Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.09.2005, Az.: 1 MN 113/05
Normenkontrollantrag einer Gemeinde hinsichtlich des geplanten Baus von Windkraftanlagen der benachbarten Gemeinde; Antragsbefugnis einer Gemeinde hinsichtlich der Überprüfung eines Bebauungsplans der Nachbargemeinde ; Immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung von Windkraftanlagen; Rücksichtsloses Gebrauchmachen einer Gemeinde von ihrer Planungshoheit bei objektiver Konkurrenzsituation zur benachbarten Gemeinde; Bedeutung des § 2 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) im Rahmen des allgemeinen Abwägungsgebotes
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 26.09.2005
- Aktenzeichen
- 1 MN 113/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 24497
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2005:0926.1MN113.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 2 BauGB
- § 47 Abs. 6 VwGO
- § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO
- Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG
Fundstellen
- BauR 2006, 505-507 (Volltext mit amtl. LS)
- FStBW 2006, 720-722
- FStHe 2006, 746-749
- FStNds 2006, 396-399
- GV/RP 2006, 749-752
- KomVerw 2006, 272-274
- KommJur 2006, 199
- NVwZ-RR 2006, V Heft 3 (Kurzinformation)
- NVwZ-RR 2006, 246-248 (Volltext mit amtl. LS)
- NdsVBl 2006, 143-144
- NordÖR 2006, 87 (amtl. Leitsatz)
- ZNER 2005, 341-342
Amtlicher Leitsatz
Plant eine Gemeinde im Anschluss an einen bereits vorhandenen Windpark einer Nachbargemeinde einen Windpark mit neun Windkraftanlagen auf ihrem eigenen Gemeindegebiet, kann der Nachbargemeinde die Antragsbefugnis für einen dagegen gerichteten Normenkontrollantrag fehlen.
Gründe
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Bebauungsplan Nr. 03.09 "Windpark C." der westlich an ihr Gemeindegebiet angrenzenden Gemeinde B.. Das Plangebiet liegt westlich der Bundesautobahn 31 im Bereich C.. Es ist identisch mit dem - im Parallelverfahren in der 21. Änderung des Flächennutzungsplanes der Gemeinde B. dargestellten - Sonstigen Sondergebiet mit der Zweckbestimmung "Gebiet zur Erzeugung von Windenergie mit dazwischen liegender landwirtschaftlicher Fläche". Das Plangebiet ist insgesamt 83,8 ha groß. Die Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 03.09 beschränken sich im Wesentlichen auf die Festlegung von neun Bauteppichen für die Errichtung von Windenergieanlagen einschließlich Turm und Fundamenten. Die durch Baugrenzen abgegrenzten neun Bauteppiche weisen eine Größe von jeweils 75 m x 75 m auf. Durch textliche Festsetzungen ist aus Gründen eines sparsamen Umgangs mit Grund und Boden eine Mindestnennleistung von 1,8 MW je Anlagenstandort festgeschrieben. Die Nabenhöhe der baulichen Anlagen ist auf maximal 100 m über Grund begrenzt.
Östlich des durch den angegriffenen Bebauungsplan Nr. 03.09 überplanten Bereiches schließt sich auf dem Gemeindegebiet der Antragstellerin - jenseits der Bundesautobahn 31 - der 13 Windkraftanlagen umfassende Windpark A. Moor an. Planungsrechtliche Grundlage dafür ist der vom Rat der Antragstellerin am 11. August 1998 als Satzung beschlossene vorhabenbezogene Bebauungsplan Nr. 1 "Windpark A. Moor". Für die in diesem Bebauungsplan festgesetzten 13 Baufelder ist durch ergänzende textliche Festsetzungen je Windkraftanlage eine maximale Nennleistung von 1,5 MW, ein Rotordurchmesser von maximal 66 m und eine maximale Nabenhöhe von 66,8 m aufgenommen. Die unterschiedlichen textlichen Festsetzungen der beiden Bebauungspläne lassen damit im Bereich des Bebauungsplanes Nr. 03.09 Windkraftanlagen in einer Gesamthöhe bis etwa 135 m, in dem des Bebauungsplanes Nr. 1 bis etwa 100 m zu.
