Amtsgericht Hildesheim
Urt. v. 20.08.2010, Az.: 19 C 154/09
Bibliographie
- Gericht
- AG Hildesheim
- Datum
- 20.08.2010
- Aktenzeichen
- 19 C 154/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 41454
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGHILDE:2010:0820.19C154.09.0A
Rechtsgrundlagen
- AVBGasV § 4
- GasGVV § 5 Abs. 2
- GasGVV § 5
- AVBGasV § 4 Abs. 2
- BGB § 433 Abs. 2
- AVBGasV § 4 Abs. 1
- AVBGasV § 1 Abs. 2
In dem Rechtsstreit
...
hat das Amtsgericht Hildesheim im schriftlichen Verfahren mit einer Erklärungsfrist bis zum 18.08.2010 durch die Richterin am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen. Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt an den Beklagten ... zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.03.2010 zu zahlen.
- 2.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt vom Beklagten eine Zahlung von ... € für die Lieferung von Gas.
Im Wesentlichen streiten die Parteien über die Berechtigung von Gaspreiserhöhungen in den Jahren 2005 bis 2008.
Die Avacon AG schloss mit dem Beklagten am 29.09.2003 einen Vertrag über die Lieferung von Gas zum Tarif "Erdgas Comfort". Der Vertrag wurde zunächst für die Dauer von zwei Jahren geschlossen. Er beinhaltet eine Verlängerungsklausel, die besagt, dass sich der Vertrag jeweils um ein Jahr verlängert, wenn der Vertrag nicht drei Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt worden ist. Ferner ist vereinbart worden, dass Vertragsbestandteil die "jeweils gültigen Vertragspreise sind, wie sie sich aus der entsprechenden Preisbroschüre von Avacon ergeben." Hinsichtlich des weiteren Inhalts des Vertrages wird auf Bl. 31 der Akte Bezug genommen. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses galt für den Tarif "Erdgas Comfort" ein Arbeitspreis von 3,32 ct/kWh netto. Die Parteien haben anlässlich des Vertragsschlusses auch die Geltung der "Allgemeinen Bestimmungen Avacon Erdgas Comfort" vereinbart.
Die Allgemeinen Bedingungen enthielten unter dem Punkt 3 folgende Regelung:
"Avacon behält sich die Änderung der Vertragspreise vor. Der Kunde wird vorher über etwaige Änderungen informiert. Dies kann zum Beispiel durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen. Die Änderungen werden zu dem in der Bekanntgabe/Information genannten Termin wirksam. Der Kunde hat das Recht, das Vertragsverhältnis mit zweiwöchiger Frist auf das Ende des nächsten der Bekanntgabe/Information folgenden Kalendermonats zu kündigen ...."
Hinsichtlich des weiteren Wortlauts der Allgemeinen Bestimmungen wird auf Bl. 159 der Akte Bezug genommen.
Die Avacon AG firmiert seit Juli 2005 unter der E.ON Avacon AG. Am 01.09.2008 hat die E.ON Avacon AG das Vertriebsgeschäft auf die Klägerin ausgegliedert.
Der Beklagte teilte der Avacon AG mit Schreiben vom 03.06.2005 mit, dass er Preiserhöhungen widersprechen würde. Er führt in dem Schreiben aus, dass die am 29.03.2003 vereinbarten Vertragspreise weiterhin gelten müssten.
Die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin haben die streitgegenständlichen Preiserhöhungen in Tageszeitungen bekannt gegeben (Bl. 33 ff. d.A.).
Sie begehrt für die Gaslieferungen im Verbrauchszeitraum 03.05.2005 - 21.04.2008 insgesamt ... € abzüglich der bereits vom Beklagtem gezahlten ....
Die Beträge ergeben sich im Einzelnen aus folgender Tabelle:
Die Klägerin behauptet, sie sei gemäß § 4 AVBGasV a.F. (gültig bis zum 07.11.2006) bzw. gemäß § 5 GasGVV (gültig ab dem 08.11.2006) berechtigt gewesen, die Preise einseitig zu erhöhen.
Die Preiserhöhungen seien auch billig gewesen. Die Beschaffungs(arbeits)kosten der Klägerin seien im Zeitraum 01.01.2004 - 30.09.2008 um 2,499 ct/kWh (netto) gestiegen. Es habe auch keinen Rückgang von Kosten in anderen Bereichen, sondern eine Kostensteigerung im Segment Gas um 26,4 Mio. € im selben Zeitraum gegeben.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie ... € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht die Klage als unbegründet abweist, beantragt der Beklagte widerklagend,
die Klägerin zu verurteilen, an den Beklagten ... € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Widerklage zu zahlen.
Die Klägerin beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Der Beklagte, ist der Auffassung, dass die von der Klägerin vorgenommenen einseitigen Preiserhöhungen unwirksam seien. Nr. 3 der "Allgemeinen Bestimmungen Avacon Erdgas Comfort" sei unwirksam. § 4 AVBGasV a.F. bzw. § 5 GasGVV sei nicht anwendbar gewesen. Es fehle mithin an einer gesetzlichen Grundlage für die einseitigen Preiserhöhungen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Widerklage ist zulässig und begründet.
