Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.06.2005, Az.: 1 OA 263/04

Entstehen einer Beweisgebühr bei Verzicht des Gerichts auf einen förmlichen Beweisbeschluss; Beschwerde gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss; Anfechtung einer Baugenehmigung zur Erweiterung eines Stallgebäudes durch einen Nachbarn

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.06.2005
Aktenzeichen
1 OA 263/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 34131
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2005:0620.1OA263.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 27.08.2004 - AZ: 4 A 2881/01

Fundstellen

  • NVwZ-RR 2005, VI Heft 10 (Kurzinformation)
  • NVwZ-RR 2006, 736 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Anfechtung einer Baugenehmigung (Nachbarklage)
- Kostenbeschwerde -

Redaktioneller Leitsatz

Verzichtet das Gericht auf einen förmlichen Beweisbeschluss, ist für das Entstehen einer Beweisgebühr im gebührenrechtlichen Sinne erforderlich, dass die Absicht des Gerichts, eine Beweisaufnahme vorzunehmen, für die Beteiligten objektiv erkennbar war und zwar zum Zeitpunkt der Verfahrenshandlung, die die Beweisgebühr auslösen soll. Allein die Verwertung einer Beweisaufnahme im Urteil ist nicht aussagekräftig, hinzutreten müssen handfeste Indizien für den Willen des Gerichts eine Beweiserhebung durchzuführen.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 1. Senat -
am 20. Juni 2005
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer - vom 27. August 2004, mit dem das erstinstanzliche Gericht die Erinnerung der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 23. Juli 2004 zurückgewiesen hat, geändert.

Die von der Klägerin an den Beigeladenen zu 1) zu erstattenden Kosten werden auf 1.177,90 EUR festgesetzt. Diese Kosten sind ab dem 8. Juli 2004 mit 5% über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB zu verzinsen.

Der Beigeladene zu 1) trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 483,17 EUR festgesetzt.

Gründe

1

Die Beteiligten streiten um die Erstattungsfähigkeit einer anwaltlichen Beweisgebühr.

2

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen eine dem Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung zur Erweiterung eines Stallgebäudes.

3

Das Verwaltungsgericht führte im Klageverfahren am 17. Juni 2004 vor Ort einen Erörterungstermin mit drei Berufsrichtern durch, nachdem zuvor festgestellt worden war, dass die Ladung der ehrenamtlichen Richter für die an diesem Tag anberaumte mündliche Verhandlung versehentlich unterblieben war. Die Beteiligten verzichteten im Erörterungstermin auf mündliche Verhandlung.

4

Das Verwaltungsgericht wies mit Urteil vom gleichen Tag die Klage ab und erklärte die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 1) für erstattungsfähig. Am Ende des Tatbestandes seines Urteils verwies das Gericht darauf, dass im Rahmen des Erörterungstermins eine Ortsbesichtigung durchgeführt worden sei. Auf den Seiten 11 und 12 des Urteilsabdruckes nahm das Verwaltungsgericht eine rechtliche Würdigung des Ergebnisses der Ortsbesichtigung vor.

5

Auf Antrag des Beigeladenen zu 1) setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit Beschluss vom 23. Juli 2004 die von der Klägerin an den Beigeladenen zu 1) zu erstattenden Kosten auf 1.738,37 EUR (1.498,60 EUR zuzüglich 16 v.H. Mehrwertsteuer = 239,78 EUR) fest, darunter eine Beweisgebühr in Höhe von 483,17 EUR.

6

Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Klägerin geltend gemacht, dass die Beweisgebühr anlässlich des durch die Berufsrichter vor Ort durchgeführten Erörterungstermins nicht entstanden sei. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 27. August 2004 die Erinnerung der Klägerin zurückgewiesen. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen.

7

Die Beschwerde der Klägerin ist begründet.

8

Die von dem Beigeladenen zu 1) geltend gemachte Beweisgebühr ist nicht entstanden. Die Beweisgebühr von 483,17 EUR ist deshalb abzusetzen. Nach § 114 i.V.m. § 31 Abs. 1 Nr. 3 der hier noch anzuwendenden BRAGO erhält der Rechtsanwalt eine volle Gebühr für die Vertretung in Beweisaufnahmeverfahren. Die Frage, wann eine die Beweisgebühr auslösende Beweisaufnahme durchgeführt wurde, lässt sich nicht allein nach prozessrechtlichen Grundsätzen beantworten. Grundsätzlich ist zwar für die gebührenrechtliche Beweisaufnahme eine gerichtliche Ermittlungstätigkeit mit den zugelassen Beweismitteln und in der vorgeschriebenen Form zu fordern. Andererseits kann es der Zweck der Beweisgebühr - Abgeltung des Mehraufwandes des Prozessbevollmächtigten - rechtfertigen, Verfahrenshandlungen des Gerichts als Beweisaufnahme anzusehen, auch wenn sie den formellen Anforderungen nicht genügen (OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.9.1990 - 4 O 7, 8/90 -, NVwZ-RR 1991, 279; HessVGH, Beschl. v. 17.3.1995 - 4 TJ 487/95 -, NVwZ-RR 1995, 423). Gegen eine gebührenauslösende Beweisaufnahme spricht deshalb nicht schon der Umstand, dass das Verwaltungsgericht einen förmlichen Beweisbeschluss des Inhalts, Beweis durch Augenscheinseinnahme zu erheben, nicht gefasst hat.