Anlass für den von der Antragstellerin am 8. Juni 2005 beantragten einstweiligen Rechtsschutz ist ihre Befürchtung, dass dem Vorhabenträger, der Firma D., auf ihren Antrag vom Landkreis E. eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung von neun Windkraftanlagen erteilt wird. Die Antragstellerin geht von der Zulässigkeit ihres gegen den Bebauungsplan Nr. 03.09 gerichteten Normenkontrollantrages, insbesondere vom Vorliegen ihrer Antragsbefugnis, aus. Dies folge daraus, dass ein Windpark mit neun Windkraftanlagen mit jeweils einer Nabenhöhe von maximal 100 m fast unmittelbar an ihrer Gemeindegrenze erhebliche Auswirkungen auf ihre Planungsmöglichkeiten habe. Der angegriffene Bebauungsplan leide auch an mehreren formellen und materiellen Fehlern. In materieller Hinsicht sei festzustellen, dass für die vorgesehenen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen keine dauerhafte dingliche Sicherung vorliege. Für die für Ausgleichsmaßnahmen vorgesehenen Flurstücke lägen lediglich, wenn auch langfristig abgeschlossene Pachtverträge vor. Dies sei nicht ausreichend. Eine ordnungsgemäße Abwägung habe nicht stattgefunden. Dies gelte zunächst hinsichtlich des zu erwartenden Eingriffs in das Landschaftsbild, insbesondere aber hinsichtlich der Höhe der durch die Planung zugelassenen Windkraftanlagen als auch hinsichtlich der damit verbundenen Tages- und Nachtkennzeichnung. Die Annahme eines Windparks sei fehlerhaft; vielmehr handele es sich um zwei, durch die Bundesautobahn getrennte Windparks. Die vorliegende Umweltverträglichkeitsstudie sei unzulänglich, und zwar sowohl hinsichtlich der von den Windkraftanlagen ausgehenden Auswirkungen und Emissionen als auch hinsichtlich der Bewertung der naturschutzfachlichen Belange, namentlich der avifaunistischen Daten. Belange des Denkmalschutzes seien in unzulässiger Weise "weggewogen" worden.
Der Antrag der Antragstellerin auf Außervollzugsetzung des Bebauungsplanes Nr. 03.09 ist unzulässig. Der Antragstellerin fehlt als Nachbargemeinde die erforderliche Antragsbefugnis, um gegen den Bebauungsplan "Windpark C." im Wege der Normenkontrolle vorgehen zu können. Sie kann daher auch nicht die Außervollzugsetzung dieses Bebauungsplanes im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO erreichen.
Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann jede natürliche oder juristische Person einen Normenkontrollantrag gegen einen Bebauungsplan stellen, die geltend macht, durch den angegriffenen Bebauungsplan in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Nach dieser Vorschrift ist antragsbefugt, wer geltend machen kann, durch den angegriffenen Bebauungsplan in seinem Recht auf gerechte Abwägung seiner geschützten Belange verletzt zu sein (§ 1 Abs. 6 BauGB a.F., § 1 Abs. 7 BauGB n.F. - dazu umfassend BVerwG, Urt. v. 24.9.1998 - 4 CN 2.98 - DVBl. 1999, 100 = NJW 1999, 592 [BVerwG 24.09.1998 - 4 CN 2/98] = BVerwGE 107, 215 = BRS 60 Nr. 46). Die Besonderheit des vorliegenden Verfahrens besteht darin, dass die Antragstellerin sich als Nachbargemeinde, und nicht etwa als betroffener privater Bürger bzw. Grundstückseigentümer, gegen den Bebauungsplan Nr. 03.09 wendet. Die Antragstellerin stützt ihre Antragsbefugnis auf § 2 Abs. 2 BauGB. Nach dieser Vorschrift sind die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen. Während sich die bis zum 20. Juli 2004 geltende Fassung des § 2 Abs. 2 BauGB auf das sogenannte Abstimmungsgebot beschränkt, regelt die durch das EAG Bau bewirkte Neufassung dieses Absatzes nunmehr in einem hinzukommenden Satz 2, dass sich die Gemeinden im Rahmen des Abstimmungsgebotes auch auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung zugewiesenen Funktionen sowie auf die Auswirkungen auf ihre zentralen Versorgungsbereiche berufen können. § 2 Abs. 2 BauGB a.F. bzw. § 2 Abs. 2 Satz 1 BauGB n.F. stehen in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem allgemeinen Abwägungsgebot. Das interkommunale Abstimmungsgebot stellt sich als eine besondere Ausprägung des Abwägungsgebotes dar.
