Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 02.04.2003, Az.: 6 A 83/02

Dauer; Fahrerfeststellung; Fahrtenbuchauflage; Geltungsdauer; Geschwindigkeitsverstoß; Mitwirkungspflicht; Punktsystem; Verhältnismäßigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
02.04.2003
Aktenzeichen
6 A 83/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48624
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die gebotene Mitwirkung der Fahrerfeststellung verweigert, wer trotz entsprechender Aufforderung nicht die ihm möglichen und zumutbaren Angaben macht, die Ermittlungsansätze zur Feststellung des Fahrzeugführers erbracht hätten.

2. Es ist ermessensgerecht, sich bei der Geltungsdauer der Fahrtenbuchanordnung an der Schwere des Verkehrsverstoßes zu orientieren und dabei auf die Bewertungen nach dem Punktsystem der Anlage 13 zu § 40 FeV und die Vorschriften der Bußgeldverordnung abzustellen.

3. Die Geltungsdauer einer Fahrtenbuchanordnung von 12 Monaten ist bei einer Geschwindigkeitsübertretung um 42 km/h grundsätzlich nicht unverhältnismäßig.

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 26.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 10.04.2002 wird aufgehoben, soweit darin Verwaltungsgebühren in Höhe von 80.00 Euro festgesetzt worden sind.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann eine vorläufige Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3085,62 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Anordnung, für die Dauer von zwölf Monaten ein Fahrtenbuch zu führen.

2

Die Klägerin ist im maßgeblichen Zeitraum Halterin des Personenkraftwagens mit dem amtlichen Kennzeichen D. 802 gewesen.

3

Nach einem vom Beklagten eingeleiteten Bußgeldverfahren soll mit diesem Fahrzeug am 23.05.2001 um 00:44 Uhr in der Gemeinde O. auf der B 214 Richtung Celle von einer männlichen Person die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h abzüglich der Toleranz um 42 km/h überschritten worden sein. Die Ordnungswidrigkeit wurde durch ein geeichtes Geschwindigkeitsmessgerät und ein Frontfoto dokumentiert.

4

Am 06.08.2001 gegen 09.30 Uhr besuchte ein Mitarbeiter der Bußgeldstelle die Klägerin, die daraufhin auf dem in der Bußgeldakte eingehefteten Entwurf des Zeugenfragenbogens, der das Datum 13.06.2001 trägt, ihre Personalien angab, die formularmäßige Erklärung ankreuzte, sie mache von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, und schließlich unterschrieb. Mit Fax-Schreiben vom selben Tag erklärte die Klägerin, sie widerrufe ihre Unterschrift, zu der sie vom Mitarbeiter des Beklagten "genötigt" worden sei. Das betreffende Schriftstück (Zeugenfragebogen) habe sie zuvor nicht gesehen; sie bitte um Zusendung des Schriftstücks, um die Anschuldigungen überprüfen zu können. Unter dem 07.08.2001 sandte die Bußgeldstelle des Beklagten dem im Hause der Klägerin gemeldeten E., ihrem Sohn, einen Anhörungsbogen, den dieser nicht zurückschickte. Nachdem der Beklagte daraufhin einen Vergleich des bei der Geschwindigkeitsmessung hergestellten Frontfotos mit dem beim zuständigen Einwohnermeldeamt gespeicherten Passfoto angestellt hatte, erließ er unter dem 05.09.2001 gegen den T. U. einen Bußgeldbescheid. Nach dem dagegen eingelegten Einspruch des Betroffenen und weiteren ergebnislosen Ermittlungen anhand des Frontfotos (Befragung des Ehemanns der Klägerin, der erklärte, sein Sohn sei nicht der Fahrzeugführer, sowie des Sohnes der Klägerin am 08.02.2002) hob die Bußgeldstelle den erlassenen Bußgeldbescheid auf und stellte das Verfahren ein, weil der Täter nicht ermittelt werden konnte.

