Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 27.05.2015, Az.: S 27 BK 2/15

Kostenerstattung von Leistungen für Bildung und Teilhabe i.R.d. Kindertagespflege (hier: Mittagsverpflegung bei einer Tagesmutter)

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
27.05.2015
Aktenzeichen
S 27 BK 2/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 22649
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOSNAB:2015:0527.S27BK2.15.0A

Fundstelle

  • NZS 2015, 676

Tenor:

  1. 1.

    Der Beigeladene wird verurteilt, a. den Klägern Leistungen für die Mittagsverpflegung für Enke in Höhe von 20 Euro für Mai 2012 und 21 Euro für Juli 2012 zu zahlen. b. den Klägern Leistungen für die Mittagsverpflegung für Enke in Höhe von 19 Euro für Mai 2013, 18 Euro für Juni 2013 und 13 Euro für Juli 2013 zu zahlen.

  2. 2.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  3. 3.

    Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten zu 5/6 zu erstatten.

Tatbestand

Die Kläger begehren für ihr zweites Kind (G.) Leistungen für Bildung und Teilhabe für die Zeiträume Mai und Juli 2012 sowie April bis Juli 2013 (Mittagsverpflegung bei einer Tagesmutter). Die Kläger sind verheiratet. Aus der Ehe sind drei gemeinsame Kinder hervorgegangen: H., G. und I ... Das zweite Kind wurde in der streitgegenständlichen Zeit bei einer Tagesmutter betreut. Die Kläger vereinbarten mit der Tagesmutter ein Entgelt für die Mittagsverpflegung in Höhe von zwei Euro pro Tag. Die Tagesmutter erhielt vom Beigeladenen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe entsprechend der maßgeblichen Tagessatzvereinbarung eine Vergütung, die nach den Regelungen zur Ausgestaltung und Gewährung der Kindertagespflege kostendeckend sein sollte. Wegen der Einzelheiten der Regelungen wird auf Bl. 18 ff. Gerichtsakte verwiesen. Nach der Geburt des dritten Kindes beantragten die Kläger Kinderzuschlag bei der Familienkasse und stellten zugleich ebenfalls bei der Familienkasse einen Antrag auf Leistungen für Bildung und Teilhabe. Die Familienkasse lehnte den Antrag auf Kinderzuschlag zunächst mit Bescheid vom 14. Juni 2012 ab. Auf den Widerspruch half die Familienkasse schließlich ab (Bescheid vom 1. März 2013). Sie bewilligte Kinderzuschlag für die Monate Mai 2012 und Juli 2012. Im April 2013 stellten die Kläger den Folgeantrag auf Kinderzuschlag. Mit Bescheid vom 6. Mai 2013 bewilligte die Familienkasse Kinderzuschlag für den Zeitraum April 2013 bis September 2013. Im März 2013 beantragten die Kläger Leistungen für Bildung und Teilhabe bei der Beklagten für den Zeitraum Mai und Juli 2012. Im Mai 2013 stellten sie bei der Beklagten den Antrag auf Leistungen für die Monate April bis Juli 2013. Die Beklagte lehnte beide Anträge ab (Bescheide vom 20. März 2013 und 30. Mai 2013). Gegen diese Entscheidungen legten die Kläger Widerspruch ein (Schreiben vom 8. April 2013 und 6. Juni 2013). Wegen der Begründung wird Bezug genommen auf das Schreiben vom 8. April 2013 (Bl. 42 der Verwaltungsakte). Die Beklagte wies die Widersprüche jeweils als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheide vom 13. Juni 2013 und 14. Juni 2013). Im Kern führte die Beklagte aus, dass Leistungen der Jugendhilfe vorrangig seien. Mit der Tagesmutter bestehe eine Vergütungsvereinbarung. Die dort vereinbarte Vergütung mit dem Träger der Jugendhilfeleistungen sei kostendeckend. Weitere privatrechtliche vereinbarte Leistungen würden kein Bedarf nach § 28 Abs. 6 SGB II begründen. Die Kläger haben am 4. Juli 2013 Klage erhoben. Sie tragen vor: Die Vereinbarung mit der Tagesmutter sei nicht schriftlich fixiert. Die vereinbarte Mittagsverpflegung falle unter § 28 Abs. 6 SGB II. Es sei kein Grund ersichtlich Eltern von Schul- und Kindergartenkindern anders zu behandeln als Eltern von Tagespflegekindern. Regelungen, die zwischen dem Träger der Jugendhilfe und der Tagesmutter getroffen worden seien, würden das Verhältnis zwischen Klägern und der Beklagte nicht regeln. Weiterhin verweisen die Kläger auf § 10 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII. Wegen der Höhe der den Klägern entstandenen Kosten wird auf den Schriftsatz vom 1. September 2013, Bl. 5 GA, verwiesen. Die Beklagte hat die Bescheide vom 20.3.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2013 und vom 30. Mai 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. 2013 aufgehoben.

