Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 16.06.2009, Az.: 74 IN 231/06
Heilung eines Verstoßes gegen § 290 Abs. 1 Nr. 5 Insolvenzordnung (InsO) durch Auskehr einer vereinnahmten Einkommensteuererstattung an den Insolvenzverwalter nach Stellung eines Versagungsantrages; Verpflichtung zur Nachfrage bei einem fachkundigen Insolvenzverwalter oder Treuhänder i.R.d. Fahrlässigkeitsmaßstabs des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 16.06.2009
- Aktenzeichen
- 74 IN 231/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 32541
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2009:0616.74IN231.06.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LG Göttingen - 11.08.2009 - AZ: 10 T 61/09
- BGH - 03.02.2011 - AZ: IX ZB 192/09
- BGH - 23.02.2011 - AZ: IX ZB 192/09
Rechtsgrundlagen
- § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO
- § 295 InsO
Fundstellen
- ZInsO 2009, 1879-1880
- ZVI 2009, 470-472
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Entsprechend der Rechtsprechung des BGH zu § 295 InsO (BGH ZInsO 2008, 920) kann nach Stellung eines Versagungsantrages ein Schuldner einen Verstoß gegen § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht mehr heilen (z.B. durch Auskehr einer vereinnahmten Einkommensteuererstattung an den Insolvenzverwalter).
Bei der Prüfung der groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist ein strenger Maßstab anzulegen. Ein Schuldner ist verpflichtet, sich über die Grundlagen des Insolvenzverfahrens zu informieren. Ein etwaiges Fehlverhalten Dritter, die er um Auskunft fragt, muss er sich zurechnen lassen. Für den Schuldner besteht die Verpflichtung zur Nachfrage bei dem fachkundigen Insolvenzverwalter/Treuhänder.
Tenor:
Die beantragte Restschuldbefreiung wird versagt.
Gründe
I.
Über das Vermögen der Schuldnerin ist aufgrund Eigenantrages am 07.09.2006 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Das Abschlussgutachten des Sachverständigen stellt Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 1,1 Millionen EUR und Aktiva in Höhe von knapp 3.000 EUR fest. Stundung ist nicht bewilligt worden. Angemeldet wurden Forderungen in Höhe von ca. 21.000 EUR.
Die Insolvenzverwalterin teilte mit Bericht vom 20.03.2009 mit, dass sie im September und November 2008 die Schuldnerin vergeblich aufforderte, ihre Einkommenssteuererklärung für 2007 zu erstellen und ihr zur Gegenzeichnung einzureichen. Im Frühjahr 2009 überreichte die Schuldnerin der Insolvenzverwalterin den ein Guthaben von 660,43 EUR ausweisenden Einkommensteuerbescheid, auf dem allerdings das Auszahlungskonto geschwärzt war. Auf Nachfrage teilte das Finanzamt Essen-Süd mit, dass das Guthaben in Unkenntnis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Schuldnerin und ihren Ehemann überwiesen wurde. Weiter hatte die Schuldnerin der Insolvenzverwalterin weder ihren im April 2008 erfolgten Umzug nach Essen noch die Einreichung einer Einkommensteuererklärung beim dortigen Finanzamt am 16.06.2008 mitgeteilt.
Innerhalb der im schriftlichen Verfahren gesetzten Frist zum 23.03.2009 hat das Finanzamt Göttingen Versagung der Restschuldbefreiung beantragt, da die Schuldnerin für das Steuerjahr 2007 aufgrund Bescheides des Finanzamtes Essen-Süd vom 11.11.2008 zunächst 4.317,62 EUR und aufgrund Bescheides vom 11.02.2009 weitere 660,43 EUR erhielt.
