Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.01.2023, Az.: 4 LA 111/22

Besorgnis der Befangenheit eines Richters wegen Vorbefassung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.01.2023
Aktenzeichen
4 LA 111/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 10257
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0120.4LA111.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 11.07.2022 - AZ: 12 A 2491/18

Fundstellen

  • FA 2023, 88
  • NordÖR 2023, 124

Amtlicher Leitsatz

Die Mitwirkung eines Richters an einer früher ergangenen und für den Beteiligten ungünstigen oder ihn enttäuschenden Entscheidung vermag die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht zu begründen. Verständiger Anlass zu einem aus einer Vorbefassung hergeleiteten Misstrauen eines Beteiligten gegen die Unparteilichkeit eines Richters besteht erst dann, wenn sich aufgrund besonderer zusätzlicher Umstände der Eindruck einer unsachlichen, durch Voreingenommenheit oder gar Willkür geprägten Einstellung des Richters aufdrängt (Anschluss BVerwG, Beschl. v. 11.12.2012 - 8 B 64.12 -, juris Rn. 19).

Tenor:

Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen den Richter am Oberverwaltungsgericht D. und die Richterin am Oberverwaltungsgericht E. als Richter des 4. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts wird zurückgewiesen.

Gründe

Das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen die im Tenor genannten Richter des 4. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit bleibt ohne Erfolg.

Gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Die Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit verlangt daher nicht, dass der Richter tatsächlich befangen, voreingenommen oder parteiisch ist. Es genügt, wenn vom Standpunkt der Beteiligten aus gesehen hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an seiner Unparteilichkeit zu zweifeln. Die rein subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht dagegen zur Ablehnung nicht aus (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.10.2017 - 9 A 16.16 -, juris Rn. 2 u. Beschl. v. 12.9.2012 - 2 AV 11.12 u.a. -, juris Rn. 4; BVerfG, Kammerbeschl. v. 24.2.2009 - 1 BvR 182/09 -, juris Rn. 13; jeweils m.w.N.). Gemessen daran liegen hinreichende objektive Gründe, die bei vernünftiger Betrachtungsweise Anlass geben, an der Unparteilichkeit der abgelehnten Richter des 4. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zu zweifeln, nicht vor.

Der Beklagte hat gegen den Kläger am 8. Februar 2017 eine naturschutzrechtliche Anordnung erlassen, mit deren Ziffern 1.1 und 1.2 ihm unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Wiederherstellung des vorherigen Zustands nach der Beseitigung von vier Eichen und einer Weißdornhecke aufgegeben worden ist. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. September 2017 (- 12 B 2436/17 -) den Antrag des Klägers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die genannten Regelungen des Bescheids abgelehnt. Die hiergegen erhobene Beschwerde des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 24. November 2017 (- 4 ME 352/17 -) zurückgewiesen. An diesem Beschluss haben u.a. die im Tenor bezeichneten Richter des Senats mitgewirkt. Mit seinem vorliegenden Antrag auf Zulassung der Berufung richtet sich der Kläger gegen das im Hauptsacheverfahren ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 11. Juli 2022 (- 12 A 2491/18 -), mit welchem seiner Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Februar 2018 hinsichtlich einer Einzelbestimmung stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen worden ist.

Mit Schriftsatz vom 1. November 2022 macht der Kläger eine Besorgnis der Befangenheit gegen die im Tenor bezeichneten Richter des Senats geltend. Zur Begründung seiner Befangenheitsrüge trägt er hierin sowie in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14. November 2022 vor, dass sich die Besorgnis der Befangenheit aus den Ausführungen im Senatsbeschluss vom 24. November 2017 (- 4 ME 352/17 -) ergebe, an welchem die benannten Richter mitgewirkt hätten. In diesem sei ausgeführt worden, dass ein vernünftiger Grund für das Entfernen von Gehölzen, die Lebensstätten wild lebender Tiere seien, in aller Regel zu verneinen sei, wenn diese Maßnahme in erster Linie zur Beseitigung bewirtschaftungshindernder Landschaftselemente durchgeführt werde und das Verwaltungsgericht hier von einem solchen Fall ausgegangen sei. In dem Beschluss heiße es weiter: "Die Beschwerdebegründung gibt keine Veranlassung, diese Einschätzung der Vorinstanz, die bei lebensnaher Betrachtung durchaus naheliegend ist, ernsthaft in Frage zu stellen". Der Kläger macht diesbezüglich geltend, dass sich das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 18. September 2017 (-12 B 2436/17 -) pauschal eines Vorwurfs gegen die Landwirtschaft bedient habe, dass die Beseitigung von Gehölzstrukturen auf landwirtschaftlichen Flächen wie Baumreihen und Baumhecken immer nur zur Beseitigung von Bewirtschaftungshindernissen vorgenommen werde und deshalb nicht der guten fachlichen Praxis entsprechen würde, ohne dass es die gebotenen Ermittlungen zum Vorliegen von Tatbestandsmerkmalen vorgenommen habe. Hierin liege eine Stigmatisierung des Landwirts als solchem. Diese Vorverurteilung durch das Verwaltungsgericht sei durch die Mitwirkung der benannten Richter an dem Senatsbeschluss vom 24. November 2017 (- 4 ME 352/17 -) noch verschlimmert worden, da in diesem Beschluss die Einschätzung des Verwaltungsgerichts als "bei lebensnaher Betrachtung naheliegend" eingeschätzt worden sei. Hiermit werde den von ihm durchgeführten Maßnahmen die Einhaltung einer guten fachlichen Praxis von vornherein abgesprochen. Die innerliche Einstellung, die durch die "lebensnahe Betrachtung" zutage trete, lasse befürchten, dass die beteiligten Richter eine derart vorgefasste Auffassung gegenüber Landwirten verträten, die eine Befangenheit im vorliegenden Verfahren befürchten lasse.

