Landgericht Stade
Urt. v. 29.03.2004, Az.: 4 O 489/03
Behandlungsraum; Behandlungsstuhl; Bodenbelag; Entbehrlichkeit; Erkennbarkeit; Gesundheitsbeschädigung; Haftung; Höhenunterschied; Kennzeichnungspflicht; Knieverletzung; Körperverletzung; Metallkante; Niveauunterschied; Offenkundigkeit; Podeststufe; Praxisraum; Schadensersatzanspruch; Sicherheitsmaßnahme; Sicherungsmaßnahme; Sturzunfall; Trittkante; Verkehrssicherungspflicht; Warnhinweis; Warnpflicht; Zahnarztbehandlung; Zahnarztpraxis
Bibliographie
- Gericht
- LG Stade
- Datum
- 29.03.2004
- Aktenzeichen
- 4 O 489/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 51058
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs 1 BGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Keine Haftung des Zahnarztes, wenn der Patient nach der Behandlung über eine nicht näher gekennzeichnete Stufe in den Behandlungsräumen fällt und sich dabei verletzt; Inhalt und Umfang von Verkehrssicherungspflichten bei Behandlungsräumen.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreites.
Das Urteil ist für die Beklagten hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Der Streitwert für den Rechtsstreit wird auf 12.355,36 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Sturz des Klägers in den Behandlungsräumen der Beklagten am 9. April 2003.
Der Beklagte zu 1) ist Zahnarzt, die Beklagte zu 2) betreibt ein Zahntechniklabor. Der Kläger befand sich bei dem Beklagten zu 1) in zahnärztlicher Behandlung. Die Behandlung fand in den Geschäftsräumen der Beklagten zu 2) statt. Der Behandlungsstuhl befindet sich auf einem großflächigen, ca. 25 cm hohen Podest, wobei der Stuhl nicht direkt an die Kante des Podests grenzt, sondern ca. 2 m entfernt steht. Der Bodenbelag besteht sowohl auf dem Podest als auch in dem angrenzenden Raum aus rutschfestem hellgrauen Linoleumboden. Die Kante ist mit einer geriffelten dunklen Metallkante versehen. Zur näheren Darstellung wird auf die von den Beklagten vorgelegten Fotografien (Bl. 30 ff. d.A.) verwiesen. Am 9. April 2004 erhob sich der Kläger nach durchgeführter Behandlung, bei der eine Prothese eingepasst wurde, vom Behandlungsstuhl und begab sich zum Ende des Podests, um die Räume zu verlassen. Im Rahmen einer Behandlungspause hatte er den Behandlungsstuhl und auch das Podest einmal verlassen, um sich etwas im Raum zu bewegen.
Der Kläger behauptet, dass er am Ende des Podests ins Leere getreten und deshalb gestürzt sei. Er meint, den Beklagten sei eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen. Podest und Fußboden würden eine optische Einheit bilden. Der Absatz sei in keiner Form gekennzeichnet oder gesichert gewesen. Es habe weder ein Geländer oder Hinweisschilder gegeben - was zwischen den Parteien auch unstreitig ist - noch Leuchtstreifen o.ä. am Boden. Die Balkenkonstruktion stelle keine geeignete Sicherheitsvorkehrung dar. Durch helles Tageslicht und Sonneneinstrahlung könne es zur Blendung eines Patienten kommen. Es sei auch zu berücksichtigen, dass Patienten nach einer intensiven zahnärztlichen Behandlung - auch ohne Einsatz von Betäubungsspritzen - sich nicht im Vollbesitz ihrer physischen und psychischen Kräfte erheben und dem Ausgang zu streben. Die Patienten seien unaufmerksamer, so dass eine erhöhte Unfallgefahr bestehe.