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Mit Bescheid vom 26.02.2002 gab der Beklagte der Klägerin daraufhin auf, für die Dauer von zwölf Monaten für das o.g. Fahrzeug - auch für ein weiteres Fahrzeug oder ein Ersatzfahrzeug - ein Fahrtenbuch zu führen. Gleichzeitig setzte er Kosten in Höhe von 85,62 Euro (eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 80,00 Euro zuzüglich Kosten für die Zustellung des Bescheides in Höhe von 5,62 Euro) fest, wobei er ausführte, nach dem entstehenden Verwaltungsaufwand halte er eine Gebühr in dieser Höhe für angemessen.

6

Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch, den sie im Wesentlichen wie folgt begründete:

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Sie sei erstmalig am 06.08.2001 mit dem Zeugenfragebogen und mit dem Frontfoto konfrontiert worden. Sie habe auf die Frage, ob sie den dort Abgebildeten erkenne, verneinend geantwortet, da das Bild "völlig unscharf" gewesen sei. Daraufhin habe der Mitarbeiter des Beklagten gemeint, sie solle den Fragebogen ausfüllen. Auf die Frage, wo sie ein Kreuz machen solle, habe er geantwortet, dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen solle, was sie daraufhin auch getan habe. Sie habe die anschließende Bemerkung des Mitarbeiters des Beklagten, der Fahrer müsse demnach jemand aus der Familie gewesen sein, zunächst nicht verstanden und erst einmal in Ruhe darüber nachdenken müssen. Noch am selben Tage habe sie indessen ihre Erklärung widerrufen und ausdrücklich darum gebeten, sich erneut erklären zu dürfen, um zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen zu können, da sie selbstverständlich erst einmal mit allen Familienangehörigen und sonstigen Personen habe sprechen wollen, die ihr Fahrzeug genutzt haben bzw. genutzt haben könnten. Außerdem finde sie die angesetzten Gebühren zu hoch.

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Die Bezirksregierung Braunschweig wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.2002 zurück.

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Mit der am 10.05.2002 erhobenen Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:

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Die angegriffene Verfügung des Beklagten sei rechtswidrig, da das vorangegangene Verfahren zur Ermittlung des Fahrzeugführers nicht ordnungsgemäß gewesen sei. Ihr sei keinerlei Fehlverhalten anzulasten. In jedem Fall wäre eine Fahrtenbuchauflage von sechs Monaten ausreichend gewesen.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 26.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig vom 10.04.2002 aufzuheben.

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Der Beklagte hält an der Entscheidung fest und beantragt,

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die Klage zurückzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nur im ausgesprochenen Umfang begründet. Mit Ausnahme der Entscheidung des Beklagten zur Verwaltungsgebühr ist der angefochtene Bescheid des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

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Rechtsgrundlage für die gegenüber der Klägerin als (damalige) Fahrzeughalterin angeordnete Fahrtenbuchauflage ist § 31a Satz 1 StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge das Führen eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Das ist hier der Fall.

18

Eine (erhebliche) Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften in dem genannten Sinne ist darin zu sehen, dass eine männliche Person mit dem genannten Fahrzeug der Klägerin am 23.05.2001 um 00:44 Uhr in der Gemeinde O. auf der B 214 Richtung Celle die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h abzüglich der Toleranz um 42 km/h überschritten hat.

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Die Feststellung des Fahrzeugführers, der bei dem Verkehrsverstoß das Fahrzeug gefahren hat, war der zuständigen Ordnungsbehörde darüber hinaus i.S.d. § 31a StVZO nicht möglich. Eine solche Sachlage ist gegeben, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ob die Aufklärung angemessen war, richtet sich insoweit danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und erfahrungsgemäß Erfolg haben können. Dabei kann sich Art und Umfang der Tätigkeit der Behörde, den Fahrzeugführer nach einem Verkehrsverstoß zu ermitteln, an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung einer Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben (BVerwG, Urt. vom 17.12.1982 - Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 11 m. w. N.; Beschl. vom 21.10.1987 - Buchholz, aaO., Nr. 18 m. w. N.; Beschl. vom 23.12.1996 - 11 B 84/96 -; Nds. OVG, Beschl. vom 17.02.1999 - 12 L 669/99 -, Beschl. vom 27.06.00 - 12 L 2377/00).

