Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.01.2023, Az.: 1 KN 80/21

Antragsbefugnis einer selbst nicht anerkannten Untergliederung eines anerkannten Umweltverbandes i.R.e. Normenkontrollverfahrens; Zulässigkeit einer gewillkürten Prozessstandschaft im Verbandsklagerecht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.01.2023
Aktenzeichen
1 KN 80/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 10119
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0118.1KN80.21.00

Fundstelle

  • NordÖR 2023, 123

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Anerkennung nach § 3 UmwRG erstreckt sich nur auf die anerkannte Vereinigung, nicht auf ihre etwaigen Untergliederungen.

  2. 2.

    Jedenfalls im Verbandsklagerecht ist eine gewillkürte Prozessstandschaft nicht zulässig.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Antragsteller kann eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin zuvor Sicherheit in der Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Antragsteller wendet sich gegen den aus dem Rubrum ersichtlichen Bebauungsplan der Antragsgegnerin; die Beteiligten streiten insbesondere um die Antragsbefugnis des Antragstellers.

Der Antragsteller, der Naturschutzbund Deutschland (NABU) Bezirksgruppe D. e.V. (Ornithologische Arbeitsgemeinschaft E.), ist ein eingetragener Verein und gleichzeitig eine selbständige Untergliederung des Naturschutzbund Deutschland (NABU), Landesverband Niedersachsen e.V. (im Folgenden: NABU Niedersachsen e.V.) nach § 7 Nr. 4 von dessen Vereinssatzung.

Am 5. März 2021 machte die Antragsgegnerin den streitgegenständlichen Bebauungsplan, der die Festsetzung eines Gewerbegebietes und einer Verbindungsstraße zum Gegenstand hat, bekannt.

Am 11. Mai 2021 ist beim erkennenden Gericht ein Normenkontrollantrag "des NABU Bezirksgruppe D. e.V., vertr. d. den Vorsitzenden, F. und durch den Bevollmächtigten G. , A-Straße, E. - Antragsteller -" eingegangen. Dem Antrag beigefügt war eine vom Vorsitzenden des Antragstellers, Herrn F., unterzeichnete "Vertretungsvollmacht" vom 4. November 2020, nach der der Antragsteller Herrn G., NABU E., bevollmächtigte, "die NABU Bezirksgruppe D. e.V. im Rahmen von Planung und Bau einer Entlastungsstraße in der Stadt Oldenburg (Oldb.) zu vertreten", sowie eine von Herrn H. unterzeichnete Prozessvollmacht in der Sache "NABU u. BUND ./. Stadt Oldenburg" wegen "Planung und Bau einer Entlastungsstraße". Mit Schriftsatz vom 16. Juli 2021 hat der Antragsteller seinen Normenkontrollantrag begründet und u.a. geltend gemacht, er sei als anerkannter Natur- und Umweltverband nach § 3 Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) antragsbefugt. Im Laufe eines parallel zum streitigen Verfahren betriebenen Mediationsverfahrens ist die Antragsgegnerin zu der Einschätzung gelangt, der Antragsteller sei tatsächlich nicht nach § 3 UmwRG anerkannt worden und hat dessen Antragsbefugnis bestritten.