I.
Das Amtsgericht ist gemäß § 23 Nr. 1 GVG sachlich für den Rechtstreit zuständig, weil der Wert des Streitgegenstandes unter ... liegt.
Es besteht keine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts gemäß § 87 GWB bzw. § 102 EnWG. Streitgegenstand ist vorliegend, ob ein vertraglicher Anspruch der Klägerin auf Kaufpreiszahlung gemäß § 433 Abs. 2 BGB besteht. Auch die damit verbundenen Fragen der Berechtigung der Klägerin zur Preiserhöhung im Verhältnis zu ihren Kunden beurteilen sich nach Vertragsrecht. Weder geht es um Fragen des Kartellrechts noch um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit, die sich aus dem EnWG ergibt (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 08.03.2010, Az.: 4 AR 16/10; OLG Celle, Beschluss vom 10.03.2010, Az.: 4 AR 17/10).
II.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung eines restlichen Betrages von ... € für die Lieferung von Gas in dem Zeitraum 03.05.2005 bis 21.04.2008 aus § 433 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem am 29.09.2003 geschlossen Energielieferungsvertrag.
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und der Beklagte haben am 29.09.2003 vereinbart, dass dem Beklagten im Tarif "Erdgas Comfort" zu einem Arbeitspreis von 3,32 ct/kWh Gas geliefert wird.
Die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin waren während des streitgegenständlichen Verbrauchzeitraums nicht berechtigt, die Arbeitspreise für das Gas einseitig zu erhöhen.
Der Gaslieferungsvertrag ist ein zweiseitiges Rechtsgeschäft. Grundsätzlich ist daher keine der Parteien zur einseitigen Vertragsänderung berechtigt.
Die Klägerin hatte auch kein Recht zur einseitigen Tariferhöhung gemäß § 4 AVBGasV a.F. bzw. § 5 GasGVV. Beide Verordnungen gelten gemäß § 1 Abs. 2 AVBGasV a.F. bzw. § 1 GasGVV nur für sogenannte "Tarifkunden" bei Grundversorgungsverträgen. Der Beklagte ist aber nicht Tarifkunde gemäß § 1 Abs. 2 AVBGasV a.F. bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV, sondern Sondervertragskunde. Der zwischen den Parteien 2003 geschlossene Vertrag über den Tarif "Erdgas Comfort" stellt einen Sondertarifvertrag dar. Für diesen gelten § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV a.F. bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV nicht (vgl. LG Hannover in Nds.Rpfl. 2010, S. 86).
Ob ein Gasendverbraucher als Tarifkunde oder Sondervertragskunde einzuordnen ist, wird durch Auslegung ermittelt. Für die Unterscheidung kommt es darauf an, ob das Versorgungsunternehmen aus der Sicht eines durchschnittlichen Abnehmers die Versorgung zu den öffentlich bekannt gemachten Bedingungen und Preisen im Rahmen der Versorgungspflicht vornimmt (dann würde ein Grundversorgungsvertrag vorliegen) oder dem Kunden unabhängig davon im Rahmen der allgemeinen Vertragsfreiheit eine Versorgung zu von der Verordnung abweichenden Bedingungen anbietet. Dass ein sogenannter Sonderkundenvertrag vorliegt, ergibt sich bereits im vorliegenden Rechtsstreit aus dem Wortlaut von Nr. 1 der "Allgemeinen Bestimmungen Avacon Erdgas Comfort". Dort ist ausdrücklich von einem "Sondervertrag mit Sondervertragspreisen" die Rede. Zudem ist geregelt, dass die AVBGasV nur entsprechend gelten soll. Außerdem ist abweichend von der AVBGasV eine jährliche Vertragsbindung mit Verlängerungsoption vereinbart worden.
Da mithin ein Sondertarifvertrag vorliegt, findet die AVBGasV a.F. bzw. GasGVV keine Anwendung auf das Vertragsverhältnis.
Ein Recht der Klägerin einseitige Preiserhöhungen vorzunehmen, ergab sich auch nicht aus Nr. 3 der "Allgemeinen Bestimmungen Avacon Erdgas Comfort". Die Nr. 3 der Allgemeinen Bestimmungen stellt eine unwirksame AGB-Klausel dar. Zwar finden gemäß § 310 Abs. 2 BGB die §§ 308, 309 BGB auf Verträge der Gasversorgungsunternehmen keine Anwendung, wenn diese mit ihren Bedingungen nicht zum Nachteil der Abnehmer von der AVBGasV a.F. bzw. GasGVV abweichen.
Doch liegt hier eine solche nachteilige Abweichung durch die unter Nr. 3 gewählte Preisanpassungsklausel vor. Die Klausel hält zudem einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB nicht stand.