Befinden sich benachbarte Gemeinden objektiv in einer Konkurrenzsituation, so darf keine von ihrer Planungshoheit rücksichtslos zum Nachteil der anderen Gebrauch machen. Der Gesetzgeber bringt dies in § 2 Abs. 2 BauGB unmissverständlich zum Ausdruck. Diese Bestimmung verleiht dem Interesse der Nachbargemeinde, vor Nachteilen bewahrt zu werden, besonderes Gewicht. Das Gebot, die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen, lässt sich als gesetzliche Ausformung des in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteten gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts verstehen. § 2 Abs. 2 BauGB liegt die Vorstellung zugrunde, dass benachbarte Gemeinden sich mit ihrer Planungsbefugnis im Verhältnis der Gleichordnung gegenüberstehen. Die Vorschrift verlangt einen Interessenausgleich zwischen diesen Gemeinden und fordert dazu eine Koordination der gemeindlichen Belange. Die Nachbargemeinde kann sich unabhängig davon, welche planerischen Absichten sie für ihr Gebiet verfolgt oder bereits umgesetzt hat, gegen unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art auf dem benachbarten Gemeindegebiet zur Wehr setzen. Maßgebend ist dabei allerdings die Reichweite der Auswirkungen (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.9.1972 - IV C 17.71 - BVerwGE 40, 323 = DVBl. 1973, 35; Urt. v. 15.12.1989 - 4 C 36.86 - BVerwGE 84, 209 = DVBl. 1990, 427; Beschl. v. 5.9.1994 - 4 NB 18.94 -, NVwZ 1995, 266 = DÖV 1994, 874 = BauR 1994, 492 = ZfBR 1994, 243; Beschl. v. 9.1.1995 - 4 NB 42.94 - NVwZ 1995, 694 = ZfBR 1995, 148 = BauR 1995, 354 = Buchholz 406.11 § 2 BauGB Nr. 37). Nicht jede Auswirkung auch untergeordneter Art führt bereits zur Bejahung der Antragsbefugnis einer sich gegen die Planung der Nachbargemeinde wehrenden Gemeinde.
Die Bedeutung des § 2 Abs. 2 BauGB im Rahmen des allgemeinen Abwägungsgebotes liegt darin, dass eine Gemeinde, die ihre eigenen Vorstellungen selbst um den Preis von gewichtigen Auswirkungen für die Nachbargemeinde durchsetzen möchte, einem erhöhten Rechtfertigungszwang in Gestalt der Pflicht zur (formellen und materiellen) Abstimmung im Rahmen einer förmlichen Planung unterliegt (BVerwG, Urt. v. 1.8.2002 - 4 C 5.01 - DVBl. 2003, 62 = ZfBR 2003, 38 = BVerwGE 117, 25 = BRS 65 Nr. 10). Nach diesen Vorgaben vermittelt das interkommunale Abstimmungsgebot einer benachbarten Gemeinde nicht gleichsam automatisch die Befugnis, alle Bebauungspläne einer Nachbargemeinde zum Gegenstand einer Normenkontrolle machen zu können, die einen räumlichen Bezug zum eigenen Gemeindegebiet haben (so Hess. VGH, Beschl. v. 3.11.2004 - 9 N 2247/03 - UPR 2005, 310 = BauR 2005, 1296). Die Antragsbefugnis setzt vielmehr unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art voraus.
