Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 05.01.2010, Az.: 74 IN 374/07

Vorliegen von unrichtigen schriftlichen Angaben bei Abschluss eines gerichtlichen Zahlungsvergleiches bei Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners; Zahlungsaufschub bzw. Stundung als Kredit auf Grundlage des § 290 Abs. 1 Nr. 2 Insolvenzordnung (InsO)

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
05.01.2010
Aktenzeichen
74 IN 374/07
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 32226
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:2010:0105.74IN374.07.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
LG Göttingen - 22.03.2010 - AZ: 10 T 15/10

Fundstellen

  • NJW-Spezial 2010, 181
  • NZI 2010, 233-234
  • NZI 2010, 42
  • ZInsO 2010, 442-443
  • ZVI 2010, 153-154

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Unter den weit auszulegenden Begriff des Kredites i.S.d. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO fällt auch ein Zahlungsaufschub bzw. eine Stundung.

  2. 2.

    Unrichtige schriftliche Angaben liegen auch vor bei Abschluss eines gerichtlichen Zahlungsvergleiches bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners.

Gründe

1

A.

Über das Vermögen der Schuldnerin ist am 23.11.2007 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der erste Eröffnungsantrag stammt v. 16.7.2007, der Eigenantrag v. 19.11.2007 weist 36 Gläubiger mit einer Gesamtforderung von ca. 167.000 EUR aus. Die Schuldnerin war selbstständig tätig als Ergotherapeutin mit eigener Praxis.

2

Mit Beschl. v. 6.7.2009 hat der Rechtspfleger das schriftliche Verfahren angeordnet und u.a. zur Stellung von Versagungsanträgen eine Frist bis zum 6.10.2009 gesetzt. Drei Gläubiger haben fristgerecht Anträge gestellt. Auf den Antrag des Gläubigers Nr. 43 hat das Insolvenzgericht mit Beschl. v. 6.11.2009 die Restschuldbefreiung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO versagt, da die Schuldnerin ein auf den Namen ihres Lebensgefährten geführtes Konto nicht angab. Auf die sofortige Beschwerde hat das LG Göttingen mit Beschl. v. 10.12.2009 die Entscheidung dahin geändert, dass der Antrag des Gläubigers (Nr. 43 - Finanzamt) zurückgewiesen wird.

3

B.

Nunmehr sind die übrigen Versagungsanträge zu bescheiden. Die Anträge der Gläubiger Nr. 39 und Nr. 42 sind zulässig und begründet.

4

I.

Antrag Gläubigerin Nr. 39

5

Die Gläubigerin beruft sich darauf, dass die Schuldnerin am 14.1.2008 durch einen Strafbefehl zu einer erheblichen Strafe verurteilt worden sei. In ihrer derzeitigen Anstellung erhalte die Schuldnerin mit 900 EUR einen deutlich zu niedrigen Lohn. Weiter habe die Schuldnerin in Kenntnis ihrer Zahlungsunfähigkeit am 14.3.2007 in einem Arbeitsgerichtsprozess einen Vergleich abgeschlossen.

6

1)

Die Gläubigerin hat nicht dargelegt, dass die Schuldnerin wegen einer Insolvenzstraftat gem. §§ 283 - 283c StGB verurteilt worden ist. Der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO scheidet aus.

7

2)

Arbeitspflichten bestehen erst nach Ankündigung der Restschuldbefreiung und Aufhebung des Verfahrens. Eine Versagung gem.§ 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO kann im vorliegenden Stadium des Verfahrens nicht erfolgen. Dass die Schuldnerin ein 900 EUR übersteigendes Einkommen erzielt und ein Verstoß gegen § 290 Abs. 1 Nr.5 InsO vorliegt, hat die Gläubigerin nicht dargelegt.

8

3)

Es liegt jedoch der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO vor. Die Schuldnerin hat in den letzen 3 Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorsätzlich unrichtige Angaben über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht, um einen Kredit zu erhalten.

