Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 18.12.2009, Az.: 71 IN 51/04
Berechtigung des Insolvenzverwalters auf Geltendmachung seines Vergütungsanspruch für die Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung trotz Verjährung; Berechtigung eines Insolvenzgerichts zur Berücksichtigung der Verjährung eines Anspruchs auf Inolvenzverwaltervergütung von Amts wegen; Erforderlichkeit einer vorherigen Anhörung von Schuldner und Gläubiger zum Vergütungsantrag des Insolvenzverwalters
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 18.12.2009
- Aktenzeichen
- 71 IN 51/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 37372
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2009:1218.71IN51.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 2 S. 2, 3 InsVV
- § 11 Abs. 2 InsVV
- § 8 Abs. 2 S. 1 RVG
- § 195 BGB
Fundstellen
- NZI 2010, 68-69
- NZI 2010, 15
- ZIP 2010, 795-797
- ZInsO 2010, 111-112
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Der Insolvenzverwalter ist in vor dem 29.12.2006 eröffneten Verfahren berechtigt, den Vergütungsanspruch für die Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung geltend zu machen, wenn die Forderung verjährt ist.
- 2.
Das Insolvenzgericht ist nicht berechtigt, die Verjährung von Amts wegen zu berücksichtigen.
- 3.
Eine vorherige Anhörung von Schuldner und Gläubigern zu dem Vergütungsantrag ist nicht erforderlich.
Gründe
I.
Im Eröffnungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin ist am 9.1.2004 der jetzige Insolvenzverwalter zum "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden. Das Abschlussgutachten weist Aktiva von 3.000 EUR aus. Die Eröffnung erfolgte am 2.4.2004 unter Bewilligung von Stundung. Im Verlauf des (noch nicht aufgehobenen) Verfahrens ist weitere Masse generiert worden. Am 23.10.2009 hat der Insolvenzverwalter u.a. Antrag auf Festsetzung der Vergütung für die Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter gestellt.
II.
Der Antrag ist teilweise begründet.
Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass die Forderung verjährt ist (1.). Der Insolvenzverwalter ist nicht daran gehindert, die Festsetzung einer verjährten Vergütung zu beantragen (2.). Das Insolvenzgericht ist nicht berechtigt, die Verjährung von Amts wegen zu berücksichtigen (3.). Auch eine vorherige Anhörung von Schuldner und Gläubigern ist nicht erforderlich (4.). Schließlich führen auch Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften unter Berücksichtigung praktischer Erwägungen zu keinem anderen Ergebnis (5.). Der Antrag ist allerdings nur in Höhe der gesetzlichen Mindestvergütung gem. § 2 Abs. 2 InsVV begründet, da Voraussetzungen für eine Erhöhung der Mindestvergütung nicht dargelegt sind (6.).
1.)
Der Anspruch auf Vergütung verjährt gem. § 195 BGB nach 3 Jahren (BGH, ZInsO 2007, 539, 540), beginnend gem. § 199 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (FK-InsO/ Schmerbach, § 21 Rn. 133, 136). Die Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters endete 2004, Verjährung trat ein mit Ablauf des Jahres 2007. Für verjährungsunterbrechende Maßnahmen - wie etwa Beantragung/Bewilligung eines Vorschusses gem. §§ 10, 9 InsVV - ist nichts ersichtlich.
Es ist allerdings streitig, ob die Verjährung der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters gehemmt ist bis zur Beendigung des eröffneten Verfahrens analog § 8 Abs. 2 Satz 1 RVG ( Kübler/Prütting/Eickmann/Prasser, Vorb. § 1 InsVV Rn. 11; LG Heilbronn, ZInsO 2009, 2356, 2357; a.A. LG Gießen, ZInsO 2009, 1559; LG Hannover, NZI 2009, 688 = ZIP 2009, 2108 = ZInsO 2009, 2355; LG Karlsruhe, ZInsO 2009, 2358; Keller, NZI 2007, 378, 380) oder aus dem Rechtsgedanken des § 11 Abs. 2 InsVV auf das Ende der Verwertung abzustellen ist ( Keller, NZI 2007, 378, 380 f.; Rüffert, ZInsO 2009, 757; Haarmeyer, ZInso 2009, 2360; Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV, Vor § 1 Rn. 51; a.A. LG Hannover, NZI 2009, 688 = ZIP 2009, 2108 = ZInsO 2009, 2355; LG Karlsruhe, ZInsO 2009, 2358, 2359). Ob dies der Fall ist, kann dahinstehen, wobei Letzteres allenfalls in den nach Inkrafttreten der Änderung des § 11 Abs. 2 InsVV zum 29.12.2006 eröffneten Verfahren in Betracht kommt.
2.)