9

Verzichtet das Gericht - wie hier - auf einen förmlichen Beweisbeschluss, ist für das Entstehen einer Beweisgebühr im gebührenrechtlichen Sinne allerdings erforderlich, dass die Absicht des Gerichts, eine Beweisaufnahme vorzunehmen, für die Beteiligten objektiv erkennbar war, und zwar zum Zeitpunkt der Verfahrenshandlung, die die Beweisgebühr auslösen soll (HessVGH, Beschl. v. 8.6.2000 - 10 S 763/00 -, NVwZ-RR 2001, 415). Die Verwertung einer Beweisaufnahme durch das Gericht im Urteil ist deshalb für sich genommen nicht aussagekräftig, weil eine solche rechtliche Bewertung auf einer ex-post-Betrachtung fußte. Hinzutreten müssen handfeste Indizien dafür, dass der Wille des Gerichts darauf gerichtet war, eine Beweiserhebung durchzuführen. Solche Anhaltspunkte können sich beispielsweise aus den Umständen der gerichtlichen Befragung eines Sachverständigen oder eines Zeugen ergeben (OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.9.1990 - 4 O 7, 8/90 -, a.a.O.; Beschl. d. Sen. v. 14.7.2003 - 1 OA 86/03 -, V.n.b.). Für die Beantwortung der Frage, ob eine Beweiserhebung stattgefunden hat, ist regelmäßig auch die Niederschrift zu der von dem Gericht durchgeführten Verhandlung heranzuziehen. Sind ihr Hinweise auf eine Beweiserhebung zu entnehmen, kann dies für das Entstehen einer Beweisgebühr ausreichend sein. So liegt der Fall hier nicht.

10

Für die Beteiligten des Verfahrens war nicht erkennbar, dass das Verwaltungsgericht die Absicht verfolgt hat, im Zuge des Erörterungstermins vom 17. Juni 2004 eine Ortsbesichtigung durchzuführen, und diese Absicht ausweislich des Urteils auch umgesetzt hat. Wie bereits ausgeführt, lag ein Beweisbeschluss des Verwaltungsgerichts nicht vor. In der Ladung zu dem Termin ist lediglich die Rede davon, dass "eventuell im Rahmen der Verhandlung eine Ortsbesichtigung durchgeführt wird". Dem Vorbringen der Beteiligten ist nicht zu entnehmen, dass sich die drei Berufsrichter im Erörterungstermin dazu geäußert haben, ob eine Ortsbesichtigung stattfinden soll. Auch das Verwaltungsgericht stützt seinen die Erinnerung der Klägerin zurückweisenden Beschluss vom 27. August 2004 nicht darauf, dass eine solche Absicht den Beteiligten im Erörterungstermin mitgeteilt worden sei. Der Niederschrift zu dem Erörterungstermin ist ebenfalls kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass das Verwaltungsgericht eine Ortsbesichtigung durchgeführt hat. Dort ist weder von einer Augenscheinseinnahme die Rede noch sind Wahrnehmungen der Richter protokolliert. Auch sonstige Umstände, die auf die Durchführung einer Ortsbesichtigung hindeuten könnten, sind nicht ersichtlich. Angesichts dieser Verfahrensweise des Verwaltungsgerichts besteht keine Rechtfertigung dafür, die Erstattungsfähigkeit der geltend gemachten Beweisgebühr anzuerkennen. Da weder die Beteiligten noch die anwesenden Rechtsanwälte erkannt haben beziehungsweise hätten erkennen können, dass eine Beweisaufnahme durchgeführt wurde, ist für den Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen zu 1) kein Mehraufwand entstanden, der mit der Beweisgebühr abgeltungsfähig wäre.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

12

[...].

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 483,17 EUR festgesetzt.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 3 GKG 2004.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 2004).

Dr. Jenke
Dr. Berner-Peschau
Muhsmann