Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.06.2000, Az.: 12 L 2377/00
Androhung; Aufklärung; Aussageverhalten; Dauer; Ermessen; Ermessenserwägung; Ermittlung des Täters; Fahrtenbuch; Fahrtenbuchanordnung; Fahrzeugführer; Höchstgeschwindigkeitsüberschreitung; Mitwirkung; Streitwert; Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung; Verhältnismäßigkeit; Verstoß
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.06.2000
- Aktenzeichen
- 12 L 2377/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41573
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - AZ: 7 A 1552/96
Rechtsgrundlagen
- § 13 GKG
- § 31a StVZO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Feststellung eines Fahrzeugführers ist nicht möglich im Sinne von § 31a StVZO, wenn die Behörde nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie nach den Umständen des Einzelfalles alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Die Behörde ist zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen nicht verpflichtet, wenn der Halter Angaben zur Sache nicht macht.
2. Die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, ist regelmäßig bereits dann gerechtfertigt, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 20 km/h überschritten wird.
3. Bei einem erstmaligen erheblichen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften ist nicht zunächst die Androhung einer Anordnung nach § 31a StVZO notwendig und ausreichend.
4. Der Senat setzt den Wert des Streitgegenstandes in ständiger Rechtsprechung auf 500,- DM je Monat der Dauer der Anordnung des Führens eines Fahrtenbuches fest.
Gründe
Der Antrag, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes zuzulassen, bleibt ohne Erfolg, da Gründe für die Zulassung nicht hinreichend dargelegt sind und im Übrigen das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichtes keinen ernstlichen Zweifeln im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ausgesetzt ist.
Die Zulassung der Berufung erfordert, dass ...
Diesen Anforderungen wird der Zulassungsantrag nicht gerecht - dies bereits trägt die vorliegende Entscheidung des Senates allein -, weil der Zulassungsantrag keinen Zulassungsgrund benennt, sich nicht mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzt, - unzureichend - im wesentlichen das Vorbringen der Klägerin aus dem Widerspruchs- und Klageverfahren wiederholt und der Würdigung dieses Vorbringens durch das Verwaltungsgericht lediglich nicht belegte Behauptungen und Rechtsauffassungen pauschal entgegensetzt.
Selbst wenn der Senat zugunsten der Klägerin unterstellt, sie mache den Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO - ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils - geltend, erfüllt der Zulassungsantrag nicht die Voraussetzungen einer hinreichenden Darlegung:
Für den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist für die Darlegung als Mindestvoraussetzung zu verlangen, dass geltend gemacht wird, dass ...
Der Zulassungsantrag genügt diesen Anforderungen nicht - und dies trägt die vorliegende Entscheidung des Senates gleichfalls allein -.
Die Klägerin greift die vom Verwaltungsgericht als rechtmäßig erachtete Verfügung des Beklagten vom 23. August 1995 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung vom 13. Februar 1996), mit der der Beklagte der Klägerin die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von einem Jahr für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen - bei einem Fahrzeugwechsel innerhalb dieses Zeitraumes für das "jeweilig zugelassene Nachfolgefahrzeug" - gemäß § 31a StVO auferlegt hat, (und damit sinngemäß zugleich das Urteil des Verwaltungsgerichtes) im Wesentlichen damit an, dass sie geltend macht, es sei falsch, dass der Fahrzeugführer nicht habe ermittelt werden können, weil sie nicht habe angeben können, wer das Fahrzeug zur fraglichen Zeit geführt habe, sie habe sich "nie irgendwie geweigert", aktiv an der Aufklärung mitzuwirken; das Verwaltungsgericht verkenne, dass danach die Anordnung eines Fahrtenbuches "in eklatanter Weise den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz" verletze, die "Androhung einer Fahrtenbuchauflage" wäre ausreichend gewesen, dies gelte insbesondere "bei einem erstmaligen Verstoß"; schließlich berücksichtigten weder der Ausgangsbescheid des Beklagten noch der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung hinreichend den Einzelfall, was sich auch daraus ergebe, dass der Beklagte im Ausgangsbescheid Textbausteine verwandt und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung ebenso keine Einzelfallentscheidung getroffen habe, "da, wie bereits vorgetragen wurde, hier gerade keine umfangreichen Ermittlungen erfolgt sind, noch nicht einmal der Sachverhalt ordnungsgemäß aufgeklärt worden" sei; offensichtlich habe die Beklagte statt "eine Ermessensentscheidung zu treffen ..., gar kein Ermessen ausgeübt", sondern sie sei "offensichtlich von einer gebundenen Entscheidung" ausgegangen.
