Sozialgericht Osnabrück
Urt. v. 27.11.2015, Az.: S 46 KR 1667/13
Bibliographie
- Gericht
- SG Osnabrück
- Datum
- 27.11.2015
- Aktenzeichen
- S 46 KR 1667/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 41922
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 1.369,02 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29. Februar 2012 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 1.369,02 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung streitig. A. (Versicherter) befand sich vom 3. Januar 2012 an in der Paracelsus-B. -Klinik, deren Trägerin die Klägerin ist, in stationärer Behandlung. Der Versicherte litt an Parkinson. Aufnahmeanlass waren optische und zum Teil akustische Halluzinationen. Die Behandlung endete am 24. Januar 2012. In dem Entlassungsbericht sind als Diagnosen unter anderem ein primäres Parkinson-Syndrom mit mäßiger Beeinträchtigung ohne Wirkungsfluktuation (G20.10), Demenz bei primärem Parkinson-Syndrom (F02.3) und eine organische Halluzinose (F06.0) aufgeführt. Die Paracelsus-B. -Klinik forderte am 26. Januar 2012 für die Behandlung von der Beklagten, bei der der Versicherte während der stationären Behandlung gesetzlich krankenversichert war, unter Abrechnung der Fallpauschale B67A (Morbus Parkinson mit äußerst schweren CC) 4.725,95 EUR. Zu der Fallpauschale B67A führte die Kodierung der Nebendiagnose F06.0. Die Beklagte erfüllte die Forderung in Höhe von 3.356,93 EUR, weil sie der Auffassung war, dass die Diagnose F06.0 nicht zu kodieren gewesen sei, was zu der Fallpauschale B67B und der niedrigeren Vergütung führt. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) bestätigte die Auffassung der Beklagten. Mit der 2013 erhobenen Klage macht die Klägerin den Differenzbetrag nebst Zinsen geltend. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige stellte fest, dass Halluzinationen des Versicherten Folge der Medikation und nicht direkte Folge der Grunderkrankung waren und klinisch und diagnostisch von der Demenz bei primärem Parkinson-Syndrom abgegrenzt werden können.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.369,02 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29. Februar 2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf die im Klageverfahren eingeholten Gutachten des MDK vom 12. Dezember 2014, 23. April 2015 und vom 28. September 2015 wonach die Diagnose F06.0 nicht zu kodieren sei, da sie in Verbindung mit der Demenz stehe. Der MDK meint, die Kodierung der Halluzination erfolge gemäß der Kodierrichtlinie D003 als R44.1, optional ergänzt durch Y57.9!. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird auf die Inhalte der Gerichtsakte, der Patientenakte der Paracelsus-B. -Klinik und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen. Das Gericht hat die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.
Entscheidungsgründe
Das Gericht hat den Rechtsstreit gemäß § 105 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Die zulässige Klage ist begründet. Die Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Die Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG ist im Gleichordnungsverhältnis zwischen einem Krankenhausträger und einer Krankenkasse statthaft. Es bedurfte keines Vorverfahrens oder Einhaltung einer Klagefrist (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, vgl. Urteil vom 30. Juni 2009, B 1 KR 24/08 R). Anspruchsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. dem Vertrag zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V zwischen der Hessischen Krankenhausgesellschaft und den Landesverbänden der Krankenkassen in Hessen (Hessischer Landesvertrag). Die Zahlungsverpflichtung einer gesetzlichen Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den bei ihr versicherten Patienten. Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser i.S des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, wenn die Versorgung i.S.v. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich war, was für den Behandlungsfall der Versicherten zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Der Höhe nach folgt der Anspruch aus § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und der Anlage 1 zu der Vereinbarung zu dem Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2012 (Fallpauschalenvereinbarung 2012 - FPV 2012) nach § 17b Abs. 1 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz - KHG). Mit den Entgelten nach § 7 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG werden alle für die Versorgung des Patienten erforderlichen allgemeinen Krankenhausleistungen vergütet, § 7 Abs. 1 Satz 2 KHEntgG. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nr. 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Einschlägig ist vorliegend die Abrechnung von Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog, § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG. Der Fallpauschalenkatalog ist nach diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) geordnet. Dabei erfolgt die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalles zu einer DRG in zwei Schritten. In einem ersten Schritt werden die Diagnosen und Leistungen gemäß dem im Jahr 2012 gültigen Klassifikationssystem ICD-10-GM 2012 und dem "Operationen- und Prozedurenschlüssel nach § 301 SGB V" (OPS) verschlüsselt, vgl. § 301 Abs. 2 SGB V. Zur sachgerechten Durchführung dieser Verschlüsselung ("Kodierung") haben die Vertragspartner auf Bundesebene "Kodierrichtlinien" beschlossen. Maßgebend für den vorliegenden Abrechnungsfall sind die Kodierrichtlinien des Jahres 2012 und der OPS 2012. In einem zweiten Schritt wird der Kode einer bestimmten DRG zugeordnet, anhand der dann nach Maßgabe des Fallpauschalenkatalogs und der Pflegesatzvereinbarung die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 der FPV 2012 werden die Fallpauschalen jeweils von dem die Leistung erbringenden Krankenhaus nach dem am Tag der Aufnahme geltenden Fallpauschalen-Katalog und den dazu gehörenden Abrechnungsregeln abgerechnet. Zur Einstufung in die jeweils abzurechnende Fallpauschale sind Programme (Grouper) einzusetzen, die vom DRG-Institut der Selbstverwaltungspartner nach § 17b Abs. 2 des KHG zertifiziert sind, § 1 Abs. 6 Satz 1 der FPV 2012. Ausgehend hiervon ist der streitige Behandlungsfall mit der DRG B67A zu vergüten. Zu dieser Fallpauschale führt die Kodierung der Diagnose F06.0 als Nebendiagnose. Es ist durch das Sachverständigengutachten erwiesen, dass die Diagnose F06.0 bei dem Versicherten vorlag.