Bei dem Aufprall auf den Boden zerschnitt die Brille des Klägers dessen rechte Augenbraue auf einer Länge von 4 cm. Insoweit ist eine Narbe verblieben, was im Übrigen zwischen den Parteien auch unstreitig ist. Ferner erlitt er - auch das ist unstreitig - eine Fraktur der rechten Kniescheibe. Der Bruch der Kniescheibe ist zwischenzeitlich ausgeheilt. Einschränkungen hinsichtlich der Belastbarkeit des Knies würden aber verbleiben. Weitere Behandlungen und operative Eingriffe seien nicht auszuschließen. An Vorschäden im Bereich der unteren Extremitäten habe er nicht gelitten. Der Kläger behauptet weiter, er habe sich auch die rechte Hand und die rechte Schulter verstaucht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Klageschrift ebenso wie auf den Schriftsatz vom 24. Februar 2004 nebst den dazugehörigen Anlagen verwiesen (Bl. 1 ff., 38 ff. d.A.).
Der Kläger meint, ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 EUR sei angemessen. Wegen der dauernden Schmerzen im Bereich der Kniescheibe, die seine Lebensfreude dauernd einschränke, sei darüber hinaus eine Schmerzensgeldrente i.H. v. 200 EUR vierteljährlich bis zum 22. März 2004 angemessen. Für die zerbrochene Brille beansprucht er materiellen Schadensersatz i.H. v. 555,36 EUR und schließlich Feststellung hinsichtlich etwaiger künftiger Schäden.
Der Kläger beantragt,
1.) die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2.) die Beklagten zu 1) und 2) zu verurteilen, an ihn eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 200,00 EUR ab dem 22. Mai 2003 vierteljährlich im Voraus jeweils zum 22. Mai, 22. August, 22. November 2003 und 22. Februar bis zum 22. Mai 2004 als Gesamtschuldner zu zahlen;
3.) die Beklagten zu 1) und 2) zu verurteilen, an den Kläger 555,36 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit als Gesamtschuldner zu zahlen;
4.) festzustellen, dass die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden aus dem Unglücksfall vom 22. Mai 2003 in den Räumen der Beklagten zu 2) in H. als Gesamtschuldner zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf die Sozialversicherungsträger übergehen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie sind der Auffassung, eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht sei ihnen nicht vorzuwerfen. Die Kante sei durch die Metallkante farblich ausreichend abgegrenzt. Ein Leuchtstreifen oder ein Geländer sei nicht erforderlich. Der Kläger hätte sich an dem vorhandenen Stützbalken erforderlichenfalls festhalten können. Auch das Gewerbeaufsichtsamt habe diesbezüglich keine Anforderungen gestellt. Die Beklagten haben eine Gefährdungsbeurteilung eines Gutachters für Arbeitssicherheit vorgelegt. Auch daraus ergebe sich, dass sie ihrer Verkehrssicherungspflicht genügt hätten. Jeder auch nur durchschnittlich aufmerksame Patient sei in der Lage, den Raum ohne Unfallgefährdung zu verlassen. Dies müsse umso mehr gelten, als der Kläger den Beklagten bereits vor der streitgegenständlichen Behandlung aufgesucht habe und dort behandelt worden sei. In Behandlungspausen habe er mehrfach das Podest verlassen, um sich die Beine zu vertreten.
Der Kläger sei überdies nicht gestolpert. Die Beklagten behaupten, der Kläger sei bereits vor der Podestkante mit dem rechten Bein eingeknickt und sodann schräg nach rechts vorn fallend auf den Boden geprallt. Zudem habe der Kläger bereits vor dem Unfall an erheblichen Beschwerden gelitten. Diese könne er nun nicht den Beklagten anlasten. Der Kläger sei auch nicht durch die Behandlung sinnesverwirrt gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten - insbesondere hinsichtlich der Schadenshöhe - wird auf den Inhalt der Schriftsätze vom 13. Januar und 27. Februar 2004 (Bl. 21 ff., 62 ff. d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist zulässig. Sie ist indessen nicht begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld zu. Eine Haftung der Beklagten zu 1) und 2) ergibt sich weder aus § 823 Abs. 1 BGB noch kann der Kläger den Beklagten zu 1) wegen der Verletzung einer Nebenpflicht des zwischen den Parteien bestehenden Behandlungsvertrages aus § 280 BGB in Anspruch nehmen. Ob der Kläger an der Podeststufe gestolpert ist oder aber - wie die Beklagten behaupten - bereits vor der Kante zu Fall geriet, weil er mit dem rechten Bein einknickte, kann offen bleiben. Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung ist den Beklagten jedenfalls nicht vorzuwerfen.