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Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Ermittlungsaufwand der Behörde angemessen. Sie hat mit vergleichsweise hoher Intensität ermittelt und dabei mehrere Personen anhand des durchaus nicht völlig unbrauchbaren Frontfotos zur Person des Fahrzeugführers befragt, weiterführende Hinweise aber insbesondere auch von dem zunächst der Täterschaft verdächtigten Sohn der Klägerin und auch von deren Ehemann zunächst - innerhalb der maßgeblichen Zeit vor der Verjährung der Ordnungswidrigkeit - nicht erhalten können. Da eine weibliche Person während der Geschwindigkeitsübertretung dem Lichtbild zufolge nicht einmal im Fahrzeug gesessen hat, erübrigte es sich auch aus diesem Grunde, die Tochter der Klägerin, die ebenfalls in ihrem Haushalt wohnt, zu befragen, zumal der Ehemann der Klägerin angegeben hat, ihm sei der auf dem Lichtbild zu erkennende Fahrzeugführer nicht bekannt.

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Nichts spricht dafür, dass durch eine frühere oder eine weitere Befragung der Klägerin eine Feststellung des Täters möglich gewesen wäre. Auch wenn angenommen wird, dass der Zeugenfragebogen vom 14.06.2001 die Klägerin zunächst auf dem Postweg nicht erreicht hat, ist sie durch die Vorsprache des Mitarbeiters des Beklagten am 06.08.2001 über die begangene Ordnungswidrigkeit hinreichend informiert worden. Im Anschluss daran durfte der Beklagte das Verhalten der Klägerin als erkennbare Verweigerung weiterer Mitwirkung zur Täterfeststellung verstehen, so dass es auf die Frage, ob die Klägerin rechtzeitig zur Mitwirkung aufgefordert worden ist, nicht ankommt (vgl. dazu BVerwG, Beschl. vom 25.06.1987 - 7 B 139.87 - Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 17; Beschl. vom 23.12.1996 - 11 B 84/96; Beschl. vom 14.05.1997 - 3 B 28/97).

22

Die erkennbare Weigerung der Klägerin, an der Feststellung des Fahrzeugführers mitzuwirken, ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus Folgendem:

23

Die Klägerin hat sich zunächst durch die entsprechende Angabe auf dem Zeugenfragebogen ausdrücklich auf ein ihr zustehendes Zeugnisverweigerungsrecht bezogen. Auch wenn zu Gunsten der Klägerin von einer freien Widerrufbarkeit dieser Erklärung ausgegangen wird (trotz ihrer wohl anderen Bewertung kann ihrem Vorbringen nicht entnommen werden, dass sie zur Abgabe falscher Angaben "genötigt" worden wäre, als sie aufgefordert wurde, mit ihrer allerdings rechtlich verbindlichen Unterschrift zu versichern, dass ihre Angaben der Wahrheit entsprechen), kann der Widerruf nicht die erforderliche Mitwirkung ersetzen. Unstreitig hat die Klägerin es in der Folgezeit unterlassen, gegenüber dem Beklagten die nach ihren Fähigkeiten möglichen Angaben zur Ermittlung der für die Geschwindigkeitsübertretung in Betracht kommenden Personen zu machen. Die Klägerin hat weder ausdrücklich vorgetragen noch spricht sonst etwas dafür, dass sie dazu entgegen der Lebenserfahrung gänzlich außer Stande gewesen wäre. Selbst wenn zu ihren Gunsten unterstellt wird, dass das Fahrzeug so oft in fremde Hände gerät, dass eine sinnvolle Nachfrage nur anhand der genauen Zeitangaben zur begangenen Geschwindigkeitsübertretung möglich wäre, und die Klägerin außerdem diese Daten nach dem Widerruf ihrer unterschriebenen Erklärung wieder vergessen hatte, hätte die Klägerin den ihr zuzumutenden Mitwirkungsbeitrag nicht geleistet. Diese Umstande hätte sie bereits im Bußgeldverfahren deutlich machen und dabei den Kreis der in Betracht zu ziehenden Personen soweit als möglich einengen, sie ggf. konkret benennen und zumindest auf diese Weise die Ermittlungen nachhaltig unterstützen müssen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.07.1995 - 11 B 30.95; VG Braunschweig, Urt. vom 10.08.2000 - 6 A 296/99 -).

24

Die Klägerin durfte demgegenüber nicht abwarten, bis der Beklagte auf Ihr Fax vom 06.08.2001 ihr erneut einen Zeugenfragebogen übersendet. Von einer bürgerfreundlich arbeitenden Verwaltung wäre nach Auffassung des Gerichts zwar zu erwarten gewesen, dass der schriftlich geäußerten Bitte um (erneute) Übersendung des Zeugenfragebogens auch entsprochen worden wäre. Die Klägerin durfte jedoch darauf nicht vertrauen und ihre Mitwirkung bei der Fahrerfeststellung nicht davon abhängig machen, dass der Beklagte sich dementsprechend verhält. Dies gilt umso mehr, als der Beklagte bereits wenige Tage später, unter dem 09.07.2001, ihren Sohn als Verantwortlichen für die in der ersten Stunde des 23.05.2001 begangene Ordnungswidrigkeit angeschrieben hat. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass ihr Sohn im selben Haus wie die Klägerin lebt und auch ihr Auto benutzt, ist es bereits nach der Lebenserfahrung hinreichend wahrscheinlich und hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass die Klägerin sich die ihrer Ansicht nach benötigten Informationen auch von diesem besorgt hat. Ihre in der mündlichen Verhandlung dargelegte weitere Überlegung, die Sache habe sich für sie erledigt, nachdem die Bußgeldstelle ihren Sohn als Beschuldigten angesehen habe, greift zu kurz, da sie wiederum wusste, dass ihr Sohn die Täterschaft (zu Recht) bestreiten würde.

25

Unerheblich ist auch, dass die Klägerin - wie sie in der mündlichen Verhandlung angegeben hat - bei Einlegung des Widerspruchs am 04.03.2002 darauf hingewiesen hat, dass auch einer der Freunde ihres Sohnes, dessen Namen sie damals noch nicht gewusst habe, als Fahrzeugführer in Betracht komme. Dies macht ihre vorangegangene Weigerung nicht ungeschehen und konnte die Unmöglichkeit der Fahrerfeststellung nicht hindern, da - unstreitig - zwischenzeitlich die dreimonatige Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 2 OWiG i.V.m. den §§ 24, 26 Abs. 3, StVG und den §§ 3 Abs. 3 Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO eingetreten war (vgl. OVG Berlin, Beschl. vom 30.06.1976, DÖV 1977, 104 [OVG Berlin 30.06.1976 - I S 87/76]; OVG Bremen, Urt. vom 25.08.1992 - 1 BA 27/92 -, zitiert nach Juris; OVG Schleswig-Holstein, Urt. vom 13.09.1995 - 4 L 127/95 - zitiert nach Juris; VG Braunschweig, Urteile vom 05.11.1997 - 6 A 61210/97 -, 24.03.1999 - 6 A 6351/98 -, 23.06.1999 - 6 A 103/99 - und 29.05.2002 - 6 A 5/02 -, ; Nds. OVG, Beschl. vom 10.12.1997 - 12 L 5612/97 -). Die durch den Erlass des Bußgeldbescheides vom 05.09.2001 bewirkte Unterbrechung und Verlängerung der Verfolgungsverjährung (§ 33 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 3 OWiG und § 26 Abs. 3 StVG) haben gemäß § 33 Abs. 4 Satz 1 OWiG nur gegenüber dem Sohn der Klägerin, nicht aber auch gegenüber dem (der Klägerin nunmehr bekannten) Täter der begangenen Ordnungswidrigkeit gewirkt.

26

Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt die angefochtene Fahrtenbuchanordnung, in der maßgeblichen Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung Braunschweig, Ermessensfehler nicht erkennen. Die Anordnung verstößt insbesondere auch nicht gegen das Übermaßverbot.