Die Kläger beantragen,

den Klägern Leistungen für die Mittagsverpflegung des Kindes J. für die Monate Mai und Juli 2012 in Höhe von einem Euro pro Tag zu zahlen. den Klägern Leistungen für die Mittagsverpflegung des Kindes J. für die Monate April bis Juli 2013 in Höhe von einem Euro pro Tag zu zahlen.

Der Beklagte die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beigeladene beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte trägt vor: § 28 Abs. 6 SGB II sei grundsätzlich auch für Kinder in der Tagespflege anwendbar. Vorliegend seien die entstehenden Kosten jedoch bereits durch das Pflegegeld nach § 23 SGB VIII abgegolten. Die Beklagte nimmt dazu Bezug auf eine überreichten Regelungen über die Ausgestaltung und Gewährung der Kindertagespflege (Bl. 18 der Gerichtsakte). Die Kammer hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Verwaltungsakte der Familienkasse beigezogen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg. Sie war ursprünglich als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Nachdem die Beklagte die Ablehnungsbescheide aufgehoben hat und die Kläger den schriftsätzlich angekündigten Antrag dementsprechend angepasst haben, war nur noch über den Leistungsantrag zu entscheiden. Die Klage ist begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf Kostenerstattung für Leistungen für Bildung und Teilhabe. Die Kläger erfüllten die Voraussetzungen nach § 6b BKGG. Sie haben für ihr zweites Kind einen Anspruch auf Kindergeld, sie lebten im streitgegenständlichen Zeitraum mit dem Kind in einem Haushalt und sie erhielten Kinderzuschlag nach § 6a BKGG. Auf der Rechtsfolgenseite verweist § 6b BKGG auf § 28 Abs. 2-7 SGB II. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 6 SGB II sind erfüllt. Für das zweite Kind wurden Leistungen der Kindertagespflege erbracht. Denn das zweite Kind war bei einer Tagesmutter untergebracht, für welche der Beigeladene Leistungen nach dem SGB VIII erbracht hat. Das Kind nahm auch an einer gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung teil. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und es bestand auch diesbezüglich kein Anlass zu Ermittlungen von Amts wegen. Der Höhe nach ergibt sich ein Anspruch von einem Euro pro Tag, wie er von den Klägern geltend gemacht wird. Dies ergibt sich aus § 6b Abs. 2 Satz 3 BKGG in Verbindung mit § 9 Regelbedarfsermittlungsgesetz. Der Anspruch ist nicht ausgeschlossen, weil § 10 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII einen Vorrang von Leistungen nach dem SGB VIII gegenüber Leistungen nach dem SGB II vorsieht. Denn nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt dieser Vorrang gerade nicht für Teilhabeleistungen nach § 28 Abs. 6 SGB II (und § 6b BKGG). Dies entspricht der herrschenden Meinung in der Literatur (siehe die Nachweise in der Verfügung vom 2. Februar 2015, Bl. 34 der Gerichtsakte) und wird auch von der Beklagten grundsätzlich nicht in Abrede gestellt. Weder die Beklagte noch der Beigeladene können zudem mit Erfolg einwenden, dass ein Bedarf nicht entsteht, weil im vorliegenden Fall auf Grund der Ausgestaltungsregelungen die nach dem SGB VIII an die Tagesmutter erbrachten Leistungen kostendeckend sein sollen: 1. Dies verkennt, dass die Kläger zivilrechtlich gleichwohl einem Anspruch der Tagesmutter ausgesetzt waren. Ernsthaft bestritten wurde der zivilrechtliche Abschluss dieser Vereinbarung jedenfalls nicht. Weiterhin hat die Kammer vorausgesetzt, dass die Tagesmutter eine Mittagsverpflegung ohne eine zusätzliche Vergütung auch nicht angeboten hätte. 