Mit diesem Vorbringen stützt der Antragsteller sein Ablehnungsgesuch auf die Mitwirkung der im Tenor benannten Richter des 4. Senats an einer Senatsentscheidung in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, welches dem nunmehr in zweiter Instanz anhängigen Hauptsacheverfahren betreffend den Bescheid des Beklagten vom 8. Februar 2017 vorausgegangen ist.

Die Mitwirkung eines Richters an einer früher ergangenen und für den Beteiligten ungünstigen oder ihn enttäuschenden Entscheidung vermag die Besorgnis der Befangenheit grundsätzlich nicht zu begründen. Dies folgt daraus, dass der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 41 Nr. 6 ZPO abschließend geregelt hat, in welchen Fällen ein Richter aufgrund vorheriger richterlicher Tätigkeit ausgeschlossen ist. Liegt ein solcher Fall nicht vor, setzt der Gesetzgeber voraus, dass der Prozessbeteiligte grundsätzlich annehmen wird und muss, dass der Richter seiner Pflicht zur unbefangenen Entscheidung genügt. Um dennoch in diesen Fällen die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, müssen besondere Umstände hinzutreten, da anderenfalls ein gesetzlich nicht vorgesehener Ausschließungsgrund geschaffen würde. Verständiger Anlass zu einem aus einer Vorbefassung hergeleiteten Misstrauen eines Beteiligten gegen die Unparteilichkeit eines Richters besteht erst dann, wenn sich aufgrund besonderer zusätzlicher Umstände der Eindruck einer unsachlichen, durch Voreingenommenheit oder gar Willkür geprägten Einstellung des Richters aufdrängt (BVerwG, Beschl. v. 11.12.2012 - 8 B 64.12 -, juris Rn. 19). Soweit ein Ablehnungsgesuch darauf gestützt wird, dass der Richter eine andere Rechtsauffassung als ein Beteiligter vertreten hat, vermag dies regelmäßig keine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Dies gilt selbst für irrige Ansichten, soweit sie nicht willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind und damit Anhaltspunkte dafür bieten, dass der Abgelehnte Argumenten nicht mehr zugänglich und damit nicht mehr unvoreingenommen ist (BVerwG, Beschl. v. 7.11.2017 - 1 A 8.17 -, juris Rn. 5 u. v. 12.12.2016 - 5 C 10.15 D -, juris Rn. 5). Ein Ablehnungsgesuch, dass darauf gestützt ist, dass der Richter eine bestimmte Rechtsauffassung vertreten hat, kann demnach erst dann Erfolg haben, wenn diese Rechtsauffassung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheint. Sie muss so weit vom Stand der Rechtsprechung oder den allgemein anerkannten Grundsätzen für die Auslegung und Anwendung von Rechtsnormen entfernt sein, dass sie aus Sicht eines besonnenen Verfahrensbeteiligten nicht mehr verständlich erscheint (BVerwG, Beschl. v. 20.11.2017 - 6 B 47.17 -, juris Rn. 8).

Nach diesen Maßstäben ist die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter nicht begründet. Allein daraus, dass die abgelehnten Richter in dem Senatsbeschluss vom 24. November 2017 (- 4 ME 352/17 -) ausgeführt haben, dass die vom Verwaltungsgericht getroffene Einschätzung zum Nichtvorliegen eines vernünftigen Grundes für die Entfernung der streitgegenständlichen Gehölze "bei lebensnaher Betrachtung durchaus naheliegend" sei, lässt sich nicht ableiten, dass die abgelehnten Richter im vorliegenden Verfahren Argumenten nicht mehr zugänglich und damit nicht mehr unvoreingenommen wären.

