Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.04.2018, Az.: 1 ME 21/18
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 06.04.2018
- Aktenzeichen
- 1 ME 21/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74126
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 18.01.2018 - AZ: 4 B 8351/17
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Anders als der des unbeplanten Innenbereichs wird der Schutzanspruch des Außenbereichs nicht in erster Linie von den dort vorhandenen, den Immissionsort prägenden Nutzungen, sondern von seiner allgemeinen Funktion, wie sie in § 35 BauGB zum Ausdruck kommt, geprägt.
Regelmäßig sind daher die für Misch-/Dorfgebiete geltenden Lärmimmissionswerte als Zumutbarkeitsgrenze heranzuziehen.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer - vom 18. Januar 2018 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. sind erstattungsfähig. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 15.000,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine dem Beigeladenen zu 1. erteilte Baugenehmigung für eine Kfz-Reparaturwerkstatt, von der sie unzumutbare Lärmeinwirkungen befürchten.
Die Antragsteller sind Eigentümer zweier in erster bzw. zweiter Reihe südlich der G. -Straße im Außenbereich der Beigeladenen zu 2. gelegener Wohnhäuser. Die Beigeladene zu 1. ist Eigentümerin eines gut 60 m östlich bzw. 100 m nordöstlich dieser Häuser gelegenen Grundstücks, auf das sie ihren Kfz-Reparaturbetrieb verlegen möchte. Die Beigeladene zu 2. hat das sonst ebenfalls im Außenbereich gelegene Grundstück mit dem – vom Antragsteller zu 1. in einem noch nicht abgeschlossenen Normenkontrollverfahren angegriffenen – qualifizierten Bebauungsplan Nr. 155 als Mischgebiet festgesetzt. Im Rahmen des Planaufstellungsverfahrens hatte die Beigeladene zu 1. ein schalltechnisches Gutachten der H. GmbH vom 18.11.2016 vorgelegt, nach dem die Verwirklichung seines Vorhabens Dauerschallpegel von 36,6 dB(A) tags am Gebäude des Antragstellers zu 1., 40,5 dB(A) tags am Gebäude des Antragstellers zu 2. und Spitzenpegel von 50,1 bzw. 45,2 dB(A) zur Folge haben werde.
Am 28.9.2017 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen zu 1. für das Grundstück die Baugenehmigung zur Errichtung einer Kfz-Werkstatt mit 5 Hebebühnen, einem Bürotrakt und 30 Stellplätzen. In der mit Grünvermerk versehenen Betriebsbeschreibung ist ausgeführt, dass der Betrieb von 4 Mitarbeitern zzgl. des Betriebsinhabers und werktags mit einer Betriebszeit von 8.00 bis 17.30 Uhr geführt werde. Durchgeführt würden die Reparatur von Kraftfahrzeugen und Wartungsarbeiten. Nach der Auflage 40 zur Baugenehmigung sind die anfallenden Reparaturarbeiten ausschließlich in der Werkstatt durchzuführen.
Die Anträge beider Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer fristgerecht erhobenen Widersprüche hat das Verwaltungsgericht abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, es sei schon zweifelhaft, ob der Antrag des Antragstellers zu 2. zulässig sei, da dieser versäumt habe, zunächst ein behördliches Aussetzungsverfahren durchzuführen. Jedenfalls seien die Anträge unbegründet, die Baugenehmigung verletze voraussichtlich keine Nachbarrechte der Antragsteller. Das gelte zunächst bei Wirksamkeit des Bebauungsplans. Auf einen Gebietserhaltungsanspruch könnten sich diese nicht berufen, da ihre Grundstücke nicht im Gebiet des Bebauungsplans Nr. 155 lägen. Das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthaltene Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt, unzumutbare Schallimmissionen nicht zu befürchten. Dabei sei schon zweifelhaft, ob die Häuser der Antragsteller überhaupt formell oder materiell baurechtmäßig und damit schutzwürdig seien. Jedenfalls sei den Antragstellern, da ihre Grundstücke im Außenbereich lägen, ein Dauerschallpegel von 60 dB(A) tags zumutbar. Diese würden ausweislich des H. -Gutachtens um fast bzw. über 20 dB(A) unterschritten. Angesichts des danach bestehenden „Puffers“ sei auch unerheblich, dass das für den Bebauungsplan erstellte Gutachten noch von 20 statt 30 Stellplätzen ausgehe und die darin zugrunde gelegte Zahl von maximal 15 zu reparierenden Kfz/Tag nach der Baugenehmigung überschritten werden könne. Selbst wenn man hier die genehmigte Stellplatzzahl und einen erheblich intensiveren Reparaturbetrieb zugrunde lege, könnte der zumutbare Dauerschallpegel nicht überschritten werden. Der Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens habe es hierzu nicht bedurft. Bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans bestehe ebenfalls kein Gebietserhaltungsanspruch; das dann in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verankerte Gebot der Rücksichtnahme gewähre gegenüber einem Außenbereichsvorhaben ebenfalls keinen höheren Schutz als gegenüber einem Vorhaben im Mischgebiet.