Der Antragsteller bestreitet nicht, dass die Bezirksgruppe als solche weder vom nach § 3 Abs. 2 Satz 1 UmwRG für länderübergreifend tätige Vereinigungen zuständigen Umweltbundesamt, noch vom ansonsten nach § 3 Abs. 3 UmwRG zuständigen Nds. Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz eine Anerkennung erhalten oder eine solche auch nur beantragt hat. Er beruft sich zum einen darauf, dass die Antragsgegnerin selbst den "NABU E." auf ihrer Website als anerkannte Vereinigung aufgeführt und nur dieser sich als Träger öffentlicher Belange beteiligt habe. Zum anderen macht er geltend, der Antragsteller habe den Normenkontrollantrag mit der Zustimmung des - unstreitig nach § 3 UmwRG anerkannten - NABU Niedersachsen e.V. erhoben; ein ausdrücklicher Hinweis darauf sei im Normenkontrollverfahren nicht nötig gewesen. Es sei im Verwaltungsrecht zwar unüblich, mit einer gewillkürten Prozessstandschaft zu arbeiten; im Umweltrecht, wo Verbände ohnehin Drittbelange wahrnähmen, gelte jedoch anderes. Die inhaltlichen Kriterien des § 3 Abs. 1 Satz 2 UmwRG seien darauf ausgelegt, nur einem begrenzten Kreis an Verbänden die Anerkennung zu ermöglichen; nicht jede Untergliederung eines Landes- oder Bundesverbandes solle die Anerkennung beantragen. Die Organisation des NABU Niedersachsen e.V. sei darauf ausgelegt, dass Beteiligungsverfahren und ggf. Rechtsstreitigkeiten von den Untergliederungen mit Zustimmung des Landesverbandes geführt würden. Tatsächlich laute die Bezeichnung des Antragstellers nicht, wie in der Antragsschrift angegeben, "NABU Bezirksgruppe D. e.V.", sondern "Naturschutzbund Deutschland (NABU) Bezirksgruppe D. e.V. (Ornithologische Arbeitsgemeinschaft E.)". Die in der Antragsschrift verwendete Bezeichnung sei in Anlehnung an die Bezeichnung des NABU (Naturschutzbund Deutschland) Landesverband Niedersachsen e.V. gewählt; das zeige, dass eigentlicher Antragsteller der Landesverband habe sein sollen. Es liege, anders als in einem vom VGH BW (Urt. v. 4.2.2014 - 3 S 147/12 -, juris) entschiedenen Fall, lediglich eine von allen Beteiligten übersehene Falschbezeichnung vor, die durch Auslegung korrigierbar sei. Eine entsprechende Rubrumsberichtigung werde beantragt. Es liege auch im Interesse der Antragsgegnerin, eine Entscheidung in der Sache herbeizuführen.

Der Antragsteller beantragt,

den Bebauungsplan N-777 G (Fliegerhorst/Hallensichel-Ost/Entlastungsstraße) der Antragsgegnerin für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie hält den Normenkontrollantrag für unzulässig, da der Antragsteller nicht antragsbefugt sei. Eine Auslegung des Normenkontrollantrags dahingehend, dass Antragsteller tatsächlich der Landesverband sei, sei nicht möglich. Die Parteibezeichnung in der Antragsschrift sei eindeutig. Dass die Antragsgegnerin in ihrem Internetauftritt die Antragstellerin als nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigung bezeichne, treffe nicht zu; zudem sei dies rechtlich irrelevant. Eine Zustimmung des Landesverbandes zur Prozessführung führe weder zu einer Prozessstandschaft, noch zu einer Prozessführung durch den Landesverband selbst.

Beide Beteiligten begehren eine Entscheidung durch Zwischenurteil über die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags und haben diesbezüglich auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die vom Antragsteller beantragte Rubrumsberichtigung dahingehend, dass Antragsteller der NABU (Naturschutzbund Deutschland), Landesverband Niedersachsen e.V. sei, ist nicht vorzunehmen. Eine Auslegung der Antragsschrift lässt keinen Zweifel, dass Antragsteller die Bezirksgruppe und nicht der Landesverband des NABU sein sollte. Nicht nur ist erstere im Rubrum der Antragsschrift bezeichnet; auch die angegebenen Vertretungsverhältnisse stimmen mit der Antragstellerangabe überein; der benannte Vorsitzende, I., ist unstreitig Vorsitzender des NABU Bezirksgruppe D. e.V., während Vorsitzender des NABU (Naturschutzbund Deutschland), Landesverband Niedersachsen e.V. ausweislich von dessen Internetauftritt Herr J. ist. Die der Antragsschrift beigefügte Vertretungsvollmacht war ebenfalls nicht durch K. oder ein anderes zeichnungsberechtigtes Vorstandsmitglied des Landesverbandes, sondern im Namen des NABU Bezirksgruppe D. e.V. durch L. unterzeichnet. Da der Antragsteller es erkennbar für erforderlich hielt, die Bevollmächtigung des Ortsvorsitzenden Herrn H. durch den Bezirksvorsitzenden L. dem Gericht gegenüber nachzuweisen, wäre - hätte die Bezirksgruppe den Landesverband vertreten wollen - die Beifügung einer Vertretungsvollmacht des letzteren zu erwarten gewesen. Das Argument des Antragstellers, die in der Antragsschrift unterbliebene Differenzierung zwischen dem Stadtverband und der Bezirksgruppe im Rubrum zeigte, dass der eigentliche Antragsteller "der NABU" in Gestalt des Landesverbandes gemeint sei, ist nicht nachvollziehbar. Im Rubrum der Antragsschrift findet der Stadtverband (folgerichtig) keine Erwähnung. In der vorläufigen Begründung wird sogar deutlich zwischen "dem Antragsteller" und "seinen Untergliederungen wie der NABU Stadtgruppe E." unterschieden.