Die Formulierung "Avacon behält sich die Änderung der Vertragspreise vor" ist bei einer kundenfeindlichen Auslegung so zu verstehen, dass keine Verpflichtung zur Senkung der Preise besteht, wenn die Energiebeschaffungskosten nachhaltig sinken (vgl. BGH in NJW 2009, S. 266; BGH in NJW 2010, S. 993 [BGH 28.10.2009 - VIII ZR 320/07]). Bei Grundversorgungsverträgen ist das Energieunternehmen aber gemäß § 5 Abs. 2 GasGVV bzw. § 4 AVBGasV a.F. verpflichtet die Preise der Allgemeintarife bei nachhaltig fallenden Energiebeschaffungskosten verhältnismäßig genauso zu senken, wie die Preise bei nachhaltig steigenden Energiebeschaffungskosten erhöht werden dürfen. Zudem darf bei allgemeinen Tarifen eine Preiserhöhung nicht erfolgen, wenn die steigenden Energiebeschaffungskosten durch rückläufige andere Kosten ausgeglichen werden können. Diese Auslegung von § 4 AVBGasV a.F. bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV ergibt sich zwar nicht zwingend aus dem Wortlaut der Vorschriften, folgt aber nach ständiger Rechtsprechung aus der Pflicht der Energieunternehmen, die Allgemeintarife nach Billigkeit festzusetzen.
Die unangemessene Benachteiligung der Kunden durch die von der Rechtsvorgängerin der Klägerin gewählte Preisklausel wird nicht hinreichend durch die Möglichkeit der Kündigung des Vertrages ausgeglichen, weil nach der Reglung in Nr. 3 der Allgemeinen Bestimmungen nicht sicher gestellt ist, dass der Kunde den Vertrag bei Preiserhöhungen noch vor dem Zeitpunkt der Erhöhung des Tarifs kündigen kann (vgl. BGH in NJW 2009, S. 2667 [BGH 15.07.2009 - VIII ZR 56/08]).
Nr. 3 der "Allgemeinen Bestimmungen Avacon Erdgas Comfort" ist mithin unwirksam.
Die Klägerin hat auch nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ein Recht zur einseitigen Preiserhöhung entsprechend § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV a.F. bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV gehabt.
Zwar darf eine Partei bei Dauerschuldverhältnissen nicht unendlich lange an die früher einmal getroffenen Vereinbarungen gebunden bleiben. Doch wird hier das Fehlen einer Preisanpassungsklausel durch das Recht der Klägerin, den Vertrag durch Kündigung beenden zu können, kompensiert (vgl. BGHZ 182, 59). Die Klägerin war berechtigt, das Vertragsverhältnis mit einer Frist von 3 Monaten vor Ablauf des jeweiligen Vertragsjahres zu kündigen.
Die Klägerin war mithin verpflichtet, im gesamten streitgegenständlichen Verbrauchszeitraum den Rechnungen einen Arbeitspreis von 3,32 ct/kWh netto zu Grunde zu legen.
Wenn man die Rechnungen insoweit korrigiert, dass man einen Arbeitspreis von 3,32 € netto berücksichtigt, kommt man zu dem Ergebnis, dass der Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum ... € zu viel an die Klägerin bzw. ihre Rechtsvorgängerin gezahlt hat.
Die Berechnung im Bezug auf die einzelnen Rechnungen ergibt sich aus folgender Tabelle:
Aus der Spalte "Ergebnis" ergibt sich, welche Beträge die Klägerin dem Beklagten unter Zugrundelegung eines Arbeitspreises von 3,32 € netto hätte in Rechnung stellen müssen und ob bzw. in welcher Höhe eine Überzahlung erfolgt ist.
Hieraus folgt, dass die Klage unbegründet ist. Die zulässige (vgl. Zöller, ZPO, 27. Aufl., § 33, Rn. 26) hilfsweise Widerklage ist hingegen begründet.
Der Beklagte kann gemäß § 812 Abs. 1 BGB von der Klägerin eine Zahlung in Höhe der Überzahlung verlangen. Da der Beklagte aber lediglich beantragt hat, die Klägerin zur Zahlung von ... statt ... € zu verurteilen, konnte das Gericht dem Beklagten gemäß § 308 Abs. 1 ZPO nur ... € zusprechen.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.
Der Anspruch des Beklagten aus § 812 Abs. 1 BGB ist auch nicht verjährt. Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 BGB, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Der Gläubiger eines Bereicherungsanspruchs hat die erforderliche Kenntnis, wenn er die Leistung und die Tatsachen kennt, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt.
Von den Überzahlungen bzw. der Höhe der Überzahlungen konnte der Beklagte erst mit Zugang der Rechnungen vom 29.05.2007 und 13.08.2008 Kenntnis erlangen. Vor dem Zugang der Rechnungen war dem Beklagten nicht bekannt, wie viel Gas er verbraucht hat, so dass er nicht errechnen konnte, in welcher Höhe eine Überzahlung durch die Abschlagszahlungen erfolgt ist. Die Überzahlungsansprüche aufgrund der Rechnungen vom 29.05.2007 und 13.08.2008 wären mithin erst am 31.12.2010 bzw. 31.12.2011 verjährt, wenn der Beklagte sie nicht im Wege der Widerklage geltend gemacht hätte. Ein Bereicherungsanspruch für den Verbrauchszeitraum 03.05.2005 - 02.05.2006 wäre dagegen verjährt. Der Beklagte hat aber für diesen Verbrauchszeitraum keine Überzahlung geleistet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.