Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.01.2023, Az.: 1 LA 89/22

Zulässigkeit einer Suchtberatungsstelle in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet; Nutzungsänderungsgenehmigung für den Betrieb einer Suchtberatungsstelle

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.01.2023
Aktenzeichen
1 LA 89/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 10288
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0118.1LA89.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 05.07.2022 - AZ: 4 A 1267/21

Fundstelle

  • NordÖR 2023, 120

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Zur Zulässigkeit einer Suchtberatungsstelle in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet.

  2. 2.

    Eine (Nutzungs-)Änderungsgenehmigung ist eine vollwertige Baugenehmigung, die das gesamte Vorhaben in seiner geänderten Gestalt zum Gegenstand hat. Der Wirksamkeit einer Vorgängergenehmigung bedarf sie - anders als eine lediglich Details des Vorhabens betreffende und auf diese beschränkte Nachtragsgenehmigung - grundsätzlich nicht.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer (Einzelrichter) - vom 5. Juli 2022 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 25.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Nutzungsänderungsgenehmigung für den Betrieb einer Suchtberatungsstelle. Sie fürchtet Nachteile für ihr dem Vorhaben benachbartes Wohnhaus.

Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks A-Straße im Stadtgebiet der Beklagten. Auf dem östlichen Nachbargrundstück, an der Ecke G. / H. straße steht seit den 1920er Jahren ein größeres ehemaliges Wohn- und Geschäftshaus, das in den Jahren vor 2017 als Wohnheim für Suchtkranke genutzt worden war. Beide Grundstücke liegen, ebenso wie die nördlich und westlich angrenzende Bebauung, im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 278 der Beklagten von 1985, der dort ein Allgemeines Wohngebiet festsetzt.

Unter dem 21. Juli 2020 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die streitgegenständliche Baugenehmigung zur Nutzungsänderung des Vorhabens hin zu einer Beratungsstelle für Suchtprävention mit fünf notwendigen Einstellplätzen auf dem Grundstück und drei weiteren in ca. 300 m fußläufiger Entfernung.

Die dagegen von der Klägerin nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen und zur Begründung - in wesentlichen Teilen durch Wiederholung der Gründe eines vorangegangenen ablehnenden Eilbeschlusses vom 12. Mai 2021 (4 B 1665/21) - ausgeführt: Die Baugenehmigung verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten, insbesondere nicht in ihrem Gebietserhaltungsanspruch. Das Vorhaben sei seiner Art nach als Anlage für soziale, ggf. auch gesundheitliche Zwecke im festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig. Ob das Gebiet tatsächlich den Charakter eines Reinen Wohngebiets habe, sei unerheblich. Funktionslos werde der Plan hierdurch nicht. Auch ein "Gebietsprägungserhaltungsanspruch" - ob es einen solchen gebe, sei umstritten - werde jedenfalls deshalb nicht verletzt, weil das Vorhaben nicht entgegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO ausnahmsweise nach Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widerspreche. Die diesbezüglichen Anforderungen seien hoch und hier nicht erfüllt. Die Beratungsstelle liege am Rande des festgesetzten Wohngebietes und grenze beinahe an die östlich verlaufende Autobahn an. Für ein Allgemeines Wohngebiet untypischer Verkehr werde nicht in das Gebiet hineingetragen. Hinsichtlich des Umfangs sei der genehmigte Betrieb - Beratung schwerpunktmäßig nach Terminvereinbarung und für "gut angepasste, häufig berufstätige Substituierte" - zu betrachten. Eine räumliche Nähe zu den Tagesaufenthalten Süchtiger bestehe nicht; "niedrigschwellige" Hilfsangebote würden an anderer Stelle angesiedelt. Gewisse Störungen der Wohnruhe nehme der Gesetzgeber im Allgemeinen Wohngebiet hin. Der über das Wohngebiet hinausreichende Einzugsbereich rechtfertige die Annahme einer Gebietsunverträglichkeit nicht. Auf die Frage, ob der Standort durch die bis 2017 betriebene soziale Einrichtung nachwirkend geprägt werde, oder Fragen des Bestandsschutzes komme es daher nicht an. Die Maßfestsetzungen des Bebauungsplans seien in aller Regel und auch hier nicht drittschützend; auch insoweit seien Bestandsschutzfragen daher unerheblich.

Das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt. Unzumutbare Belästigungen durch die Nutzer der Einrichtung seien angesichts des Schwerpunktes der Beratung von "Angepassten" nicht zu erwarten. Der entsprechende Beratungsschwerpunkt der Einrichtung könne mit hinreichender Bestimmtheit aus den Bauvorlagen und der Betriebsbeschreibung entnommen werden. Ein "Etikettenschwindel" liege nicht vor. Unzumutbarer Parksuchverkehr sei ebenfalls nicht zu erwarten. Das Vorhabengrundstück verfüge über eine eigene Zufahrt, auf der Fahrzeuge abgestellt werden könnten. Die an den Seiten der Straße "G." befindlichen Parkgelegenheiten seien bei einer Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit (vormittags) nicht annähernd ausgeschöpft gewesen. Auch in der H. straße seien diverse Parkmöglichkeiten am Straßenrand vorhanden gewesen. Die Straßen würden im Bereich des Baugrundstücks zudem nur wenig befahren. Die behauptete besondere Belastung durch Umgehungsverkehr habe weder von den Fachämtern der Beklagten noch durch Wahrnehmung vor Ort bestätigt werden können. Nach dem Betriebskonzept seien die neun Mitarbeiter der Beratungsstelle nicht alle gleichzeitig anwesend. Eine Anreise sei auch mit dem ÖPNV möglich; per Fahrrad anfahrende Besucher seien nach den Erfahrungen der Beigeladenen in einiger Zahl zu erwarten. Die Zahl der durchschnittlich erwarteten Besucher betrage über den gesamten Tag verteilt 24 und werde durch Terminvergabe gesteuert. Soweit zeitweilig ein Mehrbedarf jenseits der notwendigen Stellplätze entstehen sollte, wäre dieser im öffentlichen Verkehrsraum zu decken. Etwaige daraus folgende Schwierigkeiten seien mit den Mitteln des Straßenverkehrsrechts zu lösen. Die bestimmungsgemäße Nutzung des Grundstücks der Klägerin werde nicht unzumutbar beeinträchtigt. § 47 NBauO sei trotz Unterschreitung der Richtzahlen - nach diesen seien 13-14 notwendige Einstellplätze vorzuhalten - wohl nicht verletzt; die Richtzahlen seien keine zwingenden Vorgaben und könnten hier nach den Umständen des Einzelfalls zu hoch liegen. Jedenfalls folge aus einer Unterschreitung der Richtzahlen keine Nachbarrechtsverletzung, da das Gebot der Rücksichtnahme, wie ausgeführt, gewahrt werde. Gleiches gelte hinsichtlich der Frage, ob die in ca. 300 m fußläufiger Entfernung gelegenen Stellplätze noch in der Nähe des Vorhabens i.S.d. § 47 Abs. 4 Satz 1 NBauO lägen; im Übrigen sei dies noch zu bejahen. Wertminderungen ihres Grundstücks, von denen die Klägerin ausgehe, begründeten für sich genommen keine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes.

II.

Der dagegen gerichtete, auf die Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel und erheblicher Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 5 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1.

Ernstliche Zweifel sind dann dargelegt, wenn es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung im angegriffenen Urteil mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändert. Überwiegende Erfolgsaussichten sind nicht erforderlich; es genügt, wenn sich diese als offen darstellen. Dies darzulegen ist der Klägerin nicht gelungen.

a)

Soweit die Klägerin mit der Zulassungsbegründung erneut geltend macht, das Vorhaben müsse sich an den Vorgaben für ein Reines Wohngebiet messen lassen, hat das Verwaltungsgericht hierzu das Nötige gesagt: Das Vorhaben soll in einem durch Bebauungsplan als Allgemeines Wohngebiet festgesetzten Gebiet verwirklicht werden, in dem die Beratungsstelle als Anlage für soziale Zwecke allgemein zulässig ist; einen Gebietsbezug fordert § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO für solche Anlagen nicht.

b)

Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, das Verwaltungsgericht habe die von dem Vorhaben ausgehenden Störungen für die Nachbarschaft unterschätzt. Das gilt zunächst hinsichtlich des vorhabenbedingten Zu- und Abgangsverkehrs. Das Verwaltungsgericht ist insoweit zutreffend davon ausgegangen, dass die Anforderungen an eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots oder gar eines Anspruchs auf Erhalt des Gebietscharakters hoch sind. Erst wenn die Nutzbarkeit des eigenen Grundstücks der Klägerin vorhabenbedingt nicht nur in Ausnahmefällen erheblich eingeschränkt wäre, etwa weil ihre Einfahrt regelmäßig zugeparkt würde oder der Zu- und Abgangsverkehr eine Dichte erreichte, der ein Ein- und Ausfahren nicht mehr möglich machte, käme eine Nachbarrechtsverletzung in Betracht. Dafür bestehen auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens keine Anhaltspunkte.

Der Klägerin dürfte zwar darin zuzustimmen sein, dass die auf dem Vorhabengrundstück zu schaffenden fünf Einstellplätze nicht zu jedem Zeitpunkt ausreichend sein werden, den Stellplatzbedarf von bis zu neun freilich sicher nicht durchweg mit PKW anreisenden Mitarbeitern (nach der Betriebsbeschreibung im "worst case" z.B. Mittwochvormittag gleichzeitig anwesend) sowie von über den Tag verteilt bis zu 51 Besuchern ("worst case" dürfte insoweit das Gruppenangebot Donnerstagabend mit 12 wohl gleichzeitig anwesenden Besuchern sein) zu decken. Ob die in einer fußläufigen Entfernung von 300 m jenseits der A 28 gelegenen, durch Baulast gesicherten drei Einstellplätze tatsächlich eine substantielle Entlastungsfunktion werden erfüllen können, ist zweifelhaft. Allerdings ist, wie die Beklagte zu Recht ausführt, nicht zu erwarten, dass die Klientel der Einrichtung, die zu einem guten Teil nicht über eine Fahrerlaubnis verfügen und auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht im Besitz eines Kraftfahrzeugs sein wird, überwiegend mit einem solchen anreisen wird.

Daraus, dass ein Teil des vorhabenbedingten Stellplatzverkehrs voraussichtlich im öffentlichen Straßenraum wird abgewickelt werden müssen, ergibt sich jedoch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gegenüber der Klägerin nicht. Allein die nicht von Zufahrten in Anspruch genommenen Seitenstreifen des Vorhabengrundstücks bieten Platz für etwa fünf PKW. Auch vor den übrigen Grundstücken entlang der Straße G. und der I. Straße ist zusätzlich zu den grundstückseigenen Stellplätzen Raum zum Abstellen von PKW, so dass auch Zweitwagen und Besucherfahrzeuge abgestellt werden können. Die unbebaute östliche Straßenseite der H. straße bietet auf einer Länge von mindestens 50 m, der unbebaute Abschnitt der Straße G. zwischen der Einmündung der H. straße und der Autobahnbrücke auf einer Länge von ca. 15 m weiteren Parkraum. Vor diesem Hintergrund hätte die Behauptung der Klägerin, die Parksituation in der Umgebung des Vorhabens sei "angespannt bis chaotisch" eines höheren Substantiierungsgrades bedurft als des zur Begründung des Zulassungsantrags lediglich eingerückten Vortrags der Klägerin im Eilverfahren 4 B 1665/21, verschiedene, nur teilweise konkretisierte Wohngemeinschaften in der Umgebung hielten mehr Fahrzeuge als notwendige Einstellplätze vor. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte im Eilverfahren (Schriftsatz vom 21. April 2021, Blatt 14) angegeben hat, regelmäßige Überprüfungen der Parksituation durch ihren Außendienst hätten nur in Ausnahmefällen Verstöße wegen fälschlichen Parkens ergeben, und auch der Einzelrichter des Verwaltungsgerichts bei einer informellen Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit an einem Vormittag im Vorfeld des Eilbeschlusses vom 12. Mai 2021 festgestellt hatte, dass das Stellplatzangebot in der Umgebung des Vorhabens nicht annähernd ausgeschöpft gewesen sei. Dass das Verwaltungsgericht diese mit dem Eilbeschluss offengelegte Erkenntnis, der die Klägerin im Hauptsacheverfahren trotz entsprechender Gelegenheit nicht entgegengetreten ist, für seine Entscheidungsfindung herangezogen hat, ist nicht zu beanstanden. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Nutzer des Vorhabens allenfalls in besonderen Ausnahmefällen eine derart angespannte Stellplatzsituation vorfinden werden, dass sie verkehrswidrig die Einfahrt der Klägerin behindern werde, ist nach alledem nicht ernstlich zweifelhaft. Soweit die Klägerin aus der Suchtbeeinträchtigung der Klientel des Vorhabens eine erhöhte Neigung zu verkehrswidrigem Parken ableitet, ist ihr entgegenzuhalten, dass diejenigen Klienten der Beigeladenen, die gesundheitlich nicht in der Lage sind, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen, in der Regel über keine Fahrerlaubnis (mehr) verfügen dürften.