Die Schuldnerin beruft sich darauf, dass sie für das Jahr 2007 erstmalig gemeinsam mit ihrem Ehemann steuerlich veranlagt wurde. Der mit der Steuererklärung beauftragte Steuerberater habe im Rahmen des Beratungsgespräches erklärt, Steuererstattungen seien nicht der Insolvenzmasse zugehörig und von der Abtretungserklärung nicht umfasst. Auf Aufforderung des Gerichtes hat die Schuldnerin ein im Schreiben vom 25.03.2009 an die Insolvenzverwalterin erwähntes, ihr nach ihren Angaben vom Steuerberater überreichtes aktuelles Gerichtsurteilübersandt. Es handelt sich um das Urteil des BFH vom 21.11.2006 (VII R 1/06) mit folgenden Leitsatz: "Ansprüche des ehemaligen Insolvenzschuldners auf Erstattung von Einkommensteuer gehören nicht zu den in der Wohlverhaltensphase an den Treuhänder abgetretenen Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretenden laufende Bezüge (Anschluss an das BGH-Urteil vom 21. Juni 2005 IX ZR 115/04, BGH Z 163, 391)". Die Schuldnerin vertritt die Auffassung, sie habe auf die Auskunft des Steuerberaters vertrauen dürfen und keinesfalls grob fahrlässig gehandelt. Sie weist darauf hin, dass sie den Betrag von 660,43 EUR am 03.04.2009 an die Insolvenzverwalterin überwies. Dieser Betrag resultiert aus der zunächst nicht berücksichtigten Pendlerpauschale, von der auf sie nur ein geringer Betrag entfalle. Weiter vertritt die Schuldnerin die Auffassung, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verbiete eine Versagung, zudem sei durch die nachträgliche Überweisung ein Verstoß geheilt.
Ein unaufgefordert vom Steuerberater (den die Schuldnerin mit Schreiben vom 20.05.2009 von der Verschwiegenheitspflicht entbunden hat) an das Insolvenzgericht gerichtetes Schreiben vom 27.05.2009 führt aus, dass bei einem Beratungsgespräch am 02.12.2008 die Schuldnerin unter Vorlage eines Einkommensteuerbescheides für 2007 des Finanzamtes Essen unter Hinweis auf ihre Insolvenz nachfragte, wie die Steuererstattung zu behandeln sei; in diesem Zusammenhang sei das Urteil des BFH überreicht worden.
II.
Gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 ist die Restschuldbefreiung zu versagen. Die Schuldnerin hat zumindest grob fahrlässig die ihr obliegenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten verletzt.
1.)
Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO ist die Schuldnerin u.a. verpflichtet, dem Insolvenzverwalter Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse zu erteilen. Dagegen hat die Schuldnerin verstoßen. Sie war verpflichtet, sämtlichen Vermögenserwerb nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzverwalterin mitzuteilen, da in die Insolvenzmasse auch Neuvermögen fällt (§ 35 Abs. 1 InsO). Im vorliegenden Fall hat zudem die Insolvenzverwalterin die Schuldnerin im September 2008 und November 2008 aufgefordert, ihre Einkommensteuererklärung für 2007 zu erstellen und ihr zur Gegenzeichnung einzureichen.
2.)
Im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist es nicht erforderlich, dass die Befriedigung der Gläubiger beeinträchtigt wird (BGH ZInsO 2009, 395). Im vorliegenden Fall ist nach den Angaben der Schuldnerin davon auszugehen, dass hinsichtlich des (ergänzenden) Bescheides vom 11.02.2009 ihr ein - wenn auch geringer - Teil des Guthabens von 660,43 EUR wegen vorheriger Nichtberücksichtigung der Pendlerpauschale zusteht. Hinzu kommt der ihr zustehende, nicht näher bezifferte anteilige Anspruch aus dem Ursprungsbescheid vom 11.11.2008 über 4.317,62 EUR.
3.)
Es liegt auch kein so genannter Bagatellverstoß vor, der unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mangels Wesentlichkeit des Verstoßes nicht zu einer Versagung führt (HambK-Streck § 290 Rz. 35, 38). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Schuldnerin zwei Aufforderungsschreiben der Insolvenzverwalterin vom September 2008 und November 2008 unbeachtet ließ.
4.)
Auch eine Heilung kommt nicht in Betracht. Zum einen ist lediglich das (geringere) Steuererstattungsguthaben aus dem (zweiten) Bescheid auf das Konto der Insolvenzverwalterin überwiesen worden. Zum anderen ist im Rahmen des § 295 InsO klargestellt, dass eine Heilung eine Obliegenheitsverletzung durch nachträgliche Zahlung des pfändbaren Betrages nicht in Betracht kommt, wenn bereits ein Versagungsantrag gestellt ist (BGH ZInsO 2008, 920). Diese Rechtsprechung ist auf die Versagungsgründe des § 290 InsO zu übertragen.