Diesbezüglich ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich der Formulierung, dass die Einschätzung des Verwaltungsgerichts als "bei lebensnaher Betrachtung durchaus naheliegend" anzusehen sei, lediglich ein Zusprechen einer gewissen Plausibilität entnehmen lässt, nicht aber eine Äußerung dahingehend, dass der Senat der von Seiten des Klägers beanstandeten rechtlichen Würdigung des Verwaltungsgerichts tatsächlich zugestimmt hat. Schon vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, weshalb mittels der vom Senat verwandten Formulierung die vom Kläger in den erstinstanzlichen Ausführungen erblickte Vorverurteilung und Stigmatisierung von Landwirten als solchen verschlimmert worden sein soll. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 18. September 2017 (-12 B 2436/17 -) seine Ansicht, als Motivation für die Maßnahmen des Klägers sei die Beseitigung bewirtschaftungshindernder Strukturen anzunehmen, nicht weiter begründet hat, weshalb der Kläger der Ansicht ist, das Verwaltungsgericht habe sich insoweit auf richterliche Vermutungen beschränkt. Denn aus Sicht eines besonnenen Verfahrensbeteiligten dürfte allein schon die Tatsache, dass sich die beseitigte Weißdornhecke sowie die Eiche auf dem Flurstück ... der Flur ... der Gemarkung F. sowie die beseitigten drei weiteren Eichen auf dem Flurstück ... der Flur ... der Gemarkung F. inmitten von landwirtschaftlich genutzten Ackerflächen befunden haben und durch die Beseitigung dort offenbar eine offene Fläche entstanden ist, wie sich dem bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorgelegten Verwaltungsvorgang des Beklagten anhand der dortigen Luftbilder und Fotos der Ortsbesichtigung entnehmen lässt (vgl. Bl. 10 - 14 der Beiakte 001), dazu führen, dass jedenfalls im Ergebnis von einer gewissen Plausibilität der Annahme des Verwaltungsgerichts ausgegangen werden konnte. Eine weitergehende Aussage zur Richtigkeit der damals zu beurteilenden erstinstanzlichen Einschätzung lässt sich dem Senatsbeschluss vom 24. November 2017 (- 4 ME 352/17 -) aber wie ausgeführt nicht entnehmen. Von daher kann auch keine Rede davon sein, dass in den seinerzeitigen Ausführungen des Senats eine Vorverurteilung eines Landwirts ohne sachliche Auseinandersetzung mit der sich aus dem Verwaltungsvorgang ergebenden Tatsachengrundlage zu erblicken wäre, wie der Kläger meint.

Hinzu kommt vorliegend, dass die vom Kläger beanstandete Formulierung in dem Senatsbeschluss vom 24. November 2017 (- 4 ME 352/17 -) lediglich in einem Nebensatz verwendet worden ist, ohne dass die rechtliche Argumentation des Senatsbeschlusses hierauf gestützt war. Der Senat hat in dem entsprechenden Beschlussabsatz vielmehr im Rahmen der Prüfung des damaligen Beschwerdeeinwands des Klägers, ihm könne nicht per se abgesprochen werden, dass seine Maßnahmen der guten fachlichen Praxis entsprochen hätten, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Nichtvorliegen eines vernünftigen Grundes i.S.d. § 39 Abs. 1 BNatSchG wiedergegeben und in erster Linie darauf abgestellt, dass die Beschwerdebegründung keine Veranlassung gebe, die Einschätzung der Vorinstanz ernsthaft in Frage zu stellen (Beschlussabdruck, S. 4). Dies entspricht der Vorgabe in § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO, wonach sich das Oberverwaltungsgericht in einem Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf die Überprüfung der im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe zu beschränken hat. Auch dies spricht dafür, dass sich aus der vom Senat seinerzeit verwendeten Formulierung bei objektiver Betrachtung kein Anhaltspunkt dafür ergibt, dass die vom Kläger abgelehnten Richter eine vorgefasste Meinung gegenüber Landwirten vertreten würden.

Darüber hinaus hat sich der Senat in dem beanstandeten Beschluss umfassend mit dem damaligen Beschwerdevorbringen des Klägers auseinandergesetzt und insbesondere auch Ausführungen dazu gemacht, dass das vom ihm vorgetragene Argument, das gewonnene Eichenholz solle als Baumaterial in seinem landwirtschaftlichen Betrieb Verwendung finden, viel zu allgemein gehalten sei, um die Beurteilung durch das Verwaltungsgericht ernsthaft in Frage zu stellen. Zudem hätten die Ausführungen des Klägers keinerlei Anhaltspunkte dafür geboten, aus welchen anderen als den vom Verwaltungsgericht angenommenen Gründen die Weißdornhecke, deren Verwendung als Bauholz offensichtlich ausscheide, beseitigt worden sein solle (Beschlussabdruck, S. 4). Mit diesen weiteren Ausführungen des Senats, die ebenfalls gegen eine voreingenommene und nicht mehr nachvollziehbare Einnahme eines Rechtsstandpunktes sprechen, setzt sich der Kläger in seinem Befangenheitsgesuch nicht auseinander.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 146 Abs. 2, 152 Abs. 1 VwGO).