II.
Die dagegen gerichtete Beschwerde, auf deren fristgerecht vorgetragene Gründe sich die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, hat keinen Erfolg.
Die Angriffe der Antragsteller gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Zulässigkeit des Antrags des Antragstellers zu 2. und zur Schutzwürdigkeit ihrer Wohnhäuser bedürfen keiner Würdigung, da das Verwaltungsgericht seine Entscheidung hierauf nicht tragend gestützt hat und die Angriffe der Antragsteller gegen seine tragenden Erwägungen nicht durchgreifen.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass der von den Antragstellern vorgebrachte Vorwurf der Unbestimmtheit der Baugenehmigung dem Antrag nur dann zum Erfolg verhelfen kann, wenn die behauptete Unbestimmtheit eine Vorhabendurchführung zulässt, die Nachbarrechte, namentlich das Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Die gegen seine Einschätzung, das sei hier eindeutig nicht der Fall, angeführten Rügen greifen nicht durch.
1. Ohne Erfolg machen die Antragsteller geltend, das Verwaltungsgericht habe ihren Wohnhäusern zu Unrecht lediglich einen Anspruch auf Schutz vor 60 dB(A) tags übersteigenden Dauerschallpegeln zuerkannt, tatsächlich sei deren Schutzwürdigkeit anhand des für reine Wohngebiete geltenden Tagwertes von 50 dB(A) zu beurteilen. Ihr Argument, in der näheren Umgebung ihrer Grundstücke sowie des Baugrundstücks fänden sich mit wenigen Ausnahmen nur wohngenutzte Grundstücke, überzeugt nicht. Dass ihre Grundstücke im Außenbereich liegen, stellen auch die Antragsteller nicht in Abrede. Zutreffend ist, dass die TA Lärm für Nutzungen im Außenbereich keine verbindlichen Lärmimmissionswerte vorhält. Die Heranziehung des für Dorf- und Mischgebiete geltenden Werts von 60 dB(A) tags durch das Verwaltungsgericht ist gleichwohl nicht zu beanstanden. Anders als der des unbeplanten Innenbereichs wird der Schutzanspruch des Außenbereichs nicht in erster Linie von den dort vorhandenen, den Immissionsort prägenden Nutzungen – häufig werden solche nicht vorhanden sein –, sondern von seiner allgemeinen Funktion, wie sie in § 35 BauGB zum Ausdruck kommt, geprägt. Wie der Katalog der nach § 35 Abs. 1 BauGB im Außenbereich privilegierten Gebäude zeigt, dient der Außenbereich keinesfalls primär dem Genuss ungestörter Wohnruhe. Vielmehr sind hier regelhaft Nutzungen zulässig, die teils selbst in Misch- und Dorfgebieten aufgrund ihrer Emissionen nicht untergebracht werden könnten. Nur der Umstand, dass hier unter besonderen Voraussetzungen auch das Wohnen zulässig ist, rechtfertigt es, beim Lärmschutz im Regelfall Misch- und nicht Gewerbegebietsmaßstäbe anzulegen. Den Klägern ist nur im Ansatz darin beizupflichten, dass die