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In der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist geklärt, dass bereits eine einmalige Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h regelmäßig eine so erhebliche Verkehrsübertretung darstellt, dass eine Androhung nicht ausreichend, sondern die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage mit einer Dauer von zumindest sechs Monaten geboten ist, selbst wenn durch die Geschwindigkeitsübertretung, die eine der hauptsächlichen Unfallursachen ist, eine konkrete Gefährdung nicht eingetreten ist (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urt. vom 17.05.1995, BVerwGE 98, 227 = NZV 1995, 460 m.w.Nw.; Beschl. v. 12.07.1995 - 11 B 18.95 -, NJW 1995, 3402; Beschl. vom 09.09.1999 - 3 B 94.99 -, NZV 2000, 386 [BVerwG 18.10.1999 - BVerwG 3 B 105.99]; Nds. OVG, Urt. vom 08.05.1995, 12 L 7501/94; Beschl. vom 20.04.1998, 12 L 1886/98, m.w.Nw.; Nds. OVG, Beschl. vom 27.06.2000 - 12 L 2377/00; VG Braunschweig, Urt. vom 23.06.1999 - 6 A 103/99 - und vom 10.10.2000 - 322/99). Als Maßnahme der Gefahrenabwehr ergänzt die Fahrtenbuchanordnung die für das fragliche Fahrzeug bestehende Kennzeichnungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 2a StVG i.V.m. den §§ 18, 23 StVZO.

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Um die aus dem gegebenem Anlass gebotene nachprüfbare Überwachung der Fahrzeugbenutzung durchführen und die Fahrzeughalterin zur zukünftigen Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Falle eines erneuten Verkehrsverstoßes anhalten zu können, ist eine gewisse, nicht zu geringe Dauer der Fahrtenbuchauflage erforderlich. Zwölf Monate übersteigen das Maß der gebotenen effektiven Kontrolle bei einem Geschwindigkeitsverstoß der hier gegebenen Größenordnung nicht und stellen deshalb keine übermäßige Belastung dar. Bereits ein Geschwindigkeitsverstoß, der zu einer Eintragung in das Verkehrszentralregister von einem Punkt führt, rechtfertigt eine Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuches von sechs Monaten (vgl. dazu etwa BVerwG, Urt. vom 17.05.1995, aaO; Nds. OVG Beschl. vom 08.03.1999 - 12 L 976/99 -, Beschl. vom 27.06.00 - 12 L 2377/00 - m. w. Nw., nicht unmissverständlich jedoch vom Beklagten angeführte Stelle bei Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. A., § 31a StVZO Rn 8: die dort zum Stichwort Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h zitierten Rechtsprechung hatte jeweils Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 25 km/h zu beurteilen). Bei einem Verstoß, der - wie hier - gemäß Nr. 4.3 der Anlage 13 ("Punktebewertung nach dem Punktsystem") zu § 40 der Fahrerlaubnis-Verordnung zu einer Eintragung von 4 Punkten im Verkehrszentralregister sowie gemäß §§ 24, 25 StVG i.V.m. § 4 der Bußgeldkatalogverordnung und Nr. 11.1.7 der Tabelle 1 des Anhangs (Geschwindigkeitsüberschreitungen) zu einem Fahrverbot von einem Monat geführt hätte, verletzt es den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht, die Dauer der Fahrtenbuchauflage auf zwölf Monate zu erhöhen.

29

Gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide spricht schließlich nicht, dass die Klägerin nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung das streitbefangene Fahrzeug zwischenzeitlich veräußert und ein Ersatzfahrzeug für sich bislang nicht angeschafft hat und auch nicht anzuschaffen beabsichtigt. Denn daraus kann nicht mit der hinreichenden Sicherheit geschlossen werden, dass sie auch zukünftig, während der gesamten Dauer der Fahrtenbuchanordnung ohne ein auf ihren Namen zugelassenes Ersatzfahrzeug sein wird. Nur wenn dies sicher feststünde, könnte erwogen werden, ob sich die Anordnung erledigt hätte (vgl. dazu OVG Münster, Beschl. vom 30.09.1996 - 25 A 6279/95).

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Dagegen erweist sich die Entscheidung des Beklagten vom 26.02.2002, soweit darin eine Gebühr in Höhe von 80 Euro für die Fahrtenbuchanordnung festgesetzt worden ist, als rechtsfehlerhaft.

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Rechtliche Grundlage für die Kostenfestsetzung ist § 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr - GebOSt - vom 26.06.1970 (BGBl. I S. 865, ber. S. 1298), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 11.12.2001 (BGBl. I S. 3617) i.V.m. Nr. 252 der Anlage zu § 1 GebO. Diese Gebührenordnung hat in § 6a StVG ihre gesetzliche Grundlage. Soweit die Gebührenordnung keine abweichenden Regelungen enthält, ist außerdem gemäß § 6 GebOSt das Verwaltungskostengesetz - VwKG - i.d.F. der Gesetzesänderung vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2911) ergänzend anzuwenden.