2. Die Vergütungsvereinbarung verstößt auch nicht gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB). Die Kläger müssen sich nicht entgegen halten lassen, dass im Verhältnis des Beigeladenen zur Tagesmutter eine Regelung zur Erstattung des Sachaufwandes nach § 23 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII getroffen wurde. Denn den Regelungen zur Ausgestaltung der Gewährung der Kindertagespflege kann nicht entnommen werden, dass sich daraus ein Verbot für die Tagesmutter ergeben würde, zusätzliche Leistungen von den Eltern zu verlangen (vgl. dazu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. August 2014 - 12 A 591/14 -, , Rn. 9 und 153: Nach den dort einschlägigen Richtlinien wurde ein ausdrückliches Verbot aufgenommen, gegen Eltern Forderungen für andere Leistungen als für das Mittagessen zu erheben). Das OVG Lüneburg, scheint ebenfalls der Auffassung zu sein, dass Tagesmütter mit den Eltern privatautonom Regelungen zur Mittagsverpflegung treffen können, die dann im Einzelfall im Verhältnis Jugendhilfeträger und Tagesmutter bei der Kostenerstattung berücksichtigt werden können (OVG Lüneburg, Urteil vom 20. November 2012 - 4 KN 319/09 -, , Rn. 67). 3. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber in § 28 Abs. 6 SGB II gerade den Fall geregelt hat, dass für die betroffenen Kinder Leistungen der Kindertagespflege geleistet werden. Die Argumentation der Beklagten, dass die vorliegenden Vergütungsregelungen die Mittagsverpflegung berücksichtigten und deswegen im Einzelfall § 10 Abs. 3 S. 2 SGB VIII nicht einschlägig sei, überzeugt nicht und würde § 10 Abs. 3 S. 2 SGB VIII jeglichen Sinns berauben. Es ist unzutreffend, wenn die Beklagte meint, für § 10 Abs. 3 S. 2 SGB VIII würde ein Anwendungsbereich verbleiben, soweit im Einzelfall Vergütungsvereinbarungen den Verpflegungsaufwand nicht abdecken. Denn nach § 23 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII hat die Kostenregelung den Sachaufwand zu berücksichtigen, und zwar immer einschließlich Verpflegung. Es ist nicht zulässig, generell einzelne Bestandteile des Sachaufwandes, insbesondere die Verpflegung, herauszurechnen und die Tagesmutter auf Ansprüche gegen die Eltern zu verweisen (so Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. August 2014 - 12 A 591/14 -, , Rn. 153 unter Verweis auf OVG Lüneburg, Urteil vom 20. November 2012 - 4 KN 319/09 -, , Rn. 67). Allenfalls kann nach der Rechtsprechung des OVG Lüneburg (a. a. O.) im Einzelfall ein von den Eltern geleisteter Eigenanteil vom Träger der Jugendhilfe bei der Festlegung der Vergütung für die Tagesmutter berücksichtigt werden. Ggf. ist es Sache des Beigeladenen bei die Abrechnungen im Einzelfall anzupassen, weil möglicherweise im Einzelfall ein Aufwand für die Tagesmutter nicht entsteht (vgl. OVG Lüneburg, a. a. O., Rn. 67). Jedenfalls berühren diese Umstände nicht die Ansprüche der Kläger. Der Anspruch ist vorliegend nicht ausgeschlossen weil nach § 6b BKGG Abs. 3 in Verbindung mit § 29 Abs. 1 SGB II die Leistungen grundsätzlich als Sachleistungen zu erbringen sind. Die Kläger haben einen Kostenerstattungsanspruch. Der Kostenerstattungsanspruch ergibt sich aus allgemeinen Grundsätzen dann, wenn Leistungen rechtswidrig abgelehnt wurden (Luik, in: Eicher, SGB II, § 29, Rn. 19): 1. Diese Voraussetzungen sind ohne weiteres für den Zeitraum Mai bis Juli 2013 erfüllt. Denn die Beklagte hat die begehrten Leistungen mit Bescheid vom 30. Mai 2013 abgelehnt, obwohl die Leistungsvoraussetzungen erfüllt waren (s. o.). 