tatsächlich in der Umgebung vorhandenen Nutzungen einen gewissen Einfluss auf den Schutzanspruch eines Außenbereichsgrundstücks haben können (vgl. etwa Senatsurt. v. 26.11.2014 – 1 LB 164/13 –, BauR 2015, 464 = NuR 2015, 261 = juris Rn. 39 zu Geruchsimmissionen). Abgesehen davon, dass dies gleichwohl neben der generellen Funktion des Außenbereichs nicht zum einzig ausschlaggebenden Faktor für die Beurteilung der Zumutbarkeit werden kann, haben die Antragsteller aber nicht ansatzweise substantiiert dargelegt, dass der Außenbereich im Umfeld ihrer Grundstücke tatsächlich ausschließlich von den für ein reines Wohngebiet typischen Nutzungen geprägt würde. Die Luftbilder bei google maps und bing maps legen vielmehr nahe, dass namentlich im Osten und Südosten der Antragstellergrundstücke, aber auch nördlich der G. -Straße verschiedene aktive landwirtschaftliche bzw. gartenbauliche Betriebe vorhanden sind; lediglich weiter westlich der Antragstellergrundstücke scheint eine geschlossene Wohnbebauung vorhanden zu sein, ohne dass die Grundstücke der Antragsteller jedoch deren Zusammenhang angehörten. Angesichts dessen rechtfertigt wenig die Annahme, den Antragstellergrundstücken könnte auch nur der Schutzanspruch eines allgemeinen Wohngebiets (55 dB(A) tags) zukommen.
2. Dass die mithin verbleibende Differenz von annähernd 20 dB(A) zwischen der im H. -Gutachten prognostizierten Immissionsbelastung der Antragstellergrundstücke und ihrem Schutzanspruch durch fehlerhafte Annahmen des Gutachters auch nur annähernd konsumiert werden könnte, lässt sich auch dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen.
Soweit die Antragsteller rügen, die Anzahl der Stellplätze sei im H. -Gutachten mit 20 statt der genehmigten 30 berücksichtigt worden, hat die Beigeladene zu 2. durch Vorlage eines überarbeiteten Gutachtens der H. vom 12.1.2018 (GA Bl. 254 ff.) nachgewiesen, dass sich hieraus lediglich eine Schallpegelerhöhung auf 37,0 dB(A) am Grundstück des Antragstellers zu 1. und 40,8 dB(A) tags am Grundstück des Antragstellers zu 2. ergibt. Dass dieses Gutachten erst nach Erteilung der Baugenehmigung erstellt wurde, ist unerheblich. Abgesehen davon, dass es nur im Detail verdeutlicht, was bereits bei einer auch der Genehmigungsbehörde (und dem Verwaltungsgericht) möglichen überschlägigen Betrachtung auf der Hand lag, hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass eine etwaige Unzulänglichkeit der bei Genehmigungserteilung vorhandenen Bauvorlagen für sich genommen Nachbarrechte nicht verletzt, sofern nur die Annahme, eine Rechtsverletzung in der Sache sei ausgeschlossen, im Ergebnis zutrifft; letzteres ist ggf. im gerichtlichen Verfahren aufzuklären, was hier geschehen ist.
Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Antragsteller, die im ursprünglichen H. -Gutachten zur Bestimmung des Schalldämmmaßes der Außenwände unterstellte Verwendung von Sandwichpaneelen sei durch die Baugenehmigung nicht vorgeschrieben. Dieses Material der Außenwände wird zwar nicht in der Baubeschreibung (Bl. 35 der Bauakte), wohl aber im Brandschutznachweis (Bl. 30 der Bauakte), der ebenfalls durch Grünstempel Bestandteil der Baugenehmigung geworden ist, vorgegeben. Dass es Sandwichpaneele gibt, die eine substanziell geringere Dämmwirkung haben, machen auch die Antragsteller und der von ihnen bemühte Sachverständige I. (Bl. 199 f. der Gerichtsakte) nicht geltend.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, die dem Gutachten zugrundeliegende Annahme, es würden pro Tag maximal 15 Kraftfahrzeuge repariert, wirke sich nicht entscheidend auf die Lärmimmissionen an den Grundstücken der Antragsteller aus. Bei der Anzahl der Fahrzeugbewegungen auf den Stellplätzen ist dies ohnehin nicht berücksichtigt; dort geht das Gutachten von 5 (Ursprungsfassung) bzw. 7,5 (überarbeitete Fassung vom 12.1.2018) Kundenbesuchen pro Stunde, mithin rund 47 bzw. 71 Kundenbesuchen innerhalb der 9,5-stündigen Betriebszeit aus. Aber auch auf den Umfang des Lärms des Reparaturbetriebs hat die unterstellte Anzahl der Reparaturvorgänge keine Auswirkungen; diesen hat das Gutachten nicht anhand einer Einzelbewertung jedes Reparaturvorgangs, sondern einen für Kfz-Reparaturbetriebe typischen Innenpegel von 75 dB(A) für die gesamte Betriebszeit zugrunde gelegt und konservativ auf 80 dB(A) erhöht (S. 14 des Gutachtens, Bl. 74 der Gerichtsakte). Im Übrigen wären selbst in dem äußerst unrealistischen Fall, dass eine höhere Anzahl von Reparaturvorgängen zur Folge hätte, dass der Betrieb permanent den als Spitzenpegel veranschlagten Wert von 110 dB(A) emittierte, an den Häusern der Antragsteller lediglich Dauerschallpegel von 51,9 bzw. 47,6 dB(A) wahrnehmbar (Bl. 263 der Gerichtsakte). Selbst diese lägen noch deutlich unter der Zumutbarkeitsgrenze.
Die Rüge, das Gutachten habe nicht berücksichtigt, dass die Hallenfenster zur Belüftung gelegentlich geöffnet sein könnten, kann unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu einer Erhöhung der Immissionswerte auf ein unzumutbares Maß begründen. Den Dämmwert der Fenster hat der Gutachter auf 25 dB(A) veranschlagt. Nach den genehmigten Bauzeichnungen sind an der dem Wohnhaus des Antragstellers zu 2. zugewandten Westseite des Gebäudes keine Fenster vorgesehen; lediglich auf der Südseite, die immerhin schräg zum Wohnhaus des Antragstellers zu 1. weist, sind zwei der 5 Werkstattfenster zu einem Drittel kippbar, das kleine Fenster des Kompressorraums ist dreh- und kippbar. Selbst wenn man unterstellte, dass für letzteres durchgängig kein Schalldämmmaß, für erstere in Teilflächen lediglich das bei gekippten Fenstern übliche Schalldämmmaß von 10-15 dB(A) anzusetzen wäre, könnten die Lärmbeiträge dieser Quellen die Summe der Lärmpegel nicht in einem Umfang erhöhen, der auch nur in die Nähe der Zumutbarkeitsgrenze käme. Aus der Tabelle am Ende der H. -Gutachten ergibt sich, dass die von den Fenstern ausgehenden Einzelschallpegel an den Häusern der Antragsteller zwischen 6,9 und 15,2 dB(A) liegen (vgl. Bl. 265 der Gerichtsakte). Erhöhte man am Haus des Antragstellers zu 2 einen Fensterschallpegel um 25 dB(A), zwei weitere um je 15 dB(A), so würde sich der Summenpegel von 40,8 lediglich um ca. 2-3 dB(A) erhöhen (berechnet beispielsweise nach den Lärmpegelrechnern unter http://www.sengpielaudio.com/Rechner-spl30.htm oder http://www.staedtebauliche-laermfibel.de/rechner/addumitt.html).
Der plausiblen Einschätzung des Verwaltungsgerichts, Anhaltspunkte für eine unzumutbare Belastung der Antragstellergrundstücke mit anderen als Lärmimmissionen bestünden angesichts der erheblichen Entfernung vom Vorhaben nicht, so dass sich auch eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch die Antragsgegnerin erübrigt habe, setzen die Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren nichts Greifbares entgegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil ihre Beiladung zum Verfahren notwendig war; für die Beigeladene zu 2. gilt das nicht. Anders als im erstinstanzlichen Verfahren hat sie im Beschwerdeverfahren auch keinen Beitrag zu dessen Förderung geleistet, der es rechtfertigen könnte, ihre außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).