Derartige Auswirkungen sind nach den Ausführungen der Antragstellerin bei Realisierung der mit dem angegriffenen Bebauungsplan zugelassenen neun Windkraftanlagen nicht verbunden. Allerdings beruft sich die Antragstellerin in diesem Zusammenhang zunächst zu Recht auf das Urteil des Senats vom 14. September 2000 (1 K 5414/98 - NdsRpfl. 2001, 141 = NdsVBl. 2001, 91 = ZfBR 2001, 134 = NVwZ 2001, 452 [OVG Niedersachsen 14.09.2000 - 1 K 5414/98] = NuR 2001, 294 = RdL. 2001, 201 = BRS 63 Nr. 66). In diesem Normenkontrollverfahren hat der Senat die Antragsbefugnis einer klagenden Nachbargemeinde mit der Begründung bejaht, dass ein Windpark, der bis auf 400 m an die Gemeindegrenze heranreicht, unmittelbare gewichtige Auswirkungen auf die städtebauliche Ordnung und Entwicklung der Nachbargemeinde hat. Die Planung eines Windparks in unmittelbarer Nachbarschaft zur Gemeindegrenze berührt regelmäßig auch abwägungsbeachtliche und damit auch die Antragsbefugnis ausfüllende Belange der Nachbargemeinde. Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht aber darin, dass nicht - wie im zuvor zitierten Urteil - ein Windpark im Randbereich der einen zur anderen Gemeinde erstmals, und zwar in einem zuvor von Windkraftanlagen nicht "belasteten" Bereich, durch einen Bebauungsplan planerisch zugelassen werden soll, sondern darin, dass sich der "neu" geplante Windpark mit neun Windkraftanlagen an einen bereits vorhandenen anderen Windpark aus 13 Windkraftanlagen gewissermaßen anschließen soll. Der Sachverhalt ist damit davon geprägt, dass die Antragsgegnerin die vorausgegangene Planung der Antragstellerin aufgenommen hat, um nun ihrerseits einen in der Größenordnung der Flächenbeanspruchung vergleichbaren "eigenen" Windpark auf ihrem Gemeindegebiet daneben zu setzen. Die Antragstellerin wird damit durch die Planung der Antragsgegnerin nicht mit der Gefahr der Blockierung eigener planerischer Vorstellungen und Aktivitäten konfrontiert, die Auswirkungen des von der Antragsgegnerin geplanten Windparks treffen nicht einen in diesem Sinne unbelasteten Gemeindebereich, sondern die Planung des Windparks C. erweitert nur den bereits vorhandenen Windpark der Antragstellerin um einen Windpark mit weiteren neun Windkraftanlagen. Diese planerische "Vorbelastung" muss sich auch im Rahmen der Antragsbefugnis auswirken. Sie führt dazu, dass die Festsetzungen des angegriffenen Bebauungsplanes für die Antragstellerin jedenfalls nicht mit "unmittelbaren Auswirkungen gewichtiger Art" verbunden sind.
Der Antragstellerin kann die Antragsbefugnis auch nicht im Hinblick darauf zugestanden werden, dass im Bereich des von ihr geplanten vorhabenbezogenen Bebauungsplanes Nr. 1 für die Windkraftanlagen eine Höhenbegrenzung mit einer maximalen Nabenhöhe von 66,8 m sowie einem Rotordurchmesser von maximal 66 m festgesetzt worden ist und damit jede Windkraftanlage eine Höhe von etwa 100 m erreicht, demgegenüber der angegriffene Bebauungsplan Windkraftanlagen bis etwa 135 m Gesamthöhe zulässt. Der Antragstellerin steht insoweit ein schützenswertes, abwägungsbeachtliches und gerichtlich durchsetzbares Recht "auf gleiche Höhe" nicht zu. Nicht jegliche - bauplanerisch zwar regelbare, dann aber von der planenden Gemeinde nicht wahrgenommene - Feinabstimmung der Zulässigkeit von Windkraftanlagen führt für sich schon zur Bejahung der Antragsbefugnis der Nachbargemeinde. Der Senat bewertet die unterschiedliche Höhe der einzelnen Windkraftanlagen im Windpark A. Moor einerseits und der Windkraftanlagen im geplanten Windpark C. andererseits im Hinblick auf die im Rahmen des Abstimmungsgebotes vorzunehmende Abwägung jedenfalls nicht als so erheblich, um daraus die Folgerung zu ziehen, dass allein deswegen von unmittelbaren Auswirkungen gewichtiger Art ausgegangen werden kann. Maßgeblich ist im vorliegenden Verfahren nach Einschätzung des Senats vielmehr das sich hier als ein Windpark darstellende Gesamtbild der Windkraftanlagen, das in einem mehr oder weniger zusammenhängenden Bereich insgesamt 23 Windkraftanlagen aufweist.
Die weiteren Einwendungen der Antragstellerin führen ebenfalls nicht zur Annahme der Antragsbefugnis. Dies gilt namentlich für die von ihr vorgenommene Bewertung der Eingriffe in das Landschaftsbild und der Belange des Naturschutzes. Daraus ableitbare gemeindliche Rechte sind nicht ersichtlich.