2. Ausgeschlossen ist der Anspruch für den Zeitraum April 2013, weil die Beklagte im April 2013 nicht mit dem Leistungsbegehren befasst wurde. Denn die Antragstellung erfolgte erst im Mai (vgl. Luik, a. a. O.). Es bedurfte keiner Entscheidung darüber, ob Leistungen nach §§ 6a, 6b BKGG generell nicht für Zeiten vor Antragstellung erbracht werden dürfen. Jedenfalls ist bei der Kostenerstattung ein Anspruch für die Zeit vor Antragstellung ausgeschlossen, weil es für diese Zeiten immer an einer Vorbefassung der Behörde fehlt. 3. Für die Monate Mai und Juli 2012 ist der Anspruch dagegen nicht ausgeschlossen. Den Antrag auf Leistungen für Bildung und Teilhabe hatten die Kläger gemeinsam mit dem Antrag auf Kinderzuschlag gestellt. Die Beklagte bzw. der Beigeladene konnte mit dem Antrag noch gar nicht befasst werden, weil weder Kinderzuschlag bewilligt worden war noch die Kläger im Bezug von Wohngeld standen. Den Klägern blieb daher gar nichts anderes übrig, als die Leistungen zuvor selbst zu beschaffen. Eine Geltendmachung des Anspruchs im Eilverfahren wäre auch nicht aussichtsreich gewesen, weil die Kläger über Vermögen auf Sparkonten verfügten (vgl. Bl. 57 der Gerichtsakte). Liegt Vermögen auch unterhalb der Freibeträge vor, schließt dies regelmäßig eine Eilbedürftigkeit aus, weil der Nachteil (aufbrauchen der Ersparnisse) lediglich einen wirtschaftlichen Nachteil bedeutet, der zudem regelmäßig reversibel ist. Passivlegitimiert war allein der Beigeladene. Dies folgt aus § 7 Abs. 3 BKGG in Verbindung mit § 3a des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum SGB II (Nds. AG SGB II). Danach sind die kommunalen Träger zuständig die Durchführung der Aufgaben nach § 6b BKGG. Nach § 1 Nds. AG SGB II sind kommunale Träger allein die Kreise, die kreisfreien Städte und die Region Hannover für ihr gesamtes Gebiet. Eigens gegründete kommunale Anstalten sind dort nicht aufgeführt. Die Beklagte ist auch kein kommunaler Zweckverband (§ 1 Abs. 2 Nds. AG SGB II). Denn hinter der Beklagten steht allein der Beigeladene. Aus § 3 Abs. 4 der Satzung der Beklagten, wonach die Beklagte für den Beigeladenen das Teilhabepaket umsetzt, folgt nichts anderes: Sofern man diese Vorschrift als Zuständigkeitsübertragung versteht (vgl. § 3 Abs. 5 der Satzung für die Übertragung der Zuständigkeiten nach dem SGB II), ist diese mit höherrangigem Recht (§ 7 Abs. 3 BKGG in Verbindung mit § 3a Nds. AG SGB II) unvereinbar und ist diesbezüglich mit Wirkung für die Beteiligten für nichtig zu erklären. Die Unvereinbarkeit ergibt sich daraus, dass die gesetzliche Zuständigkeitsregelung zwingend ist. Von ihr kann nur durch Gesetz oder aufgrund von Gesetz abgewichen werden. Vereinbarungen zwischen Behörden oder zwischen Behörden und Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens genügen nicht. Soll dagegen nach § 3 Abs. 4 der Satzung die Beklagte nur herangezogen werden, ändert sich an der eigentlichen Zuständigkeit der Beigeladenen ohnehin nichts. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.