Die Diagnose F06.0 fällt nach dem ICD-10-GM 2012 in die Kategorie verschiedener Krankheitsbilder, die ursächlich mit einer Hirnfunktionsstörung in Zusammenhang stehen als Folge von primär zerebralen Krankheiten, systemischen Krankheiten, die sekundär das Gehirn betreffen, exogenen toxischen Substanzen oder Hormonen, endokrinen Störungen oder anderen körperlichen Krankheiten. Dies gilt aufgrund des formulierten Exklusivums nicht in folgenden Fällen: In Verbindung mit Demenz, wie unter F00-F03 beschrieben Psychische Störung mit Delir (F05.-) Störungen durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen (F10-F19). Bei der organischen Halluzinose handelt es sich um eine Störung mit ständigen oder immer wieder auftretenden, meist optischen oder akustischen Halluzinationen bei klarer Bewusstseinslage. Sie können vom Patienten als Halluzinationen erkannt werden. Die Halluzinationen können wahnhaft verarbeitet werden, Wahn dominiert aber nicht das klinische Bild. Die Krankheitseinsicht kann erhalten bleiben. Ausgenommen sind Fälle der Alkoholhalluzinose und Schizophrenie. Sämtliche Voraussetzungen liegen nach den Feststellungen des Sachverständigen und den ärztlichen Stellungnahmen von Prof. Dr. med. C. und Dr. med. S-D. vom 3. März 2015 sowie den Ausführungen in dem MDK Gutachten vom 23. April 2015 vor. Dem Gutachten des MDK vom 12. Dezember 2014, wonach keine klare Bewusstseinslage beim Versicherten vorgelegen haben soll und er die Halluzinationen nicht habe erkennen können, ist nicht zu folgen. Die Bewusstseinslage war weder quantitativ noch qualitativ (zur Unterscheidung vgl. MDK Gutachten vom 23. April 2015) derart eingeschränkt, dass sie nicht als klar zu bezeichnen wäre. Der Sachverständige hat hierzu festgestellt, dass der Schweregrad der Demenz des Versicherten als eher leicht- bis mittelgradig einzuschätzen sei. Der MMST weise auf eine eher leichtgradige Ausprägung hin. Der Versicherte war wach und ansprechbar und allseits orientiert. Der Versicherte konnte die Halluzinationen auch zeitweise als solche erkennen. So reagierte er ausweislich der Pflegedokumentation am 3. Januar 2012 verständig auf die Konfrontation mit dem Thema Halluzination. Entgegen der Auffassung der Beklagten stand die organische Halluzinose auch nicht in Verbindung mit der beim Versicherten vorgelegenen Demenz, was der Sachverständige schlüssig in dem Gutachten (vgl. insbesondere Seiten 6ff. des Gutachtens) dargelegt hat. Die organische Halluzinose war medikamentenbedingt. Entgegen der Auffassung der Beklagten folgt aus der Kodierrichtlinie 1917d nicht, dass die Diagnose F06.0 nicht zu kodieren ist, sondern vielmehr dass daneben optional die Diagnose Y57.9! in Betracht kommt. Die Zinsforderung folgt dem Grunde nach aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 286 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Höhe nach folgt der Anspruch aus § 10 Abs. 5 des Hessischen Landesvertrages i.V.m. § 288 Abs. 1 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus den §§ 3 Abs. 1, 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).