Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.12.2020, Az.: 1 KN 155/20

Befangenheit; Naturschutzvereinigung; Selbstanzeige; Vereinmitgliedschaft

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.12.2020
Aktenzeichen
1 KN 155/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71903
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die einfache Mitgliedschaft eines Richters in einer großen Naturschutzvereinigung begründet in einem Verfahren, in dem diese beteiligt ist, nicht die Besorgnis der Befangenheit.

Tenor:

Das mit Dienstlicher Erklärung des Senatsvorsitzenden vom 9. November 2020 angezeigte Verhältnis begründet nicht die Besorgnis der Befangenheit.

Gründe

I.

Der Antragsteller des vorliegenden Normenkontrollverfahrens ist eine nach § 3 UmwRG (i.d.F. vom 7.12.2006) anerkannte Naturschutzvereinigung, die unter Geltendmachung einer Antragsbefugnis nach § 2 Abs. 1 UmwRG eine Vielzahl von Einwänden gegen den von dem Antragsgegner mit dem Ziel der Ansiedlung eines Gewerbegebiets als Satzung beschlossenen Bebauungsplan erhebt.

Unmittelbar nach Eingang des Normenkontrollantrags am 9. November 2020 hat der (kommissarische) Vorsitzende des Senats - unter Verzicht auf die Vornahme weiterer Amtshandlungen - folgende Dienstliche Erklärung abgegeben:

„Ich bin seit rund 15 Jahren Mitglied des Antragstellers und leiste einen jährlichen finanziellen Beitrag. An der Vereinsarbeit habe ich mich bislang nicht beteiligt. Ich fühle mich deshalb nicht befangen, das Verfahren zu bearbeiten, meine aber, dass dies ein Umstand ist, der den Beteiligten zur Kenntnis gelangen sollte.“

Den Beteiligten ist mit der Übersendung der Dienstlichen Erklärung vom 9. November 2020 Gelegenheit gegeben worden, zu einer eventuellen Befangenheit des anzeigenden Richters Stellung zu nehmen.

II.

Gemäß § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 48 Halbs. 1 ZPO hat das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht auch dann zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch nicht angebracht ist, ein Richter aber von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte. Zur Entscheidung berufen ist nach § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 45 Abs. 1 ZPO das Gericht, dem der Anzeigende angehört, ohne dessen Mitwirkung; das sind hier gemäß §§ 9 Abs. 3 Satz 1 VwGO, § 4 Abs. 2 Satz 1 Nds. AG VwGO die beiden anderen Berufsrichter des Senats mit dem durch den Geschäftsverteilungsplan des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts bestimmten Vertreter.

Inhaltlich auszurichten hat sich die Entscheidung an § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO, nach dem die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit stattfindet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Hiernach ist nicht notwendig, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Andererseits reicht die rein subjektive Vorstellung eines Beteiligten, der Richter werde seine Entscheidung an persönlichen Motiven orientieren, nicht aus, wenn bei objektiver Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund für die Befürchtung ersichtlich ist. Die Besorgnis der Befangenheit ist dann gerechtfertigt, wenn aus der Sicht des Beteiligten hinreichend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.7.2019 - 2 C 35.18 -, Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 87 = juris Rn. 5 m.w.N.). Solche objektiven Umstände lassen sich dem mit Dienstlicher Erklärung vom 9. November 2020 angezeigten Verhältnis aber nicht entnehmen und wurden auch von den Beteiligten nicht dargetan.

Aus dem Wortlaut des § 39 DRiG, nach dem der Richter sich innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten hat, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird, ergibt sich eindeutig, dass der Richter sich politisch betätigen darf, wenngleich ihm die Pflicht zu der durch das Richteramt gebotenen Mäßigung und Zurückhaltung in besonderer Weise gebietet, eine klare Trennung zwischen Richteramt und seiner Teilnahme am politischen Meinungskampf einzuhalten (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.1987 - 2 C 72.86 -, BVerwGE 78, 216 = juris Rn. 15). Demgemäß ist die Zugehörigkeit oder Nähe zu einer politischen Partei für sich allein von vornherein ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO zu rechtfertigen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.9.2011 - 1 B 21.11 -, juris Rn. 1 unter Verweis auf BVerfG, Beschl. v. 22.2.1960 - 2 BvR 36/60, BVerfGE 11,1 = juris Rn. 1).

Die Mitgliedschaft in einem Verein wird in der Rechtsprechung entsprechend bewertet. Hinsichtlich der für seine Richter geltenden Ausschlussregelungen des § 18 BVerfGG hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich entschieden, dass ein - die Verfahrensbeteiligung nicht hindernder - ähnlich allgemeiner Gesichtspunkt im Sinne von § 18 Abs. 2 BVerfGG die Zugehörigkeit zu einem Verein ist, der - wie dies in vergleichbarer Weise auch politische Parteien tun - nach seinem Zweck bestimmte rechtspolitische Ziele verfolgt. In der bloßen Mitgliedschaft liege demzufolge auch nichts Zusätzliches, das die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermöchte. Das könnte etwa dann anders zu beurteilen sein, wenn der Verein sich gerade zu einem anhängigen Verfahren geäußert und der Richter diese Äußerung in einer Weise unterstützt hätte, die ihn als Argumenten zur Überprüfung seines Standpunktes nicht mehr zugänglich erscheinen lasse (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.12.1992 - 2 BvF 2/90 -, BVerfGE 88, 17 [BVerfG 02.12.1992 - 1 BvR 296/88] = juris Rn. 29). Und auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist geklärt, dass die bloße Mitgliedschaft eines Richters in einem prozessbeteiligten Verein mit einer größeren Mitgliederzahl für sich allein grundsätzlich kein Ablehnungsgrund ist (vgl. BGH, Beschl. v. 5.3.2001 - 1 ZR 58/00 -, BGHReport 2001, 432 [BGH 05.03.2001 - I ZR 58/00] = juris Rn. 20; Beschl. v. 11.12.2002 - VI ZA 8/02 -, NJW-RR 2003, 281 = juris Rn. 5; Beschl. v. 17.12.2003 - X ZA 6/03 -, WuM 2004, 110 = juris Rn. 4). Dem hat sich verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung bereits für die Mitgliedschaft in einer über 2000 Mitglieder zählenden anerkannten Naturschutzvereinigung angeschlossen, wenngleich in dem damals entschiedenen Fall eine sich aus der ehrenamtlichen Vorstandstätigkeit für die im Vorfeld gegen das Vorhaben aktive Kreisgruppe abgeleitete gesteigerte Verbundenheit des Richters mit deren Zielen gerade Anlass zu Zweifel an seiner neutralen Haltung gab (vgl. VG Dresden, Beschl. v. 17.5.2004 - 3 K 1046/04 -, juris Rn. 7).

Solche hinzutretenden Umstände lassen sich hier aber nicht feststellen. Nach seiner Dienstlichen Erklärung ist der anzeigende Richter lediglich bei Leistung eines jährlichen finanziellen Betrags seit 15 Jahren einfaches Mitglied im Antragsteller, der nach seinen Angaben insgesamt 110.000 Mitglieder hat (F.). Eine darüberhinausgehende aktive Beteiligung an der Vereinsarbeit ist ausdrücklich verneint worden. Auch ist weder ersichtlich noch geltend gemacht worden, dass sich der anzeigende Richter zu dem vorliegenden Normenkontrollverfahren im Vorfeld - unterstützend - geäußert hätte. Vielmehr haben beide Beteiligte im Rahmen der ihnen eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme eine Besorgnis der Befangenheit ausdrücklich verneint, wobei der Antragsteller noch mitgeteilt hat, er wolle ohnehin nicht eigene Rechte geltend machen, sondern nur auf die Einhaltung umweltbezogener Rechtsvorschriften hinwirken.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).