Die Beklagten sind zwar grundsätzlich verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass sich Patienten in dem Behandlungsraum sicher bewegen können und keinen unerwarteten Gefahren ausgesetzt sind. Eine vollkommene Verkehrssicherheit, die jeden Unfall ausschließt, lässt sich indessen nicht erreichen. Es sind daher nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs geeignet sind, Gefahren von Dritten tunlichst abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßem und nicht ganz fern liegendem bestimmungswidrigen Gebrauch drohen (vgl. nur Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 24. Aufl., Seite 452, Rn. 37 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Die Verkehrssicherungspflicht hat ihre Grenze daher bei solchen Gefahren, denen der Patient auch bei Anwendung zumutbarer eigener Vorsicht nicht zuverlässig begegnen kann. Erkennbare Besonderheiten sind von den Verkehrsteilnehmern auch ohne Sicherung und Warnhinweise hinzunehmen, wenn es ihnen möglich ist, sie auf die damit einhergehenden Gefahren einzustellen (Geigel aaO. m.w.N.). Zu den Pflichten eines Zahnarztes gehört es danach, Stufen im Behandlungsraum, die sich im Gehbereich des von Patienten befinden und die von diesen übersehen werden können, deutlich zu kennzeichnen.
Nach der Augenscheinseinnahme der von den Beklagten vorgelegten Fotos und dem Vortrag der Parteien steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass eine Verkehrssicherungspflichtverletzung nicht vorliegt. Eine Augenscheinseinnahme der Örtlichkeit war nach Vorlage der Fotografien nach Ansicht des Gerichts nicht mehr erforderlich. Auch der Kläger hat angegeben, dass die von den Beklagten vorgelegten Fotografien einen guten Eindruck von der Örtlichkeit verschaffen. Der Bodenbelag in den streitgegenständlichen Behandlungsräumen besteht sowohl auf dem Podest als auch in dem weiteren Raum aus hellgrauem Linoleumboden. Dem Kläger ist insoweit zuzugeben, dass der gleich gestaltete Bodenbelag das Erkennen der Stufe schwieriger macht, als dies bei farblich unterschiedlichen Belägen der Fall wäre. Aus den Fotos ergibt sich aber zugleich, dass die Metallkante den Bereich deutlich abgrenzt. Ob diese zu Warnzwecken angebracht wurde, ist unerheblich. Faktisch kommt ihr jedenfalls durch die dunkle Farbe im Vergleich zu dem sonst hellen Fußboden eine ausreichende Warnfunktion zu, zumal die Lichtverhältnisse aufgrund der großen Fenster ausgesprochen gut sind. Nach Ansicht des Gerichts ist der Behandlungsraum mit dem Podest auch verkehrssicher im Sinne des § 23 NBauO. Eines Hinweisschildes, Geländers oder aber einer anderweitigen Markierung auf dem Boden - etwa in Form von Leuchtstreifen - bedurfte es vorliegend nicht.
Zu berücksichtigen ist zudem, ob der Patient den Behandlungsraum bzw. die vorhandene Podeststufe kannte (vgl. auch OLG Köln, OLGR 1995, 141: Podest in einem Restaurant). Der Kläger hatte das Podest sowohl vor der Behandlung betreten als auch im Rahmen einer Behandlungspause jedenfalls einmal verlassen und wieder bestiegen. Ihm konnte daher - auch bei üblicher Aufmerksamkeit - nicht entgangen sein, dass ein Niveauunterschied bestand, den er nach Abschluss der Behandlung bei Verlassen des Raumes wieder überwinden muss.
