Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 01.10.2015, Az.: S 13 KR 736/14

Versorgung eines Versicherten mit einer Kommunikationshilfe "HumanKommunikator"

Bibliographie

Gericht
SG Osnabrück
Datum
01.10.2015
Aktenzeichen
S 13 KR 736/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 37999
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGOSNAB:2015:1001.S13KR736.14.0A

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2014 verurteilt, den Kläger mit der Kommunikationshilfe Neos 13Pro Grundversion HumanKommunikator zu versorgen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung des B. geborenen Klägers mit der Kommunikationshilfe HumanKommunikator streitig. Der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger leidet an einer Tetraparese und einem apallischen Syndrom bei einem Zustand nach einer Subarachnoidalblutung. Unter Berufung auf den Kostenvoranschlag der C. GmbH vom 21. Mai 2014, der am 22. Mai 2014 bei der Beklagten einging, beantragte der Kläger die Versorgung mit einem HumanKommunikator Neos13Pro Grundversion. Die Beklagte lehnte den Antrag ohne Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) mit Bescheid vom 27. Juni 2014 ab und wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 2014 zurück. Hiergegen richtet sich die am 9. Dezember 2014 bei Gericht eingegangene Klage. Der Kläger trägt vor, er sei auf die Nutzung eines PC mit einem email Programm, Virenschutz und Betriebssystem, die sich auf dem aktuellen Stand befinden, angewiesen. Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2014 zu verurteilen, ihn mit der Kommunikationshilfe Neos13Pro Grundversion HumanKommunikator zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Kläger keinen Anspruch auf Versorgung mit der begehrten Kommunikationshilfe nach § 13 Abs. 3a Satz 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) habe. Die Genehmigungsfiktion erstrecke sich nur auf notwendige und wirtschaftliche Leistungen. Der Gesetzgeber habe mit den vom Bürger aufgebrachten Mitteln wirtschaftlich umzugehen. Deshalb könne nicht aufgrund einer verzögerten Antragsbearbeitung jede denkbare Leistung zu erbringen sein. Die Regelungen des § 13 Abs. 3a Satz 6 und Satz 7 SGB V seien verfassungskonform auszuglegen, um dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung zu tragen. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf die Inhalte der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27. Juni 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. November 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil der Antrag des Klägers auf Versorgung mit der Kommunikationshilfe HumanKommunikator vor Bekanntgabe des ablehnenden Bescheides vom 27. Juni 2014 als genehmigt galt. Gemäß § 13 Abs. 3a SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden (Satz 1). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (Satz 3). Kann die Krankenkasse die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (Satz 5). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (Satz 6). Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet (Satz 7). Die Beklagte hat die Dreiwochenfrist nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V ohne den Kläger die Gründe hierfür dargelegt zu haben nicht eingehalten, was zur Folge hat, dass gemäß § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V eine Genehmigungsfiktion eingetreten ist. Die Regelung in § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist weder einschränkend dahingehend auszulegen, dass ihr keine eigenständige Bedeutung zukommt (1) noch dass die Genehmigungsfiktion sich nur auf erforderliche Leistungen beschränkt (2). 1. Der differenzierten Regelung zwischen der Genehmigungsfiktion in Satz 6 und der Normierung eines Kostenerstattungsanspruchs in Satz 7 hätte es nicht bedurft, wenn ein Fristversäumnis ausschließlich zur Folge hätte, dass der Versicherte sich die erforderliche Leistung beschaffen und Kostenerstattung geltend machen könnte. Unerheblich ist, dass die Genehmigungsfiktion systemfremd in die Regelungen des § 13 SGB V zu Kostenerstattungen integriert wurde. Unerheblich ist auch, ob der Gesetzgeber möglicherweise etwas anderes gewollt hat. Denn maßgeblich ist das erlassene Gesetz und nicht der Wille des Gesetzgebers, wenn der Wortlaut einer Regelung eindeutig und keiner Auslegung zugänglich ist. Eine dem Wortlaut widersprechende Auslegung überschritte dann die Grenzen einer zulässigen Auslegung. Ein solcher Fall der unzulässigen Auslegung läge vor, wenn der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V keine Bedeutung beigemessen würde. Denn dies hieße die Regelung in Gänze zu ignorieren. Dass aus der Fiktion der Genehmigung ein Sachleistungsanspruch resultiert, ist zudem verfassungsrechtlich geboten. Denn mittellose Versicherte, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, wären andernfalls entgegen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3a SGB V ausgeschlossen (vgl. Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 17. Juni 2015, L 2 KR 180/14 und Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 26. Juni 2015, S 7 KR 429/14). 2. § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V bezweckt innerhalb der zur Entscheidung eingeräumten Fristen die zügige Schaffung von Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zugunsten des Versicherten. Diese generalpräventive Funktion liefe ins Leere, wenn die Genehmigungsfiktion durch eine außerhalb der Frist erfolgende nachträgliche Prüfung der einzelnen Leistungsvoraussetzungen wieder erlöschen könnte (Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 17. Juni 2015, L 2 KR 180/14). Entgegen der Auffassung der Beklagten führt diese Auslegung nicht zu einer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG zwischen Versicherten, die allein aufgrund der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V die beantragte Leistungen beanspruchen können und solchen, deren Leistungsantrag wegen fehlender Anspruchsvoraussetzungen rechtmäßig abgelehnt wurde. Es handelt sich bereits nicht um vergleichbare Sachverhalte, die unterschiedlich zu regeln eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung darstellt. Denn die Anträge der von der Beklagten angeführten Versicherten werden einmal innerhalb der nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V normierten Fristen beschieden und damit nach der gesetzgeberischen Wertung zeitnah und einmal nach Ablauf der Frist. Unabhängig davon ist die generalpräventive Funktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ein sachlicher Grund für eine Differenzierung. Auch das in § 12 SGB V normierte Wirtschaftlichkeitsgebot erfordert entgegen der Auffassung der Beklagten keine Beschränkung der Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V auf erforderliche Leistungen. Es liegt in der Entscheidungsbefugnis des Gesetzgebers zur effektiven Durchsetzung sozialer Rechte Ausnahmen vom Wirtschaftlichkeitsgebot vorzusehen. Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) sind Leistungsträger verpflichtet darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte, die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält. Die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V erfüllt nur dann ihren Zweck Berechtigten die ihnen zustehenden Sozialleistungen zügig zukommen zu lassen, wenn sie gerade solche Fälle miteinschließt, in denen die Leistungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Soweit die Beklagte meint, die Genehmigungsfiktion auf nicht erforderliche Leistungen zu erstrecken, sei mit einer wirtschaftlichen Mittelverwendung nicht vereinbar, verkennt sie, dass dies keine unmittelbare Folge des § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V ist, sondern aus dem rechtswidrigen Unterlassen der Krankenkasse folgt, in der gesetzlich vorgegebenen Zeit nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V über einen Leistungsantrag zu entscheiden und aus dem rechtswidrigen Unterlassen folgt, den Leistungsberechtigen unter Darlegung der Gründe nach § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V über die Nichteinhaltung der Frist in Kenntnis zu setzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG)

Die Sprungrevision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe