Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.04.2018, Az.: 13 PA 101/18

Anzeigepflicht; Aufenthalt; Aufhebung; außerhalb der Unterkunft; Dauerverwaltungsakt; Dublin-Bescheid; Entscheidung des Gerichts; Entscheidungsreife; hinreichende Erfolgsaussichten; aufenthaltsrechtliche Ordnungsverfügung; Prozesskostenhilfegesuch

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.04.2018
Aktenzeichen
13 PA 101/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74174
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 09.03.2018 - AZ: 7 A 382/17

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Prozesskostenhilfe versagende Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Berichterstatter der 7. Kammer - vom 9. März 2018 geändert.

Dem Kläger wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt B. aus B-Stadt zu den Bedingungen eines im Bezirk des Verwaltungsgerichts Osnabrück niedergelassenen Rechtsanwalts beigeordnet.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

I. Die zulässige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 9. März 2018, mit dem dieses es abgelehnt hat, dem Kläger für das erstinstanzliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und dessen Prozessbevollmächtigten beizuordnen, ist begründet.

1. Die zwischenzeitliche Erledigung der Hauptsache steht der (nachträglichen) Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht per se entgegen und kommt auch in Betracht, wenn der Rechtsschutzsuchende nicht „alles ihm Zumutbare“ getan hat, um vor dem Wegfall der Rechtshängigkeit - hier durch übereinstimmende Hauptsacheerledigungserklärungen - eine abschließende Entscheidung über seinen Prozesskostenhilfeantrag zu erlangen (vgl. Senatsbeschl. v. 14.7.2016 - 13 PA 25/16 -, V.n.b., S. 4 des Beschlussabdrucks, v. 13.1.2016 - 13 PA 203/15 -, V.n.b., S. 2 f. des Beschlussabdrucks, sowie (grundlegend) v. 21.11.2011 - 13 LA 222/10 -, juris Rn. 4 ff.).

2. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts haben - neben den übrigen Voraussetzungen für eine ratenfreie Bewilligung - auch im Sinne des § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO hinreichende Erfolgsaussichten der Klage vorgelegen.

Zwar kommt es insoweit grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs an, die in der Regel (bereits) gegeben ist, wenn die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und der Gegenseite hinreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist (vgl. Senatsbeschl. v. 27.6.2017 - 13 PA 252/16 -, juris Rn. 3 m.w.N.). Wann danach im vorliegenden, durch rasche Erledigung in der Hauptsache gekennzeichneten Fall Entscheidungsreife eingetreten war, kann aber dahinstehen. Denn der andere (spätere) Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts gilt ausnahmsweise ohnehin, wenn sich nach Antragstellung und Entscheidungsreife die Sach- und Rechtslage zugunsten des Rechtsschutzsuchenden ändert und seine Rechtsverfolgung erst infolge dieser Änderung Erfolg verspricht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.9.2007 - OVG 2 M 44.07 -, NVwZ-RR 2008, 287, 288 [OVG Berlin-Brandenburg 11.09.2007 - 2 M 44/04], juris Rn. 4). So jedenfalls liegt es hier.