Die Anforderungen, die von der Rechtsprechung für Präsentationspodeste in Kaufhäusern bzw. Ladengeschäften, aufgestellt wurden (vgl. nur OLG Frankfurt, OLGR 2000, 132 mit zahlreichen weiteren Nachweisen), sind nach Auffassung des Gerichts nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. In den dortigen Fallgestaltungen wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Blick der Kunden durch die in Augenhöhe vorhandene Ware abgelenkt ist und darüber hinaus durch einen großen Kundenandrang ggf. die freie Sicht auf die Bodenfläche eingeschränkt ist. Kunden könnten ihr Augenmerk daher nicht immer im erforderlichen Maß dem Fußboden zuwenden. So liegt der Fall indes hier nicht. Neben Arzt und Sprechstundenhilfe hält sich regelmäßig nur ein Patient im Behandlungszimmer auf. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass der Blick des Patienten vom Boden abgelenkt sein müsste. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte der Kläger nach vorläufiger Ansicht des Gerichts die Podeststufe sicher erkennen können und das Übersehen der Trittkante vermeiden können.
Anders mag es allenfalls zu beurteilen sein, wenn ein Patient aufgrund einer intensiven schmerzhaften zahnärztlichen Behandlung aufgrund anhaltender erheblicher Schmerzen nicht mehr in der Lage ist, sich auf den Boden zu konzentrieren. Dafür ist hier allerdings nichts Konkretes vorgetragen. Den Einsatz von Betäubungsmitteln behauptet der Kläger selbst nicht. Die Einpassung einer Prothese führt nach Einschätzung des Gerichts auch nicht zu solch gravierenden Schmerzen, dass es noch nach durchgeführter Behandlung zu einer Beeinträchtigung der Sinne kommen könnte. Im Übrigen ist der Behandlungsstuhl auch noch zwei Meter von der Podeststufe entfernt.
Die vom Kläger zitierte Versammlungsstättenverordnung bezieht sich auf solche Fälle, in denen sich eine Vielzahl von Personen in einem Raum aufhält. In diesen Fällen ist - ähnlich wie bei den Kaufhaus-Fällen - die Aufmerksamkeit der Teilnehmer abgelenkt. Durch das häufig dichte Gedränge von Personen ist der Boden oftmals nur eingeschränkt sichtbar. Auch insoweit ist eine Vergleichbarkeit nicht gegeben.
Dass es am konkreten Unfalltag zu einer Sonneneinstrahlung gekommen ist, hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen. Im Übrigen hätte für den Kläger erst recht Veranlassung zu erhöhter Vorsicht bestanden, wenn er durch eine etwaige Sonneneinstrahlung geblendet war.
Nach alledem ist festzustellen, dass den Beklagten keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht anzulasten ist. Maßgebliche Ursache für den Sturz des Klägers war vielmehr, dass dieser nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit durch den Raum gegangen ist.
Selbst wenn man entgegen der Ansicht des Gerichts eine besondere weitere Markierung des Podests zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht für erforderlich halten würde, würde das Verschulden des Klägers nach Auffassung des Gerichts jedenfalls derart überwiegen, dass ein Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld völlig ausgeschlossen wäre.
Da eine Haftung schon dem Grunde nach nicht besteht, kann auch der Feststellungsantrag keinen Erfolg haben, so dass die Klage insgesamt abzuweisen war.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre gesetzliche Grundlage in § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 12 GKG, 3 ZPO. Dabei entfallen 10.000,00 EUR auf den Antrag zu 1), 800,00 EUR auf den Antrag zu 2), 555,36 EUR auf den Antrag zu 3) und weitere 1.000,00 EUR auf den Feststellungsantrag.