9

a)

Die Schuldnerin hat in dem Arbeitsgerichtsprozess mit der Gläubigerin Nr. 39 am 14.3.2007 einen Vergleich geschlossen, in dem sie sich zur Zahlung von rückständigen Arbeitslohn i.H.v. 10.466,43 EUR in drei Raten zum 20.4., 20.5 und 20.6.2007 verpflichtete. Von ihrem bis zum 15.3.2007 eingeräumten Widerrufsrecht machte sie keinen Gebrauch.

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Die Schuldnerin hat unrichtige Angaben über ihre Zahlungsfähigkeit gemacht. Im Termin vor dem ArbG erklärte sie, sie könne den Vergleichsbetrag zu den drei Zahlungsterminen begleichen. Es handelt sich entgegen der Auffassung der Schuldnerin nicht um im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO unbeachtliche mündliche Angaben. Eine schriftliche Erklärung liegt auch dann vor, wenn eine Urkundsperson Erklärungen des Schuldners im Rahmen ihrer Zuständigkeit in öffentlichen Urkunden niederlegt (BGH, ZInsO 2006, 601, 602). Die Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin ist zwar nicht ausdrücklich im Vergleich erwähnt. Sie ergibt sich jedoch im Wege der Auslegung aus der von der Schuldnerin eingegangenen Verpflichtung zur Zahlung des Vergleichsbetrags und insbesondere der Einräumung einer Ratenzahlung. I.Ü. erklärt unabhängig von konkreten Äußerungen im Termin eine einen Vergleich abschließende Partei konkludent ihre Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit.

11

b)

In der Vereinbarung der Ratenzahlung im Vergleich liegt ein Kredit i.S.d. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Der Begriff Kredit ist weit auszulegen. Entgegen der Auffassung der Schuldnerin ist es nicht erforderlich, dass Geld oder geldeswerte Mittel aus fremden Vermögen zeitweise zur Verfügung gestellt werden (LG Düsseldorf, NZI 2009, 193 = ZVI 2009, 125). Unter den Begriff des Kredits fällt nach einhelliger Ansicht in der Kommentarliteratur auch ein Zahlungsaufschub (Graf-Schlicker/Kexel, § 290 Rn. 11; HK-InsO/ Landfermann, § 290 Rn. 8; HambKomm-InsO/ Streck, § 290 Rn. 17; FK-InsO/ Ahrens, § 290 Rn. 21; Kübler/Prütting/ Wenzel, § 290 Rn. 13; MünchKomm-InsO/ Stephan, § 290 Rn. 38; Uhlenbruck/ Vallender, § 290 Rn. 34). Es macht keinen Unterschied, ob einem Schuldner ein Betrag als Darlehen überlassen oder ein dem Gläubiger zustehender Zahlungsanspruch gestundet wird, indem die Fälligkeit - etwa durch eine Ratenzahlungsvereinbarung - hinausgeschoben wird.

12

c)

Ausreichend ist die Absicht der Schuldnerin, auf die Erreichung des Ziels kommt es nicht an (BGH, ZInsO 2008, 157, 158). Auszugehen ist davon, dass es Ziel der Schuldnerin war, einen Kredit in Form eines Zahlungsaufschubes zu erlangen. Die Schuldnerin beruft sich darauf, die Angaben seien nicht auf das Erhalten eines Kredites, sondern auf die Realisierung des gerichtlichen Vergleichs gerichtet gewesen. Daraus folgt aber nicht, dass es der Schuldnerin nicht auch auf einen Zahlungsaufschub ankam. Dass die Schuldnerin ausschließlich andere Ziele verfolgte, ist daher nicht ersichtlich.

13

d)

Die Schuldnerin hat vorsätzlich gehandelt. Sie wusste um ihre Zahlungsunfähigkeit, zudem hat sie von dem ihr eingeräumten Widerrufsrecht im Vergleich keinen Gebrauch gemacht.

14

e)

Die Versagung ist auch nicht unverhältnismäßig. Es handelt sich schon in Anbetracht der Forderungshöhe nicht um einen Bagatellverstoß.

15

II.

Antrag Gläubiger Nr. 42

16

Der Gläubiger beruft sich darauf, die Schuldnerin habe mit Schreiben v. 27.11.2006 an ihn und v. 15.1.2007 an einen anderen Gläubiger vorgespiegelt, kurzfristig Zahlungen leisten zu wollen und dadurch versucht, eine Kreditierung in Form einer Stundung zu erlangen.

17

Es liegt der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO vor.

18

1.)

Die Schuldnerin hat unrichtige Angaben über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht, um einen Kredit zu erhalten. Der Begriff Kredit ist weit auszulegen, auch eine Stundung fällt darunter (s.o. I. 3 b).

19

a)

Im Schreiben v. 27.11.2007 an den Gläubiger stellte die Schuldnerin eine Tilgung des Großteiles der Forderungen bis zum 13.12.007 in Aussicht u.a. unter Hinweis darauf, dass eine Forderung von ca. 3.300 EUR nicht einem namentlich benannten Dritten, sondern "uns" zustehe.

20

b)

Im Schreiben v. 15.1.2007 an den Vermieter der Praxisräume in Kassel unterbreitete sie wegen Mietzinsrückständen für Oktober 2006 bis März 2007 einen "verbindlichen Tilgungsplan", der Zahlungen zum 23.1.2007, 15.2.2007 und 15.3.2007 vorsah.

21

2.)

Die Schuldnerin kann sich nicht darauf berufen, dass sie die Schreiben nicht unterzeichnet hat. Die Schreiben sind unter ihrem Briefkopf verfasst, das Schreiben v. 15.1.2007 trägt zudem ihre Abrechnungsnummer; unterschrieben sind sie von ihrem (damaligen) Lebensgefährten, über dessen Konto zudem seit 2006 der Zahlungsverkehr abgewickelt wurde. Die Schuldnerin ist dem Vortrag des Gläubigers im Schriftsatz v. 29.10.2009 nicht entgegengetreten, dass die Schreiben mit ihrem Wissen verfasst wurde. Dafür spricht auch die Formulierung "wir" im Schreiben v. 27.11.2006. Damit ist der Schriftform genügt (BGH, ZInsO 2006, 601, 602).

22

3.)

Ziel der Schuldnerin war es, Kredit in Form eines Zahlungsaufschubes zu erlangen. Davon ist nach Aktenlage auszugehen. Dass die Schuldnerin ausschließlich andere Ziele verfolgte, ist nicht ersichtlich und vorgetragen.

23

4.)

Die Schuldnerin hat vorsätzlich gehandelt. Sie wusste um ihre Zahlungsunfähigkeit.

24

5.)

Der Gläubiger Nr. 42 ist antragbefugt auch hinsichtlich des an den Vermieter gerichteten Schreibens v. 15.1. 2007. Eine individuelle Betroffenheit ist nicht erforderlich (OLG Celle, ZInsO 2000, 456, 457 für § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO; BGH, ZInsO 2007, 446, 447 für § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO; a.A. FK-InsO/ Ahrens, § 290 Rn. 56).

25

6.)

Die Versagung ist auch nicht unverhältnismäßig. Es handelt sich schon in Anbetracht der Forderungshöhen nicht um einen Bagatellverstoß.

26

III.

Folglich ist die Restschuldbefreiung zu versagen, da die Schuldnerin in Kenntnis ihrer Zahlungsunfähigkeit Gläubiger zu Stundungen fälliger Ansprüche veranlassen wollte. Darin liegt keine mittelbare Verpflichtung zur Insolvenzantragstellung, die bei natürlichen Personen nicht existiert. Im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist anerkannt, dass der Versagungsgrund eingreifen kann, wenn der Schuldner durch aktives Tun Gläubiger von der Stellung eines Insolvenzantrags abhält (AG Göttingen, ZVI 2005, 504 =InsbürO 2005, 438 ; HambKomm-InsO/ Streck, § 290 Rn. 25.). Vergleichbar verhält es sich im vorliegenden Fall, in dem die Schuldnerin durch aktives Tun Kreditierungen erreichen wollte.