Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 02.06.2009, Az.: 74 IK 285/06
Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten eines Schuldners im Fall einer Nichtabführung des pfändbaren Teils seines Arbeitseinkommens bei fehlender Offenlegung einer Abtretung gegenüber dem Arbeitgeber des Schuldners
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 02.06.2009
- Aktenzeichen
- 74 IK 285/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 34148
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2009:0602.74IK285.06.0A
Rechtsgrundlagen
- § 292 Abs. 1 S. 1, 2 InsO
- § 295 Abs. 1 Nr. 1, 4 InsO
Fundstellen
- NZI 2009, 616
- ZInsO 2009, 1606-1607
- ZVI 2009, 427-428
Amtlicher Leitsatz
Legt der Treuhänder dem Arbeitgeber des Schuldners die Abtretung entgegen § 292 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht offen und führt der Schuldner den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens nicht ab, liegt darin kein Verstoß gegen § 295 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alternative InsO (a.A. AG Passau ZInsO 2009, 493).
Auch eine (analoge) Anwendung der Vorschrift des § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO scheidet aus, da die Versagungsgründe in der InsO abschließend geregelt sind.
In dem Restschuldbefreiungsverfahren
...:
Tenor:
Der Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung wird zurückgewiesen.
Die Kosten über die Entscheidung auf Versagung der Restschuldbefreiung trägt die Gläubigerin.
Gründe
Über das Vermögen des Schuldners wurde am 01.06.2006 unter Bewilligung von Stundung das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Nach Ankündigung der Restschuldbefreiung im Beschluss vom 25.10.2006 und Aufhebung des Verfahrens am 06.02.2007 befindet sich der Schuldner in der Wohnverhaltensperiode. Den pfändbaren Einkommensanteil von 10,40 EUR/Monat hat er anfangs an den Treuhänder, der die Abtretung gegenüber dem Arbeitgeber nicht offen gelegt hat, abgeführt. Zahlungen für Juni, Juli und Oktober 2008 sind zunächst nicht erfolgt, mindestens zwei Zahlungsaufforderungen des Treuhänders blieben erfolglos.
Mit Schreiben vom 23.03.2009 hat die Gläubigerin deshalb Versagung der Restschuldbefreiung beantragt. Nachdem dem Schuldner dieser Antrag zur Stellungnahme übersandt worden war, hat er innerhalb von wenigen Tagen den Rückstand ausgeglichen. Der Schuldner weist darauf hin, dass der von ihm eingerichtete Dauerauftrag mangels Deckung nicht ausgeführt wurde und er es unterließ, seine Kontoauszüge zu überprüfen. Die Gläubigerin hält den Versagungsantrag aufrecht.
Der zulässige Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung ist zurückzuweisen. Dabei kann dahinstehen, ob eine Versagung im vorliegenden Fall unverhältnismäßig wäre (vgl. MK-InsO/Stephan § 296 Rz. 15; Schmerbach in: Präsenzkommentar Haarmeyer/Wutzke/Förster § 295 InsO Rz. 22).
Der Schuldner hat nämlich in keine der in § 295 Abs. 1 InsO aufgeführten Obliegenheiten verstoßen.
Ein Verstoß gegen § 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO liegt nicht vor. Danach hat der Schuldner Zahlungen zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger nur an den Treuhänder zu leisten und darf keinen Insolvenzgläubiger einen Sondervorteil verschaffen. Das AG Passau (ZInsO 2009, 493) bejaht bei der Nichtabführung pfändbaren Einkommens zwar einen Verstoß gegen § 295 Abs. 1 Nr. 4, 1. Alternative InsO. Die Verpflichtung, dass Zahlungen nur an den Treuhänder zu leisten sind, impliziert nach seiner Auffassung das Gebot, zumindestens die pfändbaren Einkommensanteile, die von der Abtretung nach § 287 Abs. 2 Satz 1 erfasst sind, an den Treuhänder weiterzuleiten. Dieser Auffassung ist jedoch weder vom Wortlaut noch vom Sinn der Vorschrift gedeckt.
§ 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO steht im engen Zusammenhang mit dem in § 294 InsO verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger (MK-InsO/Ehricke § 295 Rz. 93). Die 1. Alternative stellt das Gebot auf, Zahlungen nur an den Treuhänder zu leisten. Hintergrund für die Regelung ist, dass ein Schuldner nur ausnahmsweise in der Lage sein wird, die exakten Verteilungsquoten zu erfüllen, weshalb bei Zahlung an dem Treuhänder vorbei an sämtliche Gläubiger die Leistung leicht zu einem Sondervorteil für einzelne Gläubiger führen kann (FK-InsO/Ahrens § 295 Rz. 54). Die 2. Alternative trifft die Erbringung von Sondervorteilen beispielsweise durch Dienstleistungen unter Wert gegenüber einem Insolvenzgläubiger (Adam ZInsO 2006, 1132, 1134).
Die Gläubigerbeeinträchtigung im vorliegenden Fall ergibt sich daraus, dass der Treuhänder die Abtretung nicht offen gelegt, sondern mit dem Schuldner vereinbart hat, dass dieser den pfändbaren Teil abführt (vgl. Wegener InsBüro 2006, 45, 46 f.). Darin liegt eine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild des § 292 Abs. 1 Satz 1, 2 InsO. Für einen Schuldner besteht eine Zahlungspflicht an den Treuhänder in der Wohlverhaltensperiode nur dann, wenn er eine selbständige Tätigkeit ausübt (§ 295 Abs. 2 InsO).
Auch ein Verstoß gegen § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO liegt nicht vor. Der Schuldner übt eine angemessene Erwerbstätigkeit aus. Die Nichtabführung von pfändbaren Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit fällt nicht unter die Vorschrift des § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Vielmehr liegt eine vom Gesetzgeber erkennbare nicht bedachte Konstellation vor, wenn der Treuhänder entgegen § 292 Abs. 1 Satz 1, 2 InsO die Abtretung dem Arbeitgeber gegenüber nicht offen legt und das gesamte Einkommen dem Schuldner belässt.
Eine analoge Anwendung der Vorschriften des § 295 Abs. 1 Nr. 1, 4 scheidet aus, da die Versagungsgründe in derInsO abschließend geregelt sind.