32

Nach Nr. 252 GebOSt ist für eine Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches einschließlich der Prüfung der Eintragung ein Gebührenrahmen von 21,50 Euro bis 93,10 Euro vorgesehen, innerhalb dessen Grenzen die im Einzelfall angemessene Gebühr nach den in § 9 VwKG aufgestellten Kriterien des Verwaltungsaufwands für die einzelne Amtshandlung und des Wertes des Gegenstands der Amtshandlung zu bestimmen ist. Damit sind der Behörde Maßstabshilfen an die Hand gegeben, die sie bei ihrer (Ermessens-) Entscheidung zu beachten und als Grundlage der Gebührenfestsetzung für den Adressaten erkennbar umzusetzen hat. Insoweit bedarf es allerdings nicht einer bis ins Einzelne gehenden betriebswirtschaftlichen Kostenberechnung, deren Aufwand regelmäßig außer Verhältnis zur Höhe der hier in Betracht zu ziehenden Gebühren stünde. Dem Äquivalenzprinzip in § 9 Abs. 1 VwKG wird vielmehr in der Regel mit einer Pauschalierung des durchschnittlichen Verwaltungsaufwandes und einer typisierenden Wertrelation von Verwaltungsleistung und Nutzen der Amtshandlung genügt, sofern die Gebührenermittlung, deren wesentlichen Gesichtspunkte darzulegen sind, nicht grob übersetzt ist (vgl. hierzu: OVG Lüneburg, Urt. vom 22.04.1981 - 9 OVG A 12/80 - m. w. N.). Hierzu finden sich Hinweise z.B. in dem Runderlass des Nds. Finanzministeriums vom 19. Juni 2001 über Pauschsätze für den Verwaltungsaufwand bei der Gebührenbemessung im staatlichen Bereich (Nds. MBl. 2001, S. 419, zuletzt geändert durch Runderlass vom 18.04.2002, Nds. MBl. 2002, 286).

33

Im vorliegenden Fall ist lässt sich jedoch weder der Begründung zur Kostenfestsetzung im angegriffenen Bescheid des Beklagten noch dem Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig entnehmen, nach welchen Kriterien die Behörde die festgesetzte Gebühr für die Fahrtenbuchanordnung einschließlich der Prüfung der Eintragung bemessen hat. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der Beklagte eine angemessene Wertrelation zwischen dem entstandenen Verwaltungsaufwand und dem Gegenstandswert der dem Betroffenen auferlegten Verpflichtung hergestellt hat. Damit fehlt es an den für die Ausführung eines Gebührenrahmens anzustellenden und nachvollziehbar darzulegenden Abwägungen nach § 9 Abs. 1 VwKG. Die bloße Behauptung des Beklagten, er halte den festgesetzten Betrag für angemessen, kann die erforderliche Begründung dafür, warum er dies meint, nicht ersetzen.

34

Solche Ermessenserwägungen können, weil ein Ermessen in nachvollziehbarer Weise offensichtlich nicht ausgeübt wurde, auch nicht mehr im Klageverfahren nach § 114 Satz 2 VwGO nachgeholt werden (vgl. BVerwG, Beschl. vom 14.01.1999, NJW 1999, 2912 m.w.N.). Dies führt zur Aufhebung der Kostenfestsetzung, soweit die Verwaltungsgebühr betroffen ist (vgl. dazu im einschlägigen Zusammenhang bereits VG Braunschweig, Urt. vom 23.08.2001 - 6 A 119/01 -, dem Beklagten bekannt).

35

Die Rechtmäßigkeit der Erhebung von Auslagen (Postzustellungskosten von 5,62 Euro) ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt.

36

Die Kostenentscheidung beruht, weil der Beklagte nur zu einem geringen Teil unterlegen ist, auf § 155 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

37

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GKG und entspricht in dieser Höhe der ständigen Rechtsprechung der Kammer sowie des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (250,00 Euro je Monat der getroffenen Fahrtenbuchanordnung und betroffenem Fahrzeug zuzüglich der streitigen Verwaltungskosten).