Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.05.2015, Az.: 1 LB 131/14
Veränderungssperre
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 12.05.2015
- Aktenzeichen
- 1 LB 131/14
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 45275
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 11.09.2013 - AZ: 2 A 1311/12
Rechtsgrundlagen
- § 17 Abs 2 BauGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen für die 2. Verlängerung einer Veränderungssperre
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 2. Kammer - vom 11. September 2013 wird mit folgender Maßgabe zurückgewiesen:
Der Sach-Tenor der angegriffenen Entscheidung wird wie folgt neu gefasst:
Unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 28. November 2012 wird die Beklagte verpflichtet, den Bauantrag der Klägerin vom 22. November 2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beklagte sucht mit Mitteln des Planungsrechts zu verhindern, dass die Klägerin in der Nähe von Wohnbebauung eine Halle errichtet, in der schwach radioaktive Abfälle behandelt werden sollen. Die Beteiligten streiten insbesondere darum, ob die Veränderungssperre zur Flankierung des Planänderungsverfahrens zweimal hat verlängert werden dürfen.
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau eines Gebäudes zur Messung, Konditionierung und Verpackung schwach radioaktiver Abfälle aus Medizin, Wissenschaft und Industrie. Das Firmengelände liegt westlich der Ortschaft E., die mittlerweile Ortsteil der Beklagten ist. Für das Gebiet setzen Bebauungspläne der 1974 eingemeindeten Gemeinde F. aus dem Jahr 1969 (TH 18 „Gewerbegebiet E. /F.“) und dem Jahr 1978 (WE 18 „Industriefläche am Kanal“) ein Industriegebiet und im Nordosten einen Teilbereich als Gewerbegebiet fest. Das gesamte Gebiet umfasst eine Fläche von ca. 20 ha. In einer Änderung des Flächennutzungsplans aus dem Jahr 1997 wurde die Fläche auf eine Größe von 9 ha reduziert und der „Rest“ als landwirtschaftliche Fläche dargestellt. Von der Fläche sind südlich des G. Wegs ca. 4,6 ha bebaut und zwar im Wesentlichen seit etwa 40 Jahren mit der Firma der Klägerin bzw. ihrer Rechtsvorgänger sowie zwei weiteren mit ihr verbundenen Firmen. Östlich an dieses Gebiet schließt sich die Wohnbebauung der Ortschaft E. an. Für die Arbeiten der Klägerin werden strahlenschutzrechtliche Genehmigungen zum Umgang mit schwach radioaktiven Stoffen erteilt.
Am 22. November 2011 stellte die Klägerin einen Bauantrag für ein Gebäude mit einer Größe von 1.800 m² auf dem Flurstück 226, das unmittelbar westlich angrenzt an ein bebautes und von der Klägerin genutztes Grundstück. Nach der Betriebsbeschreibung sollen in dieser Halle schwach radioaktive Abfälle aus medizinischen Verwendungen in Beton eingeschlossen werden, um sodann als Abfall eingelagert zu werden. Benötigt werden für den Transport dieser Stoffe pro Woche fünf Kleintransporter oder Lkw bis 7,5 t.
Bereits im Januar 2010 hatte die Beklagte einen ersten Planaufstellungsbeschluss für das Gebiet der Bebauungspläne TH 18 und WE 18 gefasst mit dem Planungsziel, den industriellen Standort in E. /West nicht weiterzuentwickeln. Dieser Planaufstellungsbeschluss, der ebenfalls mit einer Veränderungssperre gesichert war, wurde im Mai 2010 wieder aufgehoben. Grund dafür war eine Erklärung der Klägerin gegenüber der Beklagten, sie werde weder problembehaftete radioaktive Abfälle aus der Asse verarbeiten oder lagern, noch eine qualitative Ausweitung der Nutzung ihres Geländes vornehmen. Vor diesem Hintergrund sei es zu vertreten - so die Vorlage der Verwaltung (Drucksache 1371/10 v. 28.5.2010) - die Planaufstellungsbeschlüsse wieder aufzuheben, da durch diese Beschlüsse die Weiterentwicklung und der langfristige Bestand der ansässigen Unternehmen gefährdet werden könne. Für die bisher dort stattfindenden Arbeiten seien die maßgeblichen Grenzwerte immer konsequent eingehalten und kontrolliert worden. Die Firma stelle sicher, dass dies auch später und von eventuellen Rechtsnachfolgern weiter in dieser Weise eingehalten werde.
Nachdem bekannt geworden war, dass die Klägerin den streitauslösenden Bauantrag vom November 2011 gestellt hatte, meldete sich die Bürgerinitiative H. (I.) mit dem Begehren, die Aufhebung der Bebauungspläne TH 18 und WE 18 erneut anzustoßen. Die J. -Ratsfraktion beantragte im November 2011 die Wiederaufnahme der im Jahr 2010 aufgehobenen Planungsverfahren. Dem schlossen sich weitere Fraktionen an mit dem Antrag, eine Bebauungsplanänderung durchzuführen mit dem Ziel, die Zulässigkeit von Abfallverarbeitungsbetrieben, insbesondere den Umgang mit strahlenden Abfällen zu verhindern. Nach Beratung in den Ausschüssen beschloss der Rat der Beklagten in seiner Sitzung vom 13. Dezember 2011 einen Bebauungsplan aufzustellen mit dem Ziel, die Zulässigkeit von Nutzungen für Anlagen zur Behandlung von Abfällen neu zu regeln (Ratsdrucksache 2032/11 v. 13.12.2011). Das machte sie am 20. Dezember 2011 öffentlich bekannt.
Mit Bescheid vom 5. Januar 2012 stellte die Beklagte den Bauantrag der Klägerin zurück.
In seiner Sitzung am 28. Februar 2012 beschloss der Rat der Beklagten eine Veränderungssperre für das Gebiet, die am 6. März 2012 im Internet und am 14. März 2012 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht wurde.
Im August 2012 legte die Beklagte einen ersten Entwurf des Bebauungsplans mit Begründung vor. In dessen Begründung wird ausgeführt, dass in einer Übergangszone zwischen der Wohnbebauung und der industriellen Nutzung ein Gewerbegebiet ausgewiesen und zudem zwischen dem Wohngebiet und der vorhandenen industriellen Nutzung eine Grünfläche als Abpufferung angelegt werden solle. Der Plan könne im vereinfachten Verfahren gemäß § 13 BauGB durchgeführt werden, da die Festsetzungen der bestehenden Bebauungspläne in der Art der baulichen Nutzung lediglich konkretisiert und die Grundzüge der vorhandenen Planung nicht berührt würden. Unzulässig sollten nach dem ersten Entwurf sein unter anderem bauliche und sonstige Anlagen, „die der Lagerung, Verwertung oder Weiterverarbeitung von Abfällen dienen“. Wegen der Lage des Gebietes unmittelbar an der Ortslage widerspreche ein weiterer Ausbau als Entsorgungsstandort für Abfälle den städtebaulichen Zielen der Beklagten.
Am 12. Juni 2012 stellte die Klägerin einen Antrag auf Ausnahme von der Veränderungssperre, der nach Beschluss des Verwaltungsausschusses vom 13. November 2012 mit Bescheid vom 28. November 2012 abgelehnt wurde.
Im Oktober 2012 legte die Verwaltung der Beklagten einen weiteren Entwurf des Bebauungsplans vor, dessen Ziel damit beschrieben wurde, die „bestehende Nutzungsart im Hinblick auf ein verträgliches Nebeneinander von Gewerbe und Wohnen“ zu konkretisieren. Nunmehr war als Art der baulichen Nutzung die Umwandlung der gesamten bisher festgesetzten Industriegebietsfläche in Gewerbegebietsfläche vorgesehen mit der Begründung, „dabei ist nicht erkennbar, dass die im Geltungsbereich ansässigen Betriebe zwingend auf die Festsetzung eines GI angewiesen sind“.
Nachdem bereits am 25. Januar 2012 in der Stadthalle ein „Expertenhearing zu den Risiken bei der Verarbeitung radioaktiver Stoffe“ stattgefunden hatte, fand im Oktober 2012 die frühzeitige Beteiligung der Öffentlichkeit und der Träger öffentlicher Belange statt. In einer Abendveranstaltung am 13. November 2012 wurde der Entwurf des Bebauungsplans vorgestellt und mit den Anwesenden diskutiert.
In seiner Sitzung am 17. Dezember 2013 beschloss der Rat der Beklagten die erste Verlängerung der Veränderungssperre, die am 20. Dezember 2013 bekannt gemacht wurde. In seiner Sitzung am 4. Februar 2014 beschloss der Rat der Beklagten, ein Fachgutachten zur Komplexität der Gefahrenabschätzung Strahlenschutz einzuholen. Im August 2014 wurde ein neuer Entwurf des Bebauungsplans vorgestellt und die Beteiligung der Träger öffentlicher Belange gemäß § 4 Abs. 2 BauGB durchgeführt. Mit Vorlage vom 27. Oktober 2014 wurde von der Verwaltung der Beklagten dem Rat der Beschluss über die zweite Verlängerung der Veränderungssperre empfohlen. In seiner Sitzung vom 16. Dezember 2014 beschloss der Rat der Beklagten die nochmalige Verlängerung der Veränderungssperre, die im Amtsblatt vom 30. Dezember 2014 bekannt gemacht wurde.
Im Verlauf der zweiten Hälfte des Jahres 2014 waren ein Schallgutachten sowie ein Gutachten des Öko-Instituts aus K. über ein eventuell zu erwartendes „Restrisiko“ den Gremien vorgelegt worden. Im Januar 2015 wurde die erste Auslegung des Plans beschlossen, die in der Zeit vom 9. Februar bis 9. März 2015 stattgefunden hat. Der nunmehr ausgelegte Entwurf des Bebauungsplans sieht die Aufhebung des Bebauungsplans TH 18 vor, soweit dessen Fläche bisher nicht bebaut ist, bis auf ein etwa die Hälfte des Flurstücks 226 ausmachendes Teilstück, das in dem Entwurf des Bebauungsplans TH 22 als GE 5 dargestellt ist. Die textlichen Festsetzungen des Planentwurfs sehen die Unzulässigkeit von Anlagen, die der Störfallverordnung und der Strahlenschutzverordnung unterfallen, sowie von Abfallbetrieben vor, sowie daneben eine ausnahmsweise Zulässigkeit dieser Betriebe, wenn die baulichen Veränderungen der Verbesserung der Lage dienen. In der Begründung wird darauf eingegangen, dass es sich um Vorsorgemaßnahmen für das bestehende „Restrisiko“ handele, das sich aus der Befassung mit radioaktiven Stoffen ergebe. Dem liege das Ergebnis des eingeholten Gutachtens zum „Restrisiko“ vom 24. November 2014 zugrunde.
Die Klägerin hat am 22. November 2012 Untätigkeitsklage erhoben, nachdem die Beklagte bis dahin weder über den Bauantrag noch über ihren Widerspruch gegen den Zurückstellungsbescheid vom 5. Januar 2012 sowie über den Antrag auf Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre entschieden hatte. Mit Bescheiden vom 28. November 2012 hat die Beklagte beide Anträge abgelehnt und mit Bescheid vom 3. September 2013 die am 5. Januar 2012 beschlossene Zurückstellung des Bauantrags der Klägerin aufgehoben.
Die Klägerin hat die ablehnenden Bescheide in ihre Klage einbezogen und beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 28. November 2012 zu verpflichten, ihr die am 22. November 2011 beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
und zur Begründung auf die entgegenstehende Veränderungssperre verwiesen. Ziel der Planung sei es, Vorhaben auszuschließen, die mit der Wohnbebauung unverträglich seien. Dieses Ziel stehe dem Vorhaben der Klägerin entgegen.
Mit Urteil vom 11. September 2013 (Juris) hat das Verwaltungsgericht die Bescheide der Beklagten vom 28. November 2012 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, über den Bauantrag der Klägerin nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Die Bauleitplanung enthalte positive Planungsansätze und sei nicht als Verhinderungsplanung anzusehen, so dass der Erlass einer Veränderungssperre grundsätzlich nicht zu beanstanden sei. Allerdings lägen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme vor. Dem planerischen Ziel, die Zulässigkeit von Nutzungen für Anlagen zur Behandlung von Abfällen neu zu regeln, liege die Überlegung zugrunde, die Belastung für das angrenzende Wohngebiet bei einem Ausbau des gewerblich-industriellen Standorts nicht weiter zu erhöhen. Das umfasse allerdings nicht das Ziel, die Ausweitung des Betriebs gerade der Klägerin zu verhindern. Vielmehr heiße es in dem Vorentwurf der Planung, die Bedenken gegen die strahlenschutzrechtlichen Genehmigungen seien nicht Regelungsgegenstand des Bebauungsplans. Aus der Planbegründung ergebe sich, Ziel sei die Belastung der Wohnflächen durch Schall und Immissionen wie Staub, Gerüche und Erschütterungen zu begrenzen. Das Vorhaben der Klägerin stehe nicht in Widerspruch zu diesen bisher erkennbaren Zielen, denn eine Erhöhung dieser Belastungen sei durch das Bauvorhaben nicht zu erwarten. Die geplanten Transporte würden sich von fünf auf acht pro Woche erhöhen. Die übrigen von Abfallanlagen zu erwartenden Störungen gingen vom Vorhaben der Klägerin nicht aus. Da es sich um einen in diesem Sinne „untypischen“ Abfallbetrieb handele und eine Planung, die dem vorgesehenen Baugrundstück nachträglich vollständig die Baulandqualität nehmen solle, schlechterdings ausgeschlossen erscheine, komme nur eine für die Klägerin positive Entscheidung in Betracht. Insoweit müsse berücksichtigt werden, dass die Klägerin im Vertrauen auf den Bestand der vorhandenen Bebauungspläne erhebliche Investitionen getätigt habe und damit die Gemeinde im Fall einer teilweisen Planänderung ihr Planermessen nicht so frei ausüben könne, wie bei Neuaufstellung eines Plans. Ermessenserwägungen, die eine Ablehnung des klägerischen Vorhabens begründen könnten, seien damit nicht ersichtlich.
Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer vom Senat mit Beschluss vom 1. September 2014 - 1 LA 196/13 - zugelassenen Berufung vor, die Voraussetzungen für eine Ausnahmeentscheidung lägen nicht vor. Planungsziel des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans sei nach wie vor, Anlagen zur Abfallbehandlung auszuschließen. Selbst wenn es sich beim Betrieb der Klägerin um einen atypischen Abfallbetrieb handele, könne dies nicht dazu führen, dass mit dem Vorhaben der Klägerin nicht die Ziele der Planung beeinträchtigt würden. Jedenfalls werde sich eine Verfestigung des Standortes ergeben, was durch die Planung gerade vermieden werden solle. Zudem seien auch Festsetzungen im Hinblick auf vorbeugenden Strahlenschutz möglich. In dem Zusammenhang sei es unerheblich, ob die Klägerin die Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung einhalte; denn es gehe nur um das Restrisiko. Eine Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich der Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre verbiete sich, weil Planreife gemäß § 33 BauGB noch nicht gegeben sei und im Hinblick auf den Widerstand aus der Bevölkerung mit weiteren Planänderungen gerechnet werden müsse. Eine Bebauungsplanänderung sei auch dann möglich, wenn bestehende Baurechte für bislang noch nicht bebaute Grundstücke aufgehoben würden, weil die Verhinderung von Betriebserweiterungen bestehender Betriebe ein legitimes Ziel sei ebenso wie das Interesse der Wohnbevölkerung vor einem Schutz vor Immissionen.
