Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.09.2005, Az.: 9 ME 311/05

Abschiebung; Erlass; Familie; Trennung; Vietnam; zumutbar

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.09.2005
Aktenzeichen
9 ME 311/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50762
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 16.08.2005 - AZ: 11 B 4433/05

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Erlass des Nds. Innenministeriums vom 7.7.1994 - 52.22 - 12235/16 - ist mit Ablauf des Jahres 2004 außer Kraft getreten.

Gründe

1

Dem Antragsteller war die begehrte Prozesskostenhilfe für das von ihm angestrengte Beschwerdeverfahren nicht zu bewilligen, da das Beschwerdeverfahren keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§§ 166 VwGO, 119 ZPO).

2

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

3

Der Abschiebung des Antragstellers, der mit einer vietnamesischen Staatsangehörigen verheiratet und Vater zweier gemeinsamer Kinder ist, steht der durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz von Ehe und Familie nicht entgegen.

4

Denn hierfür wäre Voraussetzung, dass die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Heimatland zumutbar nicht möglich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. 12. 2003 - 2 BvR 2108/00 - NVwZ 2004, 606; Beschluss vom 30. 1. 2002 - 2 BvR 231/00 - NVwZ 2002, 849 (850); OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. 3. 2001 - 2 MA 522/01 und 2 MB 1050/01 - InfAuslR 2001, 333 <334>). Art. 6 Abs. 1 GG gebietet nicht in jedem Fall die gemeinsame Abschiebung sämtlicher Familienmitglieder nach erfolglosem Asylverfahren.

5

Zwar handelt es sich bei dem Zusammenleben der Familie des Antragstellers um ein Familienleben im Sinne einer Beistandsgemeinschaft. Jedoch hat der Gesetzgeber bereits in § 43 Abs. 3 AsylVfG vorgesehen, dass unter bestimmten Voraussetzungen eine getrennte Abschiebung von Familienmitgliedern nach Durchführung eines Asylverfahrens zulässig ist.

6

Die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, drängt dann öffentliche Belange zurück, wenn ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitgliedes angewiesen ist, sich die Hilfe nur im Bundesgebiet erbringen lässt und das Familienmitglied aufenthaltsberechtigt ist (BVerfG, Beschluss vom 01.08.1996 - 2 BvR 1119/96 - NVwZ 1997, 479). So liegt es im vorliegenden Fall nicht, denn keines der Familienmitglieder besitzt ein Aufenthaltsrecht, und es ist auch nicht dargetan oder ersichtlich, dass sich die Lebenshilfe nur im Bundesgebiet erbringen ließe und die Ehefrau des Antragstellers die Betreuung der fast 8 Monate alten Tochter und des 4 Jahre alten Sohnes nicht weiter übernehmen kann.

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Es handelt sich im vorliegenden Fall lediglich um eine vorübergehende Trennung. Vorübergehende Trennungen von Familienmitgliedern sind nicht ohne Weiteres unzumutbar. Die Ehefrau des Antragstellers und die beiden gemeinsamen Kinder haben die Möglichkeit, nach Abschiebung des Antragstellers freiwillig nach Vietnam zurückzukehren. Sollten sie dazu nicht bereit sein, könnte dies nicht der Antragsgegnerin angelastet werden. Es liegt also in ihrer Hand, ob und wann sie die eheliche und familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Antragsteller wiederherstellen.

8

Für den Antragsteller ergibt sich auch aus § 43 Abs. 3 AsylVfG kein Anordnungsanspruch. Nach dieser Vorschrift darf die Ausländerbehörde die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um die gemeinsame Ausreise einer Familie zu ermöglichen, wenn die Ehegatten bzw. ihre minderjährigen ledigen Kinder gleichzeitig oder jeweils unverzüglich nach ihrer Einreise einen Asylantrag gestellt haben. Voraussetzung für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung wäre, dass das der Ausländerbehörde eingeräumte Ermessen auf Null reduziert ist. Davon kann in der vorliegenden Fallkonstellation auch im Hinblick auf Art. 6 GG keine Rede sein.

9

Ein Umstand, der für die Zumutbarkeit der vorübergehenden Trennung spricht, ist die Tatsache, dass der Antragsteller und seine Ehefrau die Anstrengungen der Behörde zur Ausfertigung der erforderlichen Pässe und Vorbereitung der gemeinsamen Abschiebung bzw. Ausreise der Familie nicht unterstützt haben.

10

Ein eventueller Anspruch auf Ermöglichung einer gemeinsamen Ausreise kommt aber grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Betroffenen ihrerseits alles Zumutbare unternommen haben, um die gemeinsame Ausreise zu gewährleisten (VGH Kassel, Beschluss vom 30. April 2001 - 3 TZ 757/01.A - zitiert nach JURIS).

11

Entgegen der Auffassung des Antragstellers fehlt es daran. Seit dem 21. November 2001, als der Antragsteller und seine Ehefrau ihre Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise bekundeten, hat die Antragsgegnerin die Familie des Antragstellers geduldet, um ihnen die freiwillige, gemeinsame Ausreise zu ermöglichen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller sich für seinen am 10. Juli 2001 geborenen Sohn um die Ausstellung eines vietnamesischen Passes bemüht hat. Ferner hat der Antragsteller die Geburt seiner Tochter am 22. Januar 2005 weder dem Bundesamt noch der Antragsgegnerin angezeigt. Erst im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vor dem Verwaltungsgericht hat die Antragsgegnerin von der Existenz der Tochter des Antragstellers erfahren. Diese Vorgehensweise des Antragstellers zeigt offensichtlich, dass er mit der von ihm angestrebten weitere Aussetzung der Abschiebung nicht bezweckt, eine gemeinsame Ausreise der Familie zu ermöglichen. Vielmehr deuten die überwiegenden Umstände darauf hin, dass er nicht bzw. nicht mehr an einer gemeinsamen Ausreise seiner Familie interessiert ist.

12

Vor diesem Hintergrund scheidet eine Ermessensreduzierung zu Gunsten des Antragstellers aus.

13

Ferner kann der Antragsteller aus dem von ihm zitierten Erlass des Niedersächsischen Innenministers vom 07.07.2004 (52.22-12235/16) keine Rechte für sich herleiten. Denn dieser nicht veröffentlichte Erlass ist nach dem Gemeinsamer Runderlass vom 1.2.2004 Nr. 6.2 (Nds. MinBl. S. 109) mit Ablauf des Jahres 2004 außer Kraft getreten. Im Übrigen hat die Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt, dass dieser Erlass auch heute noch in der Verwaltungspraxis Anwendung findet und umgesetzt wird.