Der Insolvenzverwalter ist nicht daran gehindert, die Festsetzung einer verjährten Vergütung zu beantragen.
Dagegen wird eingewandt, der Insolvenzverwalter handele pflichtwidrig (LG Hannover, NZI 2009, 688 = ZIP 2009, 2108 = ZInsO 2009, 2355, Rüffert, ZInso 2009, 757, 758; Haarmeyer, ZInsO 2009, 2360). Dem Insolvenzgericht obliegt zwar eine Aufsichtspflicht gem. §§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 58 InsO. Gegenstand der Aufsicht ist die Überwachung der insolvenzspezifischen Pflichten (HambKomm-/ Frind, § 58 Rn. 2; MK-InsO/ Graeber, § 58 Rn. 30). Die Geltendmachung einer lediglich einredebehafteten Forderung kann aber nicht als pflichtwidrig angesehen werden, solange die Einrede noch nicht erhoben ist (LG Gießen, ZInsO 2009, 1559, 1560; LG Karlsruhe, ZInsO 2009, 2358, 2359).
3.)
Das Insolvenzgericht ist nicht berechtigt, die Verjährung von Amts wegen zu berücksichtigen.
Die Verjährung wird nur auf Einrede gem. § 214 BGB beachtet. Ob nur der Schuldner oder auch die Gläubiger einredeberechtigt sind, kann dahinstehen (s. unten 5). Eine Verjährungseinrede ist nicht erhoben. Eine Verjährung ist nicht von Amts wegen zu berücksichtigen (LG Gießen, ZInsO 2009, 1559, 1560; LG Karlsruhe, ZInsO 2009,2358, 2359; MK-InsO/ Nowak, § 63 Rn. 10; a.A. LG Hannover, NZI 2009, 688 = ZIP 2009, 2108 = ZInsO 2009, 2355). Gründe für eine amtswegige Beachtung bestehen nicht. Das Insolvenzgericht ist zwar verpflichtet, gem. § 5 Abs. 1 InsO von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Darunter fallen aber nur die für die Entscheidung erforderlichen Tatsachen. Gewahrt bleiben muss die Unparteilichkeit des Insolvenzgerichts. Im Zivilverfahren besteht für einen Richter, der eine Partei auf Verjährung hinweist, die Gefahr der Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit (Zöller/Vollkommer, ZPO § 42 Rn. 27). Ein Hinweisrecht oder eine Hinweispflicht besteht nicht (Graeber, DZWIR 2007, 459, 461).
Die Rechtslage ist auch nicht vergleichbar den Fällen der Versagung oder Aufhebung einer Stundung gem. §§ 4a, 4c InsO. Gem. § 4a Abs. 1 InsO ist die Stundung ausgeschlossen, wenn ein Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr.1 oder 3 InsO vorliegt. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt dies auch bei zweifelsfreiem Vorliegen eines der übrigen in § 290 Abs. 1 InsO aufgeführten Versagungsgründen (BGH, ZInsO 2005, 207). Weiter lässt die Rechtsprechung eine Aufhebung der Stundung entsprechend§ 4c Nr. 5 InsO während des Laufs der Wohlverhaltensperiode zu, wenn Gründe zweifelsfrei vorliegen, die zur Versagung oder zum Widerruf der Restschuldbefreiung führen können (LG Göttingen, ZInsO 2007, 1159). Eine (analogiefähige) Regelung wie in den §§ 4a, 4c InsO besteht nicht.
4.)
Eine vorherige Anhörung von Schuldner und Gläubigern vor Erlass des Vergütungsbeschlusses ist weder generell noch in (potenziellen) Verjährungsfällen erforderlich.
a)
Auch unter Geltung der InsO ist eine vorherige Anhörung der Verfahrensbeteiligten nicht erforderlich (LG Potsdam, ZIP 2005, 914 [LG Potsdam 08.03.2005 - 5 T 5/05]). Die Literatur verlangt teilweise eine vorherige Anhörung zumindest des Schuldners ( Kübler/Prütting-Lüke, InsO, § 64 Rn. 6) oder auch der Insolvenzgläubiger (MünchKomm-InsO/ Nowak, § 64 Rn. 5; FK-InsO/ Kind, § 64 Rn. 6). Wegen der Vielzahl der Beteiligten ist dies nicht möglich (Breutigam/Blersch/Goetsch, , § 64 Rn. 10 und § 8 Rn. 23 InsVV; FK-InsO/ Schmerbach, § 21 Rn. 148; Graf-Schlicker/Mäusezahl, § 64 Rn. 3; HambKomm-/ Büttner, § 64 Rn. 4; HK-InsO/ Eickmann, § 64 Rn. 3; Nerlich/Römermann-Delhaes, InsO, § 64 Rn. 5; Eickmann, § 8 Rn. 7 InsVV; Haarmeyer/Wutzke/Förster, , § 8 Rn. 22 InsVV; Keller, ZVI 2002, 437, 439). Die Insolvenzgerichte können auch keine nachvollziehbare Grenze aufstellen, bis zu der wegen "Übersichtlichkeit" der Gläubigerzahl eine Anhörung als praktikabel angesehen werden könnte.
