. Für die Verweigerung der vom Kläger gegenüber dem Beklagten begehrten, nach § 13 Abs. 1 Satz 1 NVerfSchG nicht von weiteren Voraussetzungen abhängigen (vgl. insoweit zur abweichenden Rechtslage in Bayern den Beschluss des BVerwG v. 22.1.2004 - 20 F 6/03 -) Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten kommt es ersichtlich auf eine etwaige Geheimhaltungsbedürftigkeit der Angaben an, die in den ergänzend vorgelegten Beiakten enthalten sind.
Als Rechtsgrundlage für die Verweigerung der weiteren Akten- und Urkundenvorlage hat sich der Beigeladene als oberste Aufsichtsbehörde mit seiner Sperrerklärung vom 11. Februar 2005 gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO darauf berufen, dass deren Bekanntwerden dem Wohl des Landes Niedersachsen Nachteile bereiten würde und die Vorgänge ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssten.
Wie das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat (vgl. Beschl. v. 26.8.2004 - 20 F 19/03 -, m.w.N.), kann der - hier vorrangig von dem Beigeladenen geltend gemachte - Nachteil für das Wohl eines Bundeslandes u.a. darin bestehen, dass den Sicherheitsbehörden die Erfüllung ihrer Aufgaben einschließlich ihrer Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschwert oder Leben oder Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährdet wird. Die notwendige Geheimhaltung der Informationen, die die Sicherheitsbehörden gewonnen haben, der Schutz ihrer Informationsquellen, ihrer Arbeitsweise und ihrer Vertraulichkeitszusagen an Informanten können die oberste Aufsichtsbehörde im Rahmen einer nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gebotenen Ermessensentscheidung zur Verweigerung der Aktenvorlage berechtigen (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 27.10.1999 - 1 BvR 385/90 -, BVerfGE 101, 106, 128) [BVerfG 27.10.1999 - 1 BvR 385/90]. Die oberste Aufsichtsbehörde hat dabei im Rahmen ihrer Ermessensprüfung, die nach der vorrangigen Regelung des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO auch dann erforderlich ist, wenn die Behörde nach allgemeinen Geheimhaltungsvorschriften dem Betroffenen keinen Einblick in geheimhaltungsbedürftige Akten mit ihn betreffenden Daten gewähren darf (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.8.2004, a.a.O.), die Gründe, die für die Geheimhaltung sprechen, mit dem Interesse des Klägers an einer dem Art. 19 Abs. 4 GG gerecht werdenden Prozessführung abzuwägen. Die Geheimbehaltungsbedürftigkeit von Verfassungsschutzakten entfällt auch nicht dadurch, dass ihr Inhalt der Öffentlichkeit oder Beteiligten z.T. bekannt ist, wenn erst der Einblick in die vollständigen Originalakten eine weiter gehende Kenntnis von der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden, ihren Verbindungen zu anderen Behörden, von ihren Mitarbeitern und Informanten sowie deren Rekrutierung und Führung vermittelt, wie er in dieser Form bislang für die Beteiligten nicht besteht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.9.2004 - 20 F 20.03 -).
Gemessen an diesen Vorgaben ist es nicht zu beanstanden, dass der Beigeladene als oberste Aufsichtsbehörde die Beiakten C bis E gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht im Hauptsachverfahren vorgelegt hat. Der beschließende Senat hat sich durch Einsicht in die genannten Akten davon überzeugt, dass ihr Inhalt den genannten Kriterien entspricht und sie nicht in das Hauptsacheverfahren eingeführt werden mussten. Aus dem Inhalt dieser Akten ergeben sich insbesondere Rückschlüsse auf die nicht offenkundige Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden, ihren Erkenntnisstand sowie die Identität ihrer Mitarbeiter, so dass dem Beklagten bei der Bekanntgabe dieser Erkenntnisse die Erfüllung seiner Aufgaben nach § 3 Abs. 1 NVerfSchG erschwert würde und dem Land daher ein Nachteil i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO entstünde. Die danach bestehende Geheimhaltungsbedürftigkeit überwiegt in Anbetracht der Bedeutung der von dem Beklagten nach § 3 Abs.1 NVerfSchG wahrzunehmenden Aufgaben auch das Interesse des Klägers an der Kenntnis des Inhalts dieser Akten.