Mit diesen Erwägungen setzt sich der Zulassungsantrag nicht hinreichend mit dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts auseinander, das in Bezug auf die Sachverhaltsaufklärung ausdrücklich darauf abgestellt hat, dass die Feststellung eines Fahrzeugführers nicht möglich im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO ist, wenn "die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat" (UA S. 5), und dazu ausgeführt hat, dass die "Bußgeldstelle des Beklagten ... nach Anhörung der Klägerin durch das Polizeikommissariat Lohne auch keine weiteren Ermittlungen durchzuführen" brauchte, worauf der Zulassungsantrag nicht eingeht. Soweit das Verwaltungsgericht daneben - seine Entscheidung insoweit allein tragend - auch auf die Rechtsprechung des Senates (Nds. OVG, Beschl. v. 2. März 2000 - OVG 12 M 756/00 -) abgestellt hat, nach der die Behörde zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen nicht verpflichtet ist, wenn der Halter Angaben zur Sache nicht macht, setzt sich der Zulassungsantrag nicht hinreichend mit der ständigen Rechtsprechung des Senates auseinander, nach der in der Regel bereits dann der Schluss gerechtfertigt ist, dass sich der Halter eines Kraftfahrzeuges weigert, an der Aufklärung der Verkehrszuwiderhandlung mitzuwirken, wenn er sich nach Übersendung des Anhörungsbogens nicht (zur Sache) äußert, was bereits (d.h. ohne eine weitere Ermittlungstätigkeit der Verkehrsbehörde für erforderlich zu erachten) die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, rechtfertigt, wenn die übrigen Voraussetzungen vorliegen (std. Rspr. d. Senats, vgl. z.B. Nds. OVG, Beschl. v. 12. April 2000 - OVG 12 L 1374/00 -). Davon abgesehen hat hier nach Tatbestand und Entscheidungsgründen des verwaltungsgerichtlichen Urteils die zuständige Verkehrsbehörde noch weitere Ermittlungen unternommen, ohne dass der Fahrzeugführer, der die Verkehrszuwiderhandlung begangen hat, hätte ermittelt werden können (vgl. Ermittlungsersuchen der Beklagten vom 27. Juli 1995 an die örtliche Polizeidienststelle in Lohne), was der Zulassungsantrag ebenfalls nicht ausreichend berücksichtigt.
Umfangreich begründet hat das Verwaltungsgericht, es sei "nicht ersichtlich, dass der Beklagte bei der Anordnung der Fahrtenbuchauflage ermessensfehlerhaft gehandelt hat" (UA S. 8), ohne dass der Zulassungsantrag dabei aufgreift, dass das Verwaltungsgericht - insoweit selbständig tragend - in diesem Rahmen unter Bezugnahme auf § 114 Satz 2 VwGO auch ausführt, dass "zumindest" die Erwägungen des Beklagten in seinem Schriftsatz vom 27. Juni 1996 ausreichend seien.
Damit verkennt der Zulassungsantrag zugleich, dass auch sein Angriff (u.a. weil es sich um einen "einmaligen Verstoß" handele) auf die vom Verwaltungsgericht als gegeben erachtete Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Fahrtenbuchauflage für die Dauer eines Jahres fehlgeht, zumal sich aus der Rechtsprechung (vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 27. April 2000 - OVG 12 M 1583/00 -) ergibt, dass die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, regelmäßig bereits dann gerechtfertigt ist, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 20 km/h überschritten wird (vgl. zur Dauer einer Fahrtenbuchauflage auch: Senatsbeschluss v. 5. Juni 2000 - OVG 12 M 2096/00 -), hier lag eine Überschreitung um 59 km/h vor (vgl. UA S. 8); zudem geht der Zulassungsantrag in diesem Zusammenhang nicht auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Überlegungen zur Verhältnismäßigkeit in Anbetracht der Schwere des Verkehrsverstoßes ein.
Soweit der Zulassungantrag schließlich die Auffassung vertritt, die "Androhung einer Fahrtenbuchauflage (sei in) diesen Fällen ... ausreichend", setzt die Klägerin den Ausführungen des Verwaltungsgerichts und der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. dazu die vom Verwaltungsgericht auf S. 8 UA in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Beschl. v. 12. Juli 1995 - BVerwG 11 B 18.95 -, NJW 1995, 3402), wonach bei einem erstmaligen erheblichen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften nicht zunächst die Androhung einer Anordnung nach § 31a StVZO notwendig und ausreichend sei, eine schlichte Rechtsbehauptung entgegen, ohne sich mit der Rechtslage näher zu befassen (insoweit hat das BVerwG - ebenda, hier zit. über juris - festgehalten: "2. Die Beschwerde hat ferner keinen Erfolg, soweit sie eine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 1982 - BVerwG 7 C 3.80 - (Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 12 = VRS 64, 466 <468> geltend macht. Ein Rechtssatz, daß bei einem erstmaligen Verkehrsverstoß von einigem Gewicht - wie ihn hier das Berufungsgericht festgestellt hat - zunächst die Androhung einer Fahrtenbuchauflage notwendig und ausreichend ist, läßt sich diesem Urteil nicht entnehmen.").
Im Übrigen hält der Senat die eingehend begründete Entscheidung des Verwaltungsgerichtes auch im Ergebnis nicht für unrichtig, sondern für zutreffend. Die Feststellung des Fahrzeugführers war nach einer erheblichen Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich im Sinne des § 31a StVZO, die Fahrtenbuchanordnung für zwölf Monate wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die Belastung, welche die Pflicht zur Führung eines Fahrtenbuches für diese Dauer darstellt, steht weder außer Verhältnis zu dem damit bezweckten und möglichen Erfolg noch zu der Schwere des Verkehrsverstoßes, wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen durch seine Hinweise auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes und des Senats aufgezeigt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes ergibt sich aus §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 GKG und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senates in Fällen der vorliegen Art (vgl. dazu zuletzt Beschl. v. 27. Juni 2000 - 12 O 2371/00 -, m.w.Nachw.), dabei stellt der Senat nur auf das Interesse der Klägerin, von der ihr durch den Beklagten auferlegten Führung eines Fahrtenbuches verschont zu bleiben - ab, da die Gebührenfestsetzung im Berufungszulassungsverfahren nach dem Vorbringen der Klägerin nicht mehr streitbefangen ist.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).