Die Voraussetzungen der inzwischen beschlossenen zweiten Verlängerung der Veränderungssperre seien entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Braunschweig in seinem Urteil vom 14. Januar 2015 (2 A 162/14) gegeben und die zweite Verlängerung der Veränderungssperre somit wirksam. Diese sei durch eine Vielzahl zwingend erforderlicher Schritte notwendig geworden. Das besondere Interesse der Öffentlichkeit am Planverfahren habe Veranstaltungen notwendig gemacht wie das Expertenhearing am 25. Januar 2012 mit entsprechender Vor- und Nachberichterstattung, die Vorstellung des Planentwurfs im Rahmen der frühzeitigen Beteiligung der Öffentlichkeit am 13. November 2012, ein Leserforum der B. Zeitung am 12. Juli 2012, Prüfung und Auswertung eines von der Bürgerinitiative vorgelegten Rechtsgutachtens vom 28. August 2013, die nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom September 2013 notwendigen weiteren Schritte wie Einholung des „Restrisiko-Gutachtens“ und dessen Diskussion. Auch die Androhung gerichtlicher Überprüfung des Plans sowohl durch die Bürgerinitiative als auch durch die Klägerin stelle besondere Anforderungen an die Abstimmung in der Verwaltung. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts seien die Planungsziele nicht verändert, sondern konkretisiert worden. Nur die Planinhalte hätten verändert werden müssen, um den umfangreichen Anforderungen gerecht werden zu können. Weiterhin habe die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. August 2012 (4 C 1.11), die im Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses noch nicht vorgelegen habe, umfangreiche weitere Schritte notwendig gemacht, wie etwa die Erstellung des „Restrisiko-Gutachtens“.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 11. September 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie darauf, dass die Bauleitplanung eine reine Verhinderungsplanung ohne positive Planungsziele sei. Ein Ausschluss von Betrieben zur Verarbeitung von schwach radioaktiven Produkten lasse sich nicht rechtfertigen. Auch sei eine fehlerhafte Gewichtung der einander entgegenstehenden Belange zu erkennen, wenn die Beklagte das Interesse, das den seit 40 Jahren am Standort ansässigen Unternehmen zukomme, nicht in ihre Abwägung einstellen wolle. Da es für die Behandlung eines Antrags auf Erteilung einer Baugenehmigung beziehungsweise auf Ausnahme von der Veränderungssperre auf die letzte mündliche Verhandlung ankomme, könne nicht, wie es die Beklagte mache, auf den Planungsstand aus dem Jahr 2012 abgestellt werden, sondern es müsse der derzeitige Planungsstand beziehungsweise nunmehr die zweite Verlängerung der Veränderungssperre einbezogen werden. Letztere sei unwirksam, weil die strengen Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge sowie das Verfahren 1 LA 25/15 (Urt. d. VG Braunschweig v. 14.1.2015 - 2 A 162/14), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
Der auf Erteilung einer Baugenehmigung gerichtete Antrag der Klägerin ist aufgrund der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht zu betrachten. Da nach Ergehen des verwaltungsgerichtlichen Urteils der Rat der Beklagten am 16. Dezember 2014 die nochmalige Verlängerung der Veränderungssperre beschlossen hat (Amtsblatt der Beklagten 2014, S. 81), ist deren Geltung der Überprüfung zugrunde zu legen.
Die Voraussetzungen für die zweite Verlängerung der Veränderungssperre gemäß § 17 Abs. 2 BauGB liegen nicht vor. Die zweite Verlängerung der Veränderungssperre für den Bebauungsplan G. weg/L. Straße, TH 22 ist nicht wirksam. Ihre Wirkung für den Bauantrag der Klägerin ist damit entfallen. Die bestehenden Bebauungspläne WH 18 und TH 18 gelten derzeit fort. Die Beklagte ist daher verpflichtet, über den Bauantrag der Klägerin aufgrund der geltenden Rechtslage zu entscheiden. Da eine vollständige Überprüfung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens bislang nicht durchgeführt worden ist im Hinblick auf die entgegenstehende Veränderungssperre, kommt nur in Betracht, die Beklagte zu verpflichten, diese Prüfung nunmehr durchzuführen.