Dies gilt auch für das von dem Beigeladenen zum Inhalt der Beiakte C erklärte Schreiben vom 13. Mai 2005. Es enthält über die dem Kläger bekannte Sperrerklärung vom 11. Februar 2005 hinaus Klarstellungen und Konkretisierungen über den Inhalt der Beiakte C und musste dem Kläger deshalb nicht bekannt gegeben werden, da andernfalls der - zu Recht - für geheimhaltungsbedürftig erklärte Inhalt der Beiakte C auf diesem Wege mittelbar doch offenbart werden würde (vgl. den Senatsbeschl. v. 26. 4. 2005). Aus dem vom Kläger angeführten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2003 (- 20 F 16.03 -) ergibt sich nichts anderes. Danach dürfen im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO Schriftsätze nicht gegenüber dem Antragsteller geheim gehalten werden. Dem Schreiben des Beigeladenen vom 13. Mai 2005 kommt aber als Inhalt der Beiakte C eine solche Qualität nicht zu. Dass ein solches Schreiben unter den hier gegebenen Voraussetzungen auch nicht als Bestandteil der den Verfahrensbeteiligten zu offenbarenden Sperrerklärung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO anzusehen ist, hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 26. April 2005 angeführt.
Soweit der Kläger davon ausgeht, dass der Senat auch die Richtigkeit der in den geheimhaltungsbedürftigen Akten enthaltenen Informationen und Bewertungen, etwa hinsichtlich der Einstufung der Organisation Tablighi Jamaat als Beobachtungsobjekt nach § 3 Abs. 1 NverfSchG, zu überprüfen habe, und dazu eine Beweiserhebung anregt, trifft diese Rechtsansicht nicht zu. Die Entscheidungsbefugnis des Fachsenats nach § 99 Abs. 2 VwGO ist auf die Frage beschränkt, ob die Verweigerung der Aktenvorlage durch die Behörde rechtmäßig ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.7.2002 - 2 AV 1/02 -, NVwZ 2002, 1249 f., und v. 13.11.2002 - 2 AV 3/02 -, NVwZ 2003, 348 f.). Daher kommt es vorliegend auch nicht auf die vom Kläger für erheblich erachtete Rechtmäßigkeit der Änderung des Strafgesetzbuches durch Gesetz vom 22. August 2002 (BGBl. I S. 3390) an.
Der Beigeladene hat auch das ihm zustehende Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt. Dass er dabei das schutzwürdige Interesse des Klägers, zur sachgerechten Verfolgung seiner Rechte Kenntnis vom Inhalt der Akten zu erlangen, gegen die Notwendigkeit einer Geheimhaltung abgewogen und dem Geheimhaltungsinteresse nicht pauschal Vorrang eingeräumt hat, kommt bereits in der teilweisen Bekanntgabe der zur Person des Klägers bei dem Beklagten vorhandenen Daten in den Beiakten A und B zum Ausdruck.
Eine weiter gehende Begründung muss hier unterbleiben, weil die Entscheidungsgründe Art und Inhalt der geheim gehaltenen Akten nicht erkennen lassen dürfen (§ 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO).
Die Kostenentscheidung für das Zwischenverfahren (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 29.7.2002 - 2 AV 1.02; Senatsbeschl. vom 24.1.2003 - 14 PS 1/02 -) beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung nach § 63 GKG bedarf es nicht, da für das Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO vor dem Oberverwaltungsgericht keine Gerichtskosten vorgesehen sind, § 1 Nr. 2 GKG, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 9.7.2002 - 13a D 18/02 -).
Meyer-Lang
Kurbjuhn