5.)
Schließlich hat die Schuldnerin zumindest grob fahrlässig gehandelt. Sie hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt, indem sie ganz nahe liegendeÜberlegungen nicht angestellt oder bei Seite geschoben und dass unbeachtet gelassen hat, was sich im gegebenen Fall jedem aufgedrängt hätte (FK-InsO/Ahrens § 290 Rz. 48). In der Rechtsprechung (LG Göttingen NZI 2002, 564 = ZInsO 2002, 733, 734) ist anerkannt, dass bei der Prüfung des Verschuldens ein strenger Maßstab anzulegen ist.
a)
Die Schuldnerin wurde zweimal vergeblich von der Insolvenzverwalterin aufgefordert, ihre Einkommensteuererklärung für 2007 zu erstellen und ihr zur Gegenzeichnung einzureichen. Damit musste sich für die Schuldnerin, die als Verwaltungsangestellte tätig ist, die Erkenntnis aufdrängen, dass die Insolvenzverwalterin ein gesteigertes Interesse an einer Einkommensteuererklärung für 2007 hatte. Hätte sich die Schuldnerin über den Ablauf des Insolvenzverfahrens auch nur in den Grundzügen informiert, wäre ihr klar gewesen, dass Einkommensteuererstattungen während des laufenden Insolvenzverfahrens in die Insolvenzmasse fallen. Bereits darin liegt ein eigenes Verschulden.
b)
Die instanzgerichtliche Rechtsprechung rechnet einem Schuldner das Fehlverhalten eines Rechtsanwaltes oder einer Schuldnerberatungsstelle zu (AG GöttingenZInsO 2002, 544 und AG GöttingenZInsO 2002, 1150 : Zurechnung bei Versicherung des Schuldners der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben; AG Duisburg, ZVI 2007, 481, 482 für eine Schuldnerberatungsstelle; einschränkendStreck in: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht § 290 InsO Rn. 40 für Falschberatung durch anerkannte Schuldnerberatungsstellen; a. A. AG MönchengladbachZInsO 2003, 191 = NZI 2003, 220 bei Nichtangabe der Forderung eines Gläubigers im Vertrauen auf den Rat eines Rechtsanwaltes, dass eine Forderung verjährt sei).
Im vorliegenden Fall kann sich die Schuldnerin nicht auf die Auskunft des Steuerberaters berufen. Ob ein Rechtsirrtum nach fachkundiger Beratung unter Berücksichtigung der oben angeführten Rechtsprechung generell ein Verschulden entfallen lässt, kann dahinstehen. In Insolvenzverfahren werden zu Insolvenzverwaltern nur geeignete Personen bestellt (§ 56 Abs. 1 S. 1 InsO; gleiches gilt gem. § 313 Abs. 1 Satz 3 für den Treuhänder im vereinfachten Insolvenzverfahren). Dem Schuldner ist es unbenommen, sich in Insolvenzverfahren von Dritten beraten zu lassen. Ist aber vom Insolvenzgericht ein (vorläufiger) Insolvenzverwalter / Treuhänder bestellt, so ist der Schuldner gehalten, eine Auskunft eines Dritten von diesem überprüfen zu lassen. Der Schuldner erhält kostenlosen Rechtsrat. Verlässt er sich auf die Auskünfte von Dritten, handelt er auf eigenes Risiko, es besteht keine Veranlassung, ein Verschulden zu verneinen.
Ein Blick auf den Leitsatz des der Schuldnerin überreichten BFH-Urteiles ergibt, dass der Sachverhalt auf die Situation der Schuldnerin nicht zutraf. Sie ist weder ehemalige Insolvenzschuldnerin noch befindet sie sich in der Wohlverhaltensperiode. Insoweit liegt grobe Fahrlässigkeit vor.
III.
Nach alledem ist die Restschuldbefreiung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu versagen. Auf die Angaben der Insolvenzverwalterin in einer ergänzenden Stellungnahme vom 05.06.2009, dass zu Beginn des Jahres 2007 bereits Lohnsteuererstattungsansprüche in Höhe von 283,85 EUR zur Masse gezogen wurden, kommt es nicht mehr an.