Eine zweite Verlängerung der Veränderungssperre ist nach § 17 Abs. 2 BauGB nur möglich, wenn besondere Umstände es erfordern. Besondere Umstände liegen vor, wenn ein Planverfahren durch eine Ungewöhnlichkeit gekennzeichnet wird, die sich vom allgemeinen Rahmen der üblichen städtebaulichen Planungstätigkeit wesentlich abhebt. Dabei kann es sich um Besonderheiten des Umfangs, des Schwierigkeitsgrads oder des Ablaufs des Planungsverfahrens handeln. Notwendig ist ein ursächlicher Zusammenhang, das heißt die Ungewöhnlichkeit des Falls muss ursächlich für den Zeitablauf sein und die Gemeinde darf diese Ungewöhnlichkeiten nicht zu vertreten haben. Dabei handelt es sich im Allgemeinen um Mängel, die in der Sphäre der Gemeinde liegen, wie etwa eine Überforderung der Dienstkräfte oder der zu umfangreiche Zuschnitt des Plangebietes. Die Gemeinde muss dartun, dass sie sich im jeweiligen Zeitpunkt objektiv vernünftig verhalten hat (BVerwG, Urt. v. 10.9.1976 - IV C 39.74 -, BVerwGE 51, 121; vgl. auch OVG des Saarlands, Beschl. v. 25.7.2014 - 2 B 288/14 -, Juris, Rdn. 26; Bay. VGH, Urt. v. 5.12.2012 - 2 N 09.288 -, Juris, Rdn. 24; Entscheidungen d. Sen., zuletzt Beschl. v. 10.1.2014 - 1 MN 190/13 -, BauR 2014, 814 = NVwZ-RR 2014, 415; Urt. v. 16.8.2012 - 1 KN 21/09 -, BRS 79 Nr. 122; Urt. v. 15.3.2001 - 1 K 2440/00 -, BRS 64 Nr. 111; Urt. v. 14.1.2000 - 1 K 2037/99 -; Beschl. v. 15.10.1999 - 1 M 3614/99 -, BRS 62 Nr. 122 u. Urt. v. 5.12.2001 - 1 K 2682/98 -, BauR 2002, 594 = BRS 64 Nr. 112). Da grundsätzlich davon auszugehen ist, dass eine Gemeinde binnen der drei Jahre, die der Gesetzgeber für eine Veränderungssperre ohne besondere Umstände vorsieht, ihre Planungstätigkeit abgeschlossen haben kann, muss die Gemeinde darlegen, dass objektive Gründe einen Abschluss der Planung innerhalb von drei Jahren verhindert haben. Das heißt, es muss erkennbar sein, dass die Gemeinde sich bemüht hat, innerhalb der Frist mit der Planung fertig zu werden und diese erkennbar vorangetrieben hat, insbesondere nicht aufgrund ihrer eigenen „Entscheidungsschwäche“ die Fertigstellung der Planung vor sich hergeschoben hat (Urt. d. Sen. v. 5.12.2001, a.a.O., Juris-Rn. 26).
Ihre Gründe für die zweite Verlängerung der Veränderungssperre hat die Beklagte in der Ratsvorlage vom 27. Oktober 2014 (Drucksache 17240/14) niedergelegt. Danach gestalten sich die Planungsüberlegungen schwierig, weil sie aufgrund der breiten öffentlichen und politischen Diskussion vielfach überprüft werden mussten. Weiterhin habe das hier angegriffene Urteil zu einem Auftrag an den Prozessbevollmächtigten geführt, weil die hier zu lösende Verflechtung zwischen Planungsrecht und Atomrecht schwierig sei und deshalb ein Fachmann habe beauftragt werden müssen. Der Prozessbevollmächtigte habe zu einer gutachterlichen Bewertung des Restrisikos geraten, weshalb im Februar 2014 beschlossen worden sei, ein Gutachten einzuholen. Dieses habe in die Planung eingearbeitet werden müssen, was, da das Gutachten endgültig erst im November 2014 vorgelegen habe, sich schwierig gestaltet habe. Darüber hinaus seien Gespräche mit allen betroffenen Gruppen geführt und deren Ergebnisse eingearbeitet worden, was ebenfalls zu einer Verlängerung der Planungsphase beitrage.