Anhaltspunkte dafür, dass der fließende Verkehr vor dem Grundstück der Klägerin durch den Zu- und Abgangsverkehr des Vorhabens auf ein unzumutbares Maß gesteigert würde, bestehen nicht. Selbst das Hinzutreten von 60 Zu- und 60 Abfahrtsbewegungen täglich - dies würde voraussetzen, dass am Tag mit der höchsten Besucherzahl alle Mitarbeiter und alle Klienten mit je einem PKW an- und abführen, und ist, wie bereits ausgeführt, fernliegend - würde über den Tag gemittelt nur eine verhältnismäßig geringe Verkehrsintensität bewirken: Innerhalb der Betriebszeit von 8 bis 20 Uhr ergäbe sich im Schnitt eine An- oder Abfahrt alle 6 Minuten.

c)

Auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, von den Klienten der Beigeladenen selbst ausgehende, "drogenmilieutypische" Belästigungen der Nachbarschaft seien allenfalls als Ausnahme und nicht in einem im Allgemeinen Wohngebiet unzumutbaren Umfang zu erwarten, begegnet nicht den dargelegten ernstlichen Richtigkeitszweifeln. Ohne Erfolg rügt die Klägerin insoweit, die Einhaltung des Betriebskonzepts mit seinem Schwerpunkt auf "hochschwelligen" Angeboten und der Beratung angepasster Substituierter sei in der Baugenehmigung nicht verbindlich vorgegeben. Das Betriebskonzept ist durch Grünstempel zum Bestandteil der Baugenehmigung geworden; eine vom Betriebskonzept abweichende Betriebsweise ist damit nicht von der Baugenehmigung gedeckt und mithin - da als Nutzungsänderung genehmigungsbedürftig - formell baurechtswidrig. Das würde auch für die von der Klägerin befürchtete vorübergehende Unterbringung auf Entzug befindlicher Drogenkonsumenten gelten; diese wäre - auch wenn sie für sich genommen vielleicht noch unter den Begriff der "Betreuung erstauffälliger Drogenkonsumenten" gefasst werden könnte - mit der Vorhabenbeschreibung als "Beratungsstelle" unvereinbar; aus dieser ergibt sich mit hinreichender Bestimmtheit, dass auch die genannte Betreuung nur eine ambulante Beratung sein kann. Die von der Klägerin geforderte Auflage, dass eine abweichende Nutzung über die Angaben im Betriebskonzept hinaus untersagt würde, würde die Möglichkeiten der Beklagten zu bauaufsichtlichem Einschreiten dem gegenüber nicht erweitern.

d)

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Behauptung der Klägerin, das Vorhaben erschwere nach Auskunft von Immobilienmaklern die Veräußerung ihrer Grundstücke, nicht als Indiz für einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot gewertet. Eine vorhabenbedingte Wertminderung, wenn sie denn vorläge, kann auch auf Bewertungsfaktoren beruhen, die bodenrechtlich irrelevant sind, etwa Vorurteilen potentieller Käufer, die in den tatsächlichen Auswirkungen des Vorhabens keine Rechtfertigung finden. Einen solchen Vorurteilen Rechnung tragenden "Milieuschutz" bietet das öffentliche Baurecht jedoch nicht.

2.