Aus der Einlassung des Antragstellers, die in der Antragsschrift gewählte Bezeichnung "NABU Bezirksgruppe D. e.V." sei ihrerseits fehlerhaft, da der Verein tatsächlich die volle Bezeichnung "Naturschutzbund Deutschland (NABU) Bezirksgruppe D. e.V. (Ornithologische Arbeitsgemeinschaft E.)" führe, ergibt sich nichts Anderes. Die gewählte Bezeichnung ist eindeutig als Verkürzung der tatsächlichen Bezeichnung der Bezirksgruppe, nicht des Landesverbandes, erkennbar. Eine etwaige - interne, im Rahmen der Antragsschrift oder sonstiger innerhalb der Antragsfrist eingegangener Schriftsätze nicht vorgetragene und damit für das Gericht und die Beteiligten nicht erkennbare - Zustimmung des Landesverbandes ist ebenfalls kein im Rahmen der Auslegung berücksichtigungsfähiges Indiz für eine Beteiligtenstellung des Landesverbandes.

II.

Der somit vom NABU Bezirksgruppe D. e.V. gestellte Normenkontrollantrag ist unzulässig, da dem Antragsteller die Antragsbefugnis fehlt. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag eine juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Das ist beim Antragsteller nicht der Fall. Die Antragsbefugnis ergibt sich auch nicht aus § 2 Abs. 1 Satz 1 UmwRG, wonach eine nach § 3 UmwRG anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung unter bestimmten Voraussetzungen Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 UmwRG - dazu gehören Bebauungspläne - einlegen kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen; denn der Antragsteller ist unstreitig nicht nach § 3 UmwRG anerkannt.

Dass er nach § 7 Nr. 4 von dessen Satzung eine Untergliederung des - seinerseits anerkannten - NABU (Naturschutzbund Deutschland), Landesverband Niedersachsen e.V. ist, ändert daran nichts. Die Anerkennung nach § 3 UmwRG erstreckt sich nur auf die anerkannte Vereinigung, nicht auf ihre etwaigen Untergliederungen (VGH BW, Urt. v. 4.2.2014 - 3 S 147/12 -, juris Rn. 47); anderenfalls könnten die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 UmwRG, insbesondere die Anforderungen an die Leistungsfähigkeit (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 UmwRG) umgangen werden.

Auch aus § 2 Abs. 2 Satz 1 UmwRG ergibt sich die Antragsbefugnis nicht, da der Antragsteller zum maßgeblichen Zeitpunkt der Rechtsbehelfseinlegung (BayVGH, Beschl. v. 20.1.2010 - 22 CS 09.2968 -, juris Rn. 13) keinen Antrag auf Anerkennung gestellt hatte. Weitere Normen, aus denen der Antragsteller eine Antragsbefugnis ableiten könnte, sind nicht ersichtlich.

Ohne Erfolg deutet der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 30. November 2022 die Möglichkeit an, es könne ein Fall der gewillkürten Prozessstandschaft vorliegen. Es ist bereits sehr fraglich, ob diese Rechtsfigur im Verwaltungsprozess überhaupt anzuerkennen ist. Jedenfalls im Verbandsklagerecht ist dies zu verneinen. § 2 UmwRG knüpft die Rechtsbehelfsbefugnis gerade nicht an ein dem Verband zustehendes subjektives Recht, über dessen Geltendmachung durch Dritte der Verband verfügen könnte. Vielmehr wird ihm die Rechtsbehelfsbefugnis gerade deshalb eingeräumt, weil der Verband - und nur er selbst - bestimmte in § 3 UmwRG definierte Kriterien erfüllt, die ihn aus Sicht des Gesetzgebers zur Einlegung von drittnützigen Rechtsbehelfen besonders qualifizieren. Diese Rechtfertigung des Verbandsklagerechts würde ad absurdum geführt, könnte die Rechtsbehelfsbefugnis beliebig auf Dritte übertragen werden. Darüber hinaus scheitert die Annahme eines wirksamen prozessstandschaftlichen Tätigwerdens schon daran, dass eine diesbezügliche Erklärung des Landesverbandes innerhalb der Normenkontrollantragsfrist (vgl. dazu Senatsurt. v. 10.7.2018 - 1 KN 158/16 -, BauR 2018, 1872 = juris Rn. 45) nicht in das Verfahren eingeführt wurde. Auch insoweit genügt eine etwaige verbandsinterne Zustimmung des Landesverbandes zur Prozessführung nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.