Zwar war der klagegegenständliche Bescheid des Beklagten vom 9. November 2017, mit welchem dem Kläger differenzierte Anzeigepflichten hinsichtlich vorhersehbarer (beabsichtigter) und kurzfristiger (spontaner) Aufenthalte außerhalb der Unterkunft für den Zeitraum montags bis freitags von 0.00 bis 6.00 Uhr unter Angabe des abweichenden Aufenthaltsortes auferlegt worden waren, ursprünglich rechtmäßig (vgl. Beschl. d. Berichterstatters d. Senats v. 13.3.2018 - 13 ME 38/18 -, juris Rn. 8 ff.). Im Laufe des Klageverfahrens sind jedoch hinreichende Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage 7 A 382/17 dadurch entstanden, dass dieser Bescheid in beachtlicher Weise rechtswidrig geworden ist und den Kläger dadurch in dessen Rechten verletzt hat (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Denn nach Aufhebung des Dublin-Bescheides vom 20. Juni 2017 (Bl. 16 ff. der BA 001 zum Eilrechtsstreit 7 B 31/17 // 13 ME 38/18) durch Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 12. Februar 2018 (Bl. 46 der GA jenes Rechtsstreits) wegen zwischenzeitlichen Ablaufs der Überstellungsfrist und des damit verbundenen Zuständigkeitswechsels hin zur Bundesrepublik Deutschland (vgl. Art. 29 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 UAbs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist - Dublin-III-VO - (ABl. EU Nr. L 180 v. 29.6.2013, S. 31)) ist über den Asylantrag des Klägers nunmehr im nationalen Verfahren zu entscheiden. Zur Durchführung dieses Verfahrens kommt dem Kläger eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG als gesetzliches Aufenthaltsrecht zugute. Daraus folgt, dass er derzeit nicht nach §§ 50 Abs. 1, 4 AufenthG ausreisepflichtig und erst recht nicht vollziehbar ausreisepflichtig im Sinne des § 58 AufenthG ist, was § 46 Abs. 1 AufenthG auf der Tatbestandsseite jedoch für den Erlass aufenthaltsrechtlicher Ordnungsverfügungen wie derjenigen im Bescheid des Beklagten vom 9. November 2017 verlangt. Diese Veränderung im erstinstanzlichen Klageverfahren ist auch - anders als hinsichtlich des bereits zuvor (durch Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11. Januar 2018) beendet gewesenen Eilverfahrens 7 B 31/17, vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 13.3.2018 - 13 PA 39/18 -, juris Rn. 7) beachtlich. Maßgeblich wäre es auf die Verhältnisse im Zeitpunkt einer (streitigen) Entscheidung der Kammer des Verwaltungsgerichts über die Klage angekommen, weil es sich bei der streitgegenständlichen Verfügung des Beklagten, mit der dem Kläger (sich täglich aktualisierende) Anzeigepflichten in Bezug auf ein (beabsichtigtes und spontanes) Fernbleiben von der Unterkunft zu bestimmten Nachtzeiten (montags bis freitags von 0.00 bis 6.00 Uhr) auferlegt worden sind, um einen Dauerverwaltungsakt gehandelt hat. Bereits aus diesen Gründen spricht vieles dafür, dass das Verwaltungsgericht der Klage des Klägers insoweit hätte stattgeben müssen, wenn nicht - wie geschehen - der Bescheid vom 9. November 2017 aufgehoben und übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben worden wären (vgl. zu alledem Beschl. d. Berichterstatters d. Senats vom 13.3.2018, a.a.O., Rn. 5). Zu diesem Ergebnis ist offenbar auch das Verwaltungsgericht in seinem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss vom 9. März 2018 gelangt. Jedoch hat es die Erwägungen, die es im Rahmen der Verteilung der Kosten für das erledigte Klageverfahren gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO offenbar unter Rekurs auf den Gedanken des § 156 VwGO angestellt hat, unzutreffend auf die Entscheidung über den noch offenen Prozesskostenhilfeantrag übertragen. Dieses Ergebnis war im Wege der Beschwerdeentscheidung zu korrigieren.

3. Die Entscheidung über die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO. Die dabei vorgenommene kostenmäßige Beschränkung ist nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 3 ZPO regelmäßig gerechtfertigt (vgl. zum lediglich deklaratorischen Charakter einer solchen Beschränkung im Beschluss über die Beiordnung: Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl., § 121 Rn. 11 m.w.N.). Anhaltspunkte, die ausnahmsweise eine kostenmäßig unbeschränkte Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts rechtfertigen könnten (vgl. Hamburgisches OVG, Beschl. v. 1.12.2008 - 4 So 75/08 -, NJW 2009, 1433 f. (besonderes Vertrauensverhältnis zwischen dem Beteiligten und dem auswärtigen Rechtsanwalt); OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 7.11.1995 - 3 O 5/95 -, NVwZ-RR 1996, 621, 623 (Erfordernis einer besonders qualifizierten rechtlichen Beratung, die nicht ein im Gerichtsbezirk ansässiger, sondern nur ein auswärtiger Rechtsanwalt gewährleisten kann); Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 166 Rn. 141 m.w.N.), sind nicht gegeben.

II. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Im Falle einer wie hier erfolgreichen Prozesskostenhilfebeschwerde entstehen - anders als bei der Verwerfung oder Zurückweisung einer derartigen Beschwerde (vgl. Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG (Kostenverzeichnis)) - keine Gerichtsgebühren. Eine Erstattung von Auslagen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 GKG wird in einem solchen Fall ebenfalls nicht geschuldet (vgl. Volpert, in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl. 2017, GKG § 28 Rn. 29). Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO werden die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).