Die Berufung ist nicht aufgrund von Verfahrensmängeln zuzulassen, auf denen das Urteil i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beruhen könnte.

a)

Soweit die Klägerin mit ihrer Rüge, das Verwaltungsgericht habe seine außerhalb einer mündlichen Verhandlung im Eilverfahren gewonnenen Erkenntnisse über die Verkehrssituation im Umfeld des Vorhabens bei der Entscheidungsfindung verwertet, sinngemäß einen Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs geltend macht, ist ihr entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht ihr im Hauptsacheverfahren mit Verfügung vom 11. Februar 2022 hinreichend Gelegenheit gegeben hat, sich mit seinen Ausführungen im Eilbeschluss auseinanderzusetzen.

b)

Ihre Rüge, das Verwaltungsgericht habe es unter Verletzung seiner Amtsermittlungspflicht versäumt, Auskünfte zur hypothetischen Verkehrswertentwicklung nach Umsetzung des Vorhabens in dessen Umfeld einzuholen, bleibt ohne Erfolg, da maßgeblich für den Umfang der Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts die Rechtsauffassung des Gerichts ist; das Verwaltungsgericht hat etwaige vorhabenbedingte Grundstückswertminderungen jedoch - im Übrigen zu Recht - als unerheblich für die Frage der Einhaltung des Rücksichtnahmegebots angesehen.

c)

Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit dem Einwand der Klägerin auseinandergesetzt, die frühere(n) Baugenehmigung(en) für das Gebäude der Beigeladenen sei(en) erloschen, genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen an eine Verfahrensrüge. Es fehlt an der Angabe, gegen welche Verfahrensnorm das Gericht verstoßen haben sollte. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin annähme, sie habe eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dadurch, dass das Verwaltungsgericht ihren Vortrag nicht zur Kenntnis genommen habe, geltend machen wollen, läge jedenfalls in der Sache kein Zulassungsgrund vor. Das Verwaltungsgericht ist auf das Vorbringen der Klägerin, die für das Vorhaben mit früheren Nutzungen erteilten Genehmigungen seien erloschen, eingegangen und hat hierzu ausgeführt, auf Fragen des Bestandsschutzes komme es nicht an, da das Vorhaben auch ohne Berücksichtigung früher am Standort vorhandener sozialer Anlagen seiner Art nach bauplanungsrechtlich zulässig sei und ggf. überschrittene Maßfestsetzungen im Bebauungsplan nicht drittschützend seien (UA S. 18/19).

Soweit die Klägerin mit der Zulassungsbegründung geltend macht, das Vorhaben sei unzulässig, da das Erlöschen früherer Baugenehmigungen das Erfordernis begründe, eine neue Baugenehmigung (verstanden als Gegensatz zu einer Änderungsgenehmigung) zu erteilen, ist dies eine Gedankenführung, die so im erstinstanzlichen Verfahren nicht deutlich gemacht wurde und daher vom Verwaltungsgericht auch nicht behandelt werden musste. Sie ginge auch in der Sache fehl. Eine (Nutzungs-)Änderungsgenehmigung ist eine vollwertige Baugenehmigung, die das gesamte Vorhaben in seiner geänderten Gestalt zum Gegenstand hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.6.1993 - 4 C 17.91 -, NVwZ 1994, 294 = juris Rn. 16). Der Wirksamkeit einer Vorgängergenehmigung bedarf sie - anders als eine lediglich Details des Vorhabens betreffende und auf diese beschränkte Nachtragsgenehmigung - grundsätzlich nicht. Eine wirksame Vorgängergenehmigung kann lediglich dazu führen, dass Aspekte des Vorhabens, auf die die (Nutzungs-)Änderung sich nicht auswirkt, nicht erneut geprüft werden müssen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.2.2000 - 4 B 106.99 -, NVwZ 2000, 1047 = BRS 63 Nr. 172 = juris Rn. 2). Dass dies hier hinsichtlich nachbarschützender Belange - nur auf deren Verletzung kann sich die Klägerin berufen - unterblieben wäre, ist nicht vorgetragen und auch nicht ansatzweise ersichtlich.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 7 a), 1 a) der auf der Website des Oberverwaltungsgerichts abrufbaren Streitwertannahmen des Senats für ab dem 1. Juni 2021 eingegangene Verfahren. Eine Korrektur der abweichenden Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ist nicht angezeigt, da das Verfahren in erster Instanz vor diesem Stichtag eingeleitet worden ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).