b)
Auch speziell in Verjährungsfällen ist eine Anhörung nicht geboten (LG Gießen, ZInsO 2009, 1559, 1560; a.A. LG Karlsruhe, ZInsO 2009, 2358, 2359 f.; Graeber, DZWIR 2007, 459, 462). Der mögliche Eintritt der Verjährung wird sich zwar einfach durch einen Blick auf das Datum des Eröffnungsbeschlusses feststellen lassen. Erfolgt aber eine Anhörung zu einem Vergütungsantrag nur in "Verjährungsfällen", wird dadurch ein Signal des Insolvenzgerichts ausgesandt. Unklar ist auch, wie eine Anhörung erfolgen soll. Bei öffentlicher Bekanntmachung gem.§ 9 InsO wird die Kenntnisnahme gering bleiben. Bei (zusätzlicher) Individualzustellung können erhebliche Kosten entstehen (vgl. Graeber, DZWIR 2007, 459, 461).
5.)
Auch Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften und praktische Erwägungen führen zu keinem anderen Ergebnis.
a)
Im Streitfall soll die Schwierigkeit des Schuldners berücksichtigt werden, Nachweise für seine Rechtsposition beizubringen und sein Vertrauen auf eine nicht mehr erfolgende Inanspruchnahme. Der Verjährung kommt eine rechtsbefriedende Funktion zu (PWW/Kesseler, § 194 Rn. 3 BGB). Die Verjährung ist damit individualbezogen. Im Insolvenzverfahren geht es um die Befriedigung der Gläubigergesamtheit (§ 1 Satz 1InsO), mit Eröffnung geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Daher kann fraglich sein, ob der Schuldner überhaupt zur Einrede berechtigt ist (bejahend LG Gießen,ZInsO 2009, 1559; LG Karlsruhe, ZInsO 2009, 2358, 2359; MK-InsO/ Nowak, § 63, 10). Auch ansonsten kann er einzelnen Maßnahmen des Insolvenzverwalters nicht entgegentreten, vielmehr muss er sich auf Schadensersatzansprüche gem. § 60 InsO verweisen lassen. I.Ü. ist der Verlust von Beweismitteln nach bisherigen Erfahrungen nicht zu besorgen. Dass der vorläufige Verwalter auf seine Vergütung nicht verzichtet, sondern sie spätestens bei Verfahrensbeendigung geltend macht, ist allgemein bekannt.
b)
Es dient der Arbeitserleichterung der Verwalter, der Gerichte und auch der Gläubigergemeinschaft, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter mit der Geltendmachung seines Vergütungsanspruchs abwarten kann, ohne eine Verjährung befürchten zu müssen. Die Feststellung der Werthaltigkeit von Fordrungen im eröffneten Verfahren kann abgewartet werden. Von der gem. § 11 Abs. 2 InsVV in ab dem 29.12.2006 eröffneten Verfahren eingeräumten Möglichkeit der nachträglichen Vergütungsänderung muss kein Gebrauch gemacht werden, die zudem eine Wertdifferenz von 20% voraussetzt. Der Insolvenzverwalter wird häufig die Vergütung nicht sofort der Masse entnehmen, um Fortführung und Erhalt des Unternehmens nicht zu gefährden.
6.)
Der Antrag ist allerdings nur in Höhe der gesetzlichen Mindestvergütung gem. § 2 Abs. 2 InsO begründet; Voraussetzungen für eine Erhöhung der Mindestvergütung gem.§ 2 Abs. 2 Satz 2, 3 InsVV sind nicht dargelegt.
§ 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV in der bei Eröffnung geltenden Fassung sah vor, dass der vorläufige Insolvenzverwalter einen angemessenen Bruchteil der Vergütung des Insolvenzverwalters erhält. Legt man den Regelsatz von 25% zugrunde, ergibt sich ein Betrag von 300 EUR. Es gilt jedoch die durch VO v. 4.10.2004 in § 2 Abs. 2 InsVV eingefügte Mindestvergütung von 1.000 EUR, die infolge der Übergangsregelung in § 19 InsVV in allen ab dem 1.1.2004 eröffneten Verfahren anzuwenden ist. Danach ergibt sich unter Berücksichtigung von Auslagenpauschale und MWSt. der zuerkannte Betrag von 1.368,50 EUR.