Die in der Ratsvorlage genannten Gründe sind nicht geeignet, überzeugend darzustellen, dass die von der Rechtsprechung geforderten besonderen Umstände vorliegen. Eine breite öffentliche und politische Diskussion dieser Planung allein ist nicht geeignet, einen besonders langwierigen Planungsprozess zu rechtfertigen. Eine dadurch bedingte Verlängerung der Planungsphase deutet vielmehr auf eine „Entscheidungsschwäche“ der Verwaltung hin - ein „in der Sphäre der Gemeinde“ liegender Umstand. Der Hinweis, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Anlass zur Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten war, deutet allenfalls an, dass die Beklagte sich auf ihre personelle Überforderung beruft, also einen Umstand, der ebenfalls ausschließlich in ihrer Sphäre liegt und hier im Hinblick darauf, dass es sich um eine Großstadt mit entsprechend großer Verwaltung handelt, nicht geeignet ist, „besondere Umstände“ zu begründen. Dass erst der Prozessbevollmächtigte die gutachterliche Bewertung des Restrisikos vorgeschlagen hat, ist ebenfalls nicht geeignet, die Länge des Planungsverfahrens zu rechtfertigen. Dass die öffentliche und politische Diskussion die „Verflechtung zwischen Planungsrecht und Atomrecht“ zum Thema hatte, war seit Beginn des Planungsverfahrens bekannt. Die Erstellung eines Gutachtens über mögliche Restrisiken aus dem Betrieb der Klägerin hätte sich daher schon am Anfang des Planungsstadiums im Jahre 2010 als notwendig aufdrängen können. Ebenso zeigen die mit allen Gruppen zu führenden Gespräche nicht einen objektiven Schwierigkeitsgrad der Planung, sondern dass verschiedene Gruppen in den Gremien der Beklagten teilweise Planungsziele verfolgen, die die Beklagte zu Beginn der Planungsphase als rechtlich nicht realisierbar eingestuft hatte (vgl. Ratsdrucksachen 12051/11, 12083/11, 14952/12). Wenn die Beklagte die „Hartnäckigkeit“ der politischen Forderungen zunächst unterschätzt hat, stellt das nicht eine Schwierigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 BauGB dar.
In diesem Zusammenhang darf zudem nicht unbeachtet bleiben, dass die Beklagte einen entsprechenden Planaufstellungsbeschluss bereits im Jahr 2010 gefasst hatte, also schon in dieser Zeit erste Planungsüberlegungen für das Gebiet begonnen waren. Auf diese, ebenso wie auf die darin gewonnenen Erfahrungen im Umgang mit den politischen Gremien, konnte auch in der erneuten zweiten, 2011 beginnenden Planungsphase zurückgegriffen werden. Auch zu diesem ersten Zeitpunkt war die Problematik des Nebeneinanders von Wohnen und Behandlung „radioaktiver Abfälle“ Anlass und Inhalt der Planänderungsüberlegungen. Das ergibt sich aus der Verwaltungsvorlage vom 28. Mai 2010 (Drucksache 13371/10), mit der die Aufhebung der Beschlüsse zur Änderung der Bebauungspläne vorgeschlagen wird, nachdem die Klägerin zugesichert hatte, keine qualitative Ausweitung der ihr bisher erteilten strahlenschutzrechtlichen Genehmigungen zu beantragen. Das zeigt, dass sich die Beklagte bereits im Jahr 2010 mit dem Problemkreis befasst hatte und an diese Vorarbeiten anknüpfen konnte.
Thematisiert wurde die Bewertung des „Restrisikos“ zudem in den Veranstaltungen vom 25. Januar 2012 („Expertenhearing“) und November 2012 (frühzeitige Unterrichtung der Öffentlichkeit). Die Vorlage des Gutachtens der I. vom August 2013 erneuerte laut Rats-Drs. 13226/13 vom 23. September 2013 die Notwendigkeit, sich mit verbleibenden Restrisiken auseinander zu setzen.
Ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit, die Beobachtung und Kommentierung durch die Medien und die „Androhung“ gerichtlicher Überprüfungen des Bebauungsplans sowohl durch die Bürgerinitiativen als auch durch die Klägerin mögen eine besondere Belastung und Herausforderung für die Verwaltung dargestellt haben, sind aber weder jeweils für sich noch in ihrer Zusammenschau geeignet, über den vom Gesetz als angemessen zugrunde gelegten Zeitraum von drei Jahren hinaus einen „Mehrbedarf“ an Planungszeit zu begründen.
Auch die Verwertung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. August 2012 (4 C 1.11, BRS 79 Nr. 18) zur Zulässigkeit einer Standortplanung von Mobilfunkanlagen, die nicht lediglich auf rechtlich irrelevante „Immissionsbefürchtungen“, ohne städtebauliches Gewicht, gestützt werden darf, bedurfte nicht einer Zeitspanne von mehr als einem Jahr bis zum Beschluss, ein Gutachten zum „Restrisiko“ einzuholen. Diese Entscheidung war zu Beginn des Jahres 2013 publiziert worden (u.a. NVwZ 2013, 304 und ZfBR 2013, 42).
Die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat nach dem ausdrücklichen Bekunden der Beklagten nicht zu einer Änderung ihres ursprünglichen Planungsziels geführt. Sie kann deshalb auch nicht zu einer nicht vorhergesehenen und vorhersehbaren Erschwerung der Planung insgesamt geführt haben. Bloße Veränderungen von Einzelheiten eines Planungsinhaltes, der ein unverändertes Planungsziel konkretisiert, führen nicht zu völlig neuen Erwägungen, die nicht schon in Grundzügen seit dem Planaufstellungsbeschluss bekannt waren. Handelt es sich dagegen um Erwägungen der Art, dass nicht auf die Vorarbeiten seit dem Aufstellungsbeschluss zurückgegriffen werden kann, spricht dies für eine Abweichung vom ursprünglichen Planungsziel, die vom ursprünglichen Planaufstellungsbeschluss dann nicht mehr umfasst wäre. Eine zweite Verlängerung der das ursprünglich beschlossene Planungsziel sichernden Veränderungssperre ist/wäre dann nicht mehr gerechtfertigt gewesen.
Eine durch die Verarbeitung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. August 2012 - 4 C 1.11 - und des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom September 2013 entstehende Verzögerung der Planung bis zu einem ersten auslegungsfähigen Planentwurf im Februar 2015 wäre zudem auch nicht geeignet zu begründen, warum in der Zeit vom Aufstellungsbeschluss im Dezember 2011 bis Ende des Jahres 2012 (Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. August 2012) und nachfolgend Ende des Jahres 2013 (Entscheidung des Verwaltungsgerichts) keine nennenswerten Planungsschritte unternommen wurden, auf die - zumindest in Teilen - jeweils hätte zurückgegriffen werden können. Eine Ursächlichkeit der von der Beklagten insoweit angeführten beiden Entscheidungen für die Verlängerung der Planungsphase auf vier Jahre ist danach nicht erkennbar.
Ist die zweite Verlängerung der Veränderungssperre nach alledem unwirksam, steht dem Antrag auf Erteilung der Baugenehmigung die Veränderungssperre nicht - mehr - entgegen. Da die Beklagte in der Begründung ihrer Ablehnung bislang ausschließlich auf die Veränderungssperre abgestellt und eine Überprüfung des Bauantrags im Übrigen nicht stattgefunden hat, kommt eine unbeschränkte Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Baugenehmigung nicht in Betracht. Die Klägerin hat dieses weitergehende Ziel auch nicht mit einem Anschlussrechtsmittel verfolgt. Zur Klarstellung fasst der Senat den Tenor der angegriffenen Entscheidung teilweise neu. Auf die Kostenverteilung wirkt sich dies wegen § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO nicht aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.